„So hat man Kardinal Schönborn noch nie gesehen“ – Besuch im Wiener Sikh-Tempel


(Wien) „So hat man Kar­di­nal Chri­stoph Schön­born noch nie gese­hen: Im Schnei­der­sitz und mit einer oran­ge­far­be­nen Sto­la als Kopf­tuch. Anlass: Schön­born besuch­te am Sonn­tag den Sikh-Tem­pel in Meid­ling (12. Gemein­de­be­zirk), bei dem er die Reli­gi­ons­frei­heit wür­dig­te. Es war der erste offi­zi­el­le Besuch bei die­ser Reli­gi­ons­ge­mein­schaft“ berich­te­te die öster­rei­chi­sche Gra­tis-Zei­tung Heu­te.

Anzei­ge

Die Sikh-Reli­gi­on wur­de vor etwas mehr als 500 Jah­ren von ihrem ersten Guru (Mei­ster) Nanak im Pun­jab gegrün­det. Nanak ent­stamm­te einer Hin­dufa­mi­lie und gehör­te der Kaste der Händ­ler an. Der Pun­jab war im frü­hen 13. Jahr­hun­dert von mus­li­mi­schen Sul­ta­nen unter­wor­fen wor­den. Die­sen Gegen­satz und das hin­du­isti­sche Kasten­we­sen ver­such­te Nanak durch eine Kom­bi­na­ti­on aus Hin­du­is­mus und Islam zu einer neu­en syn­kre­ti­sti­schen Reli­gi­on zu über­win­den. So sam­mel­te er Sikhs um sich, was soviel wie „Schü­ler“ bedeu­tet. Nanaks Geburts­ort liegt heu­te im paki­sta­ni­schen Pun­jab, der Gol­de­ne Tem­pel von Amrit­sar, das Zen­trum des Sik­his­mus, hin­ge­gen im indi­schen Punjab.

Welt­weit wird die Zahl der Sikhs auf rund 25 Mil­lio­nen geschätzt. 80 Pro­zent davon leben in Indi­en, und davon drei Vier­tel im Bun­des­staat Pun­jab. Der Pun­jab ist das histo­ri­sche und aktu­el­le Zen­trum des Sik­his­mus. Nur zwei Pro­zent der Inder sind Sikhs, aber fast 60 Pro­zent der Ein­woh­ner des Pun­jab. Bei der Tei­lung Bri­tisch-Indi­ens, bei der auch der Pun­jab zwi­schen Indi­en und Paki­stan geteilt wur­de, kam es zu einem Bevöl­ke­rungs­aus­tausch durch Ver­trei­bung, Depor­ta­ti­on und Umsied­lung. Seit­her leben kaum mehr Sikhs im paki­sta­ni­schen Punjab.

Rund 10.000 Sikhs in Österreich

Kardinal Schönborn im Wiener Sikh-Tempel
Kar­di­nal Schön­born im Wie­ner Sikh-Tempel

Die Zahl der in Öster­reich  leben­den Sikhs wird auf 10.000 geschätzt. Gut die Hälf­te davon leben in Wien. Die Zahl von fast 3.000 bei der letz­ten staat­li­chen Reli­gi­ons­er­he­bung 2001 ist längst über­holt. In den ver­gan­ge­nen 15 Jah­ren hat sich ihr Anteil mehr als verdreifacht.

Da seit 2001 die Reli­gi­ons­zu­ge­hö­rig­keit nicht mehr erho­ben wird, gibt es kei­ne siche­ren Anga­ben über das schnel­le Wachs­tum die­ser und ande­rer frem­der Reli­gio­nen. Die Nicht-Erhe­bung, die damit begrün­det wur­de, daß Reli­gi­on „Pri­vat­sa­che“ sei, macht die schnel­len Ver­schie­bun­gen unsicht­bar, die durch die Mas­sen­ein­wan­de­rung ver­ur­sacht werden.

Ermordung eines Gurus in Wien

Am 24. Mai 2009 stand die öster­rei­chi­sche Sikh-Gemein­schaft im Ram­pen­licht, als ein Guru der Ravi­das-Sek­te in deren Tem­pel in Rudolfs­heim-Fünf­haus (15. Wie­ner Gemein­de­be­zirk) ermor­det wur­de. Sant Rama Nand wur­de von sei­nen Anhän­ger als „Hei­li­ger“ ver­ehrt. Sechs Sikhs grif­fen im Tem­pel mit Dol­chen und Schuß­waf­fen die anwe­sen­den Gläu­bi­gen an. Der Guru wur­de ermor­det, 15 Gläu­bi­ge und ein Angrei­fer wur­den zum Teil schwer verletzt.

Der Kon­flikt hat­te mit dem Kasten­we­sen zu tun. Die Opfer gehör­ten der unte­ren Kaste der Dalit, der Unbe­rühr­ba­ren an. Die Angrei­fer, eben­falls Sikhs, gehör­ten einer höhe­ren Klas­se an. Für sie sind die Ravi­da­sis eine ver­ab­scheu­ungs­wür­di­ge Sek­te, weil sie leben­de Gurus als „Hei­li­ge“ ver­eh­ren und nicht nur die zehn klas­si­schen Gurus, die zwi­schen 1500 und 1800 leb­ten. Die Ravi­da­sis haben vor allem aus der Kaste der Dalits Zulauf, was die reli­giö­sen Kon­flik­te zum Kasten­kon­flikt macht, obwohl die Sikhs das hin­du­isti­sche Kasten­we­sen offi­zi­ell ableh­nen, das es laut indi­scher Rechts­ord­nung auch gar nicht mehr. Das Leben der indi­schen Gesell­schaft, auch das der Sikhs, wird jedoch wei­ter­hin maß­geb­lich vom Kasten­we­sen bestimmt.

Die Gewalt­tat löste eine Dis­kus­si­on aus, daß durch die Mas­sen­ein­wan­de­rung auch kul­tu­rel­le, histo­ri­sche und poli­ti­sche Kon­flik­te impor­tiert werden.

Keine anerkannte Religionsgemeinschaft

Nach Öster­reich kom­men Sikhs vor allem seit den 80er Jah­ren, als der Zei­tungs­ver­lag Media­print für sei­ne Zei­tungs­kol­por­teu­re Aus­nah­me­re­ge­lun­gen zum Auf­ent­halts­ge­setz erwirk­te, um Bil­lig­ar­beits­kräf­te beschäf­ti­gen zu kön­nen. Die mei­sten blie­ben, hol­ten ihre Fami­li­en nach und beka­men die öster­rei­chi­sche Staats­bür­ger­schaft verliehen.

In Wien gibt es zwei Sikh-Tem­pe, den von Kar­di­nal Schön­born besuch­ten in Meid­ling (12. Gemein­de­be­zirk) und ein wei­te­ren in der Donau­stadt (22. Gemein­de­be­zirk). Dazu gibt es noch den erwähn­ten Ravi­das-Tem­pel im 15. Bezirk. Die Ravi­da­sis spal­te­ten sich nach dem Atten­tat von den Sikhs ab und sehen sich seit­her als eigen­stän­di­ge Religionsgemeinschaft.

Weder die Sikhs noch die Ravi­da­sis genie­ßen in Öster­reich den Sta­tus einer aner­kann­ten der auch nur einer ein­ge­tra­ge­nen Reli­gi­ons­ge­mein­schaft. Bei­de sind als „reli­giö­ser Ver­ein“ organisiert.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Heu­te (Screen­shots)

 

Print Friendly, PDF & Email
Anzei­ge

Hel­fen Sie mit! Sichern Sie die Exi­stenz einer unab­hän­gi­gen, kri­ti­schen katho­li­schen Stim­me, der kei­ne Gel­der aus den Töp­fen der Kir­chen­steu­er-Mil­li­ar­den, irgend­wel­cher Orga­ni­sa­tio­nen, Stif­tun­gen oder von Mil­li­ar­dä­ren zuflie­ßen. Die ein­zi­ge Unter­stüt­zung ist Ihre Spen­de. Des­halb ist die­se Stim­me wirk­lich unabhängig.

Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

Das ist müh­sam, es ver­langt eini­ges ab, aber es ist mit Ihrer Hil­fe möglich.

Unter­stüt­zen Sie uns bit­te. Hel­fen Sie uns bitte.

Vergelt’s Gott!