Die päpstliche Unfehlbarkeit – Notwendige Richtigstellung zur aktuellen Debatte


Vaticanum I: Das Unfehlbarkeitsdogma
Vaticanum I: Das Unfehlbarkeitsdogma

Zur päpst­li­chen Unfehl­bar­keit, ihrer Bedeu­tung und dem histo­ri­schen Kon­text der Ver­kün­di­gung des Dog­mas, ent­spann­te sich im zurück­lie­gen­den Früh­jahr eine Dis­kus­si­on in der Tages­zei­tung Die Tages­post, die dann in der April-Aus­ga­be der Kirch­li­chen Umschau ihre Fort­set­zung fand. Einer der Dis­ku­tan­ten fühlt sich miß­ver­stan­den. Da die Kirch­li­che Umschau die Ver­öf­fent­li­chung einer Klar­stel­lung ver­wei­gert und Die Tages­post die Dis­kus­si­on als been­det zu betrach­ten scheint, hat sich Katho​li​sches​.info bereit erklärt, einen Bei­trag zur Dis­kus­si­on zu ver­öf­fent­li­chen in der Hoff­nung, daß sie zur Klä­rung beiträgt.

Die päpstliche Unfehlbarkeit – Notwendige Richtigstellung zur aktuellen Debatte

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von Chri­stoph Mat­thi­as Hagen

Im März 2017 bin ich in der Tages­post wie­der­holt in eine Leser­brief­dis­kus­si­on über die päpst­li­che Unfehl­bar­keit ein­ge­tre­ten (so am 7. und am 21. März 2017), die mit durch den „Weck­ruf Sine dubi­is“ aus­ge­löst wor­den war. In der Über­zeu­gung, im Ver­lau­fe mei­nes Aus­tauschs vor allem mit dem von mir sehr geschätz­ten Alt­phi­lo­lo­gen Dr. Heinz-Lothar Barth (Bonn) hin­rei­chend ver­deut­licht zu haben, dass mei­ne Posi­ti­on nicht den prä­zi­sen, tat­säch­li­chen Inhalt der Dog­men von 1870 trifft oder dass die­se Dog­men im Ergeb­nis nicht etwa von mir abge­lehnt wer­den, woll­te ich an sich das The­ma auf sich beru­hen lassen.

Kirchliche Umschau 4/2017
Kirch­li­che Umschau 4/​2017

Nach­dem ich aber erfah­ren habe, dass Barth die­se Leser­brief­dis­kus­si­on zum Anlass genom­men hat, in der Monats­zeit­schrift Kirch­li­che Umschau einen aus­ge­dehn­ten Arti­kel: „Gren­zen der päpst­li­chen Unfehl­bar­keit“, (vgl. Heft April 2017, S. 20–34, ein­schließ­lich 37 teils aus­führ­li­chen Anmer­kun­gen (!), sogar die Gestal­tung der Titel­sei­te die­ser Aus­ga­be ist die­sem Arti­kel gewid­met) zu publi­zie­ren und die Kirch­li­che Umschau kein Leser­fo­rum umfasst, muss ich doch noch­mals dar­auf zurückkommen.

Wenn ich mich auch per­sön­lich des Ein­drucks nicht erweh­ren kann, dass sei­ne Dar­stel­lung der Debat­te auf dem I. Vati­ca­num sehr viel von ihrer kon­flikt­haft-kon­tro­ver­sen Span­nung über­spielt und den Stand­punkt der Mino­ri­tät auf die Fra­ge der Oppor­tu­ni­tät einer Dog­ma­ti­sie­rung zu redu­zie­ren sucht, möch­te ich dar­auf nicht näher ein­ge­hen. Eben­so­we­nig dar­auf, dass mir Barths Aus­wahl der Quel­len, auf die er sich stützt – für ihn völ­lig unty­pisch – sehr ein­sei­tig scheint, er die­se jeden­falls ziem­lich selek­tiv benutzt.

Ich muss zu die­sem Bei­trag Stel­lung neh­men, weil Barth mei­ne Leser­brie­fe gera­de­zu als „Auf­hän­ger“ sei­ner Argu­men­ta­ti­on ver­wen­det, dabei aber etwas insi­nu­iert, was ich nie geschrie­ben habe, näm­lich, ich wür­de qua­si die authen­ti­sche Sub­stanz der erst­va­ti­ka­ni­schen Dog­men zurück­wei­sen. Die­se Schlüs­sel­stel­lung eines ver­zer­ren­den und unzu­tref­fen­den Ver­ständ­nis­ses mei­ner Posi­ti­on ist anhand der Tat­sa­che evi­dent, dass sogar eine Zwi­schen­über­schrift: „Ein fata­ler Leser­brief“ auf mei­ne Zuschrift in der Tages­post vom 7. März 2017 bezo­gen ist (vgl. a.a.O., S. 21).

Am Bei­spiel der Dog­men von 1870 habe ich nur auf­zei­gen wol­len, dass es wenig nützt, wenn der Wort­laut eines Dog­mas in sich prä­zi­se und exakt und per se nicht zu bean­stan­den sein mag, dann aber in der Pra­xis eine maxi­ma­li­sti­sche Inter­pre­ta­ti­on annimmt und sich ent­spre­chend aus­wirkt oder durchsetzt.

Natür­lich kön­nen sich Theo­lo­gen mit jedem Glau­bens­satz aus­führ­lich befas­sen. Um aber ein­mal einen moder­nen Aus­druck zu ver­wen­den, darf es „an der Basis“ kei­ner vier­zehn­sei­ti­gen, mit 37 Fuß­no­ten gespick­ten Abhand­lung bedür­fen, damit der kor­rek­te Sinn des­sen, was wirk­li­cher Inhalt eines kon­kre­ten Dog­mas ist und was nicht dar­un­ter zu ver­ste­hen ist, die Gläu­bi­gen erreicht.

Am mei­sten stieß sich Barth wohl dar­an, dass ich, in spä­ter aus­drück­lich genann­ter, nicht wie er ten­den­zi­ös for­mu­liert, „zuge­ge­be­ner“, Anleh­nung an ein Kas­per-Zitat, das Barth eben­falls erkenn­bar miss­gün­stig aus­legt, geschrie­ben hat­te, die gegen­ständ­li­chen Dog­men sei­en „viel­leicht nicht falsch oder unwahr“, sicher sei­en „sie aber risi­ko­reich.“ Das von Barth beson­ders inkri­mi­nier­te Adverb „viel­leicht“ soll­te nichts wei­ter als zu beden­ken geben, dass die Gewiss­heit, dass die Kir­che sich bei einer Dog­ma­ti­sie­rung nicht unum­kehr­bar auf einen Irr­tum fest­le­gen kann, son­dern immer inner­halb der Wahr­heit gebor­gen bleibt, sie nicht dazu ver­lei­ten soll­te, etwas leicht­fer­tig, vor­schnell oder unter Zeit­druck zu dog­ma­ti­sie­ren. Denn ist dies ein­mal gesche­hen, ist die jewei­li­ge Aus­sa­ge irrever­si­bel und unan­tast­bar. Vom Inhalt sei­ner Dog­ma­ti­sie­run­gen jetzt ein­mal völ­lig abstra­hie­rend, befand sich Vati­ca­num I zwei­fels­oh­ne unter Zeit­druck, was auch dadurch bewie­sen ist, dass es sich nicht mehr über den Epi­sko­pat äußern konn­te. So ent­steht ja gera­de das Ungleich­ge­wicht zur Leh­re des II. Vati­ka­ni­schen Kon­zils über das Kol­le­gi­um der Bischö­fe als einer ekkle­sio­lo­gi­schen Grö­ße, die wie­der­um die Prie­ster­bru­der­schaft St. Pius X., der Barth sich unzwei­fel­haft noch exklu­si­ver als ich mich selbst ver­bun­den fühlt, min­de­stens teil­wei­se sicher zu Recht und jeden­falls nach­voll­zieh­bar, als theo­lo­gi­sches Pro­blem anspricht.

Die mora­li­sche Gesamt­heit der Theo­lo­gen hat­te Hei­lig­spre­chun­gen immer als unfehl­ba­re Akte ange­se­hen, trotz­dem gibt es inner­halb der Pius­bru­der­schaft mei­nes Erach­tens berech­tig­te Beden­ken gegen bestimm­te nach­kon­zi­li­ar erfolg­te Kano­ni­sie­run­gen. Barth selbst hat sie in Bezug auf die Cau­sa Johan­nes Pauls II. vor­ge­tra­gen. Ohne in die inhalt­li­che Dis­kus­si­on ein­zu­stei­gen, erfol­gen Hei­lig­spre­chun­gen auch nach mei­ner per­sön­li­chen Mei­nung heu­te sicher häu­fig zu schnell und viel­leicht vor­ei­lig. Die­se Ten­denz lässt sich aller­dings irgend­wie aus­ge­rech­net auf die Cau­sa Pius‘ X. zurück­ver­fol­gen; 1914 ver­stor­ben, wur­de er schon 1951 selig- und bereits nach nur drei wei­te­ren Jah­ren heiliggesprochen.

Indem ich zum Schluss kom­me, möch­te ich noch­mals unmiss­ver­ständ­lich klar­stel­len, dass ich kein erfolg­tes Dog­ma inhalt­lich in Zwei­fel zie­he oder ableh­ne. Trotz­dem bin ich über­zeugt, dass die Kir­che gut dar­an tut, nur sehr vor­sich­tig und zurück­hal­tend zum Instru­ment der Dog­ma­ti­sie­rung zu grei­fen und dass es trotz­dem durch­aus histo­ri­sche Bei­spie­le gibt, wo sich erfolg­te Dog­ma­ti­sie­run­gen zumin­dest im Rück­blick als ent­behr­lich oder über­flüs­sig erwei­sen oder sogar erst im Nach­hin­ein das vol­le Risi­ko, das in ihnen vor­aus­ge­setzt oder ange­legt ist, offenbaren.

Ein aller­letz­ter Gedan­ke sei mir noch gestat­tet: Wer es als legi­tim erach­tet, das II. Vati­ca­num einer oft­mals prin­zi­pi­el­len kri­ti­schen Ana­ly­se zu unter­zie­hen, kann davon grund­sätz­lich kein ande­res Kon­zil aus­neh­men. Dies gilt jeden­falls für die unvor­ein­ge­nom­me­ne Unter­su­chung der histo­ri­schen Kon­tex­te und inhalt­li­chen Pro­blem­kon­stel­la­tio­nen unter­schieds­los aller Kon­zi­li­en. Dar­auf woll­te ich anhand der Bei­spie­le der bei­den Vati­ka­ni­schen Kon­zi­li­en hin­wei­sen und auch zei­gen, dass jeden­falls auf einer bestimm­ten Ebe­ne Vati­ca­num I (gera­de in sei­ner fak­ti­schen Rezep­ti­on) die Bedin­gung der Mög­lich­keit von vie­lem ist, was soge­nann­te „Tra­di­tio­na­li­sten“ häu­fig an Vati­ca­num II frag­wür­dig oder bedenk­lich finden.

Die­ser Kon­nex schreckt viel­leicht man­chen und offen­sicht­lich auch Dr. Heinz-Lothar Barth aus gewohn­ten Denk­bah­nen und Argu­men­ta­ti­ons­sche­ma­ta auf, der sich der Mühe unter­zo­gen hat, mei­ne The­se so aus­führ­lich und „fun­diert“ zu wider­le­gen. Die­se ist oder war indes zu kei­nem Zeit­punkt etwas, „was ein Katho­lik ja wohl kaum schrei­ben“ (ibd.) kann und impli­ziert auch nichts derartiges.

Bild: Internetsv/​Kirchliche Umschau (Screen­shot)

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