Nach 50 Jahren liberaler Kirchenleitung: 36 von 110 Kirchen Brüssels werden geschlossen


St. Nikolauskirche (links), Unsere Liebe Frau vom Zavel
St. Nikolauskirche (links), Unsere Liebe Frau vom Zavel

(Brüs­sel) In Brüs­sel, der Haupt­stadt von Bel­gi­en, sol­len dem­nächst 36 von 110 katho­li­schen Kir­chen geschlos­sen und ver­kauft wer­den. Der Erz­bi­schofs­wech­sel brach­te auch einen Rich­tungs­wech­sel zurück zu „struk­tu­rel­len Refor­men“ statt geist­li­cher Erneue­rung. Die trau­ri­ge Bilanz eines haus­ge­mach­ten, pro­gres­si­ven Niedergangs.

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Brüs­sel ist auch der Haupt­sitz der Euro­päi­schen Uni­on. Die lin­ke Stadt­re­gie­rungs­mehr­heit besteht im Gemein­de­rat zu einem Drit­tel aus Mos­lems. Zwei Aspek­te, die in Ansät­zen auch schon Erklä­run­gen für einen bei­spiel­lo­sen Nie­der­gang lie­fern. Ein ande­rer zen­tra­ler Aspekt ist die jahr­zehn­te­lan­ge Lei­tung des Erz­bis­tums durch libe­ra­le Erzbischöfe.

Kardinal Danneels Umstrukturierungspläne

Erst 2010 kam eine Wen­de: Erz­bi­schof André-Joseph Léo­nard ver­such­te als Erz­bi­schof von Mecheln-Brüs­sel, durch­aus mit erkenn­ba­rem Erfolg, durch die Ansied­lung und För­de­rung klei­ner, aber glau­bens­treu­er Grup­pen, eini­ge Kir­chen wie­der­zu­be­le­ben, die seit Jahr­zehn­ten ver­wü­stet und durch sei­nen Vor­gän­ger, Kar­di­nal God­fried Dan­neels (Erz­bi­schof 1980–2010, Kar­di­nal seit 1983), bereits durch Ver­kauf bedroht waren. Léo­nards Amts­zeit von ledig­lich fünf Jah­ren war jedoch zu kurz. Zudem wur­den dem Kir­chen­mann, der an Euro­pas vor­der­ster Front kämpf­te, weder die nöti­ge Wür­di­gung noch der nöti­ge Rück­halt zuteil.

Obwohl Brüs­sel tra­di­tio­nell mit der Kar­di­nals­wür­de ver­bun­den ist, gewähr­te sie ihm Bene­dikt XVI. nicht aus fal­scher Rück­sicht­nah­me auf den noch nicht 80jährigen Dan­neels. Papst Fran­zis­kus dach­te nicht ein­mal im Traum dar­an, einem „Ratz­in­ge­ria­ner“ wie Léo­nard, dem erklär­ten Haß­ob­jekt des Fran­zis­kus-Freun­des Dan­neels, die Pur­pur­wür­de zu ver­lei­hen. So waren Léo­nards Tage gezählt.

Am 6. Novem­ber 2015 wur­de er von Fran­zis­kus eme­ri­tiert. Mit Jozef De Kesel wur­de ein Mann Dan­neels zum neu­en Erz­bi­schof ernannt, der prompt von Léo­nards Wie­der­be­le­gungs­be­mü­hun­gen abrück­te und zur Schlie­ßungs- und Ver­kaufs­po­li­tik von Dan­neels zurück­kehr­te. Got­tes­häu­ser sol­len um wenig Geld ver­scher­belt wer­den. Nach den Plä­nen des am 12. Dezem­ber 2015 in sein neu­es Amt ein­ge­führ­ten Erz­bi­schofs De Kesel sol­len bald 36 von 110 Kir­chen in der „Haupt­stadt“ Euro­pas geschlos­sen wer­den. In der Kir­chen­ge­schich­te gab es bis­her noch kei­ne ver­gleich­ba­re kirch­li­che Akti­on in einer euro­päi­schen Hauptstadt.

Erzbischof De Kesel gab 2005 Auflösungspläne bekannt

Die Tages­zei­tung La Lib­re ver­öf­fent­lich­te die Plä­ne mit zwei Arti­keln. Die­se schreck­ten nicht nur die Gemü­ter der bel­gi­schen Katho­li­ken auf. Die Fra­ge berührt über Bel­gi­en hin­aus auch ande­re Tei­le der euro­päi­schen Katho­li­zi­tät, die sich im nach­kon­zi­lia­ren Nie­der­gang befinden.

Das drit­te christ­li­che Jahr­tau­send begann Kar­di­nal Dan­neels mit „Umstruk­tu­rie­rungs­plä­nen“. Die Auf­las­sung und Zusam­men­le­gung von Pfar­rei­en waren zen­tra­le Stich­wör­ter, die ab 2005 kon­kre­te Züge beka­men. Jozef De Kesel war damals Bischofs­vi­kar für das Vika­ri­at Brüs­sel, einem der drei Vika­ria­te des Erz­bis­tums. De Kesel war es, der 2005 in einem Hir­ten­brief die Plä­ne für die „Zukunft“ der Pfar­rei­en bekanntgab.

Ihnen lagen zwei Über­le­gun­gen zugrun­de: da die Zahl der Katho­li­ken zurück­ge­he, sei die Zahl der Pfar­rei­en grö­ßer als der Bedarf und vor allem Grö­ßer als die finan­zi­el­len Mit­tel; zudem ent­spre­che die hohe Zahl an Pfar­rei­en nicht mehr der rea­len Stel­lung der Kir­che „in unse­rer moder­nen Gesell­schaft“, die „mul­ti­re­li­gi­ös und mul­ti­kul­tu­rell“ sei. Eine geläu­fi­ge Wort­wahl, um die Isla­mi­sie­rung zu ver­schlei­ern. In Brüs­sel gibt es mehr prak­ti­zie­ren­de Mos­lems als Katho­li­ken. Der Vor­na­me Moham­med führt seit eini­gen Jah­ren die Liste unter den Neu­ge­bo­re­nen Jun­gen an. Das The­ma Isla­mi­sie­rung ist aber unter den domi­nie­ren­den Kräf­ten poli­tisch uner­wünscht und darf daher nicht ange­spro­chen wer­den. Ähn­li­ches gilt für das Zer­fal­len der katho­li­schen Gemein­schaft durch Zuwan­de­rung in vie­le klei­ne, eigen­stän­di­ge,  eth­ni­sche Gemein­schaf­ten. Auch im katho­li­schen Bereich brach­te die Zuwan­de­rung Zer­split­te­rung statt Einheit.

Aktuelle Situation

Das König­reich Bel­gi­en ist ein histo­ri­sches Kunst­pro­dukt in einem sprach­lich-kul­tu­rel­len Über­gangs­raum. Da Deutsch­land, die Nie­der­lan­de und Frank­reich auf das Gebiet Ansprü­che gel­tend mach­ten, schu­fen die gro­ßen Mäch­te 1830 aus den ehe­ma­li­gen Öster­rei­chi­schen-Nie­der­lan­den einen eige­nen Staat, um das euro­päi­sche Gleich­ge­wicht nicht zu stö­ren. Die inne­re Lage ist sprach­lich daher etwas kom­ple­xer als in ande­ren euro­päi­schen Staa­ten, und eben­so die kirch­li­che Organisation.

Auf dem Gebiet der bel­gi­schen Haupt­stadt gibt es 107 Pfar­rei­en, in denen 250 Prie­ster wir­ken. 11 Pasto­ral­ein­hei­ten sind nie­der­län­disch­spra­chig (Fla­men), 25 Pasto­ral­ein­hei­ten sind fran­zö­sisch­spra­chig (Wal­lo­nen). Dazu gibt es noch 42 ver­schie­de­ne fremd­spra­chi­ge Gemein­schaf­ten. Alle die­se Pfar­rei­en, Ein­hei­ten und Gemein­schaf­ten sind in vier Deka­na­te zusam­men­ge­faßt. Laut Infor­ma­tio­nen des Wochen­ma­ga­zins Tem­pi sol­len in jeder der 36 Pasto­ral­ein­hei­ten Pfar­rei­en auf­ge­ho­ben und min­de­stens eine Kir­che geschlos­sen werden.

Das soll nicht hei­ßen, daß alle Kir­chen sofort pro­fa­niert wer­den. Es soll aber hei­ßen, daß alle kirch­li­chen Akti­vi­tä­ten wie Tau­fen, Erst­kom­mu­nio­nen, Fir­mun­gen, Kate­che­sen ein­ge­stellt wer­den. Die Pro­fa­nie­rung und der Ver­kauf sind der näch­ste Schritt. Der erste Arti­kel von Le Lib­re am ver­gan­ge­nen 22. März wirk­te für die Gläu­bi­gen wie ein Schock.

Kirchen als Spekulationsobjekt?

Eini­ge Pfar­rei­en sei­en schwer zu hal­ten. Es feh­le an Gläu­bi­gen und die Geld­mit­tel sei­en knapp, heißt es unter Brüs­se­ler Katho­li­ken. Der radi­ka­le Kahl­schlag läßt die Gläu­bi­gen aber befürch­ten, daß auch leben­di­ge Pfar­rei­en unter die Büro­kra­ten­rä­der kom­men könn­ten, wenn deren Kir­chen in für Immo­bi­li­en­spe­ku­la­tio­nen „inter­es­san­ten“ Stadt­tei­len lie­gen. Unter den sie­ben Kri­te­ri­en für die Auf­las­sung von Pfar­rei­en wer­den näm­lich auch „städ­te­bau­li­che Pro­jek­te“ genannt.

Vor allem ver­ste­hen die Gläu­bi­gen nicht, war­um Pfar­rei­en auf­ge­ho­ben wer­den sol­len, obwohl es aus­rei­chend Prie­ster gibt, sie zu betreuen.

Der Pfar­rer einer klei­nen Pfar­rei, die auf­ge­las­sen wer­den soll, bat dar­um, die Kir­che nicht zu schließen,sondern der pol­ni­schen Gemein­schaft zu über­las­sen, die noch kei­ne eige­ne Kir­che habe. Der Vor­schlag wur­de jedoch abgelehnt.

Laut La Lib­re sei noch nicht defi­ni­tiv ent­schie­den, wel­che Pfar­rei­en geschlos­sen wer­den. Dem­nächst soll ein Tref­fen zwi­schen einer Grup­pe besorg­ter Katho­li­ken und dem amtie­ren­den Bischofs­vi­kar für Brüs­sel, Jean Kock­e­rols, stattfinden.

Neuer Erzbischof De Kesel holte Schließungsplan wieder hervor

Der gro­ße „Umbau“ der katho­li­schen Kir­che in Brüs­sel, den Erz­bi­schof Léo­nard in die Schub­la­de gelegt hat­te, war sofort wie­der auf dem Tisch, sobald De Kesel des­sen Amt als Erz­bi­schof über­nom­men hat­te. De Kesel hat­te den „Umbau“ 2005 im Hir­ten­brief ange­kün­digt. Kar­di­nal Dan­neels woll­te De Kesel 2010 als sei­nen Nach­fol­ger instal­lie­ren. Das lehn­te Papst Bene­dikt XVI. ab, der mit Léo­nard, dem dama­li­gen Bischof von Namur, den Ver­such einer Wie­der­be­le­bung unter­nahm. Mit der Wahl von Papst Fran­zis­kus, die Kar­di­nal Dan­neels als Mit­glied des Team Berg­o­glio und des Geheim­zir­kels Sankt Gal­len, betrieb, ging das Kapi­tel Léo­nard und Bene­dikt XVI. für die bel­gi­sche Kir­che, schnel­ler als gedacht, auch schon wie­der zu Ende.

Dem­nächst wer­den zahl­rei­che Brüs­se­ler Kir­chen auf dem Immo­bi­li­en­markt zum Ver­kauf ange­bo­ten wer­den. Ein trau­ri­ger Höhe­punkt des Nie­der­gangs der sich selbst so ger­ne beweih­räu­chern­den und als „alter­na­tiv­los“ behaup­ten­den nach­kon­zi­lia­ren Kirche.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Wiki­com­mons (Mon­ta­ge)

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