Abtreibung ist Mord? „Nicht übertreiben“ – Das Versagen der belgischen Bischöfe und das Schweigen Roms zum Fall Löwen


Stephane Mercier: Weil er in seiner Lehrveranstaltung Abtreibung als Mord bezeichnet hatte, hat die Katholische Universität Löwen seine Lehrveranstaltungen suspendiert und ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet. Die belgischen Bischöfe stehlen sich in der Sache aus der Verantwortung und Rom schweigt dazu. Im Bild: Stephane Mercier mit seiner Frau beim Marsch für das Leben, der am vergangenen Sonntag in Brüssel stattfand.
Stephane Mercier: Weil er in seiner Lehrveranstaltung Abtreibung als Mord bezeichnet hatte, hat die Katholische Universität Löwen seine Lehrveranstaltungen suspendiert und ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet. Die belgischen Bischöfe stehlen sich in der Sache aus der Verantwortung und Rom schweigt dazu. Im Bild: Stephane Mercier mit seiner Frau beim Marsch für das Leben, der am vergangenen Sonntag in Brüssel stattfand.

(Brüs­sel) Der Abtrei­bungs­skan­dal an der Katho­li­schen Uni­ver­si­tät Löwen nimmt immer „uner­freu­li­che­re“ Züge an, um es mil­de aus­zu­drücken. Wie berich­tet, hat­te der jun­ge Dozent der Phi­lo­so­phie, Ste­pha­ne Mer­cier, in einer Lehr­ver­an­stal­tung das The­ma Abtrei­bung behan­delt und die Tötung eines unge­bo­re­nen Kin­des als Mord bezeich­net. Er nann­te Abtrei­bung sogar mora­lisch beson­ders ver­werf­lich, weil sich die Tat gegen einen völ­lig wehr­lo­sen und unschul­di­gen Men­schen rich­tet. Die Sache gelang­te an die Öffent­lich­keit, Femi­ni­sten erho­ben auf ihren Inter­net­sei­ten Pro­test und die lin­ke Tages­zei­tung La Soir mach­te mobil.

„Sedes sapientiae“? – Die „Werte“ der Katholischen Universität Löwen

Anzei­ge

Mer­cier hat­te mit den Erst­se­me­stern Gedan­ken von Peter Kreeft behan­delt. Der Pro­fes­sor am renom­mier­ten King’s Col­lege in New York betont, was wis­sen­schaft­lich bewie­sen ist: Der Mensch ist Mensch von Anfang an, ab der Zeu­gung, und wird nicht erst irgend­wann im Lau­fe der Schwan­ger­schaft oder zum Zeit­punkt der Geburt zum Men­schen. Dar­aus folgt, so Mer­cier, daß die Tötung eines unge­bo­re­nen Kin­des vor­sätz­li­cher Mord ist und daher ver­bo­ten sein soll­te, wie es im Westen bis vor weni­gen Jahr­zehn­ten auch der Fall war.

Die Uni­ver­si­täts­lei­tung stell­te sich jedoch, anders als man es sich von einer katho­li­schen Ein­rich­tung erwar­ten wür­de, nicht hin­ter Mer­cier, son­dern distan­zier­te sich von ihm und kün­dig­te ein Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren gegen den Dozen­ten an. Sei­ne Aus­sa­gen wür­den gegen die „Wer­te der Uni­ver­si­tät“ ver­sto­ßen, denn das „Recht“ auf Abtrei­bung, sei in der bel­gi­schen Rechts­ord­nung ver­an­kert. Das Gegen­teil zu leh­ren sei „inak­zep­ta­bel“. Die Lehr­ver­an­stal­tun­gen Mer­ciers im Som­mer­se­me­ster wur­den aus­ge­setzt, und das ange­kün­dig­te Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren gegen ihn wur­de ein­ge­lei­tet, das – ange­sichts des auf­ge­heiz­ten Kli­mas und der gei­sti­gen Unter­wür­fig­keit des Rek­to­rats unter den Zeit­geist – mit sei­ner Ent­las­sung enden könnte.

Die Zustim­mung zur Tötung unge­bo­re­ner Kin­der, die Papst Fran­zis­kus als „hor­ren­des Ver­bre­chen“ bezeich­ne­te, gehört im Jahr 2017 dem­nach zu den nicht näher defi­nier­ten „Wer­ten“ der älte­sten Uni­ver­si­tät Bel­gi­ens, die mit Dis­zi­pli­nar­maß­nah­men gegen Anders­den­ken­de ver­tei­digt und durch­ge­setzt wer­den. Das Mot­to der Uni­ver­si­tät, die zu den renom­mier­te­sten der Welt gehört, lau­tet Sedes sapi­en­tiae (Zetel der wijs­heid). Es muß sich jedoch auf ver­gan­ge­ne Jahr­hun­der­te bezie­hen, denn Anfang des 21. Jahr­hun­derts erweist sich die KU Löwen, wie der Fall Mer­cier zeigt, nicht als „Sitz der Weisheit“.

Der Marsch für das Leben – Bischöfe stehlen sich aus der Verantwortung

Tommy Scholtes, Sprecher der Bischofskonferenz
Tom­my Schol­tes, Spre­cher der Bischofskonferenz

Der Abtrei­bungs­lob­by kam der Fall offen­bar nicht unge­le­gen, denn in die­sen Tagen fand in Bel­gi­en der dies­jäh­ri­ge Marsch für das Leben statt, gegen den es zu mobi­li­sie­ren galt. Meh­re­re tau­send Men­schen nah­men in Brüs­sel am Marsch teil, dar­un­ter auch Ste­pha­ne Mer­cier, der Zeug­nis ableg­te und über sei­nen Fall berichtete.

Doch auch die Bischö­fe zei­gen sich nicht von einer bes­se­ren Sei­te als das Uni­ver­si­täts­rek­to­rat. Groß­kanz­ler der Katho­li­schen Uni­ver­si­tät Löwen ist der Erz­bi­schof von Mecheln-Brüs­sel, Jozef Kar­di­nal De Kesel. Zumin­dest vom Groß­kanz­ler, der zugleich Pri­mas von Bel­gi­en ist, hät­te man eine kla­re Aus­sa­ge und ein schüt­zen­des Wort zur Ver­tei­di­gung des jun­gen Dozen­ten erwartet.

In der Tat gab es eine Stel­lung­nah­me der Bischofs­kon­fe­renz, aber nicht zugun­sten Mer­ciers. Tom­my Schol­tes, Prie­ster und Spre­cher der Bel­gi­schen Bischofs­kon­fe­renz, erklär­te wörtlich:

„Die Wor­te von Ste­pha­ne Mer­cier schei­nen mir kari­kie­rend. Das Wort Mord ist zu stark: Es setzt Gewalt vor­aus, eine im vol­lem Bewußt­sein began­ge­ne Tat, mit einer Absicht, und das trägt nicht der Situa­ti­on der Per­so­nen Rech­nung, die häu­fig in der größ­ten Not sind.“

Schol­tes ergänz­te noch, daß „sol­che For­mu­lie­run­gen nicht geeig­net sind, der Kir­che zu hel­fen, beson­ders im Rah­men des vom Papst gerich­te­ten Appells zum Leben“. Der Spre­cher der Bischofs­kon­fe­renz bestä­tig­te, daß der „Respekt für das Leben“ wei­ter­hin im Mit­tel­punkt der kirch­li­chen Leh­re bleibe:

„Der Papst ruft aber auch zur Barm­her­zig­keit: Wir müs­sen Ver­ständ­nis zei­gen, Mitleid“.

In der Sache gab Schol­tes bekannt, daß sich die Bischö­fe aus der Ver­ant­wor­tung stehlen:

„Die KU Löwen und die Bischö­fe sind zwei Sachen, die sich nahe­ste­hen, aber zugleich ver­schie­den sind. Wir haben kei­ne Mei­nung abzu­ge­ben, zu dem was die Uni­ver­si­tät sagt.“

Kuschen vor dem Zeitgeist: die Bischöfe versagen und Rom schweigt

Wer sich ein Ein­grei­fen der Bischö­fe erhofft hat, wur­de ent­täuscht. Auch aus Rom ist der­zeit kei­ne Initia­ti­ve bekannt, die eine Inter­ven­ti­on des Hei­li­gen Stuhls erken­nen lie­ße, weder von der Kon­gre­ga­ti­on für das katho­li­sche Bil­dungs­we­sen noch vom neu­en Dik­aste­ri­um für die Fami­lie, die Lai­en und das Leben und schon gar nicht mehr von der Päpst­li­chen Aka­de­mie für das Leben, die erst zum Jah­res­wech­sel von Ver­tre­tern der Lebens­rechts­be­we­gung gesäu­bert und deren Mit­glieds­stand auf Null gesetzt wurde.

Die Bischö­fe unter­wer­fen sich in der Sache eben­so dem Zeit­geist wie das Rek­to­rat. Damit stellt sich die Fra­ge noch in einem ande­ren Licht, war­um Papst Fran­zis­kus den vor­ma­li­gen Erz­bi­schof Leo­nard, der ein muti­ger Zeu­ge für den Glau­ben und das Lebens­recht der unge­bo­re­nen Kin­der war, so schlecht behan­delt und durch den so bieg­sa­men neu­en Erz­bi­schof De Kesel ersetzt hat, den er sofort zum Kar­di­nal erhob.

Was das Rek­to­rat aber nicht ver­hin­dern kann, ist eine inten­si­ve Debat­te, die auf aka­de­mi­scher Ebe­ne ent­stan­den ist, nicht zuletzt inner­halb des Lehr­kör­pers der Uni­ver­si­tät. Auf die Andro­hung und Ein­lei­tung von Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren reagie­ren Leh­ren­de sehr sen­si­bel. Der Fall Mer­cier, das ist auch in Löwen bewußt, betrifft nicht nur die Abtrei­bung, son­dern auch die Lehrfreiheit.

„Wir sind besorgt“, Professoren schlagen Alarm

Erst vor einem Monat hat­te die Uni­ver­si­tät eine Tagung zum The­ma Lehr­frei­heit durch­ge­führt. Die Vor­ge­hens­wei­se des Rek­to­rats steht in offe­nem Wider­spruch zur dort ver­kün­de­ten Hal­tung. Meh­re­re Löwe­ner Uni­ver­si­täts­pro­fes­so­ren, dar­un­ter Michel Ghins und Jean Bric­mont, mel­de­ten sich inzwi­schen öffent­lich zu Wort und for­der­ten aus den Spal­ten der Tages­pres­se, kei­ne Dis­zi­pli­nar­maß­nah­men gegen Mer­cier zu ergrei­fen, da die Erwäh­nung von „jedem Gesichts­punkt zur Abtrei­bungs­pro­ble­ma­tik erlaubt“ sein müsse.

„Wir sind besorgt, ja, wir sind besorgt wegen der ange­droh­ten Ein­schrän­kung der aka­de­mi­schen Frei­heit und der Mei­nungs­frei­heit an der Katho­li­schen Uni­ver­si­tät Löwen. Kann es Argu­men­te geben, die in einer Lehr­ver­an­stal­tung der Phi­lo­so­phie nicht dis­ku­tiert wer­den können?“,

so die Fra­ge von Ghins und Bir­c­mont, die sie mit einem kla­ren Nein beant­wor­te­ten. Die bei­den Pro­fes­so­ren schla­gen zugleich Alarm, der nicht nur Bel­gi­en, son­dern den gan­zen Westen betrifft, die Kir­che mit eingeschlossen:

„Es ist mehr als erstaun­lich, fest­stel­len zu müs­sen, daß an der KUL [Katho­li­sche Uni­ver­si­tät Löwen] eine Art von Neo-Kle­ri­ka­lis­mus des guten poli­tisch kor­rek­ten Den­kens auf­tritt, eine neue Form von Gedan­ken­po­li­zei, die gegen Posi­tio­nen vor­geht, die von den Medi­en ange­grif­fen wer­den und der öffent­li­chen Mehr­heits­mei­nung lästig fal­len. Die Uni­ver­si­tät muß ein Ort des frei­en Den­kens und der offe­nen Debat­te blei­ben. An der KUL ist es erlaubt, die Posi­tio­nen der katho­li­schen Kir­che zu kri­ti­sie­ren. Es wäre gera­de­zu para­dox, wenn an einer Uni­ver­si­tät, die sich im Namen als katho­lisch bezeich­net, es Aka­de­mi­kern unter­sagt wäre, katho­li­sche Argu­men­ta­tio­nen zu ver­tre­ten und Posi­tio­nen, die mit der Katho­li­zi­tät übereinstimmen.“

Eini­ge Pro­fes­so­ren, die an der Katho­li­schen Uni­ver­si­tät Löwen leh­ren, haben also den Mut, für Ste­pha­ne Mer­cier, und was er gelehrt hat, ein­zu­tre­ten und die Lehr- und Mei­nungs­frei­heit zu ver­tei­di­gen. Was aber macht das Rek­to­rat, was der Groß­kanz­ler, was die bel­gi­schen Bischö­fe, was der Vatikan?

„Und das so red­se­li­ge und zu ande­ren The­men so öffent­lich­keits­ver­ses­se­ne Rom hüllt sich wei­ter­hin in Schwei­gen?“, so die Fra­ge des Vati­ka­ni­sten Mar­co Tosat­ti zu Cau­sa Löwen.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: La Lib­re (Screen­shot)

Mer­ken

Print Friendly, PDF & Email
Anzei­ge

Hel­fen Sie mit! Sichern Sie die Exi­stenz einer unab­hän­gi­gen, kri­ti­schen katho­li­schen Stim­me, der kei­ne Gel­der aus den Töp­fen der Kir­chen­steu­er-Mil­li­ar­den, irgend­wel­cher Orga­ni­sa­tio­nen, Stif­tun­gen oder von Mil­li­ar­dä­ren zuflie­ßen. Die ein­zi­ge Unter­stüt­zung ist Ihre Spen­de. Des­halb ist die­se Stim­me wirk­lich unabhängig.

Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

Das ist müh­sam, es ver­langt eini­ges ab, aber es ist mit Ihrer Hil­fe möglich.

Unter­stüt­zen Sie uns bit­te. Hel­fen Sie uns bitte.

Vergelt’s Gott!

 




 

1 Kommentar

  1. Weder eine welt­li­che Rechts­ord­nung und erst recht nicht die hier in Rede ste­hen­de staat­lich sank­tio­nier­te Unrechts­un­ord­nung kann defi­ni­ti­ves Maß für die katho­li­sche Leh­re sein noch für uni­ver­si­tä­re Erörterung.
    Da war die Uni­ver­si­tät ja zu Zei­ten Gali­le­os frei­er als sie es heu­te auch nur ansatz­wei­se ist. Der Demo­s­kult über­hebt sich, wenn er alles bestim­men will. Und ein­mal mehr ent­larvt er sich als tota­li­tä­re Tyran­nis. Ohne die über­all gegen­wär­ti­ge demo­kra­ti­sche Gehirn­wä­sche wür­den das auch noch mehr Men­schen merken.

Kommentare sind deaktiviert.