(Rom) Papst Franziskus wurde heute im Vatikan der Karlspreis verliehen. Traditionell erfolgt die feierliche Verleihung im Krönungssaal des Aachener Rathauses. Die Verlegung machte Rom zum Treffpunkt der Elite der Europapolitik, darunter Angela Merkel, Jean-Claude Juncker, Martin Schulz und Matteo Renzi. Im Mittelpunkt stand die Flüchtlings- und Migrationsfrage, was bereits die Preisverleihung an den Papst erklärt.
Erster Nicht-US-Amerikaner unter außereuropäischen Preisträgern
Um die Verleihung machte sich unter anderen Martin Schulz, der sozialdemokratische Präsident des Europäischen Parlaments, stark. Schulz ist Katholik. Er bezeichnete den Lateinamerikaner Papst Franziskus vor wenigen Tagen als „großen Europäer“. Martin Schulz wurde der Preis im Vorjahr verliehen.
Vor dem katholischen Kirchenoberhaupt hatten bereits drei Nicht-Europäer den nach Kaiser Karl dem Großen benannten Preis erhalten, zuletzt 2000 US-Präsident Bill Clinton. 1987 erfolgte die mit Protesten begleitete Verleihung an Henry Kissinger und 1959 an US-General George Marshall, nach dem der Marshallplan benannt ist.
Damit waren Preise außerhalb Europas nur an US-Amerikaner verliehen worden. Der Karlspreis steht für einen europäischen Staat nach der Paneuropa-Idee des Österreichers, Freimaurers und ersten Karlspreisträgers Richard Nikolaus Graf von Coudenhove-Kalergi, das transatlantisch mit den USA verbunden ist. Verliehen wird er entsprechend an Anhänger dieser Idee.
Erster Papst als ordentlicher Preisträger
Die Verleihung an Papst Franziskus, einen Argentinier italienischer Abstammung, stellt eine doppelte Novität dar.
Die europäische Einigungsidee wurde nach dem Zweiten Weltkrieg vorwiegend von der Christdemokratie vertreten. Der Karlspreis entstand 1950 in diesem Kontext, was auch darin zum Ausdruck kommt, daß der Dompropst von Aachen eines der drei Mitglieder des Direktoriums der Karlspreisgesellschaft ist, die von Amts wegen dort sitzen. Der Preis wird zudem jeweils am Fest Christi Himmelfahrt verliehen.
Dennoch ist Papst Franziskus das erste katholische Kirchenoberhaupt, das damit ausgezeichnet wurde. Johannes Paul II. wurde immer wieder vorgeschlagen, doch aufgrund von Vorbehalten gegen seine Stellung und seine Positionen abgelehnt. Erst 2004, wenige Monate vor seinem Tod, wurde ihm ein außerordentlicher Karlspreis verliehen. Der ordentliche Karlspreis jenes Jahres ging an den irischen Liberalen Pat Cox, der damals gerade Präsident des Europäischen Parlaments war.
Bedingungslose Aufnahme von Migranten
Die Preisverleihung an Papst Franziskus scheint in direktem Zusammenhang mit seiner Aufforderung vom 6. September 2015 zu stehen: „Nehmt alle auf, Gute und Schlechte“. Eine Aussage, die mitten in die unkontrollierte Masseneinwanderung platzte, die Europa im Spätsommer des Vorjahres erschütterte. Eine päpstliche Aufforderung, die nicht wenige Katholiken irritierte, der maßgebliche Teile der politischen Elite jedoch applaudierten.
Insgesamt werden Papst Franziskus ganz andere Sympathien entgegengebracht als Johannes Paul II. Erst gar nicht als Preisträger in Betracht gezogen wurde der deutsche Papst Benedikt XVI.
Nach offiziellen Angaben der Europäischen Union handelte es sich beim Massenansturm im Sommer und Herbst 2015 nur zu 40 Prozent um Flüchtlinge. Andere Angaben sprechen von einem noch geringeren Anteil. In den ersten Monaten des Jahres 2016 kam bereits eine halbe Million Menschen in die EU, darunter kaum mehr Flüchtlinge aus dem Nahen Osten. Die modernen Kommunikationsmittel machen die EU zum attraktiven Ziel für Wohlstandmigranten. Von Papst Franziskus war bisher jedoch kein Wort der Differenzierung zu hören. In einer Grußbotschaft an den Jesuit Refugee Service in Rom nannte er so viele Migrationsgründe, daß er jeden Grund zur Migration für berechtigt und jeden Staat zur bedingungslosen Aufnahme von Migranten für verpflichtet hält.
Anfang Januar widmete Franziskus die diesjährige Ansprache an das beim Heiligen Stuhl akkreditierte Diplomatische Corps schwerpunktmäßig, um für die Massenmigration und die bedingungslose Bereitschaft zur Aufnahme aller zu werben, die kommen wollen.
Das katholische Kirchenoberhaupt vertritt eine kategorische und „alternativlose“ (Angela Merkel) Haltung für eine uneingeschränkte Einwanderung. Das brachte der Papst durch drei demonstrative Reisen an symbolträchtige Orte der Massenmigration zum Ausdruck, die ihn auf die Inseln Lampedusa und Lesbos und nach Ciudad Juarez am Sicherheitszaun an der Grenze zwischen den USA und Mexiko führte. Alle drei Orte wurden erst durch Papst Franziskus zu Orten von wirklichem Symbolcharakter.
„Nehmt alle auf, Gute und Schlechte“
Die Aufforderung „Nehmt alle auf, Gute und Schlechte“ wurde zwar als irritierende Auslegung der Heiligen Schrift kritisiert, änderte aber nichts an ihrer Wirkmächtigkeit. Die Aufforderung deckt sich mit der Einwanderungspolitik eines einflußreichen Teils der europäischen Verantwortungsträger und eines Großteils der Massenmedien.
Papst Franziskus bildet das moralische Sprachrohr dieser Migrationspolitik. Die Gefahr, durch seine Person die Kirche zu einem willfähriger Helfer der Regierenden zu degradieren, scheint er nicht zu sehen. Zahlreiche Kirchenvertreter sind dem Beispiel des Papstes inzwischen gefolgt. In Österreichs angeführt von Kardinal Christoph Schönborn von Wien anfangs im Gleichschritt mit der Bundesregierung, inzwischen unter Berufung auf Brüssel zum Teil gegen diese.
Dieselben Eliten haben heute Franziskus als ersten Papst für diese Schützenhilfe mit dem 67. Karlspreis ausgezeichnet.
Martin Schulz: Kritiker der Einwanderungspolitik haben „gute Lektion vom Papst erteilt bekommen“
Parlamentspräsident Martin Schulz „interpretierte“ Papst Franziskus heute bereits kurz vor der Preisverleihung. Dabei kritisierte er Österreich, weil es am Brenner Grenzkontrollen einführen will, da Italien seiner Aufgabe nicht nachkommt, die EU-Außengrenze im Mittelmeer zu sichern.
Martin Schulz erteilte Grenzkontrollen am Brenner eine Absage und berief sich dabei auf Papst Franziskus. Insgesamt kritisierte er EU-Staaten, die sich einer Masseneinwanderung von Moslems verweigern: Ein Land, das sich als christlich behaupte und davon ableite, keine Moslems aufnehmen zu wollen, habe „eine gute Lektion vom Papst erteilt bekommen“, freute sich Schulz in Rom.
Papst Franziskus bedankte sich für die Preisverleihung mit einer Rede für die EU und die Migration, die den Ohren der Regierenden in Brüssel und Berlin geschmeichelt haben. Das Kirchenoberhaupt sprach politisch gewandt und bediente sich in seiner Botschaft Chiffren politischer Korrektheit. Franziskus kritisierte die Staaten, die sich der unkontrollierten Masseneinwanderung widersetzen, mit der das Antlitz und die Identität Europas irreversibel verändert werden sollen. „Jenes Klima des Neuen, jener brennende Wunsch, die Einheit [Europas] aufzubauen, scheinen immer mehr erloschen. Wir Kinder dieses Traumes sind versucht, unseren Egoismen nachzugeben“. Abgesehen davon sei die „Identität“ Europas immer „multikulturell“ gewesen.
Der Papst kam auf seine Rede von 2014 vor dem Europäischen Parlament zurück, in der er Europa als eine „Großmutter“ bezeichnet hatte, ein Europa das „heruntergekommen“ sei, wie er nun sagte. Dem „gealterten“ Europa stellte er eine Auffrischung durch „Inklusions- und Transformationsprozesse“ entgegen. Dazu forderte er zu „neuen Wirtschaftsmodellen“ auf, die es brauche. „Integration und Inklusion“ sind daher auch die Schlüsselworte der Ansprache.
„Ich träume von einem neuen europäische Humanismus“, sagte Franziskus heute in seiner Rede. Weniger deutlich sagte er, worin dieser „neue Humanismus“ bestehen und worauf er gründen soll.
Nur ein Absatz der für Papst Franziskus ungewöhnlich langen Rede war dem Evangelium und dem christlichen Glauben gewidmet, der daher vollinhaltlich wiedergegeben werden soll.
„Am Wiederaufblühen eines zwar müden, aber immer noch an Energien und Kapazitäten reichen Europas kann und soll die Kirche mitwirken. Ihre Aufgabe fällt mit ihrer Mission zusammen, der Verkündigung des Evangeliums. Diese zeigt sich heute mehr denn je vor allem dahin, dass wir dem Menschen mit seinen Verletzungen entgegenkommen, indem wir ihm die starke und zugleich schlichte Gegenwart Christi bringen, seine tröstende und ermutigende Barmherzigkeit. Gott möchte unter den Menschen wohnen, aber das kann er nur mit Männern und Frauen erreichen, die – wie einst die großen Glaubensboten des Kontinents – von ihm angerührt sind und das Evangelium leben, ohne nach etwas anderem zu suchen. Nur eine Kirche, die reich an Zeugen ist, vermag von neuem das reine Wasser des Evangeliums auf die Wurzeln Europas zu geben. Dabei ist der Weg der Christen auf die volle Gemeinschaft hin ein großes Zeichen der Zeit, aber auch ein dringendes Erfordernis, um dem Ruf des Herrn zu entsprechen, dass alle eins sein sollen (vgl. Joh 17,21).“
Text: Andreas Becker
Bild: MiL (Screenshot)