Papst Franziskus: „ ‚Alles oder nichts‘ ist nicht katholisch, sondern häretisch“


(Rom) Papst Fran­zis­kus zele­briert wäh­rend sei­ner Anwe­sen­heit in Rom am Mor­gen der Werk­ta­ge in San­ta Mar­ta die Hei­li­ge Mes­se. Die Pre­dig­ten wer­den nicht offi­zi­ell ver­öf­fent­licht, son­dern unab­hän­gig von­ein­an­der durch Radio Vati­kan und den Osser­va­to­re Roma­no zwei Zusam­men­fas­sun­gen publi­ziert. Am gest­ri­gen Don­ners­tag sprach der Papst über einen „gesun­den Rea­lis­mus“, den Jesus den Jün­ger gelehrt habe. Ein „Alles oder nichts“ dage­gen sei „nicht katho­lisch, son­dern häre­tisch“. Jesus stel­le ein Ide­al „vor Augen“ und beglei­te zu die­sem Ide­al, er „befreit“ aber aus der „Haft der Geset­zes­stren­ge“ und vom „Idea­lis­mus“, der eben­falls „nicht katho­lisch ist“, so die Wie­der­ga­be von Radio Vati­kan. Folgt man der Zusam­men­fas­sung von Armin Schwi­bach (Kath​.net) wur­den die bedenk­lich­sten Stel­len der päpst­li­chen Aus­füh­run­gen von Radio Vati­kan gar nicht veröffentlicht.

Anzei­ge

„Die­ser gesun­de Rea­lis­mus der katho­li­schen Kir­che – sie sagt nie­mals ‚ent­we­der – oder’. Das ist nicht katho­lisch. Die Kir­che sagt: ‚sowohl als auch’. Ver­söh­ne dich mit dei­nem Bru­der. Belei­di­ge ihn nicht. Lie­be ihn. Aber wenn es doch ein Pro­blem gibt, dann bemüh dich wenig­stens um eine Eini­gung mit ihm, damit nicht Krieg aus­bricht. Die­ser gesun­de Rea­lis­mus des Katho­li­zis­mus. Es ist nicht katho­lisch, zu sagen: ‚Alles oder nichts’ – das ist nicht katho­lisch, das ist häre­tisch. Jesus geht immer mit uns, er stellt uns ein Ide­al vor Augen, beglei­tet uns hin zu die­sem Ide­al, befreit uns aus die­ser Haft der Geset­zes­stren­ge und sagt uns: Aber macht es doch wenig­stens, so gut ihr könnt. Das ist unser Herr, das ist es, was er uns lehrt.

Jesus bit­tet uns, kei­ne Heuch­ler zu sein: Wir soll­ten nicht Gott mit der­sel­ben Zun­ge loben, mit der wir den Bru­der oder die Schwe­ster belei­di­gen. ‚Tut, was ihr könnt‘, wie­der­hol­te der Papst, ‚das ist die Auf­for­de­rung Jesu. Ver­mei­det wenig­stens den Krieg unter euch, indem ihr euch unter­ein­an­der ins Beneh­men setzt.‘

Und ich erlau­be mir, euch die­ses Wort zu sagen, das ein biß­chen selt­sam klingt: das ist die Mini-Hei­lig­keit des Ver­han­delns. ‚Nein, ich kann nicht ganz so weit gehen, aber ich will doch das Mög­li­che ver­su­chen, eini­gen wir uns doch unter­ein­an­der, so daß wir uns wenig­stens nicht gegen­sei­tig belei­di­gen, daß wir kei­nen Krieg gegen­ein­an­der füh­ren und alle in Frie­den leben… Jesus befreit uns aus all unse­rem Elend. Auch von die­sem Idea­lis­mus, der nicht katho­lisch ist. Bit­ten wir den Herrn, daß er uns erstens leh­re, aus jeder Stren­ge her­aus­zu­tre­ten und höher zu zie­len, um Gott anbe­ten und loben zu kön­nen; daß er uns leh­re, uns unter­ein­an­der zu ver­söh­nen; und daß er uns auch leh­re, uns bis zu dem Punkt zu eini­gen, bis zu dem wir gehen können.“

Was von die­ser Mei­nung abweicht, so der Papst, sei „häre­tisch“. Ob der hei­li­ge Pau­lus gleich dach­te? Ob der Kar­di­nal Robert Sarah, der Prä­fekt der römi­schen Kon­gre­ga­ti­on für den Got­tes­dienst und die Sakra­men­ten­ord­nung auch so denkt? Im ver­gan­ge­nen Jahr leg­te er ein Buch mit dem bezeich­nen­den Titel „Gott oder nichts“ vor, das zum Best­sel­ler wurde.

Papst Franziskus und die „Erreichbarkeitsmoral“ – frontaler Widerspruch gegen das Evangelium?

Auf­fal­lend ist der Gebrauch des Wor­tes „häre­tisch“. Der Begriff „Häre­sie“ und sei­ne Ablei­tun­gen gehö­ren nicht zum Voka­bu­lar des Pap­stes. Die weni­gen Male, da er sie gebrauch­te, geschah dies mehr scherz­haft („Ah, Häre­ti­ker“, „gestern Häre­ti­ker, heu­te Seli­ger“) oder in unbe­stimm­ter Form, so in den mor­gend­li­chen Pre­dig­ten in San­ta Mar­ta am 15. Dezem­ber und am 18. Sep­tem­ber 2014 oder in sei­ner Rede in Caser­ta an die ver­sam­mel­ten Pfingst­ler und Evan­ge­li­ka­len am 28. Juli des­sel­ben Jah­res, aber äußerst sel­ten im eigent­li­chen Wort­sinn, wie ihn die katho­li­sche Kir­che ver­steht. Eine Aus­nah­me war das Prie­ster­tref­fen von Caser­ta, am 26. Juli 2014, als Fran­zis­kus auf die Fra­ge eines Prie­sters ant­wor­te­te: „Die Gno­sis war die erste Häre­sie der Kirche“.

Dra­ma­ti­scher ist, daß Papst Fran­zis­kus in sei­ner gest­ri­gen Mor­gen­pre­digt der soge­nann­ten „Erreich­bar­keits­mo­ral“ das Wort rede­te („Tut, was ihr könnt“). Mit sei­ner impli­zi­ten Kri­tik am „Idea­lis­mus“, gemeint ist die Errei­chung des von Chri­stus auf­ge­zeig­ten Ziels, das der Papst als „Ide­al“ bezeich­ne­te, und damit in qua­si uner­reich­ba­re Fer­ne rück­te, scheint sich das Kir­chen­ober­haupt gera­de­zu fron­tal gegen das Evan­ge­li­um zu stel­len. Vor allem wider­sprach er damit wohl den aus­drück­li­chen Wor­ten Jesu Chri­sti (Mt 5,17–20, eben­so bei Lukas):

„Denkt nicht, ich sei gekom­men, um das Gesetz und die Pro­phe­ten auf­zu­he­ben. Ich bin nicht gekom­men, um auf­zu­he­ben, son­dern um zu erfüllen.
Amen, das sage ich euch: Bis Him­mel und Erde ver­ge­hen, wird auch nicht der klein­ste Buch­sta­be des Geset­zes ver­ge­hen, bevor nicht alles gesche­hen ist.
Wer auch nur eines von den klein­sten Gebo­ten auf­hebt und die Men­schen ent­spre­chend lehrt, der wird im Him­mel­reich der Klein­ste sein. Wer sie aber hält und hal­ten lehrt, der wird groß sein im Himmelreich.
Dar­um sage ich euch: Wenn eure Gerech­tig­keit nicht weit grö­ßer ist als die der Schrift­ge­lehr­ten und der Pha­ri­sä­er, wer­det ihr nicht in das Him­mel­reich kommen.“

Die „Erreich­bar­keits­mo­ral“, bei­spiel­wei­se gelehrt vom Moral­phi­lo­so­phen Roger Burg­gae­ve SDB, bil­de­te das pseu­do­mo­ra­li­sche Fun­da­ment, mit dem die katho­li­sche Sexu­al­mo­ral aus­ge­höhlt und sexu­el­les Fehl­ver­hal­ten in der katho­li­schen Kir­che salon­fä­hig gemacht wer­den soll­te und in Tei­len der Kir­che, vor allem der Jugend­ar­beit auch gemacht wurde.

Die „Erreich­bar­keits­mo­ral“, das „Ide­al“, das so fern ist, daß es gar nicht erreicht wer­den muß, erin­nert eben­so an die Gra­dua­li­täts­the­se von Kar­di­nal Chri­stoph Schön­born, die im Zusam­men­hang mit der „Lie­be zwi­schen zwei Per­so­nen“ kein mora­li­sches Fehl­ver­hal­ten mehr erken­nen will, son­dern nur mehr eine gra­du­ell abge­stuf­te Ver­wirk­li­chung des Ide­als sieht, wobei jede Stu­fe, egal wel­che, als posi­tiv anzu­er­ken­nen sei.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Vati​can​.va (Screen­shot)

Print Friendly, PDF & Email
Anzei­ge

Hel­fen Sie mit! Sichern Sie die Exi­stenz einer unab­hän­gi­gen, kri­ti­schen katho­li­schen Stim­me, der kei­ne Gel­der aus den Töp­fen der Kir­chen­steu­er-Mil­li­ar­den, irgend­wel­cher Orga­ni­sa­tio­nen, Stif­tun­gen oder von Mil­li­ar­dä­ren zuflie­ßen. Die ein­zi­ge Unter­stüt­zung ist Ihre Spen­de. Des­halb ist die­se Stim­me wirk­lich unabhängig.

Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

Das ist müh­sam, es ver­langt eini­ges ab, aber es ist mit Ihrer Hil­fe möglich.

Unter­stüt­zen Sie uns bit­te. Hel­fen Sie uns bitte.

Vergelt’s Gott!