von Roberto de Mattei*
Der Brief, den Papst Franziskus am vergangenen 7. Februar an Antonio Socci adressierte, verdient ebensolche Aufmerksamkeit wie das Buch von Socci: La profezia finale. Lettera a papa Francesco sulla Chiesa in tempo di guerra (Die letzte Prophezeiung. Schreiben an Papst Franziskus über die Kirche in Kriegszeit, Rizzoli, 2016).
Das Buch des Autors aus Siena ist in zwei Teile gegliedert: der erste Teil enthält eine Sammlung von Prophezeiungen, alten und jüngeren, die schwere Katastrophen für die Welt ankündigen, wenn sie sich nicht bekehrt und Buße tut. Die von zahlreichen Prophetien genannten materiellen Zerstörungen erscheinen dabei als Folge der geistlichen Zerstörungen, inmitten derer sich die Kirche heute befindet. Unter den vielen himmlischen Botschaften sagen jene der Jungfrau von La Salette und der Traum des heiligen Johannes Bosco über die Zukunft Roms ein Szenario aus Tragödie und Hoffnung voraus, das jenem ähnelt, das die Gottesmutter 1917 in Fatima ankündigte.
Andere von Socci zitierte private Offenbarungen, können als umstritten gelten. Es ist dennoch ein Verdienst des Autors aus Siena, an die Existenz einer prophetischen und apokalyptischen Dimension erinnert zu haben, die untrennbar mit der katholischen Geschichtstheologie verbunden ist.
Der zweite Teil des Buches, in Form eines „Offenen Briefes“, ist eine scharfe Kritik an Papst Bergoglio. Der Autor erinnert minutiös an dessen Handlungen und Worte seit Beginn seines Pontifikats, die die Gläubigen so sehr verwirrt, erschöpft und manchmal sogar skandalisiert haben, daß sie sich die Frage stellen, die im Vorfeld der päpstlichen Amerika-Reise auf der Titelseite des Wochenmagazins Newsweek prangte: Is the Pope Catholic? (Ist der Papst katholisch?).
Socci richtet folgende kräftige Worte an den Papst:
„Ich beschwöre Sie: Überdenken Sie den ganzen Weg, den Sie bisher gegangen sind, vermeiden Sie weitere schwerwiegende Schritte wie ein nachsynodales Schreiben, das den Ideen von Kardinal Kasper öffnet (…). Vermeiden Sie vor allem die Einberufung einer neuen Synode, die – wie man befürchtet – sogar den priesterlichen Zölibat ins Visier nimmt.“ (S. 221).
Antonio Socci ist ein Journalist, der es als solcher gewohnt ist, mit jenem Tempo zu aktuellen Ereignissen Stellung zu nehmen, die sein Beruf verlangt. Das kann manchmal zu Lasten des nötigen Tiefgangs gehen. Da er jedoch von großer Leidenschaft getrieben ist, ist er auch bereit, sich selbst und seine Überzeugungen in Frage zu stellen, damit die Wahrheit und nichts anderes obsiegt. Wer einige Thesen Soccis nicht teilt, muß zumindest diese seine mehrfach unter Beweis gestellte Eigenschaft anerkennen.
Fest steht, daß Papst Franziskus, nachdem er das Buch erhalten hat, Socci weder exkommunizierte noch rügte, aber auch nicht ignorierte. Er nahm vielmehr Papier und Füllfeder und antwortete mit einem handgeschriebenen Brief:
Lieber Bruder:
Ich habe Ihr Buch und das Begleitschreiben erhalten. Vielen Dank für diese Geste. Der Herr möge es Ihnen vergelten.
Ich habe damit begonnen, es zu lesen, und bin sicher, daß mir viele der darin enthaltenen Dinge sehr gut tun werden. In Wirklichkeit helfen uns auch die Kritiken, auf dem rechten Weg des Herrn zu wandeln.
Ich danke Ihnen wirklich sehr für Ihre Gebete und jene Ihrer Familie.
Ich verspreche Ihnen, daß ich für Euch alle beten und den Herrn bitten werde, Euch zu segnen und die Gottesmutter, Euch zu behüten.
Ihr Bruder und Diener im Herrn, Franziskus
Diese wenigen Zeilen demolieren eine gewisse “Papolatrie“, die in konservativen Kreisen verbreitet ist. Der Papst erinnert daran, daß es nicht nur erlaubt ist, den Papst zu kritisieren, sondern Kritik dem Papst sogar „sehr guttun“ kann, indem es ihm hilft, „auf dem rechten Weg des Herrn zu wandeln“.
Mit dem Begriff „Papolatrie“ ist eine unangemessene Vergöttlichung der Gestalt des Papstes gemeint, was etwas ganz anderes ist, als die gebotene Verehrung und der fromme Respekt, die wir ihm für das Amt schulden, das er bekleidet. Die Offenheit, auch die kritische, wie Socci anmerkt, kann für den Papst hilfreich sein, „besonders, wenn die vorherrschende Mentalität mit der Lobhudelei übertreibt“ (S. 92). Der große dominikanische Theologe Melchior Cano sagte:
„Petrus braucht nicht unsere Lügen und unsere Schmeicheleien. Jene, die blind und unterschiedslos jede Entscheidung des Papstes verteidigen, sind jene, die die Autorität des Heiligen Stuhls untergraben: sie zerstören seine Fundamente anstatt sie zu stärken.“
Jemand könnte sagen, daß das Schreiben von Franziskus an Socci darauf abzielt, alle, von den Progressiven bis zu den Traditionalisten, in einer synkretistischen Umarmung „einzuschließen“. Doch unabhängig von den Absichten zählen die Fakten, und Fakt ist in diesem Fall die Wertschätzung, die der Papst für seine Kritiker äußert.
Die Worte, die Franziskus an Socci richtet, gelten für alle, die in den vergangenen Jahren das neue Pontifikat kritisiert haben: von Alessandro Gnocchi und Mario Palmaro über die von Ross Douhat in der New York Times bis zur Petition einer Gruppe katholischer Autoren, die am 8. Dezember 2015 im Remnant veröffentlicht wurde.
Franziskus ruft uns in Erinnerung, daß die nicht unfehlbaren Handlungen des Papstes kritisiert werden können, besonders was seine politischen und pastoralen Entscheidungen betrifft, unter der Bedingung, daß die Kritik respektvoll ist und den Fehlern der Person und nicht der Autorität des Papsttums gilt.
Der Verrat der katholischen politischen Klasse wurde immer vom historischen Verrat der kirchlichen Spitze begleitet. Es ist aber noch nie geschehen, daß ein Papst sich Eugenio Scalfari als Vertrauten wählte und Emma Bonino und Giorgio Napolitano als „ganz Große“ des heutigen Italien bezeichnete, ohne auch nur ein Wort der Ermutigung, des Ansporns oder auch nur eines einfachen Segens an die Hunderttausende von Katholiken des Family Day zu richten.
Und während im Senat das Cirinnà ‑Gesetz beschlossen wurde, das homosexuelle Verbindungen legalisiert, hat Papst Franziskus, nachdem er zu Irland geschwiegen hatte, auch zu Italien geschwiegen und damit große Verantwortung auf sich geladen.
„Warum, Heiliger Vater, haben sie aufgehört, sich dem tödlichen Angriff gegen die Familie zu widersetzen, den die Welt seit Jahren führt?“, fragt Socci den Papst (S. 127).
Am 6. März kritisierte Socci in der Tageszeitung Libero mit gutem Grund die Gründung einer neuen katholischen Partei nach den Erfahrungen des Family Day.
Die Idee, die religiös inspirierten Vereinigungen in etwas Politisches umzuwandeln, wie Socci ausführt, ist in der Vergangenheit immer gescheitert. Der Fehler betrifft aber nicht nur Zeit und Art, mit der die Initiative angekündigt wurde. Vielmehr muß allein schon die Idee von einer katholischen Partei zurückgewiesen werden, die gezwungen ist, die Spielregeln der relativistischen Demokratie anzuerkennen. Meinungsbewegungen sind hingegen imstande, die Politik auf weit effizientere Weise als Parteien zu beeinflussen. In Italien, aber auch anderswo, ist in den vergangenen Jahren eine breite Widerstandsbewegung gegen den stattfindenden Säkularisierungsprozeß entstanden. Am Ursprung dieser Bewegung stehen ein geheimnisvoller, aber realer Gnadenakt, aber auch das Werk vieler Katholiken, die seit Jahrzehnten in anderer Form ihren kulturellen und moralischen Einsatz diesem Prozeß entgegensetzen.
Der Family Day gegen das Cirinnà ‑Gesetz hat diese Bewegung in Italien vielen sichtbar gemacht. In dem Moment, in dem die katholische Welt mit dem Family Day ihre große Stärke gezeigt hat, hat sie auch ihre extreme Schwäche offenbart. Die Stärke ist jene, die von der Basis kommt. Die Schwäche ist jene, die von der Spitze der Bewegung kommt, die wenige Wochen nach dem Family Day zerstritten war.
Diese Zersplitterung darf nicht verwundern. Wie bei der Flut tauchen immer jene auf, die alle anderen übertrumpfen und sich an die Spitze einer Bewegung stellen wollen, die sie weder aufgebaut haben noch repräsentieren. Socci hat recht, wenn er anmerkt, daß „heute die Katholiken anderes zu tun haben. Von wegen Themen-Parteien. Ihre erste Sorge muß es sein, die Selbstvernichtung der Kirche und der Gesellschaft zu verhindern.“
Wird das nachsynodale Schreiben, das Papst Franziskus am 19. März unterzeichnen wird, ein weiterer Schritt in diesem Prozeß der Selbstzerstörung sein? Wird er die Lehre der Kirche bekräftigen oder sich in manchen Punkten von derem immerwährenden Lehramt entfernen? Und wie sollten sich die Katholiken in einem solchen Fall verhalten? Das sind die drängenden Fragen, die heute auf dem Tisch liegen. Fragen, die die ganze Aufmerksamkeit jener verlangen, die zu einer von der Gnade erleuchteten Intelligenz fähig sind.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt erschienen: Vicario di Cristo. Il primato di Pietro tra normalità ed eccezione (Stellvertreter Christi. Der Primat des Petrus zwischen Normalität und Ausnahme), Verona 2013; in deutscher Übersetzung zuletzt: Das Zweite Vatikanische Konzil – eine bislang ungeschriebene Geschichte, Ruppichteroth 2011.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana
Kritik tut dem Papst gut. Das ist durchaus erfreulich, dass er sich so ausläßt. Ob man dies für allzu bare Münze halten muss, mag doch dahingestellt sein. Jedenfalls wird Kritik nicht als unkatholisch etc. verworfen. Durchaus begrüßenswert.
Sehr gute Gedankengänge von Herrn Robert de Mattei und dafür möchte ich meinen Dank aussprechen.
Ich möchte mal einen Gedankengang zunächst herausgreifen: und der betrifft die Ablehnung einer Gründung einer katholische Partei. – Da stimme ich mit überein, daß eine Gründung einer Partei nicht viel bewirken wird. Dann steckt man wieder im System, und das System weiß eine solche Partei zu zähmen, und auch ihre Mitglieder werden sich wieder entzweien. So gut eine Opposition ist, aber sie muß ihre Anliegen außerparlamentarisch zu Gehör bringen.
Das ist in Deutschland mit der AfD auch so: selbst wenn sie 10 oder 15 % der Stimmen erhalten wird, wird sie nicht viel erreichen. Am besten ist die Nicht-Wahl.
Ich bin der Meinung, daß allein das Gebet hilft und Buße tun, sonst nichts! Das möchte ich betonen. Man wird keinen Wandel von all den vielen Sünden, privat und gesellschaftlich, erreichen ohne Hinkehr zum Dreifaltigen Gott und Seinen Gesetzen. Das heißt immer auch Selbstbekehrung. Man muß beten und opfern für einen geistigen Umschwung, die Bekehrung, und dann werden sich die Dinge wie von selbst zum Guten hin ändern. Solange dieser geistige Umschwung nicht herbeigebetet und herbeigefleht wird, wird der Ungeist herrschen und sich immer wieder durchsetzen, denn wir stehen im Kampf mit den Mächten der Finsternis: es ist ein geistiger Kampf und keine politische Machtfrage.
Ja, die Prophezeiungen sprechen eine deutliche Sprache, aber echte Prophezeiungen beinhalten immer ein wenn-dann oder wenn nicht- dann. Wenn die Menschen weithin umkehren würden, bleiben die Strafen aus oder vermindern sich. Die Strafen fügt der Mensch sich selber zu. Solche Fragen: wie kann Gott das zulassen?, sind da komplett fehl am Platze und zeugen von Uneinsichtigkeit. So etwas gibts ja häufig genug.
Als eine mir nahestehende Person einmal meinte, es wäre Todsünde den Papst zu kritisieren, habe ich noch herzlich gelacht, ob dieses Unsinns. Da am 19.3. Hl.Josef ist und wichtige, päpstliche Entscheidungen hauptsächlich an Marienfesten und Ähnlichem verkündet wurden, ahne ich nichts Gutes. Es ist eh nur eine Frage der Zeit, bis sich die Prophezeiungen, die auch Antonio Socci erwähnt haben soll, verwirklichen werden.