Amoris laetitia – Barmherzigkeit ausstreuen wie Helikoptergeld


Sün­den­ver­ge­bung ohne Umkehr? Barm­her­zig­keit ohne Bereit­schaft, nach Got­tes Gebo­ten zu leben? In einem Tages­post-Inter­view bringt der Sale­sia­ner­pa­ter  Mar­kus Grau­lich kri­ti­sche Anmer­kun­gen zum Papst­schrei­ben Amo­ris lae­ti­tia vor. Grau­lich ist ein hoch­ran­gi­ger Kuri­en­mit­ar­bei­ter im Bereich des Kirchenrechts.

Anzei­ge

Ein Gast­bei­trag von Hubert Hecker. 

Der Prä­lat weist dar­auf hin, wel­chen Anspruch Papst Fran­zis­kus selbst an den Text eines nach­syn­oda­len Schrei­bens stellt: Der Papst soll als ober­ster Zeu­ge des Glau­bens der gesam­ten Kir­che spre­chen, als Garant der Über­ein­stim­mung der Kir­che (…) mit dem Evan­ge­li­um Chri­sti und der Über­lie­fe­rung der Kir­che. Grau­lich ergänzt: Im Hin­blick auf Leh­re und Moral bedarf es der Ein­heit­lich­keit. Denn katho­lisch ist nach der Defi­ni­ti­on des Vin­zenz von Lérins, was über­all, immer und von allen geglaubt wur­de.

In der Anla­ge und in eini­gen Tei­len ver­stößt das päpst­li­che Schrei­ben gegen die­se Prin­zi­pi­en der Katholizität.

Keine biblische Warnung vor der Sünde, keine Mahnung Christi zur Umkehr

  • Mar­kus Grau­lich bemän­gelt, in der Kir­che wer­de die Rea­li­tät der Sün­de nicht beach­tet: In der Ver­kün­di­gung kommt der Begriff ‚Sün­de’ kaum noch vor. Alles scheint erlaubt. Die kla­re Bot­schaft Jesu, dass zur Annah­me des Glau­bens die Umkehr und die Bereit­schaft gehö­ren, Got­tes Gebot zu leben, wird zum gro­ßen Teil unter den Tisch fal­len gelas­sen.
Pater Markus Graulich SDB
Pater Mar­kus Grau­lich SDB

Auch in dem nach­syn­oda­len Schrei­ben wer­den Begriff und Rea­li­tät der Sün­de aus­ge­blen­det. Der Papst hat sich der For­de­rung der deut­schen Sprach­grup­pe ange­schlos­sen, nicht mehr in nor­ma­ti­ven und nega­tiv abgren­zen­den Wen­dun­gen zu spre­chen. Unter die­ses Ver­dikt fal­len dann auch die Ver­bo­te des Deka­logs – etwa: Du sollst nicht ehe­bre­chen! Bei den ‚Lie­bes­freu­den’ von Mann und Frau wird eben­falls nicht mehr von Defi­zi­ten oder gar Sün­de gespro­chen. Man fin­det in dem Schrei­ben zahl­rei­che Wor­te von Ermu­ti­gung, Wert­schät­zung und Ver­ständ­nis für die Schwä­chen und Feh­ler der Men­schen – aber die War­nung vor der Sün­de des Ehe­bruchs nicht. Und die Mah­nung Chri­sti zur Umkehr will man den Chri­sten auch nicht mehr zumu­ten. Der Papst öff­net Tür­spal­te und kon­stru­iert Schlupf­lö­cher für Men­schen in ehe­bre­che­ri­schen Bezie­hun­gen. Dage­gen fal­len die kla­ren Wor­te Chri­sti gegen Ehe­bruch und Wie­der­ver­hei­ra­tung unter den Tisch: Wer eine Geschie­de­ne hei­ra­tet, begeht Ehe­bruch (Mt 5,32).  Der Papst schärft den Prie­stern ein, Ehe­bre­cher und Ehe­bre­che­rin­nen nicht zu ver­ur­tei­len. Aber das Fol­ge­wort Jesu unter­schlägt er: Gehe hin und sün­di­ge nicht mehr!  Der Papst zitiert das Evan­ge­li­um selektiv.

Jesus sagt, der Ehe­bruch fängt mit dem begehr­li­chen Blick an (Mt 5,27). Und: Die Sün­den wie Ehe­bruch und Hure­rei kom­men aus dem Her­zen der Men­schen (Mt 5,19).  Des­halb sind sie dafür ver­ant­wort­lich. Fran­zis­kus dage­gen erklärt die Sün­den zu äuße­ren Ver­wun­dun­gen. Für die Ver­let­zun­gen von außen aber hat der Mensch kei­ne Ver­ant­wor­tung. Die Prie­ster wer­den zu Kran­ken­pfle­gern degra­diert. Denn die Auf­ga­be der Kir­che gleicht dem des Feld­la­za­retts (Nr. 291). In sol­chen Wen­dun­gen und wei­ten Tei­len sei­nes Schrei­bens bricht der  Papst mit der bibli­schen und kirch­li­chen Überlieferung.

Nach päpstlichem Neusprech steckt in jeder Unvollkommenheit graduelle Positivität

  • Chri­stus mahnt sei­ne Jün­ger im Evan­ge­li­um, nach der Voll­kom­men­heit des gött­li­chen Vaters zu stre­ben (vgl. Mt 5,48). Ent­spre­chend lehrt die Kir­che seit jeher, dass alle Chri­sten zur Hei­lig­keit beru­fen sind.

Der Papst rela­ti­viert die­sen evan­ge­li­schen Lebens­an­satz von Chri­sten und Kir­che. Die bis­he­ri­ge moral­theo­lo­gi­sche Unter­schei­dung von Sün­de und Gut­sein wird als Schwarz­weiß-Den­ken des­avou­iert. An die Stel­le tritt das neue Kon­zept der posi­ti­ven Gra­dua­li­tät. Das wur­de von Kar­di­nal Schön­born ent­wickelt. Danach ist jede sün­di­ge Situa­ti­on mit posi­ti­ven Ele­men­ten der Wahr­heit und Hei­lig­keit ver­mischt – mal mehr und mal weni­ger, eben gra­du­ell. Das Leben der Chri­sten bewe­ge sich in mora­li­schen Grau­tö­nen. Sün­de (schwarz) und Hei­lig­keit (weiß) wer­den zu Extrem­po­len ohne Rele­vanz für die Chri­sten erklärt. Das nach­syn­oda­le Schrei­ben mar­gi­na­li­siert selbst die sakra­men­ta­le Ehe zum all­zu abstrak­ten theo­lo­gi­schen Ide­al. Damit wird sie als Maß­stab für den Nor­mal­chri­sten irrelevant.

Schön­borns neue Leh­re von der mora­li­schen Grau­heit passt zu Fran­zis­kus’ neu­er Barm­her­zig­keits­mo­ral.  So könn­te die Kir­che in jeder Sün­de die ‚Posi­ti­vi­tät der Unvoll­kom­men­heit’ ent­decken. Dazu dient die dia­lek­ti­sche Begriff­lich­keit, wie sie auch von Erz­bi­schof Bru­no For­te gebraucht wird, als Syn­oden-Son­der­se­kre­tär Ver­trau­ter des Pap­stes.  Der kuria­le Neu­sprech ebnet den Weg für die neue Posi­tiv-Pasto­ral – etwa bei vor­ehe­li­chem Zusam­men­le­ben. Und auch in der Zweit­ehe könn­te man nun die Paa­re ermu­ti­gen, in den posi­ti­ven Dimen­sio­nen ihrer Lie­be, Ver­ant­wor­tung und zeit­wei­li­gen Treue fort­zu­schrei­ten. Es ent­spricht der Logik die­ses Ansat­zes, dass damit auch die posi­ti­ven Ele­men­te von Homo-Paa­ren gewür­digt wer­den könn­ten. Das ist zwar noch nicht im Syn­oden­pa­pier gesche­hen, aber Kar­di­nal Schön­born lässt das in sei­ner Diö­ze­se schon seit 15 Jah­ren prak­ti­zie­ren. Vor der wei­te­ren Argu­men­ta­ti­on, auch im gele­gent­li­chen Fremd­ge­hen eine posi­ti­ve Bestär­kung der ehe­li­chen Lie­be zu sehen, wird man hof­fent­lich zurückschrecken.

Ohne Maßstäbe und Regeln verkommt die kirchliche Pastoral zu Willkür

  • Prä­lat Grau­lich kri­ti­sier­te eini­ge Pas­sa­gen des päpst­li­chen Schrei­bens, da sie zur Auf­wei­chung jeder mora­li­schen Norm genutzt wer­den kön­nen. Ins­be­son­de­re die Aus­sa­gen im Hin­blick auf irre­gu­lä­re Situa­tio­nen kön­nen einer Inter­pre­ta­ti­on Vor­schub lei­sten, die sich von der Leh­re der Kir­che ent­fernt. Außer­dem wür­den bei den Aus­nah­men wei­ter­ge­hen­de Kon­kre­ti­sie­run­gen feh­len. Die Pasto­ral der Prie­ster könn­ten daher in  mit­lei­di­gem Ver­ständ­nis nur von sub­jek­ti­ven Kri­te­ri­en gelei­tet werden.

Die neue Leh­re der grau-ver­misch­ten Gra­dua­li­tät macht die bis­he­ri­ge Unter­schei­dung von regu­lä­ren und irre­gu­lä­ren Situa­tio­nen obso­let. Mit der durch­ge­hen­den Qua­li­fi­zie­rung von ‚soge­nann­ter’ Irre­gu­la­ri­tät will Fran­zis­kus offen­sicht­lich den sün­di­gen Zustand der ehe­bre­che­ri­schen Bezie­hun­gen ver­wi­schen und relativieren.

In die­sem Punkt wird der Kon­ti­nui­täts­bruch beson­ders deut­lich. Fran­zis­kus zitiert zunächst Papst Johan­nes Paul II., dass es bei Geset­zen und Gebo­ten kei­ne Gra­dua­li­tät gebe. Klar, denn bei Abtrei­bung, Ehe­bruch, Dieb­stahl und Lüge gibt es kein ‚mehr Abtrei­bung’ oder ‚weni­ger Ehe­bruch’. Doch Fran­zis­kus macht genau das, was logisch und lehr­mä­ßig nicht geht: Er wen­det bei der Bewer­tung ehe­bre­che­ri­scher Bezie­hun­gen die Regeln der Gra­dua­li­tät an.

Auch in die­sem Fall wird die Ver­än­de­rung der Dok­trin mit einer barm­her­zi­gen Pasto­ral über­tüncht. Das Zau­ber­wort heißt hier: pasto­ra­le Unter­schei­dung der sehr unter­schied­li­chen Situa­tio­nen. Der Ort der Ver­wi­schung ist das Forum inter­num.  Das Gespräch mit dem Prie­ster soll das Mehr oder Weni­ger des Ehe­bruchs abwägen.

Der Papst weiß um die schwer­wie­gen­de Gefahr fal­scher Aus­künf­te und dass die Prie­ster schnell Aus­nah­men gewäh­ren kön­nen (Nr. 300). Aber genau das för­dert er  durch sein Schrei­ben. Sei­ne Wei­sun­gen füh­ren zu unein­heit­li­chen Entscheidungen:

  • Fran­zis­kus erklärt die bibli­schen und kirch­li­chen Nor­men bei irre­gu­lä­ren Bezie­hun­gen wie Zweit­ehen für nicht rele­vant. Aber nach wel­chen Kri­te­ri­en soll die pasto­ra­le Unter­schei­dung getrof­fen wer­den, wenn der Papst aus­drück­lich Regeln, Kon­kre­ti­sie­run­gen und Ori­en­tie­run­gen für die­sen Unter­schei­dungs­pro­zess ablehnt?
  • Im Forum inter­num sowie im Gewis­sen sol­len klä­ren­de Recht­fer­ti­gun­gen und Ent­schei­dun­gen getrof­fen wer­den. Doch ohne Bezug auf bibli­sche und kirch­li­che Nor­men bleibt den Prie­stern nur sub­jek­ti­ves Mei­nen. Auch das Gewis­sen der Betrof­fe­nen ver­kommt ohne Ori­en­tie­rung an all­ge­mei­nen und kirch­li­chen Nor­men zur Belie­big­keit der Situationsethik.
  • In den viel­fach unkla­ren Aus­sa­gen zu ‚Forum inter­num’ und ‚Gewis­sens­ent­schei­dung’ (Nr. 300) kön­nen Prie­ster und Betrof­fe­ne einen Blan­ko­scheck für Selbst­ex­cul­pa­tio­nen herauslesen.

Wenn kei­ne Maß­stä­be der Anwen­dung gel­ten, dann herrscht in der pasto­ra­len Pra­xis Will­kür: der eine Prie­ster so, der ande­re anders; der eine Bischof hü, in der ande­ren Orts­kir­che hott.

Die­ser Sub­jek­ti­vis­mus in der Pasto­ral stellt die Leh­re der Kir­che auf den Kopf:  Die gül­ti­ge Leh­re der Kir­che lau­tet seit jeher, dass ein Christ bei schwe­rer Sün­de ohne Umkehr den Stand der Gna­de ver­liert. Nun ver­brei­tet Fran­zis­kus die Ansicht: Es sei mög­lich, dass man mit­ten in einer objek­ti­ven Situa­ti­on der Sün­de, die sub­jek­tiv nicht oder nicht völ­lig schuld­haft ist, in der Gna­de Got­tes zu leben (Nr. 305). Phi­lo­so­phisch aus­ge­drückt: Es gibt ein gutes Leben im schlechten.

Auch die Logik der ratio­na­len Ethik spricht gegen Fran­zis­kus’ Kehrt­wen­de. Denn die fol­gen­de Ein­sicht ist logisch unab­weis­bar: Inner­halb von irre­gu­lä­ren Orga­ni­sa­tio­nen – etwa bei Räu­ber­ban­den oder der Mafia – erhal­ten Ver­hal­tens­wei­sen wie Treue, Ver­schwie­gen­heit, Zusam­men­halt, Ver­ant­wor­tung, Soli­da­ri­tät etc. ein nega­ti­ves Vor­zei­chen. Die ratio­na­le Regel dazu lau­tet: Umstän­de und Kon­stel­la­tio­nen kön­nen die Natur einer posi­ti­ven Hand­lung ins Gegen­teil verkehren.

Dage­gen soll man nach der neu­en jesui­ti­schen Fran­zis­kus-Regel von der gra­du­el­len Posi­ti­vi­tät aller Hand­lun­gen und Hal­tun­gen von den bösen Rah­men­be­din­gun­gen einer Tat abse­hen kön­nen. Anders gesagt: Auch in der mit einem ethi­schen Minus­zei­chen bewer­te­ten Tat will Fran­zis­kus ein Plus ent­decken kön­nen – wenn auch nur gra­du­ell oder ein klit­ze­klei­nes. Dar­über hin­aus ver­nach­läs­sigt der Papst die Ethik­leh­re der Kir­che seit Augu­sti­nus, dass bestimm­te Hand­lun­gen intrin­sisch (also in sich) schlecht sind – etwa Abtrei­bung oder Ehe­bruch. Sie kön­nen dem­nach weder durch sub­jek­ti­ves Gut­mei­nen noch durch objek­ti­ve Umstän­de in erlaub­te Taten ver­dreht werden.

 Der Papst verwässert die kirchliche Lehre

  • Prä­lat Grau­lich ver­weist auf kirch­li­ches Recht und Tra­di­ti­on zu den Bischofs­syn­oden, die dem Papst bei Bewah­rung von Glau­be und Sit­te sowie der Wah­rung der kirch­li­chen Dis­zi­plin hilf­reich bei­ste­hen.

Die kirch­li­che Leh­re besteht etwa dar­in, dass Gläu­bi­ge, die hart­näckig in einer offen­kun­di­gen schwe­ren Sün­de ver­har­ren, vom Emp­fang der Kom­mu­ni­on aus­ge­schlos­sen sind.   Zu die­ser Grup­pe zäh­len nach Fami­lia­ris con­sor­tio von Johan­nes Paul II. die Chri­sten, die bei Gül­tig­keit einer sakra­men­ta­len Ehe im Ehe­bruch einer Zweit­ehe leben. Grau­lich gibt zu beden­ken, dass die im päpst­li­che Schrei­ben auf­ge­führ­ten mil­dern­de Umstän­de die Bedin­gun­gen für den Kom­mu­nion­emp­fang nicht auf­he­ben könnten.

Doch genau dar­auf läuft das nach­syn­oda­le Schrei­ben hin­aus. Der Papst ver­wäs­sert und durch­lö­chert an meh­re­ren Stel­len die kirch­li­che Lehre:

  • Ehe­bruch wird von Fran­zis­kus nicht mehr wie von Jesus und der Kir­che als ‚Ehe­bruch’ und ‚Sün­de’ benannt, son­dern zur ‚soge­nann­ten irre­gu­lä­ren Situa­ti­on’  banalisiert.
  • Bei den zahl­lo­sen Unter­schie­den der kon­kre­ten Situa­tio­nen (Nr. 300) sol­len zahl­lo­se Türen zu Aus­nah­men und Aus­we­gen geöff­net wer­den für den, der das so haben will.
  • Die Logik der päpst­li­chen Rela­ti­vie­run­gen von Nor­men und Regeln lau­fen auf sub­jek­ti­ve Selbst­recht­fer­ti­gun­gen hin­aus, die dann als Gewis­sens­ent­schei­dun­gen aus­ge­ge­ben werden.
  • Die War­nung des Apo­stels Pau­lus vor dem unwür­di­gen Kom­mu­nion­emp­fang wird bei­sei­te gescho­ben. Fran­zis­kus igno­riert die ernst­haf­te Ver­let­zung der Got­tes­ge­mein­schaft durch die schwe­re Sün­de. Das Altar­sa­kra­ment wird bedin­gungs­los  als Glau­bens­stär­kung für alle hingestellt.

Der Papst benutzt Äuße­run­gen von Syn­oden­bi­schö­fen, um die Bewah­rung von Glau­be und Sit­te zu kon­ter­ka­rie­ren und die Wah­rung der kirch­li­chen Dis­zi­plin zu unter­gra­ben. Er ist kein Zeu­ge für die Ein­heit­lich­keit des katho­li­schen Glau­bens, son­dern ein För­de­rer der Zersplitterung.

Ehebruch und Ehebrecher verstehen, verzeihen, begleiten und eingliedern

  • Der Kuri­en­prä­lat wird gefragt: Lässt sich Amo­ris lae­ti­tia so weit aus­le­gen, dass damit die bis­her in Deutsch­land viel­fäl­tig geüb­te Pra­xis gerecht­fer­tigt wür­de – etwa im gene­rel­len Zutei­len der Kom­mu­ni­on an Gläu­bi­ge in Zweit­ehen oder der Segens­fei­er für Paa­re im Ehebruch?

Pater Grau­lich hält sol­che Segens­fei­ern, wie sie die Frei­bur­ger Hand­rei­chun­gen erlau­ben, für nicht gedeckt durch das päpst­li­che Schrei­ben. In der Tat: Papst Fran­zis­kus hat aus­drück­lich dar­auf hin­ge­wie­sen, dass bei den unend­li­chen Dif­fe­ren­zie­run­gen der ehe­li­chen und außer­ehe­li­chen Situa­tio­nen kei­ne gene­rel­len Rege­lun­gen anzu­wen­den sei­en. Ande­rer­seits ist in die­ser Auf­lö­sung aller Hand­lungs­nor­men eine neue Gene­ral­re­gel ver­steckt: Gegen­über allen geschie­de­nen Zweit­ver­hei­ra­te­ten und Ehe­bre­chern soll die Kir­che ver­ste­hen, ver­zei­hen, beglei­ten und vor allem ein­glie­dern (Nr. 312). Am Ende hin­ter­lässt die Lek­tü­re von Amo­ris lae­ti­tia den Ein­druck, dass die Barm­her­zig­keit eben doch wie Heli­ko­pter­geld über alle aus­ge­streut werde.

Ein wei­te­res pasto­ra­les Zau­ber­wort heißt ‚ Inte­gra­ti­on’ in die kirch­li­che Gemein­schaft: Es geht dar­um, alle ein­zu­glie­dern in das Leben der Gemein­de (Nr. 296). Selbst ein Ehe­bre­cher, der eine objek­ti­ve Sün­de zur Schau stellt, als sei sie Teil des christ­li­chen Ide­als, soll in ein­fa­che Auf­ga­ben der Kir­chen­ge­mein­de ein­ge­bun­den wer­den. Die alte Kir­che hat­te für  öffent­lich bekann­te Sün­der Zei­chen und Zei­ten der Buße auf­er­legt. Fran­zis­kus dage­gen will sol­che pha­ri­säi­sche Sün­der mit Inte­gra­ti­on beloh­nen. Bei irre­gu­lä­ren Situa­tio­nen der Sün­de betont er stets eine dif­fe­ren­zier­te Unter­schei­dung für die Betrof­fe­nen. Zum sech­sten Gebot dage­gen scheint er die zen­tra­le Unter­schei­dung zwi­schen gebo­te­ner ehe­li­chen Treue und Ehe­bruch für weni­ger wich­tig zu halten.

Fran­zis­kus hat Kar­di­nal Schön­born zum offi­zi­el­len Vor­stel­ler sei­nes Schrei­bens gemacht. Der Papst über­nahm vie­le Gedan­ken von ihm. Daher hat er ihn als gro­ßen Theo­lo­gen geadelt. Inso­fern darf Schön­born als authen­ti­scher Inter­pret des Papst-Tex­tes ange­se­hen wer­den. Der Wie­ner Kar­di­nal hat mit einem gewis­sen selbst­ge­fäl­li­gen Stolz her­aus­ge­stellt, der Papst habe in sei­nem Schrei­ben bestä­tigt, was er in sei­ner Diö­ze­se schon seit 15 Jah­ren prak­ti­zie­re: Die offi­zi­el­le Zulas­sung von Zweit­ver­hei­ra­te­ten zum Altar­sa­kra­ment – bis hin zur Seg­nung von Paa­ren in einer Zweit­ehe, wie ein enger Mit­ar­bei­ter Schön­borns nach­schob. Der 15jährige Unge­hor­sam des Kar­di­nals gegen­über der Leh­re der Kir­che sei durch den Papst belohnt wor­den. Die­se Pra­xis des vor­aus­ei­len­den (Un-)Gehorsams wol­le man in Wien fort­schrei­ben für ande­re The­men­fel­der z. B. die Seg­nung von Homo-Paa­ren. Die­se ent­waff­nend offe­nen Vor­stel­lun­gen des Wie­ner Theo­lo­ge Wolf­gang Berg­mann wer­den mit einer ent­lar­ven­den Deu­tung des nach­syn­oda­len Papiers begrün­det: Der Papst habe auf nor­ma­ti­ve Vor­ga­ben ver­zich­tet. Damit habe er sei­nen Abschied vom Lehr­amt genommen.

Die Unklarheiten durch widersprüchliche Passagen scheinen Strategie zu sein

  • Prä­lat Grau­lich, Bischof Atha­na­si­us Schnei­der und ande­re Kir­chen­män­ner bemän­geln die Unklar­hei­ten im päpst­li­che Schrei­ben sowie die dar­aus fol­gen­de Ver­wir­rung in der kirch­li­chen Leh­re und Dis­zi­plin. Auch welt­li­che Kom­men­ta­to­ren bezeich­nen das Doku­ment als chao­tisch oder schwam­mig .

Bei einer genau­en Ana­ly­se des ein­schlä­gi­gen ach­ten Kapi­tels ergibt sich, dass der Ein­druck von Unklar­heit durch wider­sprüch­li­che Aus­sa­gen erzeugt wird. Mög­li­cher­wei­se steckt dar­in zugleich eine Stra­te­gie, wie der Text auf unter­schied­li­che kirch­li­che Grup­pen wir­ken soll:

Zur Beru­hi­gung der kon­ser­va­ti­ven Bischö­fe und glau­bens­treu­en Katho­li­ken sol­len sicher­lich Text­ein­schü­be bei­tra­gen wie:
Die all­ge­mei­nen Nor­men stel­len ein Gut dar, dass man nie ver­nach­läs­si­gen darf. Oder:
Auf die unver­kürz­te Voll­stän­dig­keit der Moral­leh­re der Kir­che ist zu ach­ten. Und: Barm­her­zig­keit darf die Gerech­tig­keit und Wahr­heit nicht aus­schlie­ßen. Außer­dem beteu­ert Fran­zis­kus sei­ne Treue gegen­über dem Evan­ge­li­um und des­sen Wahr­heit. Die­se Wor­te spie­geln Kon­ti­nui­tät in der kirch­li­chen Leh­re vor.

Die Pro­gres­si­ven dür­fen sol­che Sät­ze getrost über­le­sen. Sie schei­nen auch wohl eher  eine Fei­gen­blatt­funk­ti­on zu haben. Denn in den fol­gen­den Text­aus­sa­gen spricht der Papst viel­fach das Gegen­teil aus wie: Barm­her­zig­keit ist die Fül­le der Gerech­tig­keit und Wahr­heit. Oder: Die Ori­en­tie­rung an kla­ren Nor­men und Regeln füh­re zu einer kal­ten Schreib­tisch­mo­ral und uner­bitt­li­chen Pasto­ral. Hin­wei­se auf die kirch­lich-mora­li­schen Geset­ze bei den soge­nann­ten irre­gu­lä­ren Situa­tio­nen sei­en wie Fels­blöcke, die man auf das Leben der Men­schen wer­fe. Beicht­vä­ter, die sich an die kirch­li­che Dis­zi­plin hal­ten, rückt das Schrei­ben in die Nähe von  Fol­ter­knech­ten.  Fran­zis­kus selbst schmä­lert die Anfor­de­run­gen des Evan­ge­li­ums, wenn er bei sei­nen 391 Zita­ten nicht Chri­sti Gebo­te und Ver­bo­te zur Ehe, sei­ne Mah­nun­gen zur Umkehr und sei­ne Wehe-Rufe gegen Sün­de und ver­stock­te Sün­der erwähnt. Der Papst ver­kürzt Chri­sti bibli­sche Leh­re auf  Barm­her­zig­keit. Das dürf­te eine Rück­pro­jek­ti­on sei­ner will­kür­li­chen Pasto­ral auf das Evan­ge­li­um sein.

Die bisherige kirchliche Lehre wird für irrelevant erklärt

Aus dem Text kann sich jeder aus unter­schied­li­chen Pas­sa­gen her­aus­le­sen, was er an Inter­pre­ta­tio­nen hin­ein­le­sen will. Nach einer quan­ti­ta­ti­ven und qua­li­ta­ti­ven Text­ana­ly­se wird aller­dings auch klar, was die authen­ti­sche Inter­pre­ta­ti­ons­ab­sicht des Pap­stes ist: Er hat die bis­he­ri­gen kirch­li­chen Leh­ren und mora­li­sche Nor­men zwar nicht aus­drück­lich auf­ge­ho­ben. Aber für die Lebens­pra­xis der Kir­che wer­den sie als irrele­vant erklärt, ja sogar davor gewarnt. Mit dem Abschied von der Unter­schei­dung zwi­schen regu­lär und irre­gu­lär (Schön­born) hat der Papst die biblisch-kirch­li­chen Regeln als Maß­stab des pasto­ra­len Han­delns abge­schafft. Im Übri­gen trifft das Signal der Irrele­vanz auch die Kuri­en­mit­ar­bei­ter, die sich um die Leh­re der Kir­che und recht­li­chen Regeln küm­mern – wie etwa Kar­di­nal Mül­ler oder Prä­lat Grau­lich. Der Glau­bens­prä­fekt sieht sei­ne Rol­le dar­in, das Pon­ti­fi­kat von Fran­zis­kus theo­lo­gisch zu struk­tu­rie­ren. Bei dem nach­syn­oda­len Schrei­ben zeigt sich, dass sich der Papst auf ande­re gro­ße Theo­lo­gen stützt. Für Kar­di­nal Mül­ler blieb nur die nach­träg­li­che Kom­men­tie­rung übrig. Net­ter Ver­such, spot­te­te Chri­sti­an Gey­er in der FAZ, das Doku­ment nur auf die Les­art der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on festzuklopfen.

Hoffen auf eine Kurskorrektur durch einen späteren Steuermann der Kirche

Amo­ris lae­ti­tia ver­stößt in Tei­len gegen die Auf­ga­be des Pap­stes, Garant der Über­ein­stim­mung der Kir­che mit dem Evan­ge­li­um Chri­sti und der Über­lie­fe­rung der Kir­che zu sein – und damit Ein­heit und Katho­li­zi­tät zu wah­ren. Die­ses Schrei­ben wird die prak­ti­sche Spal­tung der Kir­che vertiefen:
Die Pro­gres­si­ven, Welt­of­fe­nen und Oppor­tu­ni­sten wer­den mit Beru­fung auf den Papst und nach dem Vor­bild von Kar­di­nal Schön­born die biblisch-kirch­li­che Leh­re bis zur Unkennt­lich­keit ver­bie­gen. Im Bis­tum Frei­burg etwa wird man sich bestärkt füh­len, die Zweit­ehe von Geschie­de­nen wei­ter­hin lit­ur­gisch abzu­seg­nen. Das Bis­tum Trier will die­se kir­chen­öf­fent­li­che Aner­ken­nung von ehe­bre­che­ri­schen Zweit­ehen neu­er­dings einführen.

Auf der Gegen­sei­te wer­den sich die glau­bens­treu­en Bischö­fe, Prie­ster und Katho­li­ken welt­weit an die (weni­gen) Stel­len im päpst­li­chen Schrei­ben hal­ten, in denen die über­lie­fer­te kirch­li­che Leh­re zum Aus­druck kommt. Dar­über hin­aus kann man die umstrit­te­nen Stel­len und Fuß­no­ten not­dürf­tig im Sin­ne einer Her­me­neu­tik der Kon­ti­nui­tät inter­pre­tie­ren, wie das Kar­di­nal Mül­ler kürz­lich bei sei­nem Vor­trag in Spa­ni­en getan hat. Jeden­falls wer­den die kon­ser­va­ti­ven Kräf­te in Treue zum Evan­ge­li­um fest­hal­ten an der bis­he­ri­gen kirch­li­chen Leh­re und ins­be­son­de­re auf die Ein­hal­tung der kirch­li­chen Sakra­men­ten­ord­nung ach­ten. Die Bestär­kung die­ser Katho­li­zi­tät soll­ten sich die glau­bens­treu­en Kuri­en­kar­di­nä­le zur Auf­ga­be machen. Für sie hat Chri­stus gebe­tet, dass ihr Glau­be nicht wan­ke. Und sie sol­len ihre Brü­der im Glau­ben stär­ken  (vgl. Lk 22,32).

Wenn Fran­zis­kus selbst sei­ne wider­sprüch­li­chen und umstrit­te­nen Aus­sa­gen nicht zurück­nimmt, bleibt mit Prof. Spae­mann nur zu hof­fen, dass ein spä­te­rer Steu­er­mann der Kir­che die der­zei­ti­ge Kurs­ab­wei­chung korrigiert.

Text: Hubert Hecker
Bild: MiL/​Wikicommons

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Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

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2 Kommentare

  1. „Es sei mög­lich, dass man mit­ten in einer objek­ti­ven Situa­ti­on der Sün­de, die sub­jek­tiv nicht oder nicht völ­lig schuld­haft ist, in der Gna­de Got­tes zu leben (Nr. 305). Phi­lo­so­phisch aus­ge­drückt: Es gibt ein gutes Leben im schlechten.“

    Wor­auf beruht dann die „objek­ti­ve Situa­ti­on der Sün­de“, die sub­jek­tiv nicht schuld­haft ist? Wenn der Mensch als Sub­jekt der Sün­de weg fällt, wer tritt dann an sei­ne Stel­le? Gibt dar­auf Amo­ris lae­ti­tia eine Ant­wort? Mir scheint, nein.

    Hat dann etwa Gott die Sün­de ver­ur­sacht oder setzt Gott den Men­schen einem blin­den Schick­sal aus, dass den Men­schen in objek­ti­ve(!) Situa­tio­nen der Sün­de treibt, die er aber sub­jek­tiv nicht zu ver­ant­wor­ten hat. Wel­che Frei­heit des Han­delns hat dann der Mensch? Meint Gra­dua­li­tät etwa einen radi­ka­len Determinismus?

    Und wie pas­sen objek­ti­ve Situa­tio­nen der Sün­de, die kei­ner ver­ant­wor­tet, zur Schöp­fungs­ord­nung? Ja kann man dann über­haupt noch von Sün­de spre­chen, wenn es kein Sub­jekt gibt, das sie begeht? Was meint dann über­haupt „objek­ti­ve Situa­ti­on der Sün­de“. Ist dann der Zustand sünd­haft aber die in ihm ver­har­ren sind es nicht? Wie kann ein Zustand sünd­haft sein, wenn ihm das han­deln­de Sub­jekt fehlt?

    Also hier tun sich doch erheb­li­che logi­sche Defi­zi­te auf, die einer katho­li­schen Theo­lo­gie nicht wür­dig sind.

  2. Ich kann mir, ehr­lich gesagt, nicht vor­stel­len, dass „ein spä­te­rer Steu­er­mann der Kir­che die der­zei­ti­ge Kurs­ab­wei­chung korrigiert.“
    Die gan­ze Welt, Medi­en, Öffent­lich­keit, gesell­schaft­lich rele­van­te Kräf­te, selbst Kir­chen­obe­re – alle wür­den über ihn her­fal­len. Und ob die bis dahin noch Treu­gläu­bi­gen über­haupt in aus­rei­chen­der Zahl dem Papst den Rücken stär­ken könn­ten, ist auch die Frage.
    Ich glau­be, nur ein all­ge­mei­nes Umden­ken in der Gesell­schaft, eine inne­re Umkehr der Men­schen, der Wunsch und die Sehn­sucht nach einem tie­fen, sinn­erfüll­ten Glau­bens­le­ben Vie­ler könn­te den Boden berei­ten für das kor­ri­gie­ren­de Han­deln eines zukünf­ti­gen Pap­stes. Wenn dies nicht gege­ben ist, wür­de er gegen Mau­ern anrennen.

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