Zur Lage der Liturgie: Kardinal Sarahs Blick in die Zukunft und die „Gegenrede“ von Papst Franziskus


La Nef Kardinal Sarah Summorum Pontificum Liturgie
La Nef Kardinal Sarah Summorum Pontificum Liturgie

(Rom) Papst Fran­zis­kus nahm am ver­gan­ge­nen 25. August zur Lit­ur­gie in der katho­li­schen Kir­che Stel­lung. Er hielt eine Anspra­che an die Teil­neh­mer der jähr­li­chen Lit­ur­gi­schen Woche des Cen­tro di Azio­ne Lit­ur­gi­ca (CAL). Die dar­ge­leg­te Posi­ti­on steht nicht nur in einem Kon­trast zu dem, was der päpst­li­che Lit­ur­gie­be­auf­trag­te, Kar­di­nal Robert Sarah, Prä­fekt der römi­schen Kon­gre­ga­ti­on für den Got­tes­dienst und die Sakra­men­ten­ord­nung, sagt. Sie scheint wie eine Ant­wort auf einen jüngst ver­öf­fent­li­chen Auf­satz von Kar­di­nal Sarah zur Lage der hei­li­gen Lit­ur­gie. Eine „Gegen­re­de“, so der Vati­ka­nist San­dro Magi­ster. „Natür­lich ist die Rede nicht auf sei­nem Mist gewach­sen“, um eine etwas ele­gan­te­re ita­lie­ni­sche Rede­wen­dung im Deut­schen auf den Punkt zu brin­gen, „die Papst Fran­zis­kus am 25. August vor­ge­le­sen hat“, so der Vatikanist.

Nicht seine Worte, aber sein Denken

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Was Fran­zis­kus in der gro­ßen Audi­enz­hal­le vom Blatt las, war eine mit „histo­ri­sche Bezü­gen, gelehr­ten Zita­ten samt ent­spre­chen­den Quel­len­an­ga­ben“ dicht bepack­te Rede zu einem The­ma, das der amtie­ren­de Papst „nie beherrscht“ habe, so Magi­ster. Die Pau­sen und Wor­te wür­den den­noch „sehr gut sein Den­ken“ wiedergeben.

Das größ­te Auf­se­hen lösten sei­nen Aus­sa­gen zur Lit­ur­gie­re­form von 1969 aus, die er dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil zuschrieb. Wört­lich sag­te Franziskus:

„Wir kön­nen mit Sicher­heit und mit lehr­amt­li­cher Auto­ri­tät erklä­ren, daß die Lit­ur­gie­re­form irrever­si­bel ist.“

Franziskus am 25. August in der Aula Paolo VI
Fran­zis­kus am 25. August in der Aula Pao­lo VI

Vie­le faß­ten die­se Wor­te wie eine Mah­nung, man­che sogar als eine Art War­nung des Pap­stes auf, daß die Zeit des „angeb­li­chen Rück­wärts­gan­ges“, den Bene­dikt XVI. mit dem Motu pro­prio Sum­morum Pon­ti­fi­cum ein­ge­legt habe, zu Ende sei. Der deut­sche Papst hat­te damit 2007 dem über­lie­fer­ten Ritus als „außer­or­dent­li­cher Form“ des Römi­schen Ritus for­mal das gleich­wer­ti­ge Hei­mat­recht in der Kir­che zurückgegeben.

In sei­ner von ihm ver­le­se­nen Rede zitier­te Fran­zis­kus mit auf­fäl­li­ger Deut­lich­keit vor­kon­zi­lia­re Päp­ste von Pius X. bis Pius XII. Der gewoll­te Ein­druck, der ver­mit­telt wer­den soll­te, was ein­deu­tig: Die Lit­ur­gie­re­form von 1969 sei nur eine Art logi­sche Fort­set­zung des­sen, was Päp­ste, die von tra­di­ti­ons­ver­bun­de­nen Katho­li­ken in Ehren gehal­ten wer­den, begon­nen hat­ten und vom Kon­zil und den Kon­zil­s­päp­sten, vor allem Paul VI., nur voll­endet wurde.

Die große Lücke: das Schweigen zu Papst Benedikt XVI.

Die­ser Ver­such, eine histo­ri­sche, linea­re Wei­ter­ent­wick­lung  zu kon­stru­ie­ren, um die Lit­ur­gie­re­form von 1969 nicht als Bruch, son­dern als Kon­ti­nui­tät erschei­nen zu las­sen, hat jedoch einen auf­fäl­li­ge Haken. Trotz der zahl­rei­chen Zita­te, Namens­nen­nun­gen frü­he­rer Päp­ste und histo­ri­schen Bezü­ge fehlt ein Name und sein Den­ken völ­lig: Bene­dikt XVI. Genau der Papst, der sich wie kein ande­rer seit Eröff­nung des Kon­zils mit der hei­li­gen Lit­ur­gie befaß­te, dazu Stel­lung nahm und sogar als bedeu­tend­ster Gesetz­ge­ber seit den Ereig­nis­sen der 60er Jah­re auf­ge­tre­ten ist.

Die Lücke, die durch die­ses Schwei­gen in der Dar­stel­lung von Papst Fran­zis­kus klafft, wird um so ekla­tan­ter, wenn man bedenkt, daß gera­de des zehn­ten Jah­res­ta­ges von Sum­morum Pon­ti­fi­cum gedacht wird oder eigent­lich gedacht wer­den soll­te. Doch aus Rom, aus dem päpst­li­chen Rom, ist dazu nichts zu ver­neh­men. Um genau zu sein, stimmt das nicht ganz, denn das Schwei­gen von Fran­zis­kus spricht auch eine Sprache.

Eine Stel­le in der Fran­zis­kus-Anspra­che vom 25. August läßt eine Kri­tik an lit­ur­gi­schen Miß­bräu­chen erah­nen, wie sie viel­fach beklagt wer­den und von Kri­ti­kern als Beleg für ein grund­sätz­li­ches Defi­zit des dahin­ter­ste­hen­den „Kon­zils­gei­stes“ gese­hen wird. Bene­dikt XVI. war einer der frü­he­sten Kri­ti­kern eines lit­ur­gi­schen Wild­wuch­ses, zu dem sich nicht weni­ge Prie­ster durch die 69er-Reform als „lit­ur­gi­sche Ani­ma­teu­re“ berech­tigt füh­len. Fran­zis­kus sprach von „Prak­ti­ken, die sie [die Lit­ur­gie] ent­stel­len“. Die­ser Aus­sa­ge ging die Kri­tik an einer nur „teil­wei­sen Rezep­ti­on“ vor­aus. Man­che Beob­ach­ter sahen dar­in eine gleich­ge­wich­te­te Kri­tik an pro­gres­si­ven, aber auch tra­di­tio­na­li­sti­schen „Aus­wüch­sen“. Damit hät­ten bei­de Sei­ten einen päpst­li­chen, wenn auch nur mini­ma­len Tadel erhal­ten. Man kennt der­glei­chen aus der Poli­tik. Was ist damit aber in der Sub­stanz ausgesagt?

„Totales Schweigen zu Kardinal Sarah“, aber nicht zu seinem Liturgieverständnis

„Tota­les Schwei­gen auch zu Kar­di­nal Robert Sarah und zu des­sen boy­kot­tier­ten Kämp­fen für eine ‚Reform der Reform‘, die der latei­ni­schen Lit­ur­gie ihre wah­re Natur zurück­ge­ben soll.“

"La Nef", Aufsatz von Kardinal Sarah
„La Nef“, Auf­satz von Kar­di­nal Sarah

So Magi­ster, der in der Papst-Rede vom 25. August eine „Gegen­re­de“ zur Lage der Lit­ur­gie in der Kir­che sieht, die Kar­di­nal Sarah in die­sem Som­mer nur kurz zuvor ver­öf­fent­licht hat­te. Eine Ant­wort, mit der Fran­zis­kus sei­nem zustän­di­gen Dik­aste­ri­en­lei­ter vor allem durch sei­ne Aus­las­sun­gen und sein Schwei­gen zu Bene­dikt XVI. und Sum­morum Pon­ti­fi­cum widerspricht.

In der Juli/­Au­gust-Num­mer der katho­li­schen Monats­zeit­schrift La Nef ver­öf­fent­lich­te Kar­di­nal Sarah den Auf­satz Pour une récon­ci­lia­ti­on lit­ur­gi­que (Für eine lit­ur­gi­sche Versöhnung).

Der cou­ra­gier­te Pur­pur­trä­ger aus Gui­nea, eine her­aus­ra­gen­de Gestalt des Kar­di­nals­kol­le­gi­ums, die erst mit die Beru­fung aus­ge­rech­net durch Papst Fran­zis­kus auf welt­kirch­li­cher Ebe­ne über sich hin­aus­zu­wach­sen begann, ruft dar­in ein „sehr bemer­kens­wer­tes Zukunfts­ziel“ aus: „einen ver­ei­nig­ten römi­schen Ritus, der das Beste der bei­den Riten, des vor­kon­zi­lia­ren und des nach­kon­zi­lia­ren, zusam­men­fügt“, so Magister.

„Es fehlt natür­lich nicht an Hin­wei­se auf The­men, zu denen Sarah beson­ders sen­si­bel ist: die Stil­le und das ad ori­en­tem aus­ge­rich­te­te Gebet.“

Umge­kehrt ver­wen­det er dar­in nicht mehr den Begriff „Reform der Reform“, weil die­ser von Papst Fran­zis­kus kate­go­risch abge­lehnt wird und daher der­zeit unbrauch­bar ist. Statt­des­sen ver­wen­det der Kar­di­nal­prä­fekt den neu­en Begriff „lit­ur­gi­sche Ver­söh­nung“ im Sin­ne einer Lit­ur­gie, die „mit sich selbst, mit ihrem tie­fen Sein ver­söhnt ist“.

„Eine Lit­ur­gie, die aus den ‚bei­den For­men des­sel­ben Ritus‘ einen Reich­tum macht, eine „gegen­sei­ti­ge Berei­che­rung“, von der Bene­dikt XVI. sprach und damit bereits eine Andeu­tung mach­te, daß es nicht bei einem Neben­ein­an­der zwei­er Riten blei­ben sol­le, son­dern sein Anstoß mit Sum­morum Pon­ti­fi­cum nur ein Schritt in Rich­tung „Ver­söh­nung“ und letzt­lich Besei­ti­gung einer lotur­gi­schen Wun­de sein sol­le, die der Kir­che geschla­gen wur­de, und an der sie seit­her leidet.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: La Nef/Vatican.va (Screen­shots)

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