Die Rundfunkbeiräte der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten waren eigentlich als Kontrollinstanzen gedacht und eingerichtet. Sie sind aber im Laufe der Jahrzehnte durch die Intendanten für die Ziele der Anstaltsleitung vereinnahmt worden. Teilweise haben sich die Rundfunkräte selbst entmündigt. Das lässt sich aus Wirtswechseln mit den Sendern HR und NDR erschließen.
Ein Gastbeitrag von Hubert Hecker.
Im November 2013 schickte der Frankfurter Katholikenkreis eine Beschwerde an den Hessischen Rundfunk (HR). Dabei ging es um eine ARD-Brennpunktsendung direkt nach der Tagesschau am 10. Oktober 2013 mit dem Thema Die Lügen des Limburger Bischofs – gemeint war Franz-Peter Tebartz-van Elst.
Vorweg stellen wir fest, dass auch nach unserer damaligen Überzeugung der Bischof Fehler gemacht hatte – etwa mit der falschen eidesstattlichen Erklärung oder mit seinen Verstößen gegen praktische Vernunft und kirchenrechtliche Regelungen beim Bau des Bischofshauses.
Kritik an dem medialen Nachtreten gegen einen Bischof
Gleichwohl sahen wir es als unsere Pflicht an, gegen das damals verbreitete Nachtreten der Medien auf den Bischof zu protestieren. In unserer Beschwerde monierten wir daher folgende medienethische Verstöße des HR:
- Angesichts des damals laufenden Ermittlungsverfahrens der Hamburger Staatsanwaltschaft wurde dem Bischof die gebotene Unschuldsvermutung verweigert.
- Bei verschiedenen Aussagen des Bischofs zu seinem Indienflug und der Dombergbebauung hätten es journalistische Sorgfalt und Fairness für einen öffentlich-rechtlichen Sender geboten, falsche und verleumderische Thesen der Medien sowie eines Verwaltungsratsmitglieds zumindest mit Fragezeichen zu versehen – und nicht als Tatsachenbehauptungen zu verfestigen.
Der HR-Intendant geht argumentativ auf die Beschwerde ein…
Zu unserer Überraschung bekamen wir vom damaligen Rundfunkanstalts-Leiter Dr. Helmut Reitze einen zweiseitigen Antwortbrief. Wir wurden nicht mit billigen Wortspenden abgespeist, sondern der HR-Intendant ging auf jede Passage unseres Beschwerdeschreibens ein. Selbst auf unseren Widerspruch antwortete Dr. Reitze noch einmal mit einem dreiseitigen Schreiben. Umso größer war die Enttäuschung, als wir vom Programm-Ausschuss des Rundfunkrates den knappen Bescheid bekamen, dass unsere sechsseitige Beschwerde von dem Gremium einstimmig zurückgewiesen worden sei. Das Schreiben enthielt keinerlei Begründungen oder inhaltliche Belege, sondern nur die floskelhafte Hinweise, dass das Gremium unsere Beschwerdebriefe ausführlich und intensiv diskutiert sowie alle Aspekte bewertet hätte. Mit dieser bürokratischen Standardformel wurden wir später auch vom SWR und NDR abgewimmelt. Sie scheint sich als Sprachregelung bei vielen Rundfunkräten durchgesetzt zu haben.
… der Rundfunkrat versagt in seiner Kontrollfunktion
Der Medienwissenschaftler Hans Matthias Kepplinger hatte bei einer Podiumsdiskussion zum Thema Qualität des öffentlich-rechtlichen Anstalts-Journalismus festgestellt: Die Intendanten hätten die Rundfunkräte, die ursprünglich als kontrollierende Sprecher der Öffentlichkeit gegenüber dem Rundfunk konzipiert gewesen wären, erfolgreich zu Sprechern der Rundfunkanstalten gegenüber der Öffentlichkeit instrumentalisiert. In diesem Fall jedoch sieht man, dass der HR-Rundfunkrat sich anscheinend selbst zu einem Abweisungsbollwerk gegen jegliche Kritik an Sendeveranstaltungen gemacht hat, während der Intendant zu einer argumentativen Auseinandersetzung mit Kritikern einer Sendung bereit war.
Gleichwohl bleibt die Kritik von Professor Kepplinger berechtigt, dass die im Korporationsgeist befangenen Rundfunkräte in ihrer Kontrollfunktion versagen. Für eine Reform dieser Institution stellte er den Deutschen Presserat hin. Diese Beschwerdestelle für die privatwirtschaftlichen Medien sei mit journalistischen Fachleuten ausgestattet und habe den Status von wirklicher Unabhängigkeit.
Die Einschätzung des Medienexperten können wir mit Erfahrungen bestätigen. Gegenüber der Medienhetze gegen den damaligen Limburger Bischof wurde unserer Beschwerde zweimal stattgegeben: Einmal sprach der Presserat gegen den SPIEGEL eine Rüge aus wegen wahrheitswidriger Behauptung und Statistik-Lügen, zum andern missbilligte die Fachstelle eine lügenhafte These zur Dombergbebauung von Seiten der Frankfurter Neuen Presse.
Eine Medienkampagne gegen Kliniken, Kirche und Kardinal
Noch schlechtere Erfahrungen als mit dem Hessischen Rundfunk machten wir mit einer Beschwerde beim Norddeutschen Rundfunk (NDR). Es ging dabei um die Medienkampagne gegen zwei katholische Kliniken in Köln vom Januar/Februar 2013. Der Kölner Stadt-Anzeiger hatte damals mit einem einseitigen und verfälschenden Bericht eine Skandalisierungs-Lawine losgetreten gegen kirchliche Krankenhäuser, katholische Moralprinzipien und den Kölner Kardinal Joachim Meisner. Der NDR beteiligte sich führend daran, die Kirche an den medialen Pranger zu stellen. Das geschah insbesondere in der Sendung Günther Jauch vom 3. 2. 2013 zu dem Thema In Gottes Namen – wie gnadenlos ist der Konzern Kirche?
Die Sendung Günther Jauch als inszeniertes Medien-Tribunal
Das Eingangsthema bei dieser sogenannten talkshow – in Wirklichkeit ein inszeniertes Medientribunal – war die skandalöse Behauptung der Kölner Zeitung, zwei katholische Kliniken hätten ein Vergewaltigungsopfer abgewiesen und somit die gebotene Hilfe verweigert. In Wirklichkeit hatten zwei Klinik-Ärztinnen auf telefonische Anfrage einer Notfallärztin auf die zuständigen Fachabteilungen anderer Kliniken verwiesen – ein alltäglicher Krankenhausvorgang. Diesen Sachverhalt hatte der Klinikdirektor Prof. Dietmar Pennig in der WDR-Lokalzeit-Sendung vom 22. 1. bestätigt. Doch solche Informationen, die nicht in das Skandalisierungsmuster passten, filterten die meisten Medien aus – auch der NDR.
Die Kliniken waren regierungsamtlich vom Vorwurf der Abweisung entlastet …
Die entscheidende Entlastungsinformation für Kliniken und Kirche aber kam von einer neutralen staatlichen Stelle. Das nordrhein-westfälische Gesundheitsministerium stellte in einer Pressemitteilung vom 23. 1. fest:
Die beiden katholischen Kliniken haben sich nicht pflichtwidrig verhalten. Denn durch die Vorlage einer ethischen Richtlinie konnte der Krankenhausträger belegen, dass die Ablehnung der Aufnahme der mutmaßlich Vergewaltigten durch zwei Ärztinnen dem Selbstverständnis der Kliniken-Gesellschaft widerspricht.
Die regierungsamtliche Erklärung war durch die Nachrichtenagenturen wie dpa und kna sowie andere Medien verbreitet und damit der Jauch-Redaktion verfügbar.
… Günther Jauch dagegen wollte mit Vorurteilen Kliniken und Kirche belasten
Auf diesem Hintergrund war die Jauch-Sendung zu bewerten, die zehn Tage später mit ihrer Schlag-Zeile gegen Kliniken und Kirche ausholte: In Gottes Namen – wie gnadenlos ist der Konzern Kirche? In diesem programmatischen Titel sollte nach Aussage der Redaktion auf eine der zentralen Fragestellungen der Sendung hinweisen. Demnach sollte in der Sendung nicht ein Pro und Kontra erörtert werden, ob oder inwieweit die Kirche vereinzelt gnadenlos vorgehen würde. Sondern im Zentrum der Talkshow sollte nur noch um das Wie?, also um den Grad einer implizit behaupteten Gnadenlosigkeit der Kirche gesprochen werden.
Unterschlagen von Tatsachen, die nicht zu der gnadenlosen Anklage passten
Mit diesem Programm der gnadenlosen Vor-Verurteilung von Kliniken und Kirche durch die Jauch-Redaktion wurde die Gesprächsshow zu einem anti-kirchlichen Medienspektakel in Szene gesetzt. Dafür musste die Information der regierungsamtlichen Pressemeldung, nach der die Kliniken entlastet wurden, unterschlagen werden. Die kirchenentlastende Regierungsmeldung stand mit dpa- und kna-Berichten zu dem anstehenden Recherchethema mit Sicherheit auf dem Bildschirm der Jauch-Redaktion. Von daher muss von einer bewussten Ausblendung dieser Tatsache ausgegangen werden. Der Grund dafür mag sein, dass dieses Faktum konträr zu der angepeilten These von der angeblichen Gnadenlosigkeit der Kirche lag. Aber eine seriöse Redaktion hätte nach Kenntnisnahme der neuen Sachlage das angezielte Konzept der Sendung ausgesetzt bzw. überarbeitet. Dazu hatten die Redakteure damals bis zum Ausstrahlungstermin am 3. 2. noch elf Tage Zeit – auch weil das ursprünglich angesetzte Sendedatum um eine Woche nach hinten verschoben wurde. Indem die Jauch-Redaktion auf die neuen Erkenntnisse nicht reagierte und ihren inzwischen fehlerhaften Anklageansatz gegen die Kirche einfach durchzog, wurde die Sendung dann – zumindest in diesem Punkt zu einem
Verleumdungs-Tribunal
Nach den Worten des NDR-Chefredakteurs Fernsehen, Andreas Cichowicz, sollte hinter die Einzelentscheidung von den zwei Klinik-Ärztinnen die organisatorische Handlungsrichtlinie der Kliniken und letztlich des Kölner Kardinals hineingelesen und hineininterpretiert werden. Auch die zweite Behauptung, dass neben den Kliniken der damalige Kölner Kardinal Meisner für den Vorfall durch Anweisungen verantwortlich wäre, war zu dem Zeitpunkt durch mehrere Pressemeldungen schon widerlegt worden. Damit ist die Absicht der NDR-Redakteure dokumentiert, genau das Gegenteil der amtlich und offiziell bekannten Tatsachen herausstellen wollten – nämlich eine Verantwortung von Kliniken, Kardinal und Kirche für die angeprangerten Handlungen von zwei Gynäkologinnen.
Günther Jauch wollte mit Suggestiv-Fragen das Tribunal voranbringen
In der Sendung wurde Jauch dann eine Moderatorenkarte in die Hand gedrückt mit einer Suggestivfrage an die Kölner Notfallärztin. Sie sollte die falsche Redaktionsthese bestätigen, dass hinter der Abweisung der mutmaßlich Vergewaltigten durch die beiden Gynäkologinnen eine klare (!) Weisung von oben, hier generell so zu handeln, stecke. In Wirklichkeit gab es eine klare Weisung durch die Klinikenrichtlinie, generell nicht so zu handeln, wie die beiden kontaktierten Kliniken-Ärztinnen es getan hatten.
Es ist kaum zu glauben, dass der doch als seriös auftretende Moderator Jauch sich zu solchen billigen journalistischen Manipulationsmethoden herabließ. Oder spielte er nur den Kasper an den langen Fäden seiner Redaktion? Dafür spricht, dass in der Vermittlung der unwahren Behauptung zu der Weisung von oben der programmatische Sendungstitel zum Tragen kam, nach dem die vermeintliche Gnadenlosigkeit der Kirche als gegeben angesehen wurde. In dem gesamten Talkshow-Tribunal sollte es dann nur noch um eine Bestätigung dieses Vorurteils gehen. Eine solche Sendung mit verleumderischer Unterstellung und suggestiver Beweisführung ist als ein eklatanter Verstoß gegen journalistische Sorgfalt in Recherche und Darstellung zu werten. Das hatten wir in unserer Programm-Beschwerde ausführlich dargelegt.
Der sogenannte „Klinikenskandal“ entpuppte sich als skandalöse Medienmanipulation
Mit den Manipulationen der Jauch-Sendung war der Charakter der sogenannte Kölner Klinikenaffäre endgültig als Medienskandal offenbar geworden. Deutlicher noch als die privaten Medienkonzerne hatte eine öffentlich-rechtliche Sendeanstalt medien-ethische Grundsätze missachtet. Die Talkshow vom 3. 2. 2013 verstieß gegen die journalistischen Prinzipien bzw. Kriterien der ARD-Richtlinien von Sorgfalt und Professionalität, Fairness und Meinungsvielfalt, Ausgewogenheit und Unparteilichkeit bei Recherche und Darstellung.
Sollte man gespannt sein, wie der NDR-Rundfunkrat auf unser neunseitiges Beschwerdeschreiben reagierte, in dem diese und weitere journalistische Mängel detailliert aufgezeigt wurde? Der NDR-Rundfunkrat behauptete, die Beschwerde in angeblich intensiver, ausführlicher und sorgfältiger Prüf-Beratung behandelt zu haben.
Der Rundfunkrat speist mit Formeln und Sprüchen ab
Das Antwortschreiben des NDR-Kontrollrats vom 30. 9. 2015 entsprach der formelhaften Sprache, die wir schon vom HR-Rundfunkrat kannten:
Das Gremium hat nach ausführlicher Beratung und intensiver Diskussion sowie sorgfältiger Prüfung des Sachverhalts festgestellt, dass in der betreffenden Sendung ein gesellschaftlich relevantes Thema unter Berücksichtigung der verschiedenen Aspekte insgesamt ausgewogen und unparteiisch dargestellt wurde. Auch bezüglich der journalistischen Sorgfalt bei Recherche und Darstellung konnte der Rundfunkrat keinen Verstoß gegen die geltenden Grundsätze der Programmgestaltung gemäß NDR-Staatsvertrag erkennen. Nur hinsichtlich des Titels der Sendung habe das Gremium eingeräumt, dass dieser hätte zutreffender gewählt werden können.
Selbst bei dem völlig verfehlten Sendungstitel konnten sich die Gremiumsmitglieder nicht zu einer echten Kritik durchringen, sondern nur zu einer Verbesserung der vermeintlich zutreffenden Schlagzeile.
Die Selbstentmündigung des NDR-Rundfunkrats
Der Ablehnungsbescheid lässt mehrere Interpretationen zu, die allesamt nicht schmeichelhaft sind für das hochgestellte Gremium:
- Die Behauptung von der ausführlichen, intensiven und sorgfältigen Prüfberatung der vorliegenden Beschwerde ist nicht zutreffend, denn sonst hätte man zumindest ansatzweise zu einem kritischen Ergebnis kommen müssen. Oder:
- Die Rundfunkratsmitglieder haben ihre kritischen Bedenken zur Jauch-Show zurückgestellt, um den Erwartungen der Intendanz nach gutem Ansehen der Sendung und des Senders zu entsprechen. Oder:
- Das Gremium hat sich nach Anhörung der Jauch-Redaktion deren geschönter Selbstrechtfertigung über eine in allen Aspekten ausgewogene und unparteiische Darstellung unkritisch angeschlossen. Oder:
- Der NDR-Rat machte sich das programmatische Vor-Urteil des Sendungstitels zu eigen und sah mit dieser vorgefassten Einstellung die behauptete Gnadenlosigkeit der Kirche in der Sendung bestätigt. Oder:
- Die Ratsbeteiligten fühlten sich in Einbindung an eine corporate identity verpflichtet, das Ansehen des NDR gegen jegliche Kritik abzuschirmen. Oder:
- Da nicht zu unterstellen ist, dass es den Rundfunkratsmitgliedern an kritischer Kompetenz fehlt, dürfte ein Mangel der Entschließung und des Muthes vorliegen, sich seines Verstandes ohne Leitung von anderen zu bedienen – eine Einschätzung von Immanuel Kant.
Die Redaktion recherchiert nicht danach, ob die Fakten stimmen, sondern nur, ob die Geschichte stimmig ist
Beim NDR leitet das Intendanz-Büro eine Programmbeschwerde an die jeweilige Redaktion weiter mit der Anweisung, dazu eine Stellungnahme zu verfertigen. Die NDR-Intendanz ließ uns mit der Abweisung der Sendungskritik die originale Stellungnahme der kritisierten Redaktionen zukommen.
Diese Texte der TV-Journalisten geben Einblick in die Redaktionsarbeit sowie deren Selbstverständnis. Immerhin äußerte sich der NDR-Chefredakteur Fernsehen, Andreas Cichowicz. Er begründete Thema und Tendenz der Talkshow mit anderen Medienberichten. Der erste Teil des Sendungstitels – In Gottes Namen – war von einem SPIEGEL-Artikel abgekupfert worden. Auch die zentrale Fragestellung der Sendung in Jauchs Eingangsmoderation wurde aus Medien-Meinungen eruiert und konstruiert. In diesem Fall stellte man keine Recherche vor Ort an. Aber auch bei der Medien-Recherche hatte die Redaktion ein wesentliches Dokument ausgeblendet – wie oben gezeigt, das das Vorwurfs- und Anklagekonzept der Sendung über den Haufen hätte werfen müssen.
Letztlich aber muss der Namensgeber und Sendungsleiter Günther Jauch für diese selektive Recherche in die Verantwortung genommen werden. Er selbst war knapp 20 Jahre vorher als Chefredakteur von ‚Stern TV’ einem unseriösen Filmemacher auf den Leim gegangen. Zur Selbstrechtfertigung hatte er damals als Grundsatz seines journalistischen Vorgehens die bemerkenswerte Aussage gemacht: Man achtet in erster Linie darauf, ob eine Geschichte stimmig ist. Das heißt im Klartext: Jauch oder man als Journalist sucht nicht nach der Wahrheit und ob (Medien-) Behauptungen mit den Fakten übereinstimmen, sondern richtet sich vorrangig nach der Logik oder Stimmigkeit einer Geschichte. Diese journalistische Einstellung ist natürlich eine Einladung für Geschichtenerzähler, ihre Darlegungen auf Plausibilität zu trimmen. Es gibt einige Indizien dafür, dass die Kölner Ärztin Maiworm ihre ‚Geschichte’ in diese Richtung ausgebaut hatte.
Der Rundfunkrat will der Fachredaktion nicht in den Rücken fallen
Die längeren Redaktionsstellungnahmen gehen gewöhnlich auf verschiedene – nicht alle – Beschwerdepunkte ein, die sie jeweils als unbegründet abweisen. Im Gegensatz dazu kann man in der Antwort des Rundfunkrates von einer differenzierten Behandlung der kritisierten Filmpassagen nichts erkennen. Man attestiert der Sendung jeweils pauschal eine ausgewogene und unparteiische Tendenz. Da stellt sich dann die Frage, was und wie die Gremiumsmitglieder denn ausführlich beraten und intensiv diskutieren. Im Schreiben heißt es verräterisch, man hätte den Sachverhalt sorgfältig geprüft – offenbar nicht die Beschwerdepunkte. Jedenfalls verstärken diese Überlegungen die Vermutung, dass die Rundfunkratsmitglieder eben nicht systematisch, sondern nur pauschal über die Sendung debattieren. Dabei mögen dann die Adverbien ausführlich und intensiv zutreffen.
Außerdem ist bei der Gremiumsdiskussion Folgendes zu berücksichtigen. Dem Rundfunkrat liegen zwei Texte vor: das kritische Beschwerdeschreiben von außen sowie die Stellungnahme der Redaktion aus dem eigenen Haus, die ihren Beitrag in allen Punkten mit Vehemenz verteidigt. Der dreiseitige Redaktionstext vom Chefredakteur Fernsehen endet mit dem Satz:
Zusammenfassend weise ich den Vorwurf einer ‚einseitigen, undifferenzierten und nicht ausreichend recherchierten‘ Berichterstattung, die den Grundsätzen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens nicht genügte, entschieden zurück.
Der laienhafte Beschwerdeausschuss ist den Redaktionsprofis unterlegen
Wer von den Ratsmitgliedern, die ja durchweg journalistische Laien sind, wird bei soviel kategorischer Bestimmtheit noch den Mut aufbringen, dem Redaktions-Profi zu widersprechen? Allenfalls werden sie ein paar vorsichtige Fragen oder Meinungen anbringen. Und selbst wenn Programmausschuss-Teilnehmer sich vom Standpunkt der Beschwerdeführer kritisch zu einzelnen Punkten äußern würden, fehlte ihnen doch die journalistische Fachkompetenz, die Rechtfertigungen der Redaktion zu widerlegen. Darüber hinaus kämen sie in einen Loyalitätskonflikt, wenn sie der Redaktion der eigenen Sendeanstalt mit Kritik ‚in den Rücken’ fielen.
Auf diesem Hintergrund ist die Einschätzung vom Medienwissenschaftler Mathias Kepplinger einleuchtend, dass sich in den Sendeanstalten eine Art Corpsgeist zwischen Intendanz, Rundfunkrat und den Fachredaktionen ausgebildet hat, durch den man sich gegen jede Kritik von außen immunisiert. Daher müsste man über eine Reform des Beschwerdewesens nachdenken, was im nächsten Beitrag dieser Serie geschieht.
Text: Hubert Hecker
Bild: Wikicommones/Video (Screenshot)