Scalias Tod hinterläßt große Lücke – Obama setzt zur “strukturellen“ Linkswende an


Antonin Scalia (1936-2016), Tod mit weitreichenden Folgen
Antonin Scalia (1936-2016), Tod mit weitreichenden Folgen

(Washing­ton) Ver­gan­ge­ne Woche, in der Nacht auf Sams­tag, starb Anto­nin Sca­lia (1936–2016) auf der Cibo­lo Creek Ranch in Texas, wo er für das Wochen­en­de gebucht hat­te. Sca­lia war seit 1986 einer von neun Rich­tern am Ober­sten Gerichts­hof der USA, der mit dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts­hof in Karls­ru­he ver­gleich­bar ist.  Sca­lia war ein tra­di­ti­ons­ver­bun­de­ner Katho­lik und ein Jurist von inter­na­tio­na­lem Ruf. Sein plötz­li­cher Tod hin­ter­läßt eine gro­ße Lücke und vor allem ein juri­sti­sches Vaku­um, in das der schei­den­de US-Prä­si­dent Barack Oba­ma vor­sto­ßen könn­te, um einen letz­ten und viel­leicht schlimm­sten Schlag auszuführen.

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Der Nach­fah­re ita­lie­ni­scher Ein­wan­de­rer besuch­te die Hei­li­ge Mes­se in der über­lie­fer­ten Form des Römi­schen Ritus. Er galt als Wort­füh­rer einer streit­ba­ren kon­ser­va­ti­ven Posi­ti­on am Ober­sten Gerichts­hof in Washing­ton. Dort­hin war der her­aus­ra­gen­de Jurist von US-Prä­si­dent Ronald Rea­gan beru­fen worden.

Das austarierte System mit leichtem linken Übergewicht

Das Ver­hält­nis zwi­schen lin­ken und rech­ten Posi­tio­nen am Ober­sten Gerichts­hof gehört zu den deli­ka­te­sten Ange­le­gen­hei­ten im poli­ti­schen System der USA. Der Ober­ste Bun­des­ge­richts­hof ist das ein­zi­ge Gericht der USA, das aus­drück­lich von der Ver­fas­sung gere­gelt wird. Er prüft, ob die vom Kon­greß, aber auch die von den Par­la­men­ten der Ein­zel­staa­ten beschlos­se­nen Geset­ze ver­fas­sungs­kon­form sind. Ihm steht die letzt­in­stanz­li­che Aus­le­gung der Ver­fas­sung zu. Eine legis­la­ti­ve Zustän­dig­keit besitzt er aller­dings nicht.

Wenn er den­noch „gesetz­ge­be­risch“ ein­ge­grif­fen hat, han­del­te es sich um ein­deu­ti­ge Ver­fas­sungs­brü­che. Dazu gehört das Urteil Roe gegen Wade vom 22. Janu­ar 1973, mit dem eine Rich­ter­mehr­heit die Abtrei­bung lega­li­sier­te, obwohl bis heu­te kein Gesetz die Tötung unge­bo­re­ner Kin­der regelt oder erlaubt. Das Urteil hat­te Hekatom­ben von getö­te­ten Kin­dern zur Fol­ge und das Mor­den geht täg­lich weiter.

Das Urteil Roe gegen Wade war jedoch nicht der ein­zi­ge Fall eines schwer­wie­gen­den Verfassungsbruchs.

Ernennung auf Vorschlag des Präsidenten – Zustimmung des Senats erforderlich

Der Ober­ste Gerichts­hof setzt sich aus neun Rich­tern zusam­men, womit immer eine Ent­schei­dung mög­lich sein soll, da Stim­men­gleich­heit aus­ge­schlos­sen ist. Die Rich­ter wer­den auf Lebens­zeit ernannt, wobei sie auf ihr Amt ver­zich­ten kön­nen. Sca­lia ist im Amt gestor­ben. Ernannt wer­den sie vom Prä­si­dent der USA, der dazu die Mei­nung und die Zustim­mung des Senats ein­ho­len muß. Damit soll das nöti­ge Gleich­ge­wicht zwi­schen den Gewal­ten im Staat sicher­ge­stellt werden.

Der Senat hat damit die Macht, den Vor­schlag des Prä­si­den­ten anzu­neh­men oder abzu­leh­nen. Im Klar­text ist die Senats­mehr­heit ent­schei­dend und die gehört nicht oft dem glei­chen poli­ti­schen Lager an wie der Prä­si­dent. Zudem ent­spricht die Bruch­li­nie zwi­schen links und rechts in den USA nicht auto­ma­tisch der Par­tei­zu­ge­hö­rig­keit zur Demo­kra­ti­schen oder Repu­bli­ka­ni­schen Par­tei. Nicht zuletzt sind, auf­grund der Beru­fung auf Lebens­zeit, sei­ten neue Rich­ter zu ernen­nen. Umge­kehrt kann ein Prä­si­dent durch die Ernen­nung eines ver­hält­nis­mä­ßig jun­gen Rich­ters auf lan­ge Zeit eine poli­ti­sche Rich­tungs­ent­schei­dung vor­neh­men, die weit über sei­ne eige­ne Amts­zeit von vier oder maxi­mal acht Jah­ren hinausreicht.

Scalias Tod bedeutet Linksruck des Obersten Gerichtshofs

Das Veto­recht des Senats kann Prä­si­den­ten zwin­gen, gemä­ßig­te­re Kan­di­da­ten vor­zu­schla­gen, als sie eigent­lich möch­ten. Das hat­te zur Fol­ge, daß der Ober­ste Gerichts­hof mehr­heit­lich von repu­bli­ka­ni­schen Prä­si­den­ten ernannt war und sich den­noch lin­ke Mehr­hei­ten fan­den. Die Mehr­heits­ver­hält­nis­se sind oft hauch­dünn. Ein ein­zi­ger Rich­ter gibt den Aus­schlag. „Gemä­ßig­te“ Kon­ser­va­ti­ve neig­ten immer wie­der dazu, nicht mit den kon­ser­va­ti­ven, son­dern mit den libe­ra­len Rich­tern zu stim­men, wobei „libe­ral“ in den USA links meint. Die wirk­lich Kon­ser­va­ti­ven befin­den sich seit lan­gem in einer knap­pen Minderheit.

Mit dem Tod von Sca­lia blei­ben acht Rich­ter im Amt. Es sind John G. Roberts (Prä­si­dent), Cla­rence Tho­mas, Samu­el Ali­to, Ruth Bader Gins­burg, Ste­phen Brey­er, Sonia Soto­ma­yor, Ele­na Kagan und Antho­ny Ken­ne­dy. Sein Tod bedeu­tet mehr als nur eine zah­len­mä­ßi­ge Schwä­chung der Kon­ser­va­ti­ven, von denen nur mehr drei übrig­blei­ben (Prä­si­dent Roberts, Tho­mas und Ali­to). Ihnen ste­hen fünf Libe­ra­le gegen­über (Bader Gins­burg, Brey­er, Soto­ma­yor, Kagan und Ken­ne­dy). Ken­ne­dy ist einer jener „gemä­ßig­ten“ Kon­ser­va­ti­ven, der links votiert. Soll­te es Oba­ma noch gelin­gen, die lin­ke Mehr­heit auf zwei Drit­tel aus­zu­bau­en, wird auf abseh­ba­re Zeit kei­ne Mehr­heits­um­kehr mehr mög­lich sein.

Fünf Katholiken und drei Juden

Auch die reli­giö­se Zusam­men­set­zung des Ober­sten Gerichts­hofs hat sich durch den Tod Sca­li­as ver­scho­ben. Bis­her hat­ten die Katho­li­ken, die mit 23 Pro­zent der US-Ame­ri­ka­ner zwar die weit­aus größ­te Reli­gi­ons­ge­mein­schaft bil­den, aber eine Min­der­heit dar­stel­len, mit sechs Rich­tern eine erstaun­li­che Mehr­heit (Prä­si­dent Roberts, Tho­mas, Ali­to, Soto­ma­yor, Ken­ne­dy und natür­lich Sca­lia). Noch weit über­pro­por­tio­na­ler zu ihrem Anteil an der Gesamt­be­völ­ke­rung ist mit drei Rich­tern der jüdi­sche Anteil  (Kagan, Bader Gins­burg und Brey­er). Die Höchst­rich­ter rekru­tie­ren sich, reli­gi­ös gese­hen, aus kaum mehr als einem Vier­tel der US-Bevöl­ke­rung. Seit 2010 gehört dem Höchst­ge­richt kein Pro­te­stant an.

US-Prä­si­dent Geor­ge W. Bush, selbst Metho­dist, ersetz­te drei pro­te­stan­ti­sche Rich­ter durch Katho­li­ken. Roberts wur­de zum Nach­fol­ger des kon­ser­va­ti­ven Luthe­ra­ners Wil­liam Reh­n­quist (1924–2005), Ali­to zum Nach­fol­ger der gemä­ßigt kon­ser­va­ti­ven und daher unsi­che­ren Kan­to­ni­sten, der Epi­skopa­lia­ne­rin San­dra Day O’Connor, die auf ihr Amt ver­zich­te­te und Soto­ma­yor wur­de zur Nach­fol­ge­rin des gemä­ßigt Kon­ser­va­ti­ven, aber zuneh­mend links votie­ren­den Epi­skopa­lia­ners David Sou­ter, der auf sein Amt ver­zich­te­te. Es war aber US-Prä­si­dent Barack Oba­ma, den letz­ten Pro­te­stan­ten, den libe­ra­len John Paul Ste­vens, 2010 mit der Jüdin und Libe­ra­len Ele­na Kagan ersetzte.

2009 wur­de seit Edward Dou­glass White Jr. (1910–1921) mit John G. Roberts erst­mals wie­der ein Katho­lik zum Prä­si­den­ten des Gerichts­hofs. Roberts ist seit 1789 der 17. Prä­si­dent des Ober­sten Gerichts­hofs und der drit­te Katho­lik nach Roger B. Taney (1836–1864) und Dou­glass White.

„Mündige“ Katholikin und „seniler“ Konservativer stimmen mit linken Richtern

Die deut­li­che katho­li­sche Mehr­heit im Rich­ter­se­nat sagt jedoch noch wenig über das Stimm­ver­hal­ten aus. Soto­ma­yor gilt als „mün­di­ge“ Katho­li­kin, Ken­ne­dy wird als „seni­ler“ Kon­ser­va­ti­ver bezeich­net. Die „mün­di­ge“, sprich libe­ra­le Katho­li­kin Soto­ma­yor votiert kon­se­quent mit der lin­ken Frak­ti­on. Der „seni­le“, sprich gemä­ßig­te Kon­ser­va­ti­ve Ken­ne­dy gilt als unsi­che­rer Kan­to­nist. Sei­ne Stim­me war bei Abstim­mung am 26. Juni 2015 über die „Homo-Ehe“ aus­schlag­ge­bend für eine lin­ke Mehrheit.

Durch den Tod Sca­li­as ist die Grup­pe der kon­ser­va­ti­ven Katho­li­ken, die bis­her ver­hin­der­te, daß der Gerichts­hof im Schlepp­tau der Prä­si­den­ten­po­li­tik noch grö­ße­ren Scha­den anrich­tet, erheb­lich geschwächt wor­den. Beob­ach­ter gehen davon aus, daß Oba­ma die Gele­gen­heit nicht unge­nutzt las­sen wird, um dem Höchst­ge­richt eine mög­lichst lang­fri­sti­ge Links­wen­de zu ver­pas­sen und damit eine jener „struk­tu­rel­len“ Ver­än­de­run­gen durch­zu­füh­ren, die der poli­ti­schen Lin­ken beson­ders wich­tig sind.

Strukturelle Richtungsentscheidung möglich

Was Geor­ge W. Bush nicht gelang, der den Gerichts­hof zwar kon­fes­sio­nell „katho­li­sier­te“, aber kei­ne sta­bi­le Rich­tungs­ent­schei­dung her­bei­füh­ren konn­te, könn­te Oba­ma nun uner­war­tet am Ende sei­ner Amts­zeit durch eine struk­tu­rel­le Links­wen­de gelingen.

Mit den bevor­ste­hen­den Prä­si­dent­schafts­wah­len wird die Nach­fol­ge Sca­li­as zum hoch­po­li­ti­schen The­ma, das den Wahl­kampf über­schat­ten und auch den gleich­zei­tig statt­fin­den­den Par­la­ments­wah­len ein außer­ge­wöhn­li­ches Gewicht geben wird.

Der­zeit ver­fügt der Senat über eine repu­bli­ka­ni­sche Mehr­heit. Es koste­te die Repu­bli­ka­ner eini­ge Mühe und meh­re­re Wah­len, um die­se Mehr­heit zurück­zu­er­obern. Ihnen kommt der Tod Sca­li­as unge­le­gen, da er Oba­ma völ­lig uner­war­tet auf heik­lem Ter­rain eine gro­ße Ein­fluß­mög­lich­keit bie­tet. Der Tod Sca­li­as kam über­ra­schend, doch wird im Wei­ßen Haus bereits an Ernen­nungs­stra­te­gien gearbeitet.

Scalia war die Verkörperung des konservativen und christlichen Geistes der USA

Sca­lia galt als Ver­kör­pe­rung der Ver­fas­sungs­grund­sät­ze und als Hüter eines kon­ser­va­ti­ven und christ­li­chen Gei­stes, dem sich die Mehr­heit der US-Ame­ri­ka­ner ver­pflich­tet füh­len und in dem die Grün­der­vä­ter die Ver­fas­sung geschrie­ben hatten.

Sca­lia hat­te noch etwas zustan­de gebracht. Er hat­te den letz­ten und ent­schei­den­den Beweis gegen ein jahr­hun­der­te­al­tes Vor­ur­teil erbracht, daß ein Katho­lik auch ein guter ame­ri­ka­ni­scher Patri­ot sein kann. Ein Katho­lik, John F. Ken­ne­dy, hat­te es sogar ins Prä­si­den­ten­amt gebracht, doch gab es in einem Teil der US-Gesell­schaft tief­sit­zen­de Vor­ur­tei­le gegen ihn, auch wegen sei­ner Reli­gi­ons­zu­ge­hö­rig­keit. Was Ken­ne­dy auf der lin­ken Sei­te gelang, voll­ende­te Sca­lia auf der rech­ten Sei­te. Ein Katho­lik kann seit Sca­lia in den USA jedes Amt bekleiden.

Grund dafür war, daß die ver­fas­sungs­treu­en Ame­ri­ka­ner fest­stel­len muß­ten, daß ihnen der Katho­lik Sca­lia bes­ser und unmiß­ver­ständ­li­cher Ihr Land und ihre Ver­fas­sung erklär­te und ver­tei­dig­te, als ande­re. Sca­lia war ein erklär­ter Geg­ner der poli­ti­schen Kor­rekt­heit, deren Prä­mis­sen er für das Gemein­we­sen als grund­sätz­lich schäd­lich erkannt und daher bekämpft hat­te. Als über­zeug­ter Ver­tei­di­ger von Ehe und Fami­lie, die er für ein funk­tio­nie­ren­des Staats­we­sen für uner­läß­lich hielt, wider­setz­te er sich allen lau­ni­schen oder ideo­lo­gi­schen Expe­ri­men­ten. Daher wider­setz­te er sich auch der „Homo-Ehe“, die er als „Bedro­hung für die ame­ri­ka­ni­schen Demo­kra­tie“ bezeich­ne­te und als etwas, wofür man sich schä­men und „den Kopf in einen Sack“ stecken soll­te. Die Grund­la­ge der „Homo-Ehe“, so Sca­lia, tau­ge soviel wie „mysti­sche Apho­ris­men aus Glückskeksen“.

Eine Wen­de in der Abtrei­bungs­fra­ge konn­te der über­zeug­te Ver­fech­ter des Lebens­rechts auf­grund feh­len­der Mehr­heit nicht herbeiführen.

Sein Rechts­ver­ständ­nis und sei­ne Recht­spre­chung wer­den auch über sei­nen Tod hin­aus eine Rol­le spie­len und kön­nen jun­gen Juri­sten eine Richt­schnur sein und Katho­li­ken eine Ori­en­tie­rung im Kampf für die gerech­te Sache.

Text: Andre­as Becker
Bild: Life­Si­teNews (Screen­shot)

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