Attentat in Jerusalem: War junger Palästinenser „Sympathisant“ des Islamischen Staates (IS)?


LKW-Attentat gegen israelische Soldaten in Jerusalem. Was aber hat der Islamische Staat (IS) damit zu tun?
LKW-Attentat gegen israelische Soldaten in Jerusalem. Was aber hat der Islamische Staat (IS) damit zu tun?

(Jeru­sa­lem) Isra­els Mini­ster­prä­si­dent Net­an­y­a­hu sag­te: „Alle Ele­men­te“ wei­sen dar­auf hin, daß der 28 Jah­re alte Palä­sti­nen­ser Fadi Qun­bar ein Unter­stüt­zer der Dschi­had-Miliz des „Kali­fen“ war. Bewei­se für sei­ne Aus­sa­ge leg­te Net­an­y­a­hu aller­dings nicht vor. Am Sonn­tag hat­te Qun­bar einen Last­wa­gen in eine Grup­pe israe­li­scher Sol­da­ten gelenkt. Vier Sol­da­ten wur­den dabei getö­tet, 17 wei­te­re ver­letzt. Qun­bar wur­de von Sicher­heits­kräf­ten erschos­sen. Nimmt Isra­el eine Kurs­kor­rek­tur gegen­über dem Isla­mi­schen Staat (IS) vor? Beob­ach­ter, dar­un­ter die Fran­zis­ka­ner­kus­to­die des Hei­li­gen Lan­des, schlos­sen bis­her eine gehei­me Unter­stüt­zung des Isla­mi­schen Staa­tes durch Isra­el nicht aus. Der IS habe bis­her jede Art von Feind­se­lig­keit gegen Isra­el und Juden ins­ge­samt ver­mie­den. Des­halb stau­nen Beob­ach­ter über den Zusam­men­hang, den Net­an­y­a­hu nach dem Atten­tat herstellte.

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„Alle Ele­men­te“ der Ermitt­ler zei­gen, so Pre­mier Ben­ja­min Net­an­y­a­hu, daß der jun­ge Palä­sti­nen­ser Fadir Qun­bar, der am Steu­er des LKWs saß, der – nach dem Vor­bild ähn­li­cher LKW-Atten­ta­te in Niz­za und in Ber­lin – Sonn­tag­mit­tag in Jeru­sa­lem in eine Grup­pe von Sol­da­ten raste, ein „Sym­pa­thi­sant“ der Ter­ror­mi­liz Isla­mi­scher Staat (IS) war. Net­an­y­a­hu woll­te jedoch die Bewei­se für sei­ne Aus­sa­ge nicht öffent­lich bekanntgeben.

Der Atten­tä­ter sei der 28 Jah­re alte Fadi Qun­bar aus dem Stadt­teil Jabel Muka­ber in Ost-Jeru­sa­lem, der in unmit­tel­ba­rer Nähe des Atten­tats­orts liegt. Nach­dem er die israe­li­schen Sol­da­ten ange­grif­fen hat­te, wur­de er – auch in die­sem Punkt ver­gleich­bar den Atten­ta­ten von Niz­za und Ber­lin – von den Sicher­heits­kräf­ten erschossen.

Krisensitzung: Israels Regierung beschließt Sicherheitsverwahrung „ohne Prozeß“

Nach einer Kri­sen­sit­zung beschloß die israe­li­sche Regie­rung eine Sicher­heits­ver­wah­rung „ohne Pro­zeß“ für Unter­stüt­zer und Sym­pa­thi­san­ten des Isla­mi­schen Staa­tes (IS). Kri­ti­ker äußer­ten Zwei­fel, daß eine Redu­zie­rung rechts­staat­li­cher Stan­dards ein geeig­ne­tes Mit­tel zur Bekämp­fung des Ter­ro­ris­mus sei.

Beim Atten­tat kamen vier Sol­da­ten ums Leben, drei Frau­en und ein Mann, die aller kaum mehr als 20 Jah­re alt waren. Hin­zu kom­men 17 Ver­letz­te. Eine Über­wa­chungs­ka­me­ra hielt den Moment des Angriffs fest. Der LKW raste mit hoher Geschwin­dig­keit direkt in die Grup­pe der Sol­da­ten. Der Fah­rer leg­te den Rück­gang ein und fuhr ein zwei­tes Mal über die Opfer.

In einer Erklä­rung der israe­li­schen Streit­kräf­te wur­den die Namen der Todes­op­fer ver­öf­fent­licht. Es sind Yael Yeku­tiel, 20 Jah­re, Shir Hajaj, 22 Jah­re,  Erez Orbach, 20 Jah­re, und Shira Tzur, eben­falls 20 Jahre.

In den Stun­den nach dem Angriff führ­te die israe­li­sche Poli­zei Raz­zi­en im besetz­ten Ost-Jeru­sa­lem durch und ver­haf­te­te neun Per­so­nen, dar­un­ter fünf Fami­li­en­mit­glie­der Qunrabs.

Net­an­y­a­hu sprach bei sei­nem Besuch des Atten­tats­or­tes von einer „Ver­bin­dung“ zwi­schen den Vor­fäl­len in Frank­reich und in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land und dem Ereig­nis von gestern in Jeru­sa­lem. Poli­zei­chef Roni Alseich füg­te hin­zu, daß der Anschlag in Ber­lin wei­te­re „Moti­ve“ gelie­fert habe.

Die mili­tan­te Palä­sti­nen­ser­or­ga­ni­sa­ti­on Hamas, die den Gaza-Strei­fen kon­trol­liert und von den USA und der EU als Ter­ror­or­ga­ni­sa­ti­on ein­ge­stuft ist, begrüß­te das Atten­tat und fei­er­te den Atten­tä­ter als Hel­den. Hamas-Spre­cher Abdul-Latif Qanou sprach von einer „heroi­schen“ Geste, die ande­re Palä­sti­nen­ser „ermu­ti­gen“ sol­le, „den Wider­stand zu verstärken“.

Israelisch-palästinensisches Gewaltklima

Der Vor­fall fällt in ein seit dem Okto­ber 2015 herr­schen­des Gewalt­kli­ma, das durch eine Rei­he von Pro­vo­ka­tio­nen von ultra-ortho­do­xen Juden aus­ge­löst wur­de, die auf dem Tem­pel­berg vor den Moscheen beten woll­ten, der vom gan­zen Islam als hei­lig betrach­tet wird.

Seit­her haben sich die Zwi­schen­fäl­le in Isra­el und den besetz­ten Palä­sti­nen­ser­ge­bie­ten im Rah­men der soge­nann­ten „Mes­ser-Inti­fa­da“ ver­viel­facht. Min­de­stens 35 Israe­lis wur­den seit­her durch Mes­ser­at­tacken, Auto- und LKW-Angrif­fe oder Schuß­waf­fen getö­tet. Gleich­zei­tig wur­den mehr als 200 Palä­sti­nen­ser getötet.

Im Jahr zuvor war es 2014 zur israe­li­schen Ope­ra­ti­on Pro­tec­ti­ve Edge gekom­men, nach­dem drei israe­li­sche Jugend­li­che im israe­lisch besetz­ten West­jor­dan­land ent­führt und ermor­det wor­den waren. Kurz dar­auf ent­führ­ten und ermor­de­ten israe­li­sche Juden als „Ver­gel­tungs­maß­nah­me“ einen jun­gen Palä­sti­nen­ser. Die dar­auf fol­gen­den schwe­ren Unru­hen und die israe­li­sche Mili­tär­ope­ra­ti­on for­der­ten bis Ende August 2014 laut israe­li­schen Anga­ben 73 Tote auf israe­li­scher Sei­te (davon sie­ben Zivi­li­sten) und mehr als 2.000 Tote auf palä­sti­nen­si­scher Sei­te (davon fast die Hälf­te Zivilisten).

Für die Palä­sti­nen­ser­füh­rung im West­jor­dan­land ist die jüng­ste Gewalt­wel­le Aus­druck einer wach­sen­den Fru­stra­ti­on über die Besat­zungs­po­li­tik der der­zei­ti­gen israe­li­schen Regierung.

Kustos des Heiligen Landes: „Anti-Assad-Milizen vom Pentagon unter Einbindung Israels in Jordanien ausgebildet“

Net­an­y­a­hus Behaup­tung, es gebe beim Atten­tat in Jeru­sa­lem eine „Ver­bin­dung“ zum Isla­mi­schen Staat (IS), deu­tet eine noch nicht ent­zif­fer­ba­re Kurs­än­de­rung an.

Der IS steht spä­te­stens seit dem Som­mer 2014 auf dem Golan und ist damit direk­ter „Nach­bar“ Isra­els. Bei syri­schen Luft­an­grif­fen gegen isla­mi­sti­sche Stel­lun­gen wur­de am 27. August 2014 durch ein ver­irr­tes Geschoß ein israe­li­scher Offi­zier ver­letzt. Kurz zuvor wäre das Anlaß für eine ern­ste diplo­ma­ti­sche Ver­stim­mung, wenn nicht sogar eines mili­tä­ri­schen Gegen­schla­ges durch Isra­el gewe­sen. Isra­el ver­hielt sich gegen­über dem IS jedoch auf­fal­lend ruhig.

Der Kustos der Fran­zis­ka­ner­kus­to­die des Hei­li­gen Lan­des, Pater Piz­za­bal­la, heu­te Weih­bi­schof des Latei­ni­schen Patri­ar­chats von Jeru­sa­lem, sag­te damals in einer Erklä­rung der Kusto­die, daß die­ses Still­hal­ten damit zu tun habe, daß Isra­el nicht unwe­sent­li­che Mit­ver­ant­wor­tung an der Stär­ke der Isla­mi­sten und des Kali­fats tra­ge. Anti-Assad-Kämp­fer sei­en näm­lich „in vie­len Fäl­len durch die ent­schei­den­de Unter­stüt­zung der USA, Jor­da­ni­ens und auch Isra­els aus­ge­bil­det“ wor­den, so die Fran­zis­ka­ner­kus­to­die, die sich dabei unter ande­rem auf israe­li­sche Mili­tär­ana­ly­sten (Debka­files) berief. Die zen­tra­le Ent­schei­dungs­stel­le für „Aus­bil­dung, Bewaff­nung und Finan­zie­rung der Anti-Assad-Mili­zen“ befin­de sich in der jor­da­ni­schen Haupt­stadt Amman. Errich­tet wur­de sie unter Barack Oba­ma vom ame­ri­ka­ni­schen Pen­ta­gon, doch sei­en dort auch israe­li­sche Offi­zie­re maß­geb­lich ein­ge­bun­den, so die Kusto­die. Ähn­lich hat­te sich Kustos Piz­za­bal­la bereits am 24. August 2014 beim CL-Mee­ting in Rimi­ni, also weni­ge Tage vor dem Zwi­schen­fall am Golan, geäußert.

Ändert Israel Kurs gegenüber dem IS?

Obwohl der Isla­mi­sche Staat (IS) Ter­ror­an­schlä­ge auf allen fünf Kon­ti­nen­ten ver­übt, unter­ließ er bis­her peni­bel jede Feind­se­lig­keit gegen Isra­el. Beob­ach­ter schlie­ßen es nicht aus, daß der LKW-Angriff von einem palä­sti­nen­si­schen Tritt­brett­fah­rer der LKW-Atten­ta­te von Niz­za und Ber­lin ver­übt wur­de. Dar­auf deu­te auch hin, daß sich der IS nicht zum Atten­tat bekann­te, das hin­ge­gen von Hamas gefei­ert wur­de. Ein Zusam­men­hang mit dem Isla­mi­schen Staat (IS) müs­se genau unter­sucht wer­den und habe bis zum Beweis des Gegen­teils als unwahr­schein­lich zu gelten.

Die bis­he­ri­ge Hal­tung der israe­li­schen Regie­rung und Sicher­heits­kräf­te gegen­über dem Isla­mi­schen Staat (IS) macht es so erstaun­lich, daß Pre­mier­mi­ni­ster Net­an­y­a­hu uner­war­tet einen nicht direkt erkenn­ba­ren Zusam­men­hang zwi­schen dem Atten­tat in Jeru­sa­lem und der Dschi­had-Miliz her­stellt. Beob­ach­ter schlie­ßen nicht aus, daß es sich um einen Vor­wand han­delt, um här­ter gegen Palä­sti­nen­ser vor­ge­hen zu kön­nen. Auch ein Zusam­men­hang mit neu­en Kor­rup­ti­ons­vor­wür­fen gegen Net­an­y­a­hu wird nicht aus­ge­schlos­sen, der den ange­schla­ge­nen Pre­mier­mi­ni­ster zu einem „sicher­heits­po­li­ti­schen“ Befrei­ungs­schlag dank der Chif­fre IS ver­an­las­sen könnte.

Text: Andre­as Becker
Bild: Asianews

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