Wo steht Kardinal Müller in Sachen „Amoris laetitia“?


Vertritt Kardinal Müller heute andere Positionen? Torniellis Vorabdruck legt dies nahe.
Vertritt Kardinal Müller heute andere Positionen? Torniellis Vorabdruck legt dies nahe.

(Rom) Kar­di­nal Ger­hard Mül­ler bemüh­te sich als Glau­bens­prä­fekt, das umstrit­te­ne nach­syn­oda­le Schrei­ben Amo­ris lae­ti­tia im Licht der Kon­ti­nui­tät zu lesen. Dazu hielt er am 4. Mai 2016, einen Monat nach der Ver­öf­fent­li­chung von Amo­ris lae­ti­tia, eine „monu­men­ta­le Rede“ in Ovie­do. Den­noch ant­wor­te­te ihm der Vati­ka­nist San­dro Magi­ster nur zwei Tage dar­auf, daß es „zu spät“ sei. Vor zwei Wochen geriet unge­wollt das Abstim­mungs­ver­hal­ten Mül­lers am Ende der Fami­li­en­syn­ode 2015 in die Dis­kus­si­on. Seit zwei Jah­ren hält sich das Gerücht, daß sei­ne Stim­me aus­schlag­ge­bend war, daß die Syn­ode nicht geschei­tert ist, son­dern der Weg für Amo­ris lae­ti­tia frei. Gestern bekam die­se Dis­kus­si­on neue Nah­rung. Der päpst­li­che Haus- und Hof­va­ti­ka­nist Andrea Tor­ni­el­li ver­öf­fent­lich­te Aus­zü­ge aus einer erwei­ter­ten Ein­füh­rung von Mül­ler zum neu­en Buch von Roc­co But­tig­li­o­ne. Der Woj­ty­lia­ner But­tig­li­o­ne gehört zu den unge­wöhn­lich­sten Ver­tei­di­gern von Amo­ris lae­ti­tia und scheint auch unter den Unter­zeich­nern der noch unge­wöhn­li­che­ren Initia­ti­ve des pro­gres­si­ven Pasto­ral­theo­lo­gen Paul Zuleh­ner „Pro Pope Fran­cis“ auf. Wie kommt es aber, daß Kar­di­nal Mül­ler plötz­lich von Berg­o­glia­nern Raum gege­ben wird, die ihn bis­her geprü­gelt haben?

Hermeneutik der Kontinuität kommt „zu spät“

Anzei­ge

Magi­ster schrieb im Mai 2016 zur Ovie­do-Rede Müllers:

„Mit einer monu­men­ta­len Rede in Spa­ni­en stell­te der Prä­fekt der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on das nach­syn­oda­le Schrei­ben Amo­ris Lae­ti­tia in den Fluß der bis­he­ri­gen Ord­nung der Kir­che. Zu spät, weil Fran­zis­kus es so geschrie­ben hat, daß man das Gegen­teil davon versteht.“

Papst Franziskus mit Kardinal Müller, Bischofsynode über die Familie
Papst Fran­zis­kus mit Kar­di­nal Mül­ler, Bischofs­syn­ode über die Familie

Die Berg­o­glia­ner attackier­ten Kar­di­nal Mül­ler wie­der­holt öffent­lich und noch viel schär­fer hin­ter den Kulis­sen. Grün­de dafür fan­den sie immer wie­der, ob es Mül­lers Teil­nah­me an der Tagung zum 10. Jah­res­tag des Motu pro­prio Sum­morum Pon­ti­fi­cum war oder der behaup­te­te Man­gel an bedin­gungs­lo­ser Gefolg­schaft für Kar­di­nal Schön­borns Amo­ris-lae­ti­tia-Inter­pre­ta­ti­on. Für wenig sich Fran­zis­kus in der Fra­ge ent­schie­den hat­te, für Mül­ler oder Schön­born, tat er unüber­hör­bar kund.

Tat­sa­che ist, daß Mül­ler als Glau­bens­prä­fekt von Papst Fran­zis­kus schon lan­ge vor sei­ner Ent­las­sung mar­gi­na­li­siert wor­den war. Die sei­ten­lan­gen Anmer­kun­gen und Kor­rek­tur­vor­schlä­ge zu Amo­ris lae­ti­tia, die der Kar­di­nal und sei­ne Kon­gre­ga­ti­on dem Papst drin­gend nahe­leg­ten, wur­den ein­fach igno­riert. Die nach­träg­li­chen Ver­su­che, zu ret­ten, was zu ret­ten ist, lie­fen bis­her weit­ge­hend ins Lee­re, weil die von Papst Fran­zis­kus unter­stütz­ten Kir­chen­krei­se mit Ent­schlos­sen­heit in eine ande­re Rich­tung mar­schie­ren. Da sich der Kar­di­nal jeder öffent­li­chen Kri­tik an Papst Fran­zis­kus ent­hielt, scheint sein Kampf um die Inter­pre­ta­ti­ons­ho­heit des umstrit­te­nen Doku­ments fast zwangs­läu­fig zum Schei­tern verurteilt.

Gedankt wur­de es ihm von Fran­zis­kus ohne­hin nicht. Sobald die fünf­jäh­ri­ge Amts­zeit als Glau­bens­prä­fekt um war, wur­de Mül­ler von ihm ent­las­sen, ohne Nen­nung von Grün­den. An die­ser Stel­le übte selbst Mül­ler Papst-Kri­tik, wenn er die­ses Ver­hal­ten als „inak­zep­ta­blen Stil“ bezeich­ne­te.

Als eine Grup­pe muti­ger Theo­lo­gen und Phi­lo­so­phen die Cor­rec­tio filia­lis wegen der Ver­brei­tung von Häre­si­en ver­öf­fent­lich­te, war es Kar­di­nal Mül­ler, der als ein­zi­ger for­der­te, was längst statt­fin­den soll­te: die Eröff­nung eines theo­lo­gi­schen Dis­puts über die offe­nen Fra­gen zu Amo­ris lae­ti­tia. Zugleich sag­te der Kar­di­nal, daß gläu­bi­ge Katho­li­ken die anfra­gen auch eine Ant­wort verdienen.

Genau das wol­len Fran­zis­kus und sein Umfeld nicht. Daß der Kar­di­nal den­noch ver­lang­te, was der Sache nach rich­tig ist, ehrt ihn. Daß er damit an der Kir­chen­spit­ze ziem­lich allein blieb, bie­tet Ein­blick in den aktu­el­len Zustand der Kir­chen­füh­rung, der geprägt scheint von Eupho­rie, Träg­heit und Angst. Der Kreis um Papst Fran­zis­kus ist eupho­risch, ein ande­rer, nicht uner­heb­li­cher Teil ist von Fran­zis­kus Här­te ein­ge­schüch­tert, und wie­der ein ande­rer Teil ergeht sich in einer Träg­heit, die zu allen Zei­ten ver­ant­wor­tungs­los war. Nur ein klei­ner Teil erhebt sich und will Klar­heit wie die Kar­di­nä­le Brand­mül­ler, Bur­ke, Caf­farra und Meis­ner mit den Dubia (Zwei­feln). Zwei von ihnen sind in den ver­gan­ge­nen Mona­ten gestorben.

Position Müllers klar und doch erklärungsbedürftig

Wel­che Posi­ti­on Mül­ler inhalt­lich zu den umstrit­te­nen Fra­gen zu Amo­ris lae­ti­tia genau ein­nimmt, ist klar und schein­bar zugleich doch nicht. Sie bewegt sich zwi­schen den Fron­ten. Dem Inhalt nach, aber nicht der Form, steht sie den Dubia-Kar­di­nä­len sehr nahe. Die Auf­for­de­rung zum theo­lo­gi­schen Dis­put, um eine Klä­rung her­bei­zu­füh­ren, wür­de Klar­heit schaf­fen. Das weiß Kar­di­nal Mül­ler, und das weiß auch Papst Fran­zis­kus. Des­halb sprach sich der eine dafür aus, wäh­rend der ande­re bis­her alles tut, um eben einen sol­chen zu verhindern.

Die päpst­li­che Stra­te­gie ope­riert maß­geb­lich mit dem Fak­tor Unklar­heit. Im Umfeld von Fran­zis­kus weiß man sehr genau, daß in einem theo­lo­gi­schen Dis­put die Argu­men­te zäh­len, und die­se vor der Tra­di­ti­on Bestand haben müs­sen. Die Berg­o­glia­ner, das ist kein Geheim­nis, haben weder das eine noch rech­nen sie mit dem ande­ren. Tak­tisch sind sie, das muß auch gesagt wer­den (kön­nen), zudem auch noch unehr­lich. Sie wol­len und voll­zie­hen, gestützt von Fran­zis­kus, eine Revo­lu­ti­on, leug­nen sie aber.

Der Man­gel an Argu­men­ten, oder bes­ser gesagt, der selbst auf­er­leg­te Zwang wegen der Leug­nung des Evi­den­ten kei­ne inhalt­li­che Dis­kus­si­on ein­ge­hen zu kön­nen, wird durch Ver­bal­ra­di­ka­lis­mus, Attacken und Straf­maß­nah­men gegen Kri­ti­ker kom­pen­siert. Das aber trägt zu einer gene­rel­len Ver­schlech­te­rung des Kli­mas bei. Auch unter ten­den­zi­el­len Anhän­gern der von Fran­zis­kus und sei­nem Umfeld betrie­be­nen Neue­run­gen macht sich Ent­täu­schung breit über den lieb­lo­sen, ja har­ten Umgang mit Anders­den­ken­den. Jeder ahnt, daß es ihm zu einem ande­ren The­ma bei abwei­chen­der Mei­nung ähn­lich erge­hen könnte.

Die Endphase der Bischofssynode 2015

Jüngst sorg­te ein Mül­ler-Inter­view in der Tages­post für eini­ge Dis­kus­si­on. Die Fra­ge krei­ste um die genaue Posi­ti­on, die der Kar­di­nal in der Kern­fra­ge der dop­pel­ten Fami­li­en­syn­ode, der Zulas­sung von wie­der­ver­hei­ra­te­ten Geschie­de­nen zur Kom­mu­ni­on, ein­nimmt bzw. ein­ge­nom­men hat.

Bischofssynode über die Familie
Bischofs­syn­ode über die Familie

In der End­pha­se der ent­schei­den­den zwei­ten Bischofs­syn­ode schien, trotz einer bevor­mun­den­den Syn­oden­re­gie, alles aus dem Ruder zu lau­fen. „Alles“ meint zwei­er­lei: ein­mal die Mög­lich­keit eines offen­sicht­li­che Schei­terns der Stra­te­gie von Papst Fran­zis­kus, zum ande­ren aber auch die Gefahr eines Image­scha­dens für die Gesamt­kir­che. Die bei­den Aspek­te ste­hen zwar durch den­sel­ben Anlaß, aber nicht inhalt­lich in einem Zusam­men­hang. Bei­de Aspek­te beweg­ten aber unter­schied­li­che Syn­oden­krei­se und beding­ten ihre Entscheidungen.

Laut den bei­den füh­ren­den ita­lie­ni­schen Tages­zei­tun­gen, dem bür­ger­li­chen Cor­rie­re del­la Sera und der lin­ken La Repubbli­ca, kam dem diplo­ma­ti­schen Geschick von Kar­di­nal Schön­born in die­ser Schluß­pha­se eine ent­schei­den­de Rol­le zu. In der Sub­stanz könn­te Kar­di­nal Mül­ler aber noch weit ent­schei­den­der gewe­sen sein. Des­halb ent­behrt es nicht einer gewis­sen Iro­nie, daß Schön­born zum Dank von Fran­zis­kus mit unge­wohn­ten Ehren belohnt, Mül­ler aber ent­las­sen wurde.

Müller-Kritik an „vorgefertigter“ Synodenregie

Die­se unter­schied­li­che Behand­lung ist der Ehr­lich­keit Mül­lers geschul­det, dem man man­ches vor­wer­fen wird kön­nen, aber nicht, daß er sich nicht ehr­lich um die Sache bemü­hen wür­de. Damit macht er es sich nicht leicht und kann sogar schnell ein­mal zwi­schen allen Stüh­len sit­zen. Ein kon­kre­tes Bei­spiel: Wäh­rend Schön­born bereits wäh­rend der ersten Fami­li­en­syn­ode 2014 eif­rig die Kas­per-Berg­o­glio-Linie über­nahm und die­ser tat­kräf­ti­ge Schüt­zen­hil­fe lie­fer­te (Stich­wort Gra­dua­li­täts­the­se), pro­te­stier­te Mül­ler zusam­men mit zwölf wei­te­ren Kar­di­nä­len am Beginn der zwei­ten Fami­li­en­syn­ode gegen die Syn­oden­re­gie, der „vor­ge­fer­ti­ge Ergeb­nis­se“ vor­ge­wor­fen wur­den. Die Kri­tik rich­te­te sich nicht nament­lich gegen Fran­zis­kus, war aber zwangs­läu­fig so gemeint.

Daß sich die drei­zehn Pur­pur-Syn­oda­len mit ihrem Pro­test an den Papst wen­den muß­ten, der selbst für die­sen ver­ant­wort­lich war, zeigt das Dilem­ma der Gesamt­fra­ge auf. Was kann man aus­rich­ten, wenn eine Fehl­ent­wick­lung vom Papst selbst aus­geht oder von die­sem unter­stützt wird?

Fran­zis­kus ist nach­tra­gend, wie man aus Bue­nos Aires weiß. Daß Mül­ler den­noch einen so ekla­tan­ten Schritt setz­te, zeigt, daß er – von einer Sache über­zeugt – auch bereit ist, per­sön­li­che Risi­ken und Opfer auf sich zu neh­men. Die­se folg­ten auch prompt: päpst­li­che Rüge, Mar­gi­na­li­sie­rung und Ent­las­sung. Allein schon dadurch hebt er sich zusam­men mit einer klei­nen Min­der­heit vom Groß­teil des Kar­di­nals­kol­le­gi­ums ab.

Welchen Beitrag leistete Müller zu Amoris laetitia?

Wie sah aber der Bei­trag von Kar­di­nal Mül­ler beim Zustan­de­kom­men von Amo­ris lae­ti­tia aus?

Es gab kei­nen, möch­te man ant­wor­ten. Was das im Detail heißt, soll nach­zu­zeich­nen ver­sucht werden.

Die Syn­oden­ar­bei­ten fan­den hin­ter ver­schlos­se­nen Türen statt. Kar­di­nal Mül­ler betei­lig­te sich aber bereits vor Beginn der Bischofs­syn­oden an einem von Kar­di­nal Ray­mond Bur­ke initi­ier­ten Sam­mel­band „In der Wahr­heit Chri­sti blei­ben: Ehe und Kom­mu­ni­on in der katho­li­schen Kir­che“. Sie ahn­ten bereits, was kom­men wür­de und lie­fer­ten den Syn­oda­len eine Argu­men­ta­ti­ons­hil­fe gegen die Kasper-(Bergoglio)-These.

Die Kardinäle der Dubia (Zweifel)
Die Kar­di­nä­le der Dubia (Zwei­fel)

Neben meh­re­ren Theo­lo­gen waren fünf Kar­di­nä­le an dem Sam­mel­band betei­ligt. Zwei von ihnen, Kar­di­nal Caf­farra und Kar­di­nal De Pao­lis, sind Anfang Sep­tem­ber  inner­halb weni­ger Tage gestor­ben. Zuvor waren sie bereits igno­riert und gede­mü­tigt wor­den. Kar­di­nal Bur­ke wur­de auf der Syn­ode zum nach außen sicht­ba­ren Wort­füh­rer der Ver­tei­di­ger des kirch­li­chen Lehr­am­tes. Bereits vor Syn­oden­be­ginn war ihm mit Abset­zung als ober­ster Rich­ter des Hei­li­gen Stuhls gedroht wor­den. Als die­se Ein­schüch­te­rung nichts fruch­te­te, folg­te nach Syn­oden­en­de tat­säch­lich sei­ne Ent­las­sung. Kar­di­nal Brand­mül­ler war bereits eme­ri­tiert und damit „unan­greif­bar“, wäh­rend Kar­di­nal Mül­ler Ende Juni 2017 ent­las­sen wur­de. In Sum­me ein rich­ti­ger Kahlschlag.

Fran­zis­kus warf sei­nen Kri­ti­kern sogar vor, ohne sie nament­lich zu nen­nen, eine „Tod­sün­de“ zu bege­hen. Ein­schüch­te­rung hoch drei. Auch vor die­sem Hin­ter­grund ist der Pro­test­brief der drei­zehn Kar­di­nä­le zu bewer­ten, der vier Mona­te spä­ter Fran­zis­kus erreich­te und empörte.

Der Schlußbericht des Circulus germanicus

Die genau­en Rede­bei­trä­ge Mül­lers auf der Syn­ode las­sen sich nicht rekon­stru­ie­ren. Tat­sa­che ist, daß sei­ne Posi­ti­on von den Syn­oden-Regis­seu­ren nicht erwünscht war, da er nie zu einer der täg­li­chen Pres­se­kon­fe­ren­zen ein­ge­la­den wur­de, die von Syn­oden­se­kre­ta­ri­at und der vati­ka­ni­schen Pres­se­stel­le orga­ni­siert wurden.

Gegen Ende der Syn­ode wur­de es dann span­nend. Der Bericht des deut­schen Sprach­krei­ses wur­de, so die glaub­wür­di­gen Berich­te, ein­hel­lig gefaßt. Kar­di­nal Mül­ler kann sich also nur der Stim­me ent­hal­ten oder dafür gestimmt haben. Er selbst bestä­tig­te das indi­rekt in sei­nem jüng­sten Tages­post-Inter­view vom 13. Okto­ber. Der Cir­culus ger­ma­ni­cus, dem Mül­ler, Schön­born und Marx ange­hör­ten, for­mu­lier­te zurück­hal­tend. Die Fra­ge der Kom­mu­ni­on-Zulas­sung wur­de nicht ganz offen, aber ziem­lich direkt ange­spro­chen. Katho​li​sches​.info schrieb dazu am 22. Okto­ber 2015:

„Der Schwer­punkt liegt auf dem ‚Forum inter­num‘ und dazu wird Fami­lia­ris Con­sor­tio Nr. 84 von Johan­nes Paul II. zitiert. Daß der zwei­te Teil von Nr. 84 uner­wähnt bleibt, läßt erken­nen, in wel­che Rich­tung die Mehr­heit der deut­schen Grup­pe ten­diert. In die­sem zwei­ten Teil von Nr. 84 heißt es, daß wie­der­ver­hei­ra­te­te Geschie­de­ne, die sich ‚aus schwer­wie­gen­den Grün­den‘ nicht tren­nen kön­nen, ‚wie Bru­der und Schwe­ster‘ leben sol­len. Die Beru­fung auf Nr. 84 ist im Ver­gleich zum Aus­gangs­punkt, der Rede Kas­pers im Febru­ar 2014 vor dem Kar­di­nals­kon­si­sto­ri­um und die von ihm dar­ge­leg­te Kasu­istik ziem­lich beschei­den. Unschwer läßt sich erken­nen, daß der Text ein Kom­pro­miß ist, um ein ein­stim­mi­ges Votum zu ermöglichen.“

Die eigent­li­che Fra­ge wur­de damit zur Aus­le­gungs­sa­che. Die Schwä­che die­ser Linie muß­te natür­lich auch Kar­di­nal Mül­ler bewußt sein. Denn die Aus­le­gung liegt in strit­ti­gen Fäl­len bekannt­lich in der Hand des Stär­ke­ren. Mül­ler optier­te im Cir­culus ger­ma­ni­cus, ob unter Grup­pen­zwang war damals noch unklar, für eine ande­re Posi­ti­on als jene, die er bis dahin ver­tre­ten hatte.

Müllers Sinneswandel?

Im Okto­ber 2013 hat­te er in einem viel­be­ach­te­ten Auf­satz im Osser­va­to­re Roma­no geschrieben:

„Wenn wie­der­ver­hei­ra­te­te Geschie­de­ne in ihrem Gewis­sen sub­jek­tiv der Über­zeu­gung sind, daß eine vor­aus­ge­hen­de Ehe nicht gül­tig war, muß dies objek­tiv durch die zustän­di­gen Ehe­ge­rich­te nach­ge­wie­sen wer­den. Die Ehe betrifft näm­lich nicht nur die Bezie­hung zwei­er Men­schen zu Gott, sie ist auch eine Wirk­lich­keit der Kir­che, ein Sakra­ment, über des­sen Gül­tig­keit nicht der ein­zel­ne für sich, son­dern die Kir­che ent­schei­det, in die er durch Glau­be und Tau­fe ein­ge­glie­dert ist.“

Kardinal Kasper auf der Synode
Kar­di­nal Kas­per auf der Synode

Mit dem Cir­culus-Bericht akzep­tier­te er im Okto­ber 2015 aber die Mög­lich­keit eines „Weges der Unter­schei­dung“ in Ein­zel­fäl­len, wobei im forum inter­num zu klä­ren sei, in wel­chem Maß ein Zugang zu den Sakra­men­ten mög­lich wäre. Im Bericht der deut­schen Arbeits­grup­pe wur­de die Kom­mu­ni­on durch die For­mu­lie­rung „Zugang zu den Sakra­men­ten“ aus­drück­lich erwähnt. Aus der Rela­tio fina­lis der Syn­ode ist die­ser Bezug dann ver­schwun­den, nach­dem er in der Syn­ode­nau­la hef­ti­ger Kri­tik aus­ge­setzt war. Anfang Mai 2016 ent­hüll­te der Son­der­se­kre­tär der Syn­ode, Erz­bi­schof Bru­no For­te, daß ihm Papst Fran­zis­kus per­sön­lich den Auf­trag erteilt hat­te, jede dies­be­züg­li­che Erwäh­nung zu ver­mei­den, weil „die uns“ sonst „einen Wir­bel“ machen. Auch das gehört zu den Trick­se­rei­en und unschö­nen Sei­ten eines nicht offe­nen und nicht ehr­li­chen Dialoges.

Der Abschlußbericht der Synode

Zu die­sem Zeit­punkt, aller­dings nicht wegen des deut­schen Sprach­krei­ses, befürch­te­ten Fran­zis­kus und die Kas­pe­ria­ner näm­lich berech­tig­ter­wei­se das Schei­tern der Syn­ode. In ande­ren Sprach­krei­sen war der Wider­stand deut­li­cher. Im Umfeld des Pap­stes wur­de bereits ein Plan B gesucht. Die Syn­ode kön­ne viel­leicht ohne Schluß­be­richt enden (soll­te das gewünsch­te Ergeb­nis nicht erzielt werden).

Zugleich wur­de in inter­nen Gesprä­chen der Teu­fel an die Wand gemalt: der Image­scha­den, der durch ein Schei­tern der Syn­ode für die Kir­che ent­ste­hen wür­de. Vor allem wür­de vor aller Augen eine Spal­tung in der Kir­che offen­sicht­lich wer­den las­sen. Das ver­setz­te eini­ge Syn­oda­len in Unru­he. Tat­sa­che ist, daß vor allem die per­sön­li­che Auto­ri­tät von Fran­zis­kus geschwächt, viel­leicht sogar defi­ni­tiv beschä­digt wor­den wäre. Ob das wirk­lich ein Scha­den für die Kir­che gewe­sen wäre, kann erst die Zukunft klären.

In der Abstim­mung über den Schluß­be­richt trat tat­säch­lich ein, was befürch­tet wur­de. Die nöti­ge Mehr­heit kam nicht zustan­de. Nun setz­ten fie­ber­haf­te Ver­hand­lun­gen ein, um in letz­ter Minu­te eine Kom­pro­miß­for­mel zu fin­den. Bekannt­lich ent­fal­ten sol­che Situa­tio­nen ihre ganz eige­ne Dyna­mik. Wer die bes­se­ren Ner­ven hat, ist ein­deu­tig im Vorteil.

Schönborns Vermittlung und das hauchdünne Abstimmungsergebnis

Durch Schön­borns Ver­mitt­lungs­ge­schick (im Sin­ne von Fran­zis­kus) gelang der Durch­bruch – nicht ohne ein Mit­tag­essen des Wie­ner Kar­di­nals bei Bene­dikt XVI., wie es seit­her hart­näckig heißt. Wie genau der eme­ri­tier­te Papst in die Syn­oden-Cho­reo­gra­phie ein­ge­baut wur­de, um eini­ge Syn­oda­len „zur Ver­nunft“ zu brin­gen, bleibt vor­erst im Verborgenen.

Kardinal Schönborn
Kar­di­nal Schönborn

Tat­sa­che ist, daß eine neu for­mu­lier­te Fas­sung zur Abstim­mung vor­ge­legt wur­de. Die Fra­ge, um die sich alles dreh­te, wur­de im Para­graph 85 behan­delt: die Zulas­sung der wie­der­ver­hei­ra­te­ten Geschie­de­nen zur Kom­mu­ni­on. Selbst in der abge­schwäch­ten, neu­en Fas­sung bekam die­ser Para­graph nur eine Stim­me mehr, als für das Min­dest­quo­rum not­wen­dig war. Trotz aller Gesprä­che, Ver­mitt­lun­gen, Kom­pro­miß­for­meln und Trick­se­rei­en war der Wider­stand noch immer unüber­seh­bar. Der Grund? Ein Teil der Syn­oda­len wit­ter­te einen fau­len Kom­pro­miß. Nicht zu Unrecht, wie sich her­aus­stel­len sollte.

War­um „Trick­se­rei­en“? Weil der neue Schluß­be­richt nur in ita­lie­ni­scher Spra­che vor­ge­legt wur­de. Ita­lie­nisch ist in der Kir­che zwar eine ver­brei­te­te Ver­kehrs­spra­che, besitzt aber kei­nen offi­zi­el­len Sta­tus. Es konn­te nicht vor­aus­ge­setzt wer­den, daß alle 265 Syn­oda­len, die an der Abstim­mung teil­nah­men, über aus­rei­chend Sprach­kennt­nis­se ver­füg­ten, um in einer so wich­ti­gen Fra­ge, in der jedes Wort gewo­gen wird, eine Ent­schei­dung tref­fen zu können.

Von wem kam die eine, entscheidende Stimme?

Sofort wur­de die Fra­ge gestellt, von wem die alles ent­schei­den­de 178. Stim­me gekom­men war. Theo­re­tisch kommt sie von jedem der 178 Syn­oda­len, die für den Para­gra­phen 85 gestimmt haben. Kon­kret aber nicht: Daß Kas­per dafür stimm­te, war nahe­lie­gend, daß Mül­ler dafür stimm­te, aber nicht.

In sei­nem jüng­sten Tages­post-Inter­view nahm Kar­di­nal Mül­ler dazu Stel­lung und bestä­tig­te indi­rekt, was bereits nach Syn­oden­en­de gesagt wur­de: Es war sei­ne Stim­me, die Fran­zis­kus und Kas­per die fata­le Mehr­heit ver­schaff­te, die zu Amo­ris lae­ti­tia führ­te. Wört­lich sag­te Mül­ler nun, zwei Jah­re spä­ter, dazu:

„Es wur­de gesagt, der Abschluß­be­richt sei mit einer Stim­me, also mit mei­ner Stim­me, geneh­migt wor­den. Es ist jedoch auch wahr, dass die­se Abstim­mung geheim war.“

Ent­schei­dend an die­sem Satz ist, daß der Kar­di­nal nicht demen­tier­te, für den Abschluß­be­richt gestimmt zu haben. Die Grün­de für sein Abstim­mungs­ver­hal­ten blei­ben aller­dings unklar, zumal er selbst beton­te, daß die Abstim­mung geheim war. War es die Sor­ge, wie bereits im Herbst 2015 spe­ku­liert wur­de, vor einer unkal­ku­lier­ba­ren Situa­ti­on, die durch ein offen­sicht­li­ches Schei­tern von Fran­zis­kus gleich in der ersten, von ihm für wich­tig erklär­ten Fra­ge ent­ste­hen hät­te können?

Franziskus sauer, Kasper „sehr zufrieden“

In der Anspra­che von Fran­zis­kus zum Syn­oden­ab­schluß war zunächst unüber­hör­bar, daß es nicht das Ergeb­nis war, das sich Fran­zis­kus erhofft hat­te. Kar­di­nal Kas­per fand jedoch schnell zur Con­ten­an­ce zurück und erklär­te bereits am Tag nach Syn­oden­en­de: „Ich bin sehr zufrie­den“. Er hat­te erkannt, daß nun alles eine Fra­ge der Inter­pre­ta­ti­on sein wür­de, und da saß er im Rücken von Papst Fran­zis­kus ein­deu­tig am län­ge­ren Hebel als die Syn­oda­len, die den Para­gra­phen 85 abge­lehnt hat­ten. Denn: Bekannt­lich ist Papier gedul­dig. Seit dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil weiß man in der Kir­che nur zu gut, daß mehr der „Geist“ hin­ter den Buch­sta­ben als die Buch­sta­ben selbst zählen.

Das Cha­os ist seit­her per­fekt. Durch unter­schied­li­che Inter­pre­ta­tio­nen von Amo­ris lae­ti­tia geht eine Spal­tung mit­ten durch die Kir­che. In Polen gilt wei­ter­hin, was immer gegol­ten hat, in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land dür­fen wie­der­ver­hei­ra­te­te Geschie­de­ne unge­hin­dert zur Kom­mu­ni­on gehen. Glei­ches gilt in der Diö­ze­se Rom, was selbst from­me Katho­li­ken noch immer nicht wirk­lich rea­li­siert haben.

Wenn Bergoglianer Müller nicht prügeln, sondern ihm Raum geben

Gestern wur­den Kar­di­nal Mül­ler, dem von Berg­o­glia­nern viel­ge­prü­gel­ten, ehe­ma­li­gen Glau­bens­prä­fek­ten­von von eben die­ser Sei­te uner­war­tet Blu­men gestreut. Aus­ge­rech­net Vati­can Insi­der, die Nach­rich­ten­platt­form des päpst­li­chen Haus- und Hof­va­ti­ka­ni­sten Andrea Tor­ni­el­li, räum­te ihm ein Forum ein. Wie das?

Rocco Buttiglione
Roc­co Buttiglione

Die Sache ver­dient, näher betrach­tet zu werden.

Vati­can Insi­der ver­öf­fent­lich­te Aus­zü­ge aus einem ein­füh­ren­den Auf­satz, den Mül­ler zum neu­en Buch von Roc­co But­tig­li­o­ne bei­steu­er­te. Das Buch „Ris­po­ste ami­che­vo­li ai cri­ti­ci di Amo­ris lae­ti­tia“ („Freund­schaft­li­che Ant­wor­ten an die Kri­ti­ker von Amo­ris lae­ti­tia“, Edi­zio­ni Ares) wird am kom­men­den 10. Novem­ber in den Buch­han­del kommen.

But­tig­li­o­ne ist Pro­fes­sor für poli­ti­sche Ideen­ge­schich­te und christ­de­mo­kra­ti­scher Poli­ti­ker. Von 1994–2002 war er Vor­sit­zen­der von Nach­fol­ge­par­tei­en der Demo­cra­zia Cri­stia­na (DC), von 2001–2006 ita­lie­ni­scher Mini­ster, und seit 1994 ist er Abge­ord­ne­ter zum Ita­lie­ni­schen Par­la­ment. 2004 schei­ter­te sei­ne Wahl zum Vize­prä­si­den­ten der Euro­päi­schen Kom­mis­si­on am lin­ken und libe­ra­len Wider­stand gegen sei­ne katho­li­schen Posi­tio­nen zu Homo­se­xua­li­tät und Abtreibung.

Buttiglione der unerwartete Verteidiger von Amoris laetitia

Als nach der Ver­öf­fent­li­chung von Amo­ris lae­ti­tia Kri­tik laut wur­de, trat But­tig­li­o­ne uner­war­tet als Ver­tei­di­ger des neu­en Kur­ses auf und konn­te dazu im Osser­va­to­re Roma­no ver­öf­fent­li­chen. Die päpst­li­chen Medi­en sind hin­ge­gen für jede kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit Amo­ris lae­ti­tia gesperrt.

Dar­aus ent­spann­te sich eine inter­es­san­te und inten­si­ve Aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen dem öster­rei­chi­schen Phi­lo­so­phen Josef Sei­fert, der Amo­ris lae­ti­tia einer ver­nich­ten­den Kri­tik unter­zo­gen hat­te. Sei­fert und But­tig­li­o­ne hat­ten zu bes­se­ren Zei­ten gemein­sam die Inter­na­tio­na­le Aka­de­mie für Phi­lo­so­phie mit Sitz in Vaduz und in Gra­na­da gegrün­det. Sei­fert wur­de inzwi­schen vom Erz­bi­schof Gra­na­da wegen „Papst­kri­tik“ aus dem spa­ni­schen Teil der von ihm gegrün­de­ten Aka­de­mie ent­las­sen. But­tig­li­o­ne befin­det sich hin­ge­gen in der päpst­li­chen Gunst, wozu er durch sein neu­es Buch, aber auch sei­ne Unter­schrift für die kurio­se Pro Pope Fran­cis-Initia­ti­ve reich­lich bei­trägt. Kuri­os ist nicht nur die Initia­ti­ve selbst, bei der aus­ge­rech­net, feder­füh­rend Ver­tre­ter des deut­schen Moder­nis­mus im papi­sti­schen Gewand des Weges kom­men, das ihnen so ganz und gar nicht ste­hen will. Gera­de­zu kako­phon ist das Mei­nungs­ge­wirr, das hier ver­meint­lich ein­träch­tig zum Grup­pen­bild posiert: Roc­co But­tig­li­o­ne neben Vol­ker Beck, Mar­tha Hei­zer, Erwin Kräut­ler, Paul Zulehner…

Müller im Buttiglione-Buch

Das Vor­wort von Kar­di­nal Mül­ler für das neue But­tig­li­o­ne-Buch erstaunt daher. Der Kar­di­nal wie­der­holt dar­in sei­ne Posi­ti­on, daß die „Span­nung“ zwi­schen „dem objek­ti­ven Sta­tus der Zweit­ehe und der sub­jek­ti­ven Schuld“ über die „pasto­ra­le Unter­schei­dung“ Wege zum Sakra­men­ten­emp­fang öff­nen könne.

Die Zustim­mung zum Bericht des Cir­culus ger­ma­ni­cus m Okto­ber 2015 war daher weder ein Zufall noch ein „Betriebs­un­fall“. Ins­ge­samt ver­sucht Mül­ler erneut, was er bereits in den ver­gan­ge­nen 18 Mona­ten ziem­lich erfolg­los ver­such­te, wenn­gleich der Ver­such selbst ver­ständ­lich ist. Er liest Amo­ris lae­ti­tia im Licht der Kon­ti­nui­tät. Mül­ler wörtlich:

„1. Die dog­ma­ti­sche Leh­ren und die pasto­ra­len Aus­sa­gen des Ach­ten Kapi­tels von Amo­ris lae­ti­tia kön­nen und müs­sen im ortho­do­xen Sinn ver­stan­den werden.

2. Amo­ris lae­ti­tia impli­ziert kei­ne lehr­amt­li­che Wen­de in Rich­tung einer Situa­ti­ons­ethik und daher kei­nen Wider­spruch mit der Enzy­kli­ka Veri­ta­tis sple­ndor des hei­li­gen Pap­stes Johan­nes Paul II.“

Impli­ziert es das wirk­lich nicht? (Dazu: Prof. Josef Sei­fert: Droht rei­ne Logik die Zer­stö­rung der gesam­ten Moral­leh­re der katho­li­schen Kir­che an?)

Nimmt Müller Papst Franziskus nicht ernst?

Zudem beklagt er eine Über­be­to­nung des Ach­ten Kapi­tels und der Fra­ge nach der Zulas­sung wie­der­ver­hei­ra­te­ter Geschie­de­ner zur Kommunion.

Buttigliones "Freundschaftliche Antwort an die Kritiker von Amoris laetitia"
But­tig­li­o­nes „Freund­schaft­li­che Ant­wort an die Kri­ti­ker von Amo­ris laetitia“

Gera­de damit scheint er Papst Fran­zis­kus nicht ernst zu neh­men. Die gesam­te Ein­be­ru­fung der Fami­li­en­syn­ode, aus der gleich eine Dop­pel-Syn­ode wur­de, die Fra­ge­bö­gen an alle Welt, die gan­zen Kon­tro­ver­sen, Ent­las­sun­gen, Sank­tio­nen, Trick­se­rei­en hat­ten und haben nur einen Grund und ein Ziel: die wie­der­ver­hei­ra­te­ten Geschie­de­nen und deren Zulas­sung zu den Sakra­men­ten. Oder anders for­mu­liert: Den „Abgrund“ zu schlie­ßen, der sich durch die staat­li­che Zulas­sung der Schei­dung zwi­schen kirch­li­cher Leh­re und der „Lebens­wirk­lich­keit“ der Men­schen auf­ge­tan habe. So hat­te es Kar­di­nal Car­lo Maria Mar­ti­ni, Jesu­it wie Berg­o­glio, gefordert.

Damit wird auch ver­ständ­lich, war­um Tor­ni­el­li Mül­ler gestern auf Vati­can Insi­der so sicht­bar in Stel­lung brach­te. Kar­di­nal Mül­ler ist in der päpst­li­chen Entou­ra­ge unbe­liebt und bleibt es wohl auch. Wenn man ihn aber gegen die Papst-Kri­ti­ker in Stel­lung brin­gen kann, tut man es um so lieber.

Die Instru­men­ta­li­sie­rung Mül­lers durch Tor­ni­el­li wird auch anhand der fett her­vor­ge­ho­be­nen Sät­ze deut­lich, zum Bei­spiel fol­gen­den Satz:

„Ande­re Theo­lo­gen, die sich ver­pflich­tet sehen, rigo­ros dem Lehr­amt anzu­hän­gen, unter­zie­hen nun ein Doku­ment des Lehr­am­tes einer Über­prü­fung nach den Regeln aka­de­mi­scher Metho­den als wäre es die Abschluß­ar­beit eines ihrer Studenten.“

Die pole­mi­sche For­mu­lie­rung dürf­te nicht nur Tor­ni­el­li gefal­len haben, hilft in der Sache aber nicht weiter.

„Einzelfälle“ oder „extreme Einzelfälle“: Wo liegt der Unterschied?

Nicht zuletzt geht es auch um Mül­lers Lob für But­tig­li­o­ne („ech­ter Katho­lik mit nach­ge­wie­se­ner Kom­pe­tenz im Bereich der Moral­theo­lo­gie“), der sich in der Bewer­tung von Amo­ris lae­ti­tia im offe­nen Kon­flikt mit Fach­kol­le­gen befin­det. Dabei muß But­tig­li­o­ne, der die deut­sche Spra­che sehr gut beherrscht, ange­rech­net wer­den, daß er sich – im Gegen­satz zu den pol­tern­den Papst-Höf­lin­gen – um eine inhalt­li­che Aus­ein­an­der­set­zung bemüht. Dabei blieb aller­dings auch er nicht frei von jenem pole­mi­schen Zun­gen­schlag, der das päpst­li­che Umfeld kenn­zeich­net, wenn er im Juni 2016 den „Wei­sen“ vor­warf, Amo­ris lae­ti­tia „nicht zu verstehen“.

Tor­ni­el­li zielt auf ande­res: Wenn Kar­di­nal Mül­ler But­tig­li­o­ne lobt, dann muß die­ser auch in sei­ner Ein­schät­zung von Amo­ris lae­ti­tia rich­tig lie­gen. Das ist die Bot­schaft an das gläu­bi­ge Volk, das durch das Inter­pre­ta­ti­ons-Cha­os ver­un­si­chert ist.

Was will Mül­ler aber ins­ge­samt sagen?

An die­ser Stel­le drängt sich eine Gegen­fra­ge auf: Was für einen Unter­schied macht es, ob behaup­tet wird, wie es das päpst­li­che Umfeld tut, daß „in Ein­zel­fäl­len“ Schei­dung und Zweit­ehe fak­tisch erlaubt sind, oder wie es Mül­ler tut, daß in „extre­men Ein­zel­fäl­len“ (Focus, Okto­ber 2015) Schei­dung und Zweit­ehe fak­tisch erlaubt sind.

Kar­di­nal Mül­ler muß sich natür­lich bewußt sein, daß die Suche nach dem ide­al­sten aller idea­len Fäl­le für die Gesamt­fra­ge weder reprä­sen­ta­tiv noch brauch­bar ist. Die Suche nach dem berühm­ten Aus­nah­me­fall ist letzt­lich der Casus der berühmt-berüch­tig­ten Kasu­istik, die alle mit sol­cher Vehe­menz von sich weisen.

Das ist der Ein­druck, den man aus den ver­öf­fent­li­chen Aus­zü­gen aus dem Auf­satz für But­tig­li­o­nes Buch gewinnt. Soll­te Tor­ni­el­li nicht will­kür­lich aus dem Zusam­men­hang geris­sen haben, steht die­se Fra­ge an Kar­di­nal Mül­ler im Raum.

Als Mül­ler am 8. Janu­ar 2017 im TGcom24 die Ver­öf­fent­li­chung der Dubia kri­ti­sier­te und behaup­te­te, Amo­ris lae­ti­tia sei „sehr klar in sei­ner Leh­re“, schrieb Edward Pen­tin vom Natio­nal Catho­lic Regi­ster:

„Es ist das genaue Gegen­teil von allem, was er in der Sache bis­her gesagt hat, und ich hat­te den Ein­druck von jeman­dem, der nicht für sich selbst sprach, son­dern wie­der­hol­te, was jemand ande­res ihm zu sagen auf­ge­tra­gen hatte.“

Gemeint damit vor allem die Kri­tik Mül­lers an Amo­ris lae­ti­tia, die er nicht öffent­lich äußerte.

Damals war Mül­ler aller­dings noch Prä­fekt der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on und rech­ne­te mit sei­ner Ver­län­ge­rung im Amt. Die jet­zi­ge Situa­ti­on stellt sich dage­gen anders dar.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Vati­can Insider/NBQ/MiL/Vatican.va (Screen­shots)

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