Martin Luther und Ignatius von Loyola


Ignatius von Loyola und Martin Luther
Ignatius von Loyola und Martin Luther - und ihr Verhältnis zu den Juden

Eine Gegen­über­stel­lung – auch in Bezug auf ihre Stel­lung zu Juden.

Anzei­ge

Von Hubert Hecker

Mar­tin Luther wur­de acht Jah­re vor Igna­ti­us von Loyo­la gebo­ren. Bei­de ran­gen zu Beginn ihrer 30er Lebens­jah­re um eine Erneue­rung des per­sön­li­chen und kirch­li­chen Glau­bens­le­bens. Für Luther scheint das soge­nann­te Turm­er­leb­nis von 1515 die ent­schei­den­de Wen­de­er­fah­rung sei­ner reli­giö­sen Denk­welt und Got­tes­be­zie­hung gewe­sen zu sein. Für Igna­ti­us schlug 1521 die Stun­de einer tief­grei­fen­den und lebens­ver­än­dern­den Bekehrung.

Aus dem skrupulösen Bußmönch wurde ein „fröhlicher Sünder“

Frei­lich waren die Vor­aus­set­zun­gen und die Wei­sen der geist­li­chen Wand­lung sehr ver­schie­den. Luther war damals schon geweih­ter Prie­ster, aske­ti­scher Mönch sowie ange­se­he­ner Pre­di­ger und Hoch­schul­pro­fes­sor für bibli­sche Exege­se. Ihn bedrück­te aber ein pela­gia­ni­sches Sün­den- und Heils­ver­ständ­nis, dem er mit skru­pu­lö­ser Selbst­zucht und Beicht­pra­xis nach­ging. Er konn­te aber auf­grund sei­nes nomi­na­li­stisch gepräg­ten Got­tes­ver­ständ­nis­ses von einem gna­den­los gerech­ten Rich­ter­gott kein Ver­trau­en zu Gott fin­den. Die­se theo­lo­gie­ge­schicht­li­che Kon­stel­la­ti­on präg­te sei­ne Fra­ge nach einem „gnä­di­gen Gott“. Die per­sön­lich-psy­cho­lo­gi­sche Trieb­kraft für Luthers Lebens­fra­ge war dage­gen die Suche nach abso­lu­ter Heilsgewissheit.

Luthers Bekeh­rungs­er­leb­nis bestand in einer tota­len Umkeh­rung sei­ner bis­he­ri­gen Prin­zi­pi­en reli­giö­sen Den­kens: Aus dem aus­schließ­lich gerech­ten Gott mach­te er den aus­schließ­lich gnä­di­gen Chri­stus. Bei die­sem all­barm­her­zi­gen Got­tes­bil­des hält er Wer­ke und sakra­men­ta­le Heils­mit­tel für eben­so über­flüs­sig wie die Kir­che ins­ge­samt. Nach Luther ist allein der per­sön­li­che Glau­bens­akt des gläu­bi­gen Indi­vi­du­ums heils­ent­schei­dend. Aus dem skru­pu­lö­sen Buß­mönch wur­de ein „fröh­li­cher Sün­der“. Jeg­li­ches Bemü­hen um Heil und Hei­li­gung lehn­te er als ver­derb­lich ab. Denn zum einen kön­ne der wil­lens­un­fä­hi­ge Mensch nichts ande­res als sün­di­gen, zum andern wür­de das Stre­ben nach Hei­li­gung die Gnä­dig­keit Got­tes mindern.

Vom militärischen Haudegen zum frommen Soldat Gottes

Kloster Unserer Lieben Frau von Montserrat
Klo­ster Unse­rer Lie­ben Frau von Montserrat

Igna­ti­us streb­te nach sei­ner höfi­schen Aus­bil­dung mili­tä­ri­sche Betä­ti­gun­gen an. Er such­te per­sön­lich welt­li­che Zie­le und Ehren. Nach einer schwe­ren Ver­wun­dung ver­un­si­cher­ten ihn die Lek­tü­re zu Hei­li­gen und dem Leben Jesu. Er fühl­te sich hin- und her­ge­ris­sen zwi­schen welt­li­chen und geist­lich-christ­li­chen Zie­len. Die­se Erfah­rung soll­te spä­ter in den jesui­ti­schen Grund­satz der „Unter­schei­dung der Gei­ster“ eingehen.

Bei einer Wall­fahrt zu „Unse­rer Frau von Mon­ser­rat“ brach er end­gül­tig mit sei­ner höfi­schen äuße­ren und inne­ren Ver­fas­sung. Fort­an bestimm­ten Gebet und Näch­sten­lie­be als Kran­ken­dienst sein Leben.

Auf dem Weg nach Bar­ce­lo­na, am Fluss Car­do­ner, mach­te er die für ihn wohl ent­schei­den­de Got­tes­er­fah­rung: In allen Din­gen Gott zu fin­den und in allen Tätig­kei­ten Got­tes Ehre zu för­dern, soll­ten eben­falls zu einer spe­zi­fi­schen Maxi­me des Jesui­ten­or­dens wer­den. Die­sem Prin­zip wur­de sogar das zeit­lich fest­ge­legt Chor­ge­bet aller bis­he­ri­gen Orden geop­fert. Zugleich war in dem Grund­satz die Wei­te und Welt­zu­ge­wandt­heit der Jesui­ten begründet.

Innige Nähe zu Jesus erlaubt keinen Antijudaismus

Schließ­lich schäl­te sich als Igna­tia­ni­scher Grund­zug sei­ner Fröm­mig­keit eine beson­ders inni­ge Nähe zu Jesus her­aus. Wor­te Jesu schrieb sich Igna­ti­us mit roter Tin­te ins Notiz­buch. Das Leben Jesu in sei­ner Zeit und Umge­bung, wie von den Evan­ge­li­sten beschrie­ben, such­te er mit allen Sin­nen nach­zu­er­le­ben. Aus die­sem mysti­schen Ein­tau­chen in die bibli­sche Lebens­welt Jesu erwuchs der Wunsch, als Pil­ger nach Jeru­sa­lem auf­zu­bre­chen, um in der irdi­schen Hei­mat Jesu zu leben und mis­sio­na­risch zu wir­ken. Von ihm ist die fol­gen­de Aus­sa­ge bekannt: Es wäre für ihn eine Gna­de, jüdi­scher Her­kunft zu sein, weil er dann Jesus und Maria nicht nur dem Gei­ste, son­dern auch dem Blu­te nach ver­wandt wäre. Das berich­tet der Schwei­zer Jesu­it Chri­sti­an M. Rutis­hau­ser in sei­nem Bei­trag: „500 Jah­re Refor­ma­ti­on, 50 Jah­re Reform­kon­zil – und das Juden­tum“ in der Monats­zeit­schrift Stim­men der Zeit. Wenn ande­re über Juden und jüdi­sche Neu­ch­ri­sten läster­ten, ver­tei­dig­te Igna­ti­us die­se. Er war ganz von dem Pau­li­ni­schen Geist ergrif­fen, für den es nach Gal 3,28 in Chri­stus weder Juden noch Grie­chen gibt.

Mit sei­nem Theo­lo­gie­stu­di­um ab 1527 begann für Igna­ti­us gewis­ser­ma­ßen der Gang durch die Insti­tu­ti­on Kir­che. Nach voll­ende­tem Stu­di­um woll­te er mit sei­nen Gefähr­ten den Plan wahr machen, dau­er­haft im Hei­li­gen Land zu wir­ken. Als das Vor­ha­ben schei­ter­te, ließ man sich in Rom am Sitz des Nach­fol­ger Petris nie­der. Igna­ti­us ver­trau­te sich und sei­nen 1540 gegrün­de­ten Orden dem Papst als Stell­ver­tre­ter Chri­sti auf Erden an.

Ignatius’ Judenmission in respektvoller Haltung

Als Ordens­obe­rer wur­de Igna­ti­us vom Papst unter ande­rem mit der Bekeh­rung der Juden in Ita­li­en beauf­tragt, was er als Teil des all­ge­mei­nen Mis­si­ons­be­fehls Jesu ansah und annahm. Er war mit der Kir­che von der abso­lu­ten Heils­vor­aus­set­zung und ‑not­wen­dig­keit der Tau­fe über­zeugt. Auf Papst und Kir­che wirk­te er ein, dass Kon­ver­sio­nen von Juden auf einer soli­den Glau­bens­kennt­nis beruh­ten, jedoch auch erleich­tert würden.

Mit Beginn des 16. Jahr­hun­derts hat­te sich in ganz Euro­pa der gesell­schaft­li­che und auch reli­giö­se Druck auf die jüdi­schen Gemein­schaf­ten ver­schärft. 1516 errich­te­te Vene­dig für Juden das erste Ghet­to in Euro­pa, dem vie­le fol­gen soll­ten. Im glei­chen Zeit­raum betei­lig­ten sich die Domi­ni­ka­ner von Köln an einer Kam­pa­gne gegen Juden. In den 40er Jah­ren des 16. Jahr­hun­derts ver­fass­te Luthers frü­her Gegen­spie­ler Johan­nes Eck eine anti­jü­di­sche Schrift.

Papst Paul III. (1534 – 1549) ver­schärf­te die bis dahin rela­tiv locke­re Juden­ge­setz­ge­bung im Kir­chen­staat. Igna­ti­us unter­stütz­te mäßi­gend des­sen Bemü­hun­gen um Juden­mis­si­on. So wirk­te er „auf die Päpst­li­che Bul­le ‚Cup­i­en­tes judae­os’ von 1542 ein, die es Juden erlau­ben soll­te, beim Über­tritt in die Kir­che ihren Besitz zu behal­ten“, resü­mier­te der Jesu­it Chri­sti­an M. Rutis­hau­ser (sie­he Lite­ra­tur­an­ga­be unten). Ein Jahr dar­auf ließ er mit päpst­li­chem Segen ein Haus in Rom eröff­nen, um Juden in den christ­li­chen Glau­ben ein­zu­füh­ren. Bei allem Bekeh­rungs­ei­fer lagen Igna­ti­us, sei­nen Gefähr­ten und sei­nem Orden jeg­li­cher Anti­ju­da­is­mus und irgend­wel­che Gewalt­an­wen­dung fern. Die respekt­vol­le Hal­tung des Ordens­grün­ders zu den Juden hat­te sich seit sei­ner Kon­ver­si­on bis zu sei­nem Tode 1556 nicht geändert.

An die­ser Stel­le sei der Faden von Luthers lebens­ge­schicht­li­cher Wen­de durch das Turm­er­leb­nis wie­der auf­ge­nom­men und spe­zi­ell nach sei­nem Ver­hält­nis zu Juden und Juden­tum gefragt. In der Luther-Rezep­ti­on wur­de bis­her die nahe­lie­gen­de Auf­fas­sung ver­tre­ten, von dem jun­gen juden­freund­li­chen und dem alten juden­has­sen­den Refor­ma­tor zu spre­chen. Die­se Ein­schät­zung stützt sich auf Luthers gemä­ßig­te Schrift von 1523 „Dass Jesus Chri­stus ein gebo­re­ner Jude sei“ sowie sei­ne anti­ju­da­isti­sche Spät­schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ zwan­zig Jah­re später.

Luthers Judenhass entsprang aus dem Zentrum seines reformatorischen Denkens

Von Kir­chen­hi­sto­ri­kern wird die­se Les­art seit eini­gen Jah­ren infra­ge­ge­stellt. Luthers maß­lo­ser Juden­hass ging weit über die dama­li­ge Grund­stim­mung anti­jü­di­scher Ten­den­zen in bestimm­ten christ­li­chen und auch huma­ni­sti­schen Krei­sen hin­aus. Das kann auch mit Alters­starr­sinn nicht hin­rei­chend erklärt wer­den oder mit einem Umschlag sei­nes Den­kens durch Ent­täu­schun­gen. Ande­re pro­te­stan­ti­sche Glau­bens­re­for­mer, aber auch Huma­ni­sten wie Johan­nes Reuch­lin zeig­ten ein tole­ran­te­res Ver­hält­nis zu den Juden. Und eben der katho­li­sche Refor­mer Igna­ti­us gab ein Bei­spiel dafür ab, dass der Auf­bruch in Glau­bens- und Kir­chen­re­form sowie Mis­si­ons­ei­fer nicht mit rigo­ro­ser Abgren­zung und gewalt­sa­mer Aus­gren­zung der Juden ein­her­zu­ge­hen brauch­te, wie Luther sie zeigte.

Luthers Schrift "Von den Juden", 1543
Luthers Schrift „Von den Juden“, 1543

Die Ent­wick­lung zu Luthers Juden­hass muss aus sei­nem genu­in eige­nen Denk- und Glau­bens­an­satz her­aus­ge­ar­bei­tet wer­den. In die­sem Sin­ne hat sich im Novem­ber 2015 die Lei­tung der EKD zu einem vor­sich­ti­gen Umden­ken durch­ge­run­gen: „Luther ver­knüpf­te zen­tra­le Ein­sich­ten sei­ner Theo­lo­gie mit juden­feind­li­chen Denk­mu­stern.“ Daher müs­se man sich heu­te in einem neu­en Auf­bruch „in Theo­lo­gie und Kir­che der Her­aus­for­de­rung stel­len, zen­tra­le theo­lo­gi­sche Leh­ren der Refor­ma­ti­on neu zu beden­ken und dabei nicht in abwer­ten­de Ste­reo­ty­pe zu Lasten des Juden­tums zu ver­fal­len. Das betrifft ins­be­son­de­re die Unter­schei­dung ‚Gesetz und Evan­ge­li­um’, ‚Ver­hei­ßung und Erfül­lung’, ‚Glau­be und Wer­ke’ und ‚alter und neu­er Bund’.“

Die­ser kri­ti­sche Ansatz ist aller­dings halb­her­zig, als wenn Luthers Juden­hass nur durch eine äuße­re Ver­knüp­fung mit sei­ner zen­tra­len Theo­lo­gie ver­bun­den sei, die man ein­fach „neue beden­ken“ kön­ne. Zutref­fen­der ist die Ein­sicht des pro­te­stan­ti­schen Kir­chen­hi­sto­ri­ker Tho­mas Kauf­mann: „Luthers sich obses­siv stei­gern­de Juden­feind­schaft war die dunk­le Kehr­sei­te sei­ner Chri­stus­lie­be, sei­nes Recht­fer­ti­gungs­glau­bens, sei­ner Deu­tung der Schrift“ (Th. Kauf­mann: Mar­tin Luther, Beck-Wis­sen S. 111). Auch sei­ne Gna­den­theo­lo­gie ent­hielt Impli­ka­tio­nen auf Kosten des Juden­tums. Schließ­lich muss­te sei­ne ganz per­sön­li­che Heils­ver­ge­wis­se­rung als Chri­stus­be­zie­hung, durch die die brei­te Heils­ge­schich­te zusam­men­schrumpf­te, zu anti­ju­da­isti­schen Ten­den­zen führen.

Luthers ‚heiliger Hochmut’ führte zur Verteufelung von Papisten und Juden

Als Luther nach dem Bruch mit der Kir­che 1523 sei­ne erste Juden­schrift ver­fass­te, strotz­te er vor Selbst­be­wusst­sein. In maß­lo­ser Selbst­über­heb­lich­keit hielt er sei­ne Schrift­aus­le­gung für die ein­zi­ge vom Hei­li­gen Geist inspi­rier­te wah­re Leh­re. Er iden­ti­fi­zier­te sei­ne Pre­di­ger- und Schrif­ten­wor­te unmit­tel­bar mit Chri­sti Wort und Evan­ge­li­um. Zu die­sem Über­mut bekann­te er sich gegen­über der Papst­kir­che einer­seits und den inner­pro­te­stan­ti­schen ‚Schwär­mern’ ande­rer­seits mit „sanc­tis­si­ma super­bia“ – ‚hei­li­gem Hoch­mut’. Aus dem Ansatz her­aus konn­ten anders­den­ken­de Chri­sten wie Papi­sten oder Wie­der­täu­fer nur vom Teu­fel gelei­te­te Starr­sin­ni­ge sein. Das galt auch für die mus­li­mi­schen Tür­ken und die Juden, die er aus­drück­lich als „Teu­fels­kin­der“ beschimpf­te. Doch in den frü­hen 1520er Jah­ren glaub­te er noch an nen­nens­wer­te Bekeh­run­gen von Juden, wenn ihnen erst­mals nach Jahr­hun­der­ten das „unver­fälsch­te Evan­ge­li­um“ gepre­digt wür­de. Nur unter die­ser Per­spek­ti­ve soll­ten die Juden in pro­te­stan­ti­schen Lan­den gedul­det wer­den. Als die jüdi­sche Mas­sen­kon­ver­si­on nicht ein­trat, schlug Luthers Grund­kon­zept durch, dass „Chri­stus­fein­de“ mit allen sozia­len und staat­li­chen Mit­teln bekämpft und ver­trie­ben wer­den sollten.

Die antirömisch konzipierte Theologie Luthers war von Anfang an auch antijudaistisch

Die EKD hat es bis­her bei Ankün­di­gun­gen bewen­den las­sen. Sie scheut anschei­nend vor einer kon­se­quen­ten Auf­ar­bei­tung zurück. Denn wenn Luthers Anti­ju­da­is­mus in sei­nen refor­ma­to­ri­schen Grund­kon­zep­ten ver­an­kert sind, müss­ten die­se selbst auf dem Prüf­stand gestellt, kri­ti­siert und revi­diert werden:

Luther hat­te die bei Pau­lus gefun­de­nen Gegen­über­stel­lun­gen von Evan­ge­li­um und Gesetz sowie Glau­be /​ Gna­de und Ver­dienst /​ Wer­ke zu extre­men Gegen­sät­zen ver­schärft bis hin zu einem Gut-Böse-Sche­ma. Sich selbst und sei­ne Anhän­ger­schaft stell­te er mit Evan­ge­li­um, Glau­be und Gna­de auf die Sei­te der guten Christ­gläu­bi­gen. Papi­sten und Papst­kir­che dage­gen wären als geset­zes- und werk­ge­rech­te Anti­chri­sten der Höl­le ver­fal­len. Auf die­ser ande­ren Sei­te fan­den sich dann auch die „starr­sin­ni­gen Juden“ wie­der. Inso­fern war Luthers anti­rö­misch kon­zi­pier­te Theo­lo­gie von Anfang an auch antijudaistisch.

Die­sen Zusam­men­hang soll­ten sich gewis­se katho­li­sche Kir­chen­leu­te vor Augen hal­ten, wenn sie in über­schwäng­li­cher Anbie­de­rung an den Wit­ten­ber­ger Pro­fes­sor Luther als „Leh­rer des Glau­bens“ oder gar „Kir­chen­leh­rer“ anhim­meln. Damit legi­ti­mie­ren und ver­fe­sti­gen sie nach­träg­lich die anti­ju­da­isti­schen Grund­zü­ge der luthe­ri­schen Theo­lo­gie und behin­dern die kri­ti­sche Auf­ar­bei­tung der refor­ma­to­ri­schen Ansätze.

Es ist noch einer wei­te­ren Trieb­kraft in Luthers Anti­ju­da­is­mus nach­zu­ge­hen. 1530 fragt ein luthe­ri­scher Pastor bei Luther an, wie er sich ver­hal­ten sol­le zu dem Ersu­chen eines jüdi­schen Mäd­chens, das die christ­li­che Tau­fe begehr­te. Nach der Theo­rie, dass Luther bei flä­chen­decken­den evan­ge­li­schen Pre­dig­ten eine brei­te Kon­ver­si­on von Juden erwar­tet hät­te, müss­te er erfreut über sol­che Über­tritts­wün­sche gewe­sen sein. Aber das Gegen­teil war der Fall. Luther mahn­te den Anfra­gen­den zu einer skep­ti­schen Hal­tung und Prü­fung, denn es lie­ge in der Art der Juden, die Chri­sten zu täu­schen. In einer spä­te­ren Schrift stell­te er „den Juden“ nicht etwa die Chri­sten, son­dern „die Deut­schen“ gegen­über. Schließ­lich führ­te er Cha­rak­ter­ei­gen­schaf­ten von Juden auf jüdi­sches Blut zurück. Die­se Ansät­ze zu einer völ­ki­schen Argu­men­ta­ti­on las­sen das Urteil zu, dass bei Luther schon ein vor­mo­der­ner Anti­se­mi­tis­mus zu fin­den ist.

Für Katho­li­ken gibt die­ser Befund Anlass zu Kri­tik an Luthers Leh­re und Ver­hal­ten. Man hüte sich aber vor kon­fes­sio­nel­ler Über­heb­lich­keit. Denn auch in der eige­nen Kir­chen­ge­schich­te gab es anti­ju­da­isti­sche Ten­den­zen, zu denen eine Aus­ein­an­der­set­zung not­wen­dig ist. Das gilt auch für den Jesui­ten­or­den etwa ab der zwei­ten Gene­ra­ti­on nach Ignatius.

Gesellschaftliches Misstrauen gegen jüdischstämmige Konvertiten in Spanien

Die König­rei­che Spa­ni­en und Por­tu­gal hat­ten 1492 bzw. 1496 die seit Jahr­hun­der­ten ein­säs­si­gen Juden vor die Alter­na­ti­ve gestellt, ent­we­der das Land zu ver­las­sen oder zum Chri­sten­tum zu kon­ver­tie­ren. Auch zu die­ser Rege­lung ist eine mit­tel­eu­ro­päi­sche Über­heb­lich­keit fehl am Platz. Denn der berühmt-berüch­tig­te Augs­bur­ger Reli­gi­ons­frie­den von 1555 ent­hielt eine ähn­li­che Bestim­mung: Chri­sten, die nicht zur Kon­fes­si­on des jewei­li­gen Lan­des­her­ren über­tre­ten woll­ten, muss­ten auswandern.

Auf der ibe­ri­schen Halb­in­sel waren schon im Spät­mit­tel­al­ter jüdi­sche „Con­versos“ mit Miss­trau­en und Neid betrach­tet wor­den – aus sozia­len, poli­ti­schen und öko­no­mi­schen Grün­den. In reli­giö­ser Hin­sicht fiel auf die Con­versos der Ver­dacht von Kryp­to-Juden­tum. 1449 wur­de erst­mals in Tole­do die Regel auf­ge­stellt, dass nur Kan­di­da­ten mit einem alt­christ­li­chen Abstam­mungs­nach­weis die höhe­ren Stu­di­en begin­nen durf­ten. Ab Mit­te des 16. Jahr­hun­derts wur­den in den gro­ßen Orden kei­ne Neu­ch­ri­sten mehr auf­ge­nom­men. Damit soll­te die staat­li­che und kirch­li­che Eli­te von Con­versos ‚rein­ge­hal­ten’ wer­den, was unter dem Titel ‚Rein­heit des Blu­tes’ – „lim­pie­za de sang­re“ – fir­mier­te. Die­ser Begriff war aber weni­ger ras­si­stisch gemeint und ange­wandt, da auch von der Inqui­si­ti­on ver­ur­teil­te Chri­sten von der Regel betrof­fen waren. Es ging – in Abwand­lung eines Luther­wor­tes – eher um die Bevor­zu­gung des ‚alt­christ­li­chen Adels der spa­ni­schen Nation’.

Pro-Conversos-Haltung des frühen Jesuitenordens

Päp­ste und römi­sche Kurie ver­ur­teil­ten die spa­ni­sche Pra­xis. Auch Igna­ti­us wehr­te sich dage­gen mit aller Hef­tig­keit, wie schon gesagt. Er sah dadurch den Glau­ben an Chri­stus ver­ra­ten, der jede eth­ni­sche Her­kunft oder sozia­le Stel­lung rela­ti­vier­te. Sei­ne Pro-Con­versos-Hal­tung hat­te zur Fol­ge, dass über­durch­schnitt­lich vie­le jüdisch­stäm­mi­ge Neu­ch­ri­sten in den Jesui­ten-Orden ein­tra­ten. Sowohl sein eng­ster Mit­ar­bei­ter, Sekre­tär Juan Alo­so de Pol­an­co, als auch der zwei­te Ordens­ge­ne­ral, Die­go Laà­nez, waren jüdi­scher Her­kunft. In der zwei­ten Hälf­te des 16. Jahr­hun­derts wur­den Jesui­ten­schu­len gele­gent­lich als Juden­schu­len beschimpft, der gan­ze Orden sogar als „Syn­ago­ge der Juden“.

Die Neu­ch­ri­sten hat­ten durch­aus Prä­ge­kraft für den Orden. Nach Rutis­hau­sers Ansicht dürf­te „auch die jesui­ten­spe­zi­fi­sche Ethik- und Rechts­tra­di­ti­on, die sich lang­sam ent­wickel­te, durch die Con­versos mit­be­grün­de­te sein“. Ab 1573 sicker­te auch in den Jesui­ten­or­den die Anti-Hal­tung gegen jüdisch­stäm­mi­ge Kon­ver­ti­ten ein. 1593 wur­den ent­spre­chen­de Sta­tu­ten im Orden ein­ge­fügt. Zwar war die Rege­lung umstrit­ten und wur­de 1608 auch abge­schwächt, blieb aber bis 1947 in Kraft.

Im Unter­schied zu den Pro­te­stan­ten konn­ten sich die Jesui­ten bei ihrer Kurs­kor­rek­tur nach dem 2. Welt­krieg auf die bibli­schen Grund­sät­ze ihres Grün­ders besin­nen, wonach in Chri­stus die eth­ni­sche Her­kunft nicht von Bedeu­tung ist.

Lite­ra­tur: Chri­sti­an M. Rutis­hau­ser: 500 Jah­re Refor­ma­ti­on, 50 Jah­re Reform­kon­zil – und das Juden­tum, in: Stim­men der Zeit 1/​2017; Tho­mas Kauf­mann: Mar­tin Luther, C.H.Beck-Wissen, 2006

Text: Hubert Hecker
Bild: Espa­na Eteran/​Wikicommons/​

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