(Rom) Im 50-Jahr-Konzilsgedenken befassen sich auch die Freimaurer mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil. In Rom veranstaltete kein geringerer als der Großorient von Italien am 12. Juni eine Buchvorstellung zum Thema „Das geheime Konzil“. Vorgestellt wurde das gleichnamige Buch des Journalisten Ignazio Ingrao, Mitarbeiter des italienischen Staatsfernsehens RAI und Vatikanist des Wochenmagazins Panorama. Der Untertitel des Buches lautet: „Geheimnisse, Intrigen und Machtspiele des Ereignisses, das das Gesicht der Kirche verändert hat“. Erschienen ist das Buch im katholischen Verlag Piemme der Paulusschwestern.
Illustre progressiv-masonische Runde
Der Großorient, hellhörig beim Thema Zweites Vatikanum, versammelte eine illustre progressive Runde. Das „geheime Konzil“ ist der einflußreichsten italienischen Obödienz so wichtig, daß der Großmeister persönlich in Aktion trat. Ein eigenes Kapitel („Freimaurer beim Konzil“) ist den beschürzten Brüdern gewidmet. Weder Buch noch Kapitel sind eine Anklage, sondern mehr ein „Heimspiel“ wie der Großmeister meinte. Neben dem Autor, Ignazio Ingrao, saß Stefano Bisi der neue Großmeister des Großorients von Italien, Alberto Melloni, der Leiter der progressiven „Schule von Bologna“, die nicht zuletzt mit Hilfe der Deutschen Bischofskonferenz noch ein Fast-Monopol in der offiziellen Konzilsinterpretation hält und die These eines positiven Bruchs mit der Vorkonzilszeit propagiert. Affinität zu diesem Lager hat auch die Gender-Theologin Marinella Perroni, Neutestamentlerin an der päpstlichen Benediktineruniverität Sant’Anselmo in Rom. Die Moderation lag in den Händen des linkskatholischen Journalisten Marco Politi. Eine bemerkenswerte dialogische Vernetzung zwischen progressiven Teilen der Katholischen Kirchen und der Freimaurerei.
Kirche von morgen „vorwegnehmen“
Der Großorient von Italien schreibt auf seiner Internetseite zum Buch: „Ein so innovatives und paradigmatisches Ereignis zu verstehen, wie es das Zweite Vatikanische Konzil war, und das nicht durch eine offizielle Lesart zu tun, sondern durch Zeugnisse und bisher unveröffentlichte Dokumente, bietet die Möglichkeit, zu den Wurzeln dessen zu gehen, was heute in der katholischen Kirche geschieht. Das Konzil von gestern zu studieren, hilft uns, die Kirche von morgen vorwegzunehmen. Papst Franziskus hat das Zeugnis seiner Vorgänger [Johannes XXIII. und Paul VI.] aufgegriffen und die starke und entschlossene Verpflichtung angenommen, das Konzil umzusetzen. Die Kirche im Dialog, die auf die Ränder ausgerichtet ist, wie es der argentinische Papst will, ist das Modell, das die Konzilsväter verwirklichen wollten.“
Konzil fast ein „Heimspiel“ für Freimaurer?
Zum Abschluß der Buchpräsentation sagte Großmeister Bisi: „Es würde mich wirklich freuen, zu wissen, was Papst Franziskus von der Freimaurerei denkt“. In seiner Rede zeigte sich der Großmeister erfreut, über die „offene Dialogbereitschaft“ von Teilen der Kirche zu Themen wie den „Menschenrechten“. „Das Konzil“ habe hier „Außergewöhnliches geleistet“. Der Dialog über das Konzil erscheine ihm manchmal wie ein „Heimspiel“: „Ich bin zutiefst überzeugt, daß es auf dem Gebiet der Menschenrechte und der Freiheit fruchtbare Kontakte zwischen der katholischen Kirche und den Andersgläubigen geben kann. Ich denke, es ist Zeit, mehr zu einen, als zu trennen und ich bin überzeugt, daß ein wertvoller Punkt der Begegnung und des Dialogs gefunden werden kann.“ In Anspielung auf den 20. September, an dem die Freimaurerei alljährlich den Sieg über den Kirchenstaat feiert, sagte der Großmeister: „Der nächste 20. September sollte wegen einer anderen Bresche begangen werden, einer Bresche, die dazu dient, Mauern einzureißen, die verschiedene Welten trennen, die sich begegnen möchten. Es besteht eine große Notwendigkeit nach Verbindungen. Das war auch die Botschaft des Zweiten Vatikanischen Konzils, das vor 50 Jahren eine neue Ära innerhalb der katholischen Welt geöffnet hat. Eine Botschaft, die heute mit dem Pontifikat von Bergoglio mit einem neuen und sehr starken innovativen Schub aufgeladen wird, die aus dem Willen erwächst, die Kirche in ihrer Physiognomie neu zu modellieren, einer Überprüfung der Seelsorge der zwischenmenschlichen Beziehungen, einer Aufwertung der Methoden, die durch jene außergewöhnliche Versammlung eingeleitet wurde, die von 1962 bis 1965 unter den Päpsten Johannes XXIII. und Paul VI. stattfand: offene und demokratische Debatte und intensives Anhören der Gesellschaft.“
Der Journalist Stefano Bisi ist seit dem 6. April 2014 Großmeister des Großorients von Italien und trat damit die Nachfolge von Gustavo Raffi an. Bisi kommt aus dem sozialistisch-masonischen Milieu der Toskana und Umbriens. Der 1805 in Mailand gegründete Großorient von Italien geht auf Napoleons Stiefsohn Eugene Beauharnais zurück, der als Vize-König Italiens, das ein Vasallenstaat Frankreichs war, erster Großmeister war.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Grande Oriente d’Italia