Papst Franziskus und die Marginalisierung der Glaubenskongregation


(Rom) In sei­nem ersten Inter­view mit dem Athe­isten Euge­nio Scal­fa­ri, das am 1. Okto­ber 2013 in der Tages­zei­tung La Repubbli­ca ver­öf­fent­licht wur­de, sag­te Papst Fran­zis­kus mit Blick auf eini­ge Mit­glie­der der Römi­schen Kurie: „Der Hof­staat ist die Lepra des Papst­tums“. Fran­zis­kus scheint aber „die Aus­sät­zi­gen und nicht den Aus­satz zu bekämp­fen“, so Secre­tum meum mihi. Die Tages­zei­tung Il Foglio titel­te in ihrer gest­ri­gen Aus­ga­be auf der ersten Sei­te: „Mül­ler belagert“.

Schönborn statt Müller

Anzei­ge

Die Distanz, die zwi­schen dem Papst und dem Glau­bens­prä­fek­ten Kar­di­nal Ger­hard Mül­ler bestehe, sei „von allen“ zu erken­nen. „Die Käl­te wur­de offen­sicht­lich“ durch den Aus­schluß des deut­schen Pur­pur­trä­gers von der Prä­sen­ta­ti­on des nach­syn­oda­len Schrei­bens Amo­ris Lae­ti­tia, obwohl die gan­ze Dis­kus­si­on seit zwei­ein­halb Jah­ren sei­nen Arbeits­be­reich der Glau­bens­leh­re berührt. Papst Fran­zis­kus blieb zwar im deut­schen Sprach­raum, ließ die Exhorta­tio aber vom Wie­ner Erz­bi­schof, Chri­stoph Kar­di­nal Schön­born, vorstellen.

Das war nicht nur eine Form der Zurück­set­zung, son­dern mehr noch eine Sicher­heits­maß­nah­me. Kar­di­nal Mül­ler hät­te Amo­ris Lae­ti­tia einen Stem­pel auf­ge­drückt, den der Papst nach all der lan­gen Mühe, die Schei­dung irgend­wie zu „katho­li­sie­ren“, nicht haben wollte.

Da die ange­streb­ten „Öff­nun­gen“ ver­klau­su­liert in Fuß­no­ten ver­packt wur­den, war die Prä­sen­ta­ti­on für die Wir­kung ent­schei­dend. Im Vor­feld waren an alle Diö­ze­sen Emp­feh­lun­gen dazu ergan­gen. Damit stand fest, daß die wich­tig­ste, die römi­sche Prä­sen­ta­ti­on mit gro­ßer Sorg­falt vor­be­rei­tet würde.

Der Haupt­part dabei kam Wiens Erz­bi­schof zu, der die inhalt­li­che Bedeu­tung des Schrei­bens erläu­tern soll­te. Von Kar­di­nal Mül­ler war kei­ne Spur zu sehen. So war es bereits wäh­rend der Dop­pel-Syn­ode. Man den­ke an die Per­so­nal­po­li­tik bei den täg­li­chen Pres­se­kon­fe­ren­zen. Die Ein­sei­tig­keit, mit der Kas­pe­ria­ner dazu gela­den wur­den, löste unter den Syn­oda­len nur mehr Kopf­schüt­teln aus.

Diametral entgegengesetzte Positionen

Obwohl die umstrit­te­nen Fra­gen zu Schei­dung, Zweit­ehe und der Kom­mu­ni­on für wie­der­ver­hei­ra­te­te Geschie­de­ne unmit­tel­bar die Glau­bens­leh­re betref­fen, blieb der Prä­fekt der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on bei allen medi­en­wirk­sa­men Momen­ten, jenen wo die Kir­che mit der Welt­öf­fent­lich­keit kom­mu­ni­zier­te, unberücksichtigt.

„Tat­sa­che ist, daß der Kar­di­nal Fran­zis­kus dia­me­tral ent­ge­gen­ge­setz­te Lini­en zum The­ma ver­tre­ten“, so Matteo Mat­zuzzi in Il Foglio. Es genü­ge, „die Schrif­ten Mül­lers mit den Reden Berg­o­gli­os zu ver­glei­chen“. Wäh­rend Mül­ler die Not­wen­dig­keit betont, die „gesun­den“ Eck­punk­te der kirch­li­chen Leh­re zu bekräf­ti­gen, spricht Fran­zis­kus stän­dig von einer Barm­her­zig­keit, die über das Gesetz hinausgehe.

Die kon­trä­ren Posi­tio­nen wer­den im Para­gra­phen 311 von Amo­ris Lae­ti­tia deut­lich, wo Papst Fran­zis­kus schreibt:

„Es ist zum Bei­spiel wahr, dass die Barm­her­zig­keit die Gerech­tig­keit und die Wahr­heit nicht aus­schließt, vor allem aber müs­sen wir erklä­ren, dass die Barm­her­zig­keit die Fül­le der Gerech­tig­keit und die leuch­tend­ste Bekun­dung der Wahr­heit Got­tes ist. Dar­um soll­te man immer beden­ken, ‚dass alle theo­lo­gi­schen Begrif­fe unan­ge­mes­sen sind, die letzt­lich Got­tes All­macht selbst und ins­be­son­de­re sei­ne Barm­her­zig­keit infra­ge stellen‘“.

Glau­bens­prä­fekt Mül­ler hat­te bereits im Herbst 2013 sei­ne Ant­wort in der Tages­post vor­weg­ge­nom­men, die am 23. Okto­ber des­sel­ben Jah­res vom Osser­va­to­re Roma­no über­nom­men wurde:

„Denn die gan­ze sakra­men­ta­le Ord­nung ist ein Werk gött­li­cher Barm­her­zig­keit und kann nicht mit Beru­fung auf die­sel­be auf­ge­ho­ben wer­den. Durch die sach­lich fal­sche Beru­fung auf die Barm­her­zig­keit besteht zudem die Gefahr einer Bana­li­sie­rung des Got­tes­bil­des, wonach Gott nichts ande­res ver­mag, als zu ver­zei­hen. Zum Geheim­nis Got­tes gehö­ren neben der Barm­her­zig­keit auch sei­ne Hei­lig­keit und Gerech­tig­keit. Wenn man die­se Eigen­schaf­ten Got­tes unter­schlägt und die Sün­de nicht ernst nimmt, kann man den Men­schen letzt­lich auch nicht sei­ne Barm­her­zig­keit ver­mit­teln. Jesus begeg­ne­te der Ehe­bre­che­rin mit gro­ßem Erbar­men, sag­te ihr aber auch: ‚Geh und sün­di­ge von jetzt an nicht mehr‘ (Joh 8,11). Die Barm­her­zig­keit Got­tes ist kei­ne Dis­pens von den Gebo­ten Got­tes und den Wei­sun­gen der Kir­che. Sie ver­leiht viel­mehr die Kraft der Gna­de zu ihrer Erfül­lung, zum Wie­der­auf­ste­hen nach dem Fall und zu einem Leben in Voll­kom­men­heit nach dem Bild des himm­li­schen Vaters.“

Nichts davon fin­det sich in Amo­ris lae­ti­tia.

Korrekturen der Glaubenskongregation blieben unberücksichtigt

Papst Fran­zis­kus hat­te den Ent­wurf gemäß vati­ka­ni­scher Gepflo­gen­heit zwar der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on zur Prü­fung zukom­men las­sen. Doch nur ein Teil der zahl­rei­chen unter Mül­lers Lei­tung aus­ge­ar­bei­te­ten Kor­rek­tur­vor­schlä­ge wur­de vom Papst berück­sich­tigt. Papst Fran­zis­kus beläßt die Struk­tu­ren und auch die Per­so­nen an ihrem Platz, läßt sie eif­rig arbei­ten, igno­riert sie dann aber. Eine effi­zi­en­te Form, auf unan­greif­ba­re Wei­se Gegen­spie­ler ein­zu­bin­den und gleich­zei­tig ins Lee­re lau­fen zu lassen.

Die­se Mar­gi­na­li­sie­rung der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on bei der Aus­ar­bei­tung und der Vor­stel­lung eines mit sol­cher Span­nung erwar­te­ten päpst­li­chen Doku­ments betrifft nicht nur das nach­syn­oda­le Schreiben.

„Das führt dazu, daß mehr als einer jen­seits des Tibers soweit geht, von einem mög­li­chen, wenn auch nicht unmit­tel­ba­ren Wech­sel an der Spit­ze der Kon­gre­ga­ti­on zu spre­chen“, so Mat­zuzzi. Gerüch­te­wei­se sei zu hören, Mül­ler könn­te ange­sichts sei­ner Aus­gren­zung selbst das Feld räumen.

Eine sol­che Flucht vor der Ver­ant­wor­tung, kann dem deut­schen Kar­di­nal nur zuschrei­ben, wer ihn nicht kennt. Mül­ler weiß, gera­de wegen sei­ner Aus­brem­sung, wie wich­tig sein Aus­har­ren im Vati­kan ist, um zu ver­hin­dern, daß der von Fran­zis­kus gebil­de­te Hof­staat, sich völ­lig der Kir­che bemächtigt.

Schönborn „ist ein großer Theologe“ – und Kasper „macht Theologie auf den Knien“

Beim Rück­flug von der Insel Les­bos sag­te es Fran­zis­kus in aller Offen­heit: Schön­born „ist ein gro­ßer Theo­lo­ge“. Zur Bestä­ti­gung die­ser Aus­sa­ge füg­te der Papst hin­zu: „Er ist Mit­glied der Glaubenskongregation“.

Kar­di­nal Mül­ler ist nicht nur Mit­glied, son­dern der Lei­ter der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on. Doch für ihn hat­te Fran­zis­kus noch kein ver­gleich­ba­res Lob übrig. Ganz im Gegen­teil: Ein sol­ches Lob gab es bereits, aber für einen ande­ren deut­schen Kar­di­nal, für Ratz­in­gers alten Gegen­spie­ler Wal­ter Kas­per, der nach Mei­nung des Pap­stes eine „Theo­lo­gie auf den Knien“ mache. Kas­per und Schön­born ste­hen bei­de bereit, den wie­der­ver­hei­ra­te­ten Geschie­de­nen die Kom­mu­ni­on zu spen­den. In Wien sei das schon „seit 15 Jah­ren“ Pra­xis, hat­te der öster­rei­chi­sche Erz­bi­schof die Öffent­lich­keit bei der Vor­stel­lung von Amo­ris Lae­ti­tia in Rom wis­sen las­sen. Das erklärt, war­um Schön­born und nicht Mül­ler für die­se Auf­ga­be bestimmt wurde.

Kar­di­nal Schön­born steht der­zeit beson­ders in der Gunst des Pap­stes. Eine Gunst, die je nach Bereich und Augen­blick schnell wech­seln kann. Den­noch darf sich Wiens Erz­bi­schof als Sie­ger der Bischofs­syn­ode sehen. Kar­di­nal Kas­per warf das Netz aus, Kar­di­nal Schön­born hol­te den Fisch an Land. Mit sei­nem diplo­ma­ti­schen Geschick half er Papst Fran­zis­kus in der End­pha­se der Bischofs­syn­ode aus der Klem­me, als er bei der Schluß­ab­stim­mung ris­kier­te, in die Min­der­heit ver­setzt zu wer­den. Eine öffent­li­che Des­avou­ie­rung, wie es sie in der Kir­chen­ge­schich­te, jeden­falls der jüng­sten, noch nicht gab.

Schön­born lie­fer­te den Kom­pro­miß, dem Kar­di­nal Mül­ler am Ende zwar zustimm­te, um eine Spal­tung der Kir­che zu ver­mei­den, aber sei­ne Zwei­fel über die zwei­deu­ti­gen For­mu­lie­run­gen nicht ver­hehl­te. Syn­oda­len regi­strier­ten die sicht­li­che Genug­tu­ung Kas­pers bei jeder Zustim­mung Mül­lers zu umstrit­te­nen Paragraphen.

Worauf läuft das Pontifikat von Franziskus eigentlich hinaus?

In sei­nem jüng­sten Buch leg­te Mül­ler sei­ne Posi­ti­on unmiß­ver­ständ­lich dar und wen­det sich damit direkt an Kle­ri­ker und Lai­en. Eine direk­te­re Form der Amts­aus­übung, da Papst Fran­zis­kus ihn in Rom ins Lee­re lau­fen läßt. Mül­ler nahm in sei­nem Buch mehr als nur eine wich­ti­ge Prä­zi­sie­rung vor. Eine davon lautet:

„Wir Katho­li­ken haben kei­nen Grund den 31. Okto­ber 1517 zu feiern.“

Obwohl Papst Fran­zis­kus nicht erwähnt wird, ist die Miß­bil­li­gung für die Hal­tung des Pap­stes an einer ande­ren Front unüber­hör­bar. Fran­zis­kus wird am kom­men­den 31. Okto­ber nach Stock­holm flie­gen, um an einem öku­me­ni­schen Refor­ma­ti­ons­ge­den­ken teilzunehmen.

Doch so anders ist die Front zwi­schen Refor­ma­ti­on und Schei­dung viel­leicht gar nicht. Das päpst­li­che Refor­ma­ti­ons­ge­den­ken und der erste Schritt zur Aner­ken­nung der Schei­dung sind durch einen gemein­sa­men Faden ver­bun­den: den Pro­te­stan­tis­mus. Als Deut­scher ist Kar­di­nal Mül­ler dies­be­züg­lich beson­ders sen­si­bel und wird sich bereits die Fra­ge gestellt haben, wor­auf das eigent­lich hin­aus­lau­fen soll, was seit drei Jah­ren in Rom im Gan­ge ist.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Vati​can​.va/OR (Screen­shot)

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