Neue Ostpolitik: Das „Russicum“ in Rom wird aufgelöst


Die Ikonostase in der Kirche des Russicums in Rom.
Die Ikonostase in der Kirche des Russicums in Rom.

(Rom) „Rus­si­cum Addio“, schreibt der Vati­ka­nist San­dro Magi­ster. „Für das glor­rei­che, 1929 von Papst Pius XI. gegrün­de­te Päpst­li­che Kol­leg für die Aus­bil­dung rus­si­scher Semi­na­ri­sten, aber mehr noch um den katho­li­schen Glau­ben in der Sowjet­uni­on wach­zu­hal­ten, ist die Schlie­ßung eine beschlos­se­ne Sache.“

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Das Päpst­li­che Koll­ge Rus­si­cum befin­det sich in unmit­tel­ba­rer Nähe zur Patri­ar­chal­ba­si­li­ka San­ta Maria Mag­gio­re. Die Kir­che ist dem Mönchs­va­ter Anto­ni­us geweiht.

Trä­ger der Ein­rich­tung, die nach der blu­ti­gen Chri­sten­ver­fol­gung durch die Bol­sche­wi­sten errich­tet wur­de, ist von Anfang an der Jesui­ten­or­den, dem Papst Pius XI. die­sen Zufluchts­ort für rus­si­sche Katho­li­ken, aber auch ortho­do­xe Rus­sen anver­trau­te, die unter dem Ein­druck der apo­ka­lyp­ti­schen Ereig­nis­se im ehe­ma­li­gen Zaren­reich nach der Okto­ber­re­vo­lu­ti­on zum katho­li­schen Glau­ben konvertierten.

Zufluchtsort während der Sowjetzeit

Im Rus­si­cum wur­den die Mis­sio­na­re aus­ge­bil­det, die den Mut hat­ten, für ihren Glau­ben in die Sowjet­uni­on zu gehen, um dort zu evan­ge­li­sie­ren. „Es herrsch­te ein gewis­ser Enthu­si­as­mus, nach Ruß­land zu gehen, um das Evan­ge­li­um zu ver­kün­den und not­falls dafür zu ster­ben“, so der 1915 gebo­re­ne öster­rei­chisch-schwei­ze­ri­sche Jesu­it, Pater Lud­wig Pich­ler, über sei­ne Erin­ne­run­gen am Rus­si­cum.

Zu den Stu­den­ten des Rus­si­cums gehör­ten der seli­ge Theo­dor Rom­scha (1911–1947), Eparch der Ruthe­ni­schen grie­chisch-katho­li­schen Kir­che von Mukat­sche­we, der das Mar­ty­ri­um erlitt. Eben­so Pater Pie­tro Leo­ni (1909–1995), Pater Paul Cha­leil (1913–1983), Pater Wal­ter Cis­zek (1904–1984), Pater Vik­tor Nowi­kow (1905–1979), die alle dem Jesui­ten­or­den ange­hör­ten, alle in der Sowjet­uni­on mis­sio­nier­ten und alle im Gulag inter­niert wurden.

Ikonostase in der Kirche des Russicums in Rom
Iko­no­sta­se in der Kir­che des Rus­si­cums in Rom

Zu den ver­ges­se­nen Gestal­ten die­ses Päpst­li­chen Kol­legs gehört Julia Niko­la­jew­na Dan­sas, die von 1939 bis zu ihrem Tod 1942 am Rus­si­cum lehr­te. Die Nach­fah­rin eines alten byzan­ti­ni­schen Adels­ge­schlech­tes, zu des­sen Vor­fah­ren Kai­ser Roma­nos III. Agy­ros (968‑1034) gehör­te, hat­te sich in ihrer Jugend mit okkul­ten Prak­ti­ken befaßt, Geschich­te und Phi­lo­so­phie in Paris stu­diert, wur­de Hof­da­me der rus­si­schen Zarin und kämpf­te nach der Okto­ber­re­vo­lu­ti­on in einem Kosa­ken­re­gi­ment gegen die Bol­sche­wi­sten. 1920 lern­te sie den spä­ter von der katho­li­schen Kir­che selig­ge­spro­che­nen Leo­nid Fjo­do­row ken­nen und kon­ver­tier­te zum katho­li­schen Glau­ben. Sie trat in St. Peters­burg in einen neu­ge­grün­de­ten katho­li­schen Schwe­stern­or­den ein. 1923 wur­de sie im Zuge der kom­mu­ni­sti­schen Katho­li­ken­ver­fol­gung ver­haf­tet und wur­de auf den Solo­wez­ki-Inseln inter­niert. 1932 kam sie frei und durf­te 1934 unter der Bedin­gung nach Ber­lin aus­rei­sen, über die sowje­ti­schen Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger eine Schwei­ge­er­klä­rung zu unter­schrei­ben. In Frank­reich trat sie in ein Klo­ster des Domi­ni­ka­ne­rin­nen­or­dens ein und ver­faß­te in ihren letz­ten Lebens­jah­ren meh­re­re Schrif­ten, in denen sie das Chri­sten­tum dem Mar­xis­mus gegen­über­stell­te, und die­sen einer Kri­tik unter­zog. Schrif­ten, dar­un­ter ihr Buch Katho­li­sche Got­tes­er­kennt­nis und mar­xi­sti­sche Gott­lo­sig­keit, die unter den ver­än­der­ten Bedin­gun­gen der Nach­kriegs­zeit nicht nur im Bereich der Phi­lo­so­phie, son­dern auch inner­kirch­lich kaum mehr Beach­tung fanden.

Gebäude übernimmt das Päpstliche Orientalische Institut

Das Gebäu­de, in dem das Rus­si­cum unter­ge­bracht ist, soll an das angren­zen­de, eben­falls vom Jesui­ten­or­den geführ­te Päpst­li­che Ori­en­ta­li­sche Insti­tut abge­tre­ten wer­den. Das Ori­en­ta­li­sche Insti­tut, das im kom­men­den Jahr das 100. Jahr sei­nes Bestehens begeht, soll erwei­tert wer­den. Die Zahl der Fakul­tät wird erhöht und gleich­zei­tig auch der Rang von einem Insti­tut zu einer Universität.

Dabei erfreu­te sich das Ori­en­t­in­sti­tut des Pap­stes zuletzt kei­ner all­zu guten Gesund­heit. Vor einem Jahr war es zu Tur­bu­len­zen an der Insti­tuts­spit­ze gekommen.

Im Mai 2014 besuchten Seminaristen des Russicums Benedikt XVI. im Vatikan
Im Mai 2014 besuch­ten Semi­na­ri­sten des Rus­si­cums Bene­dikt XVI. im Vatikan

Neu­er Rek­tor am Ori­en­t­in­sti­tut ist Pater David Nazar, ein kana­di­scher Jesu­it ukrai­ni­scher Abstam­mung . Von 2005–2015 war er Ordens­obe­rer in der Ukrai­ne. Er ist fest ent­schlos­sen, das Insti­tut aus den Schlag­zei­len zu füh­ren und zu neu­em Ruhm zu brin­gen. Das Ori­en­t­in­sti­tut war immer­hin bereits Schau­platz „histo­ri­scher Begeg­nun­gen“ und konn­te „illu­stre Gäste“ begrüßen.

Pater Nazar rech­net, daß er bald grü­nes Licht für die Über­nah­me des Rus­si­cums bekommt sowohl von der Kon­gre­ga­ti­on für die Ost­kir­chen, deren Prä­fekt, der argen­ti­ni­sche Kar­di­nal Leo­nar­do Sand­ri, auch Groß­kanz­ler des Ori­en­t­in­sti­tuts ist als auch vom Päpst­li­chen Rat zur För­de­rung der Ein­heit der Chri­sten und von Papst Fran­zis­kus, aber „nicht zuletzt auch das Wohl­wol­len des Mos­kau­er Patri­ar­chats und des Kremls“, so Magi­ster. Der rus­sisch-ortho­do­xe Metro­po­lit Niko­dim von Lenin­grad und Now­go­rod war in der Bre­sch­new-Zeit bei den Jesui­ten in Rom „zu Hau­se“. Bei sei­nen Rom-Auf­ent­hal­ten näch­tig­te er ent­we­der im Rus­si­cum oder „mit allen Ehren“ in der Vil­la Caval­let­ti von Frasca­ti als Gast des dama­li­gen Ordens­ge­ne­rals Pedro Arrupe.

Niko­dim wie­der­um berief den Jesui­ten Miguel Arranz als Pro­fes­sor an sei­ne Theo­lo­gi­sche Aka­de­mie in Lenin­grad, wäh­rend eine Schar rus­si­scher Stu­den­ten zum Stu­di­um an die päpst­li­chen Uni­ver­si­tä­ten nach Rom geschickt wer­den konnten.

Als zwischen Katholiken und Russisch-Orthodoxen Interkommunion herrschte

Das Päpstliche Kolleg Russicum
Das Päpst­li­che Kol­leg Rus­si­cum neben der Kir­che des Mönchs­va­ters Antonius

Pater Arranz war als Über­set­zer bei jener Audi­enz am 5. Sep­tem­ber 1978 im Vati­kan im Ein­satz, als Niko­dim von Papst Johan­nes Paul I. emp­fan­gen wur­de. Wäh­rend der Audi­enz erlitt der Metro­po­lit einen Herz­in­farkt und starb vor den Augen des Pap­stes. „Der Jesu­it woll­te nie preis­ge­ben, was der Metro­po­lit bei die­ser Begeg­nung dem Papst gesagt hat, der selbst drei Wochen spä­ter ster­ben soll­te“, so Magister.

Mit dem Tod Niko­dims hielt wie­der Win­ter Ein­zug in den Bezie­hun­gen zwi­schen Rom und Mos­kau. „Unter dem Metro­po­li­ten hat­te der Dia­log zwi­schen der Kir­che von Rom und dem Patri­ar­chat von Mos­kau einen Höhe­punkt erreicht“, so Magi­ster. Das Mos­kau­er Patri­ar­chat erlaub­te in jener Zeit sogar die Inter­kom­mu­ni­on zwi­schen Ortho­do­xen und Katho­li­ken, die kur­ze Zeit dar­auf unter dem Druck des Öku­me­ni­schen Patri­ar­chen von Kon­stan­ti­no­pel und Riva­len wie­der ver­bo­ten wurde.

Die Inter­kom­mu­ni­on hat­te von 1439–1453 bestan­den, als durch das Kon­zil von Flo­renz die vol­le Ein­heit zwi­schen West- und Ost­kir­che unter der Füh­rung des Pap­stes ver­wirk­licht wor­den war. Die tür­ki­schen Erobe­rer setz­ten dann jedoch aus poli­ti­schen Grün­den anti­west­li­che Kir­chen­ver­tre­ter an die Spit­ze des Patri­ar­chats. Erst mehr als 500 spä­ter konn­te sie unter Niko­dim noch ein­mal kurz­zei­tig erreicht werden.

„Das öku­me­ni­sche Patri­ar­chat von Kon­stan­ti­no­pel hat die Inter­kom­mu­ni­on mit den Katho­li­ken, trotz sei­nes super­dia­log­freund­li­chen Rufs, bis heu­te nicht erlaubt“, so Magister.

„Es ist kuri­os, daß Pater Anto­nio Spa­da­ro“, der Schrift­lei­ter der römi­schen Jesui­ten­zeit­schrift Civil­tà  Cat­to­li­ca und enger Papst-Ver­trau­ter, „die­sen glück­li­chen, öku­me­ni­schen Früh­ling mit kei­nem Wort erwähn­te“, als er in sei­ner Zeit­schrift am 12. März die Umar­mung zwi­schen Fran­zis­kus und dem Mos­kau­er Patri­ar­chen Kyrill in Havan­na als einen in der Geschich­te nie gekann­ten Neu­be­ginn fei­er­te. Eine Unter­las­sung die ganz dem revi­sio­ni­sti­schen Stil der Sowjet­uni­on ent­spricht, wie die bevor­ste­hen­den Aus­lö­schung des glor­rei­chen Russicums.“

Das fol­gen­de Video zeigt einen Bericht der ita­lie­ni­schen Wochen­schau vom 15. April 1940 über das Rus­si­cum.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Wikicommons/​Youtube

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3 Kommentare

  1. Die Schrif­ten von Julia Dan­sas soll­ten aus der Ver­sen­kung geholt wer­den. Der Mar­xis­mus ist noch lan­ge nicht tot. Er ver­klei­det sich nur anders. Heu­te gibt er sich glo­ba­li­sie­rungs­kri­tisch, meint damit aber nicht Kri­tik an der Glo­ba­li­sie­rung, son­dern nur an einer bestimm­ten Art von Glo­ba­li­sie­rung – eben nicht sei­ne eige­ne. Der Mar­xis­mus ist ja inter­na­tio­na­li­stisch ein­ge­stellt genau so wie die neo­li­be­ra­le Glo­ba­li­sie­rung, der angel­säch­si­scher Frei­han­del und Kon­sum über alles geht. Gegen bei­de Strö­mun­gen hät­te die katho­li­sche Kir­che gei­sti­gen Wider­stand zu leisten.

  2. Eine trau­ri­ge Ent­wick­lung. Das soll­te denen die Augen öff­nen, die sich bezüg­lich des gegen­wär­ti­gen Ruß­land Illu­sio­nen hin­ge­ben, dort sei ein „christ­li­ches“ Boll­werk gegen das lai­zi­sti­sche Euro­pa und Ame­ri­ka. Dazu ein kon­kre­tes Ereig­nis, das äußerst viel­sa­gend ist. Am 1. Juni 2015 wur­de in Lienz/​Osttirol nahe beim Drau­fluß im Orts­teil Peg­getz eine neu erri­che­te ortho­do­xe Kapel­le auf dem soge­nann­ten Kosa­ken­fried­hof ein­ge­weiht. Dort ist ein Mas­sen­grab von Kosa­ken, die dort bei Kriegs­en­de vom Fri­aul kom­mend lager­ten ‑ca. 30.000 mit Frau und Kin­dern. Als sie ent­ge­gen allem Völ­ker­recht zu Kriegs­en­de von den Eng­län­dern an die Sowjet­uni­on aus­ge­lie­fert wur­den, nah­men sich vie­le das Leben oder wur­den bei Flucht­ver­su­chen erschos­sen. Eini­ge Hun­dert wur­den dort begra­ben. Die Kosa­ken wuß­ten, dass Ihnen in der Sowjet­uni­on Lager­haft und Tod droh­te, weil sie gegen die Bol­sche­wi­ken – wohl­ge­merkt nicht gegen Ruß­land – auf deut­scher Sei­te gekämpft hat­ten. So geschah es auch. Alle Offi­zie­re wur­den hin­ge­rich­tet, alle ande­ren kamen in die Lager, wo sie sehr oft star­ben. Obwohl die Ein­wei­hung die­ser Gedenk­ka­pel­le vom russ.-orthodoxen Bischof aus Mün­chen vor­ge­nom­men wur­de, und die Kosa­ken über­wie­gend rus­si­sche, kei­ne ukrai­ni­schen Kosa­ken waren, wur­de dem rus­si­schen Geschäfts­mann, der als Nach­fah­re eines der Opfer einen sehr gro­ßen Teil der Kapel­le finan­ziert hat­te, die Aus­rei­se aus RUSSLAND IM JUNI 2015 (!!!!) zu den Eröff­nungs- und Gedenk­fei­er­lich­kei­ten VERWEIGERT!!! Das zeigt ganz ein­deu­tig, dass das heu­ti­ge Ruß­land nach wie vor sowje­tisch tickt – mit allen Teu­fe­lei­en. Denn es gibt kaum jemand, der der rus­si­schen Hei­mat und ihrem ortho­do­xen Glau­ben treu­er ver­bun­den wäre, als die Kosa­ken. Wo ist da der „from­me Ret­ter von Glau­be und Tra­di­ti­on Putin“ geblie­ben? Lei­der gehen auch hie­zu­lan­de vie­le gut­gläu­bi­ge Men­schen der unglaub­lich raf­fi­nier­ten Putin-pro­pagen­da auf den Leim. Die Wirk­lich­keit sieht anders aus.

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