(Rom) Am vergangenen Samstag veröffentlichte Papst Franziskus ein Motu proprio, mit dem laut Medienberichten „härter gegen Bischöfe“ vorgegangen werden soll, die im Kampf gegen sexuellen Mißbrauch zu „nachlässig“ waren. Das Motu proprio eröffnet jedoch ganz andere Eingriffsmöglichkeiten und gibt dem Papst ein bisher so nicht gekanntes Durchgriffsrecht in die Hand. Das Motu proprio wird in Rom als weiterer Ausbau der Machtkonzentration in der Hand von Papst Franziskus gesehen. Die neuen Rechtsbestimmungen treten am kommenden 5. September in Kraft.
„Der Vatikan verschärft das Kirchenrecht bei sexueller Gewalt: Katholischen Bischöfen droht künftig die Entlassung aus dem Amt, wenn sie nachlässig mit Mißbrauchsfällen umgehen oder Täter schützen“, schrieb Die Welt. „Kindesmißbrauch in der katholischen Kirche Ignoranten Bischöfen droht die Entlassung“, titelte die Tagesschau der ARD.
Mit dem Motu proprio erließ Papst Franziskus neue Rechtsbestimmungen, die von den Medien in Zusammenhang mit sexuellen Mißbrauchsfällen gebracht und lobend aufgenommen wurden.
Der päpstliche Eingriff bezieht sich allerdings keineswegs nur auf den Schutz von Kindern vor sexuellem Mißbrauch. Er gibt dem Papst bisher ungekannte Vollmachten in die Hand, Bischöfe und Ordensobere absetzen zu können.
Das neue Motu proprio „Wie eine liebevolle Mutter“
Bereits bisher konnte ein Papst einen Bischof seines Amtes entheben, allerdings nur aus einem „schwerwiegenden Grund“. Die Formulierung im Kirchenrecht läßt erkennen, daß ein ernannter Bischof kraft seiner Vollmachten nur in äußersten Ausnahmefällen abberufen werden können soll. Ein „schwerwiegendes“ Fehlverhalten im Zusammenhang mit sexuellem Kindesmißbrauch ist darin mit eingeschlossen.
Kritiker bezweifeln, daß es bei der neuen Machtfülle für den Papst tatsächlich nur um sexuelle Mißbrauchsfälle geht.
Wörtlich heißt es im Motu proprio, das bisher vom Vatikan nur in italienischer Sprache vorgelegt wurde und eine Hauruck-Aktion zu sein scheint, da vor der Veröffentlichung nicht einmal eine lateinische Fassung angefertigt wurde, weshalb das Motu proprio „Come una madre amirevole“ heißt (Wie eine liebevolle Mutter).
Artikel 1, Paragraph 1 des Motu proprio lautet:
„Ein Diözesanbischof oder Eparch, oder jener, der auch mit vorübergehendem Titel die Verantwortung einer Teilkirche, oder einer anderen ihr gleichgestellten Gemeinschaft von Gläubigen im Sinne von Can. 368 CIC und Can. 313 CCEO, kann rechtmäßig von seinem Amt entfernt werden, wenn er aufgrund von Nachlässigkeit, durch gesetzte oder unterlassene Handlungen, die anderen einen schweren Schaden verursacht haben, seien es physische Personen oder eine Gemeinschaft als Ganzem. Der Schaden kann physisch, moralisch, geistlich sein oder das Vermögen betreffen.“
Artikel 1, Paragraph 2 besagt:
“Der Diözesanbischof oder Eparch kann nur abgesetzt werden, wenn er objektiv auf sehr schwere Weise gegen die von seinem Hirtenamt geforderte Sorgfalt gefehlt hat, auch ohne eigene schwere moralische Schuld seinerseits.“
Erst Paragraph 3 bezieht sich in gesonderter Form auf sexuelle Mißbrauchsfälle.
Paragraph 4 betont ausdrücklich, daß die Generaloberen aller katholischen Ordensgemeinschaften den Bischöfen und Eparchen gleichgestellt sind. Die neuen päpstlichen Vollmachten betreffen daher auch sie.
Kirchenpolitik: willkürliche Absetzungen traditionsverbundener Oberhirten
Die lapidare Formulierung „Nachlässigkeit“ im ersten Paragraphen wird in Rom auch als Versuch des Papstes gedeutet, sich ein bisher nicht so deutlich formuliertes Durchgriffsrecht zu verschaffen, gegen mißliebige Bischöfe vorgehen zu können, wie dies bereits gegen zwei traditionsverbundene Bischöfe der Fall war, den Bischof von Ciudad del Este in Paraguay und den Bischof von Albenga-Imperia in Italien.
Beide Diözesanbischöfe zeichneten sich durch Klarheit im Glauben und in der Moral aus, förderten die überlieferte Form des Römischen Ritus und bemühten sich um Priesterberufungen. Beide hoben sich von ihren Nachbardiözesen durch überdurchschnittlich zahlreiche Priesterberufungen ab. Bischof Rogerio Livieres von Ciudad del Este wurde nach Rom gelockt, während seiner Abwesenheit aus seiner Diözese die Absetzung dekretiert und durchgeführt. Papst Franziskus weigerte sich, den Bischof zu empfangen. Bischof Mario Oliveri von Albenga-Imperia wurde ein Koadjutor zur Seite gestellt.
Bei den Ordensoberen sticht der Fall von Pater Stefano Maria Manelli hervor. Der Ordensgründer der Franziskaner der Immakulata wurde im Juli 2013 abgesetzt und unter Hausarrest gestellt. Gegen ihn wurde bis heute weder ein Verfahren eingeleitet noch eine Anklage erhoben. Damit wurde ihm jede Möglichkeit genommen, sich gegen irgendwelche Vorwürfe verteidigen zu können. Der von Papst Benedikt XVI. sehr geschätzte Orden Manellis wurde von Franziskus unter kommissarische Verwaltung gestellt. Der Papst entzog auch dem Orden jede Möglichkeit, gegen das Dekret zur kommissarischen Verwaltung oder Maßnahmen des Kommissars Einspruch erheben zu können.
Der Fall von Bischof Livieres, von Ordensgründer Manelli und der kommissarischen Verwaltung der Franziskaner der Immakulata läßt ein hartes Vorgehen des Papstes gegen traditionsverbundene Persönlichkeiten, Hirten und Gemeinschaften erkennen, während gegen liberale Kreise nichts Vergleichbares bekannt wurde. Es zeigt auch ein absolutistisches Amtsverständnis, das den Betroffenen jede Möglichkeit der Rechtfertigung verweigert.
Die „Nachlässigkeit“ und der Fall Danneels
Unter dem Vorwurf der „Nachlässigkeit“ kann zudem alles mögliche summiert werden. Secretum meum mihi etwa schreibt dazu: „In Rom könnte jemand an einen gewissen philippinischen Bischof denken, der Angehörigen des Ordens der Franziskaner der Immakulata seine Hilfe anbot, um sie aus der Tyrannei der kommissarischen Verwaltung zu befreien, der dieser Orden seit der Amtsübernahme von Papst Franziskus untersteht.“
„Oder an die kleine, sehr kleine Gruppe von deutschen Bischöfen, die aus Gewissensgründen Ehebrecher nicht zur heiligen Kommunion zulassen. Sie könnten im Vergleich zu ihren progressiven und liberalen deutschen Amtsbrüdern, die das bereits seit Jahren praktizieren, der ‚Nachlässigkeit‘ bei der Umsetzung von Amoris laetitia bezichtigt werden. ‚Nachlässigkeit‘ in der Amtsausübung könnte alles mögliche sein.“
Für die These, mit dem Motu proprio von Papst Franziskus werde der Versuch unternommen, sich ein bisher so nicht gekanntes Eingriffsbefugnis zu verschaffen, Bischöfe absetzen zu können, spricht vor allem das Verhältnis zwischen Papst Franziskus und Kardinal Godfried Danneels.
Gegen die von zahlreichen Medien behauptete Verbindung zwischen dem Motu proprio und sexuellen Mißbrauchsfällen und deren Vertuschung spricht der belgische Kardinal. Danneels gehörte mit den Kardinälen Kasper, Lehmann und Murphy‑O’Connor zum Team Bergoglio, dem „Wahlkomitee“ für Kardinal Jorge Mario Bergoglio im Konklave 2013. Danneels gehörte zudem seit den 90er Jahren zu dem von Kardinal Carlo Maria Martini innerhalb der hohen Kirchenhierarchie gebildeten progressiven Geheimzirkel Sankt Gallen, der er selbst lächelnd als „Mafia“ bezeichnete. Seit der Wahl von Papst Franziskus geht Kardinal Danneels im Vatikan ein und aus. Er gilt als Papst-Vertrauter und Freund des Papstes. Dieser ernannte ihn persönlich zum Synodalen beider Bischofssynoden über die Familie, verweigerte dem Danneels-Nachfolger, Msgr. Leonard als Erzbischof von Mecheln-Brüssel die Kardinalswürde und ernannte Danneels Wunschkandidaten zum Nachfolger von Leonard als Primas von Belgien.
Kardinal Danneels ist jedoch „bis über beide Ohren“ (SMM) in den Pädophilen-Sumpf der belgischen Kirche verstrickt. Diese Verstrickung verleiht dem neuen Motu proprio den bitteren Beigeschmack, daß es eben nicht erlassen wurde, um effizient und zeitgerecht gegen Bischöfe und Ordensobere vorgehen zu können, die sich ein schwerwiegendes Fehlverhalten in Sachen sexuellem Kindesmißbrauch zuschulden kommen ließen.
Es weckt zumindest den Verdacht, daß Papst Franziskus, dem bereits bisher nachgesagt wurde, wie ein absolutistischer Monarch zu regieren, einen weiteren Schritt zu einer ungeahnten Machtfülle setzte, die es ihm erlaubt, durch eigenmächtige Absetzungen Kirchenpolitik zu betreiben. Die bereits getätigten Absetzungen könnten in Kombination mit dem neuen Motu proprio eine disziplinierende Wirkung nicht verfehlen, es sich gut zu überlegen, bevor ein Bischof oder Ordensoberer sich der Papst-Linie widersetzt.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: OnePeterFive/MiL/Vatican.va (Screenshot)