De Mattei: Die unverzichtbaren Pflichten der Kardinäle der Heiligen Römischen Kirche


Die Verantwortung der Kardinäle. Im Bild Kardinal Raymond Burke, der als Unterzeichner der Dubia an Papst Franziskus seine Aufgabe ernst nimmt.
Die Verantwortung der Kardinäle. Im Bild Kardinal Raymond Burke, der als Unterzeichner der Dubia an Papst Franziskus seine Aufgabe ernst nimmt.

von Rober­to de Mattei*

Anzei­ge

In sei­ner Rede bei der Fon­da­zio­ne Lepan­to am 5. Dezem­ber 2016, sag­te Kar­di­nal Ray­mond Leo Burke:

„Die Last auf den Schul­tern eines Kar­di­nals ist sehr groß. Wir sind der Senat des Pap­stes und sei­ne ersten Rat­ge­ber und müs­sen dem Papst vor allem die­nen, indem wir ihm die Wahr­heit sagen. Fra­gen zu stel­len, wie wir es gegen­über dem Papst getan haben, gehört zur Tra­di­ti­on der Kir­che, gera­de um Spal­tun­gen und Ver­wir­rung zu ver­mei­den. Wir haben es mit dem größ­ten Respekt vor dem Petrus­amt getan, ohne es an Ehr­erbie­tung für die Per­son des Pap­stes man­geln zu las­sen. Es gibt vie­le Fra­gen, aber die fünf Haupt­fra­gen, die wir gestellt haben, ver­lan­gen drin­gend nach einer Ant­wort, für das Heil der See­len. Beten wir jeden Tag dafür, eine der Tra­di­ti­on treue Ant­wort zu erhal­ten auf der unun­ter­bro­che­nen apo­sto­li­schen Linie, die auf Unse­ren Herrn Jesus Chri­stus zurückgeht.“

Mit die­sen Wor­ten erin­ner­te Kar­di­nal Bur­ke an die Wich­tig­keit der Auf­ga­be der Kar­di­nä­le, der höch­sten in der katho­li­schen Kir­che nach jener des Sum­mus Pon­ti­fex. Sie sind näm­lich die wich­tig­sten Mit­ar­bei­ter und Bera­ter des Pap­stes in der Lei­tung der Welt­kir­che. Ihre Insti­tu­ti­on ist sehr alt. Bereits im Pon­ti­fi­kat von Sil­ve­ster I. (314–335) fin­det sich der Begriff der dia­co­ni car­di­na­les. Wie es scheint, geht auf den hei­li­gen Petrus Damia­ni die Defi­ni­ti­on des Hei­li­gen Kol­le­gi­ums als „Senat der Kir­che“ zurück, wie sie sich im pia­nisch-bene­dik­t­i­ni­schen Kodex von 1917 (Can. 230) fin­det. Das Hei­li­ge Kol­le­gi­um ist eine eige­ne Rechts­per­sön­lich­keit mit einer drei­fa­chen Natur als hel­fen­des, ergän­zen­des und wäh­len­des Organ, das den Papst wählt.

Kardinal Burke bei der Stiftung Lepanto
Kar­di­nal Bur­ke bei der Stif­tung Lepanto

Man soll­te nicht den Feh­ler machen, die Rol­le der Kar­di­nä­le von Bera­tern des Pap­stes zu „Mit­ent­schei­dern“ zu über­hö­hen. Auch wenn er sich auf den Rat und die Hil­fe der Kar­di­nä­le stützt, ver­liert der Papst nie sei­ne ple­ni­tu­do pote­sta­tis. Die Kar­di­nä­le haben an sei­ner Voll­macht nur in dem Rah­men Anteil, den der Papst selbst defi­niert. Wenn der Papst sich der Unter­stüt­zung des Kar­di­nals­kol­le­gi­ums bedie­nen will, obwohl er dazu nicht ver­pflich­tet ist, dann haben die Kar­di­nä­le ihrer­seits die mora­li­sche Pflicht, den Papst zu bera­ten, ihm Fra­gen vor­zu­le­gen und ihn gege­be­nen­falls auch zu ermah­nen, und das ganz unab­hän­gig davon, wel­che Auf­nah­me der Papst ihren Wor­ten vor­be­hält. Dem Papst und Kar­di­nal Ger­hard Mül­ler, Prä­fekt der Kon­gre­ga­ti­on für die Glau­bens­leh­re, eini­ge Dubia vor­zu­le­gen, wie es durch vier Kar­di­nä­le (Brand­mül­ler, Bur­ke, Caf­farra und Meis­ner) gesche­hen ist mit der Bit­te, „eine ern­ste Ver­un­si­che­rung und eine gro­ße Ver­wir­rung“ zu klä­ren, gehört genau zu den Auf­ga­ben der Kar­di­nä­le und kann daher nicht Gegen­stand irgend­ei­ner Zen­sur sein.

Wie der Kir­chen­recht­ler Edward Peters, Refe­ren­dar am Ober­sten Gerichts­hof der Apo­sto­li­schen Signa­tur erklär­te, haben die vier Kar­di­nä­le „lehr­buch­mä­ßi­gen Gebrauch von ihrem Recht (Can 212 § 3) gemacht, dok­tri­nel­le und dizi­pli­na­ri­sche Fra­gen zu stel­len, die gegen­wär­tig behan­delt wer­den müs­sen“. Wenn der Hei­li­ge Vater dies unter­las­sen soll­te, wer­den sich die Kar­di­nä­le kol­lek­tiv in der Form einer brü­der­li­chen Zurecht­wei­sung an ihn wen­den im Geist der Ermah­nung, wie es der hei­li­ge Pau­lus gegen­über dem Apo­stel Petrus in Antio­chi­en (Gal 2,11) getan hat. Der Kir­chen­recht­ler weiter:

„Es ist mir unver­ständ­lich, wie jemand zum Schluß gelan­gen kann, daß die vier Kar­di­nä­le Gefahr lau­fen, daß ihnen ihr Amt aberkannt wer­den könn­te. Nie­mand, als letz­te unter allen die vier genann­ten Kar­di­nä­le, stellt die beson­de­re Auto­ri­tät in Fra­ge, die ein Papst in der Kir­che genießt (Can. 331), und nicht ein­mal sie hegen die Illu­si­on, daß ein Papst gezwun­gen wer­den könn­te, auf die von ihnen vor­ge­brach­ten Fra­gen Ant­wort zu geben. Mein Ein­druck ist es, daß es den vier Kar­di­nä­le, so ger­ne sie eine päpst­li­che Ant­wort erhal­ten wür­den, wahr­schein­lich in jedem Fall wich­tig ist, eini­ge lebens­wich­ti­ge Fra­gen depo­niert zu haben mit Blick auf den Tag, an dem es mög­lich sein wird, daß die­se end­lich eine Ant­wort bekom­men wer­den. Nichts­de­sto­trotz könn­ten sie ohne wei­te­res das ihnen eige­ne Bischofs­amt als Leh­rer des Glau­bens (Can. 375) aus­üben und Ant­wor­ten geben, die auf der ihnen eige­nen Auto­ri­tät grün­den. Sie sind Män­ner, wie ich mei­ne, die bereit sind, auch Hohn und Spott in Kauf zu neh­men, und es zu ertra­gen, unver­stan­den zu sein, und es zu erdul­den, daß ihre Aktio­nen schlecht aus­ge­legt werden.“

Die Kar­di­nals­wür­de ist nur ein Ehren­amt, das aber eine schwe­re Ver­ant­wor­tung mit sich bringt. Die Kar­di­nä­le haben Pri­vi­le­gi­en, weil sie zual­ler­erst Pflich­ten haben. Die Ehren, die ihnen ver­lie­hen wur­den, rüh­ren von der Last der Pflich­ten, die auf ihren Schul­tern lie­gen. Zu die­sen Pflich­ten gehört es, den Papst brü­der­lich zurecht­zu­wei­sen, wenn er in der Lei­tung der Kir­che Feh­ler macht, wie es 1813 gesche­hen ist, als Pius VII. das unglück­se­li­ge Kon­kor­dat von Fon­taine­bleu mit Napo­le­on Bona­par­te unter­zeich­ne­te, oder 1934 als der Kar­di­nal­de­kan Gen­na­ro Gra­ni­to di Bel­mon­te Pius XI. im Namen des Hei­li­gen Kol­le­gi­ums, wegen des unbe­dach­ten Umgangs mit den Finan­zen des Hei­li­gen Stuhls, ermahn­te. Der Papst ist nur unter bestimm­ten Bedin­gun­gen unfehl­bar und sei­ne Regie­rungs­hand­lun­gen oder sein Lehr­amt kön­nen Feh­ler ent­hal­ten, auf die jeder Gläu­bi­ge hin­wei­sen kann, erst recht jene, die das höchst Bera­ter­amt des Pap­stes bekleiden.

Unter den mit­tel­al­ter­li­chen Kano­ni­sten, die sich mit dem Kar­di­nals­kol­le­gi­um befaß­ten, sticht Hein­rich von Susa (Hen­ri­cus de Segu­sio), Hosti­en­sis genannt, weil er Kar­di­nal­bi­schof von Ostia war, her­vor, ein Autor, dem jüngst Jür­gen Jamin [1]Prie­ster des Bis­tums Mün­ster in West­fa­len, dann Dom­pfar­rer in Reykja­vik, seit 2015 Lehr­be­auf­trag­ter an der Fakul­tät für Kir­chen­recht St. Pius X. des Mar­cia­num in Vene­dig eine Stu­die wid­me­te „La coope­ra­zio­ne dei Car­di­na­li alle decis­io­ni pon­ti­fi­cie ‚ratio­ne fidei‘. Il pen­sie­ro di Enri­co da Susa (Osti­en­se)“ (Die Mit­wir­kung der Kar­di­nä­le an den päpst­li­chen Ent­schei­dun­gen „ratio­ne fidei“. Das Den­ken des Hein­rich von Susa, Mar­cia­num Press, Vene­dig 2015). Prof. Jamin erin­nert dar­an, daß Hein­rich von Susa in sei­nen Kom­men­ta­ren zu den päpst­li­chen Dekre­ta­len sich mit der Hypo­the­se eines Pap­stes befaßt, der in Häre­sie fällt. Jamin ver­weist dabei beson­ders auf den Kom­men­tar des Hosti­en­sis zu den auf den Papst bezo­ge­nen Wor­ten: „Nec defi­ci­at fides eius“. Laut dem Kar­di­nal­bi­schof von Ostia

„ist der Glau­be des Petrus nicht sein exklu­si­ver ‚Glau­be‘ im Sin­ne eines per­sön­li­chen Aktes, son­dern der Glau­be der gesam­ten Kir­che, deren Spre­cher der Fürst der Apo­stel ist. Chri­stus bit­tet daher für den Glau­ben der gan­zen Kir­che in per­so­na tan­tum Petri, weil der von Petrus bekann­te Glau­be der Kir­che nie auf­hört et prop­te­rea eccle­sia non pre­su­mit­ur pos­se erra­re (op. cit. S. 223).

Das Den­ken des Hosti­en­sis ent­spricht dem aller gro­ßen mit­tel­al­ter­li­chen Kir­chen­recht­ler. Der größ­te Ken­ner die­ser Autoren, Kar­di­nal Alfons Maria Stick­ler, wies dar­auf hin, daß

„das Vor­recht der mit dem Amt ver­bun­de­nen Unfehl­bar­keit nicht dar­an hin­dert, daß der Papst als Per­son sün­di­gen und daher per­sön­lich zum Häre­ti­ker wer­den könn­te (…). Im Fal­le eines hart­näcki­gen und öffent­li­chen Bekennt­nis­ses einer siche­ren Häre­sie, weil bereits von der Kir­che ver­ur­teilt, wird der Papst minor quod­li­bet catho­li­co (eine unter Kano­ni­sten all­ge­mein gebräuch­li­che For­mu­lie­rung) und hört auf Papst zu sein (…). Die Tat­sa­che eines häre­ti­schen Pap­stes berührt daher nicht die päpst­li­che Unfehl­bar­keit, weil die­se nicht Makel­lo­sig­keit oder Irr­tums­lo­sig­keit der Per­son des Pap­stes bedeu­tet, son­dern Irr­tums­lo­sig­keit, wenn er kraft sei­nes Amtes eine Glau­bens­wahr­heit oder einen unver­än­der­li­chen Grund­satz des christ­li­chen Lebens ver­kün­det (…). Die Kano­ni­sten wuß­ten genau zu unter­schei­den zwi­schen der Per­son des Pap­stes und sei­nem Amt. Wenn sie also sagen, daß der Papst sei­nes Amtes ver­lu­stig geht, sobald er sicher und hart­näckig häre­tisch ist, sagen sie impli­zit, daß durch die­sen per­sön­li­chen Umstand die Unfehl­bar­keit des Amtes nicht kom­pro­mit­tiert, son­dern viel­mehr ver­tei­digt und bestä­tigt wird: Damit ist auto­ma­tisch jeg­li­che ‚päpst­li­che‘ Ent­schei­dung gegen eine bereits fest­ge­leg­te Wahr­heit unmög­lich.“ (A. M. Stick­ler: Sul­le ori­gi­ni del­l’in­fal­libi­li­tà  papa­le, in: Rivi­sta Sto­ri­ca del­la Chie­sa in Ita­lia, 28 (1974), S. 586f).

Die Kar­di­nä­le, die den Papst wäh­len, haben kei­ne Auto­ri­tät, ihn abzu­set­zen, aber sie kön­nen sei­nen Ver­zicht auf das Pon­ti­fi­kat fest­stel­len für den Fall eines frei­wil­li­gen Rück­tritts oder einer hart­näcki­gen und offen­kun­di­gen Häre­sie. In den tra­gi­schen Stun­den der Geschich­te, müs­sen sie der Kir­che die­nen auch mit der Bereit­schaft, ihr Blut zu geben, wie die rote Far­be ihrer Gewän­der und die For­mel bei der Ver­lei­hung des Kar­di­nals­hu­tes unter­streicht: „rot zum Zei­chen der Kar­di­nals­wür­de, was bedeu­tet, daß ihr bereit sein müßt, euch mit Stand­haf­tig­keit zu ver­hal­ten bis zum Ver­gie­ßen des Blu­tes: für die Ver­meh­rung des christ­li­chen Glau­bens, für den Frie­den und die Ruhe des Vol­kes Got­tes und für die Frei­heit und die Aus­brei­tung der Hei­li­gen Römi­schen Kirche“.

Des­halb schlie­ßen wir uns den Gebe­ten von Kar­di­nal Bur­ke an, daß Papst Fran­zis­kus auf die Dubia eine “ eine der Tra­di­ti­on treue Ant­wort auf der unun­ter­bro­che­nen apo­sto­li­schen Linie“ geben möge, „die auf Unse­ren Herrn Jesus Chri­stus verweist“.

*Rober­to de Mat­tei, Histo­ri­ker, Vater von fünf Kin­dern, Pro­fes­sor für Neue­re Geschich­te und Geschich­te des Chri­sten­tums an der Euro­päi­schen Uni­ver­si­tät Rom, Vor­sit­zen­der der Stif­tung Lepan­to, Autor zahl­rei­cher Bücher, zuletzt erschie­nen: Vica­rio di Cri­sto. Il pri­ma­to di Pie­tro tra nor­ma­li­tà  ed ecce­zio­ne (Stell­ver­tre­ter Chri­sti. Der Pri­mat des Petrus zwi­schen Nor­ma­li­tät und Aus­nah­me), Vero­na 2013; in deut­scher Über­set­zung zuletzt: Das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil – eine bis­lang unge­schrie­be­ne Geschich­te, Rup­picht­eroth 2011.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: LifeSiteNews/​Fondazione Lepanto

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1 Prie­ster des Bis­tums Mün­ster in West­fa­len, dann Dom­pfar­rer in Reykja­vik, seit 2015 Lehr­be­auf­trag­ter an der Fakul­tät für Kir­chen­recht St. Pius X. des Mar­cia­num in Venedig
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