Die „Broeders van Liefde“ aus Belgien: von der caritativen Kongregation zum Sozialkonzern (1)


Der Genter Kanonikus Petrus Josephus Triest gründete 1807 den Hospitalorden der "Brüder der Liebe"
Der Genter Kanonikus Peter Joseph Triest gründete 1807 den Hospitalorden der "Brüder der Liebe".

Der katho­li­sche Hos­pi­tal­or­den Broe­ders van Lief­de (Brü­der der Lie­be) sorgt in der katho­li­sche Kir­che für hef­ti­ge Dis­kus­sio­nen, weil der bel­gi­sche Zweig des Ordens Ende April bekannt­gab, in sei­nen Kran­ken­häu­sern und Betreu­ungs­ein­rich­tun­gen die Eutha­na­sie ein­zu­füh­ren. Über den Orden und des­sen Ver­gan­gen­heit infor­miert unser Autor.

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Von Fer­di­nand Boischot

Die „Brü­der von Lie­be“ (fra­tres cari­ta­te) wur­den vor 210 Jah­ren vom Gen­ter Kano­ni­kus Petrus Jose­phus Tri­est (1760–1836) gegründet.

Petrus Tri­est (übri­gens nicht ver­wandt mit dem Renais­sance-Bischof von Brüg­ge und Gent, Anto­ni­us Tri­est) stamm­te aus beschei­de­nen Ver­hält­nis­sen: gebo­ren in Brüs­sel in einer kin­der­rei­chen Fami­lie, Sohn eines Schmieds und Enkel von Land­wir­ten, konn­te er mit Hil­fe von Schul­sti­pen­di­en die Latein­schu­len der Jesui­ten und der Augu­sti­ner besu­chen. Spä­ter hielt er sich län­ger in Geel (Pro­vinz Ant­wer­pen) auf, wo seit Jahr­hun­der­ten psy­chisch Kran­ke bei Bau­ern zu Hau­se gepflegt wurden.

Nach dem Stu­di­um an der Uni­ver­si­tät Löwen und im Groß­se­mi­nar Mecheln wur­de Tri­est 1786 zum Prie­ster geweiht. Kaum zum Vikar gewor­den, geriet er in den Stru­del der Revo­lu­tio­nen in den süd­li­chen Nie­der­lan­den. Tri­est blieb rom­treu und katho­lisch und ging vor­über­ge­hend in den Untergrund.

Das gewal­ti­ge Elend und die fort­schrei­ten­de Pro­le­ta­ri­sie­rung der Bevöl­ke­rung sehend, grün­de­te Tri­est 1800 eine Armen­schu­le für Wai­sen­mäd­chen und 1803 mit bischöf­li­cher Unter­stüt­zung eine klei­ne Frau­en­kon­gre­ga­ti­on, die „Schwe­stern der Lie­be von Jesus und Maria“, die rasch wuchs und 1816 päpst­lich appro­biert wurde.

Die kirch­li­che und staat­li­che Obrig­keit (zunächst die revo­lu­tio­nä­re fran­zö­si­sche Besat­zung, dann die hol­län­di­schen Behör­den (1815–1830) und schließ­lich die bel­gi­schen (ab 1831) unter­stütz­ten Kano­ni­kus Tri­est bei sei­nem viel­fäl­ti­gen kari­ta­ti­ven Einsatz.

Ordensgründer Triest
Ordens­grün­der Tri­est war ab 1807 Dom­herr in Gent

Ab 1807 war Tri­est in der Stadt Gent ver­ant­wort­lich für die Armen­sor­ge, für Wai­sen und Find­lin­ge, für die Alten­pfle­ge, für See­len­kran­ke, für die Unter­brin­gung von Bett­lern und Land­strei­chern und beson­ders für die städ­ti­schen Spitäler.

Im sel­ben Jahr 1807 grün­de­te Tri­est eine männ­li­che Kon­gre­ga­ti­on, die „Brü­der Hos­pi­ta­lier von St. Vin­cen­ti­us“, etwas spä­ter in „Brü­der der Lie­be“ (Fra­tres caritate/​Broeders van Lief­de) umbenannt.

Kenn­zeich­nend für die­se Kon­gre­ga­ti­on war eine inten­si­ve Ver­knüp­fung von monasti­schem Lebens­stil mit gemein­schaft­li­chem Gebet und Fröm­mig­keits­übun­gen, stark ange­lehnt an die Zister­zi­en­ser (der durch die Revo­lu­ti­on aus sei­nem auf­ge­ho­be­nen Orden ver­trie­be­ne Zister­zi­en­ser Simon Bern­har­dus Denoter wur­de der erste Gene­ral­obe­re der neu­en Kon­gre­ga­ti­on), mit zugleich kari­ta­ti­ven und erzie­he­ri­schen Aufgaben.

Eine wei­te­re Cha­rak­te­ri­stik war die inten­si­ve Zusam­men­ar­beit mit kirch­li­chen und staat­li­chen Stel­len und mit psych­ia­trisch inter­es­sier­ten Ärz­ten (z.B. Dr. Jozef Guis­lain mit zwei gro­ßen Ein­rich­tun­gen für Gei­stes­kran­ke in Gent; spä­ter in vie­len Städ­ten in Belgien).

Ab 1814 folg­te die Grün­dung und der Aus­bau eines gro­ßen Schul­netz­werks für ärme­re Kin­der, ab 1925 auch für Taub­stum­me und Blinde.

Das Enga­ge­ment von Tri­est wur­de schon zu Leb­zei­ten sehr gewürdigt:
er wur­de Kano­ni­kus an der Kathe­dra­le von Gent (1807 Ehren­ka­no­ni­kus, 1825 Titu­lar­ka­no­ni­kus); es erfolg­ten meh­re­re Ordens­ver­lei­hun­gen im König­reich der Nie­der­lan­de; er wur­de 1833 Rit­ter des Leo­pold­s­or­dens von Bel­gi­en; 1834 erhielt er bemer­kens­wer­ter­wei­se als „Wohl­tä­ter der Mensch­heit“ die Medail­le der (frei­mau­re­risch ori­en­tier­ten) Socié­té Phil­an­tro­pi­que Mon­ty­on et Frank­lin ver­lie­hen.

Nach sei­nem Tod wur­de es rasch ziem­lich still um Kano­ni­kus Tri­est: 1846 wur­de ihm zu Ehren in der Brüs­se­ler Kathe­dra­le eine Gedenk­plat­te ange­bracht, 1961 idem im Spi­tal Bij­loke­hof in Gent.
2001 hat das Bis­tum Gent in Rom einen Antrag auf Selig­spre­chung  gestellt.

Die von Tri­est gegrün­de­te Kon­gre­ga­ti­on ent­wickel­te sich sehr schnell. In den innen­po­li­ti­schen Kämp­fen zwi­schen Katho­li­ken und Libe­ra­len in Bel­gi­en mit rasch fort­schrei­ten­der Segre­ga­ti­on („Ver­säu­lung“) wur­de die­ser Orden durch sei­nen sozia­len Ein­satz und sei­ne zuneh­men­de Grö­ße zu einem der wich­tig­sten Ele­men­te des katho­li­schen Lebens in Flandern.
Der Orden domi­nier­te als­bald das Oli­go­pol der Sozi­al­für­sor­ge in Bel­gi­en. Finan­zi­ell am Anfang sehr wack­lig, wur­de er vom Staat immer wie­der groß­zü­gig unterstützt.
Die Bischö­fe haben den Orden stets unter­stützt und geschützt, auch bei schlimm­sten Pro­ble­men. Min­de­stens ein Weih­bi­schof hat­te die Schu­le bei den Brü­dern besucht.

Der Orden hat sich poli­tisch immer sehr bel­gisch­na­tio­nal ver­hal­ten. Par­tei­po­li­tisch war er auf das Eng­ste mit den Christ­de­mo­kra­ten verknüpft.

Sei­ne Spe­zi­al­ein­rich­tun­gen (z.B. das christ­li­che Blin­den­werk „Licht und Lie­be“) hat­ten in Bel­gi­en fak­tisch ein Monopol.

Die Grö­ße und der Ein­fluß des Ordens heu­te läßt sich schwer bemessen:
das Per­so­nal-und Freun­des­blatt Dichtbij/​Approches hat etwa eine Auf­la­ge von 12.500 Stück;
2017 befin­den sich ins­ge­samt 3.200 psych­ia­tri­sche Bet­ten in Flan­dern in der Hand des Ordens.
Der Umsatz in Bel­gi­en kann grob geschätzt wer­den auf etwa eine Vier­tel Mil­li­ar­de Euro jährlich.

1865 wur­de die erste Nie­der­las­sung in Kana­da gegrün­det, 1911 in der bel­gi­schen Kolo­nie Kon­go, 1992 in Rumänien.

Heu­te ist der Orden in 26 Län­dern aktiv :

Pro­vinz Europa:

  • Regi­on St. Vin­cen­ti­us (Bel­gi­en, Rumä­ni­en, Ukraine)
  • Regi­on St. Maria (Nie­der­lan­de)
  • Regi­on Ver­ein­tes König­reich und Irland
  • Regi­on Italien

Pro­vinz Afrika:

  • Regi­on Kon­go-Kin­sha­sa, Ruan­da, Burun­di, Kenia und Tansania
  • Regi­on Südafrika
  • Regi­on Elfenbeinküste

Pro­vinz Asien:

  • Regi­on Paki­stan und Indien
  • Regi­on Sri Lan­ka und Indonesien
  • Regi­on Viet­nam, Japan, Phil­ip­pi­nen und Papua-Neuguinea

Pro­vinz Amerika:

  • Regi­on Ver­ein­te Staa­ten und Kanada
  • Regi­on Brasilien
  • Regi­on Peru

Text: Fer­di­nand Boischot
Bild: Wikicommons

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