von Dr. Markus Büning*
Das ist mal eine gute Nachricht: Es gibt wieder eine ernsthafte Forderung an den Heiligen Vater, die Miterlöserrolle Mariens zu dogmatisieren. Katholisches.info berichtete darüber.
In den letzten Jahrzehnten wurde von den meisten Theologen des deutschen Sprachgebietes dieser Titel Mariens eher kritisch gesehen. Weitläufig hält man diesen Titel für inopportun, insbesondere im Hinblick auf die getrennten Brüder und Schwestern. Selbst Papst Benedikt XVI. steht diesem Titel wegen seiner begrifflichen Missverständlichkeit kritisch gegenüber. In dem im Jahr 2000 erschienenen Buch „Gott und die Welt“ (Interview mit Peter Seewald) äußerte sich der damalige Kardinal Joseph Ratzinger im Abschnitt „Von den Dogmen“ wie folgt zum Thema „Maria Miterlöserin“:
„Die Antwort der Glaubenskongregation darauf lautet, dass das, was damit gemeint ist, in anderen Titeln Marias schon auf bessere Weise ausgesagt ist, während die Formel ‚Miterlöserin‘ sich von der Sprache der Schrift und der Väter zu weit entfernt und daher Missverständnisse hervorruft. Was ist richtig daran? Nun, richtig ist, dass Christus nicht außerhalb von uns oder neben uns stehenbleibt, sondern mit uns eine tiefe, neue Gemeinschaft bildet. Alles, was sein ist, wird unser, und alles, was unser ist, hat er angenommen, so dass es sein wurde: Dieser große Austausch ist der eigentliche Inhalt der Erlösung, die Entschränkung des Ich und das Hineinreichen in die Gemeinschaft mit Gott. Weil Maria die Kirche als solche vorwegnimmt und sozusagen Kirche in Person ist, ist dieses ‚Mit‘ in ihr exemplarisch verwirklicht. Aber über diesem ‚Mit‘ darf man nicht das ‚Zuerst‘ Christi vergessen. Alles kommt von ihm, wie besonders der Epheser- und der Kolosserbrief sagen; auch Maria ist alles, was sie ist, durch ihn. Das Wort ‚Miterlöserin‘ würde diesen Ursprung verdunkeln. Eine richtige Intention drückt sich in einem falschen Wort aus. Für die Dinge des Glaubens ist gerade die Kontinuität mit der Sprache der Schrift und der Väter wesentlich; die Sprache ist nicht beliebig manipulierbar.“
Dieser Argumentation vermag ich nicht zu folgen. Wenn dem grundsätzlich so wäre, dann dürfte man streng genommen keine Theologie mehr betrieben, da unsere menschliche Ausdrucksmöglichkeit immer missverständlich ist. Das Dogma von der Dreifaltigkeit Gottes kann auch missverstanden werden. Die Theologie muss sich allerdings bemühen, den Inhalt dieses Begriffes schrift- und traditionsgemäß zu erklären. Wenn Ratzinger hier Recht hätte, dürfte man Maria auch nicht als „Mittlerin aller Gnaden“ anrufen, ist doch Christus der einzige Mittler.
Worum geht es hier eigentlich? Es geht darum, mit der Anerkennung des Titels „Miterlöserin“ das Mosaik über die Gottesmutter dahingehend zu vervollständigen, dass sie als die neue Eva an der Seite des neuen Adams beim Erlösungswerk als Gefährtin des Herrn beteiligt gewesen ist. Hierfür streitet bereits die Botschaft der Heiligen Schrift. Die Erwählung Mariens beschränkt sich doch nicht „nur“ darauf, dass sie den ewigen Logos in ihrem Mutterschoß austrägt und zur Welt bringt. Darauf hat der Diener Gottes Albino Luciani in einem Vortrag über Maria so hingewiesen:
„Sie wurde nicht bloß passiv von Gott benutzt, sondern hat in freiem Glauben und Gehorsam zum Heil der Menschen mitgewirkt.“
Ja, Maria hat aktiv mitgewirkt. Mit ihrem ganz in Freiheit gesprochenen „Ja!“ gegenüber dem Erzengel Gabriel hat sie das Tor zur Menschwerdung aufgemacht. Darum ist sie ja auch die „Pforte des Heils“. Der Hl. Bernhard von Clairvaux beschreibt die Dramaturgie dieses Momentes wie folgt:
„Die ganze Welt wartet auf Dein ‚Ja!‘, Maria!“
Dann die Art und Weise, wie der Herr sein erstes Wunder nach Johannes wirkt. Seine Mutter ist es, die hier als Vermittlerin tätig wird: „Was er euch sagt, das tut!“ Auch hier ist sie wieder die ganz Mitwirkende an der Seite ihres Sohnes. Der Höhepunkt ist dann ihr „Stabat!“ unter dem Kreuz. Sie verlässt den Sohn nicht. Nein, sie ist standhaft, sie steht. Sie leidet mit und nimmt den Schmerz auf sich, ihren unschuldigen Sohn am Kreuz elendig sterben zu sehen. Hier steht sie als die neue Eva unter dem Baum des Kreuzes, dem Baum des Neuen Bundes, an dem das Heil für alle Welt erwirkt wird. An diesem Pfahl der Schande hängt ihr Sohn, der neue Adam. Hier wird dann ganz deutlich, dass sie durch das Mit-Leiden auch Anteil hat am Erlösungswerk ihres Sohnes. Dadurch wird sie zutiefst Mit-Erlöserin, opfert sie doch in diesem Moment ihren Schmerz dem ewigen Vater auf.
Und genau hier kommen wir zu einem Punkt, der uns alle angeht: Auch wir können von Gott den Ruf empfangen, Anteil am Erlösungswerk Christi zu haben. Hier kommt einem unweigerlich das ebenfalls schwer verständliche Wort des hl. Paulus in den Sinn:
„Jetzt freue ich mich in den Leiden, die ich für euch ertrage. Für den Leib Christi, die Kirche, ergänze ich das, was an den Leiden Christi noch fehlt.“ (Kol 1,24).
Hat Christus denn nicht alles für uns getan? Der hl. Johannes Paul II. hat diese Stelle für uns wie folgt ausgelegt:
„Das Leiden Christi hat das Gut der Erlösung der Welt erwirkt. Dieses Gut ist in sich unerschöpflich und grenzenlos. Kein Mensch vermag ihm etwas hinzuzufügen. Zugleich jedoch hat Christus im Geheimnis der Kirche als seines Leibes gewissermaßen sein Erlöserleiden jedem anderen Leiden des Menschen geöffnet. Insofern der Mensch – an jedem Ort der Welt und in jeder Zeit der Geschichte – an den Leiden Christi teilhat, ergänzt er auf seine Weise jenes Leiden, durch das Christus die Erlösung der Welt vollbracht hat.“
Das für uns auf den ersten Blick sinnlose Leiden kann fruchtbringend für die ganze Kirche eingesetzt werden, wenn man bereit ist, das Kreuz in diesem Sinne anzunehmen. Ganz in dieser Gesinnung hat Maria ihr Leid unter dem Kreuz angenommen und in der Verbundenheit mit dem leidenden Erlöser auch durchlebt. Das Leiden wurde so für sie zum Ort der Gegenwart Gottes. Auch der Weltkatechismus betont den wertvollen Aspekt des Leidens mit Christus als eine Frucht des Empfangs der Krankensalbung:
„Durch die Gnade dieses Sakramentes erhält der Kranke die Kraft und die Gabe, sich mit dem Leiden des Herrn noch inniger zu vereinen. Er wird gewissermaßen dazu geweiht, durch die Gleichgestaltung mit dem erlösenden Leiden des Heilands Frucht zu tragen. Das Leiden, Folge der Erbsünde, erhält einen neuen Sinn: es wird zur Teilnahme am Heilswerk Jesu.“
Es geht also um die tiefe geistliche Möglichkeit der Teilnahme am Heilswerk Jesu Christi. Hierzu sind wir alle berufen! Auch wir können unsere Lebenskreuze in dieser Haltung der Fruchtbarkeit des Erlösungswerkes Christi zuwenden. Maria ist uns hierin durch ihre ausdauernde Haltung unter dem Kreuz das Vorbild. Ihr, der Miterlöserin, können wir in dieser Gottergebenheit folgen. Darum schrieb der Heilige Gabriel Possenti in seinem „Simbolo della Madonna“ wie folgt:
„Wenn ich dir folge, werde ich nicht vom Weg abirren; wenn ich dich anrufe, werde ich nicht verzweifeln; wenn du mich hältst, werde ich nicht fallen; unter deiner Führung werde ich niemals ermüden, und wenn du mir gnädig bist, werde ich zu dir gelangen. Ich glaube, dass du die Miterlöserin bei unserer Erlösung bist.“
In dieser Strophe bringt Gabriel seine vertrauensvolle Haltung gegenüber Maria ganz tief zum Ausdruck. Wer ihr folgt und so einstimmt in die Haltung ihrer Nachfolge, der kann nicht vom rechten Weg abirren. Maria ist der Garant dafür, dass man nicht verlorengeht. Wer sich an die Hand Mariens begibt, der wird nicht fallen. Die Bindung an die Gottesmutter färbt auf unsere Lebensführung ab. Durch sie können wir den Weg finden, uns vom Joch der Sünde zu lösen. Wer sich der ganz Reinen anvertraut, kann von seiner Unreinheit, von seinen Schwächen immer mehr befreit werden. Denn Maria hat ja nichts anderes im Sinn als unser Heil. Sie will, dass wir durch das Leiden und Sterben unseres Herrn und Heilands zur Erlösung gelangen. Ganz treffend nennt Gabriel sie daher auch Miterlöserin. Gott selbst hat sie als Gefährtin seines Heilswerkes auserwählt. Sie steht immer an der Seite ihres Sohnes und tritt für uns bei ihm ein. Sie erbittet immer wieder das Wunder der Hochzeit zu Kana (vgl. Joh 2,1–12). Ja, sie selbst steht unter dem Kreuz und leidet mit ihrem Sohn, sie ist in ihrer Mitleidenschaft ganz präsent im großen Erlösungswerk ihres Sohnes. Es bleibt zu hoffen, dass die Kirche bald auch ganz offiziell Maria diesen Titel zuerkennt.
Vor diesem Hintergrund kann die Anerkennung dieses marianischen Titels auch dazu führen, allen Christen die damit verbundene Perspektive der Kreuzesnachfolge auf marianische Weise neu nahe zu bringen. Insofern ist dieser Titel paradigmatisch für die ganze Christenheit.
*Markus Büning, geboren 1966 in Ahaus (Westfalen), studierte katholische Theologie und Philosophie in Münster in Westfalen und München. Nach seinem erfolgreichen Studienabschluß absolvierte er ein Studium der Rechtswissenschaften an den Universitäten von Konstanz und Münster und wurde 2001 in Münster zum Doktor der Rechtswissenschaften promoviert. Nach Tätigkeiten als Assistent an den Universitäten Konstanz und Münster trat er als Jurist in den Verwaltungsdienst. Der ausgewiesene Kirchenrechtler veröffentlichte zahlreiche Publikationen zu kirchenrechtlichen und theologischen Themen und über Heilige. Dr. Markus Büning ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.
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