(Istanbul) Seit 2003 Recep Tayyip Erdogan die islamische Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) in der Türkei an die Regierung brachte, findet eine Reislamisierung des Landes statt.
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts setzte die Vertreibung und Unterdrückung der Christen ein. Im Jahrzehnt zwischen 1910 und 1920 erfolgte der Gnadenstoß gegen die Christen durch einen grausamen und blutigen Genozid. Armenier, Griechen und Chaldäer wurden getötet, vertrieben oder zum Islam zwangskonvertiert. Vor hundert Jahren lebten in Istanbul, das damals noch Konstantinopel hieß, zur Hälfte Christen und Muslime. Gut 25 Prozent der Bewohner auf dem Gebiet der heutigen Türkei waren damals noch Christen. Heute sind es nur mehr 0,2 Prozent.
Prestigefrage
Zu den „Prestigefragen“ der Resislamisierung gehört die Umwandlung berühmter alter byzantinischer Kirchen. Nach der türkischen Eroberung des Landes wurden sie zu Moscheen gemacht. Mustafa Kemal Atatürk, Vertreter eines nationaltürkischen Laizismus, machte sie zu Museen. Seit Jahren fordern AKP-nahe islamische Kreise daraus wieder Moscheen zu machen.
In einigen Fällen setze Erdogans Regierung die Pläne bereits in die Tat um.
- 2011 wurde die im 6. Jahrhundert unter Kaiser Justinian I. erbaute Hagia Sophia von Nicäa wieder zu einer Moschee. 787 hatte ihn ihr das Zweite Konzil von Nicäa getagt. 1337 wurde Nicäa von den Muslimen erobert und zur Moschee gemacht. Die Türken ließen sie jedoch verfallen und gaben sie spätestens im 19. Jahrhundert auf. Unter Atatürk wurde sie 1935 zum Museum.
- 2012 folgte die Hagia Sophia von Trapezunt. Sie war um 1250 von Kaiser Manuel I. Komnenos an der Stelle einer Vorgängerkirche errichtet worden. 1204 war das Byzantinische Reich beim Vierten Kreuzzug erobert worden. Die Adelsfamilie der Komnenen errichtete darauf das Kaiserreich Trapezunt als Nachfolgestaat. In der neuen Hauptstadt entstand die Hagia Sophia in Anlehnung an das berühmte Vorbild von Konstantinopel. Trapezunt konnte sich sogar einige Jahre länger gegen die Türken behaupten als Konstantinopel. 1461 wurde aber auch das kleine Kaiserreich am Schwarzen Meer von den Muslimen erobert. Da sich die Basilika einige Kilometer außerhalb der Stadtmauern befand, wurde sie erst 1511 von den Türken entweiht und wahrscheinlich erst 1584 in eine Moschee umgewandelt. Das zur Basilika gehörende Kloster wurde bis ins frühe 18. Jahrhundert von griechisch-orthodoxen Mönchen bewohnt. Die Nutzung als Moschee endete in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts. Im atatürkischen Geist wurde ein Museum daraus. Gleichzeitig wurden die in muslimischer Zeit übertünchten Kirchenfresken wieder freigelegt.
Hagia Sophia von Konstantinopel, die prächtigste Basilika des Ostens
Die bedeutendste und prächtigste Basilika des Byzantinischen Reiches, die Hagia Sophia von Konstantinopel ist noch ein Museum. Die Frage lautet: Wie lange noch?
Die Hagia Sophia wurde unter Kaiser Konstantin dem Großen im Jahr 325 begonnen. Unter Kaiser Justinian I. erhielt sie ihr heutiges Aussehen und wurde 537 geweiht. Es handelt sich um eines der herausragenden Bauwerke der Spätantike. Die nur auf vier Pfeilern ruhende, große Kuppel, steht ein architektonisches Meisterwerk dar. Sie war die Kathedrale des Patriarchen von Konstantinopel und die Krönungskirche der byzantinischen Kaiser. 1128 Jahre lang diente sie der Heiligen Liturgie, davon 916 Jahre in ihrer noch heute sichtbaren Form.
Nach der Eroberung Konstantinopels 1453 durch die Türken wurde auch sie entweiht und noch im selben Jahre in eine Moschee umgewandelt.
Die Hagia Sophia, die größte und prächtigste Basilika des Ostens, die Reichskirche Ostroms wurde 1453, nach der Eroberung Konstantinopels, durch die Türken entweiht und in eine Moschee umgewandelt. Die christliche Basilika ist noch heute genau zu erkennen. In muslimischer Zeit wurden vier Minarette errichtet und zum Zeichen der islamischen Eroberung das Kreuz auf der Hauptkuppel durch den Halbmond ersetzt. 1931 wurde sie zu einem Museum gemacht und ist heute die größte Touristenattraktion Istanbuls.
Seit 2010 Forderung nach erneuter Umwandlung in eine Moschee
2010 wurde erstmals auf politischer Ebene die Rückumwandlung in eine Moschee gefordert. 2012 brachte ein unbekannter muslimischer Türke, namens Talip Bozkurt aus Kahramanmaras in Anatolien, beim türkischen Parlament den Vorschlag ein, die Hagia Sophia wieder zur Moschee zu machen. Der Vorschlag wurde aufgegriffen und im Januar 2013 mit der Parlamentsdebatte begonnen.
Die orthodoxen Patriarchen von Moskau und Konstantinopel fordern die Rückgabe an die Christen. Wenn die Hagia Sophia wieder für das Gebet geöffnet werden soll, dann sollte sie wieder zur Kirche werden, so Patriarch Bartholomäus I.
Wegen ihrer das Stadtbild prägenden Bedeutung sind weder Muslime noch türkische Nationalisten bereit, die den Christen zurückzugeben. Für die AKP-Regierung hat die Frage der Reislamisierung des Monuments eine besondere symbolische Bedeutung. Das gilt auch für den seit Mai amtierenden Ministerpräsidenten Binali Yildirim. Um den dahinterstehenden Gedanken zu verstehen, ist an die Worte des damaligen stellvertretenden Ministerpräsidenten der Türkei, Bülent Arinc, 2011 zur Umwandlung der Hagia Sophia von Nicäa (türkisch Iznik) in eine Moschee zu erinnern:
„Mit diesem Akt haben wir uns die Anerkennung unserer Ahnen zurückgewonnen. Die Kirche Hagia Sophia von Iznik ist Beute unserer Eroberung und als solche haben wir ein Recht auf sie. Eine Kirche kann in eine Moschee umgewandelt werden.“
Von der Ramadan-Moschee zum ständigen Imam
Im vergangenen Juni wurde die Hagia Sophia während des Ramadan für einen Monat wieder zur Moschee. Das sei nur ein erster Schritt, so Beobachter. Seither konnten Imame, die die Basilika betraten, dort zwei der fünf islamischen Tagesgebete verrichten. Nun folgte der nächste Schritt. Wie die türkische Presseagentur Anadolu berichtete, wurde vom staatlichen Amt für Religionsangelegenheiten und dem Mufti von Fathi in Konstantinopel gemeinsam entschieden, für die Hagia Sophia einen ständigen Imam zu ernennen, der täglich alle fünf Tagesgebete vorzutragen habe.
Mit der Ernennung des Imams ist die Umwandlung in eine Moschee faktisch vollzogen, unabhängig von einem ausdrücklichen Beschluß.
Vorerst gibt es noch keine Reaktionen von der griechischen Regierung und dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel. Athen kritisierte in der Vergangenheit die Islamisierungsbestrebungen als „Beleidigung der religiösen Sensibilität von Millionen von Christen“, die um so schwerwiegender sei, weil sie „durch ein Land erfolgt, das Mitglied der Europäischen Union werden will“.
In der europäischen und insgesamt in der internationalen Presse ist kaum etwas über die Islamisierungsbestrebungen zu lesen. „Kein gutes Zeichen“, wie Corrispondenza Romana schrieb.
Text: Andreas Becker
Bild: Wikicommons/MiL