Papst Franziskus zu den Indios des Chiapas: „Ein Sehnen, in Freiheit zu leben – Unser himmlischer Vater selbst hat es angeregt“


Papst Franziskus zelebrierte Heilige Messe mit den Indio-Völkern Südmexikos
Papst Franziskus zelebrierte Heilige Messe mit den Indio-Völkern Südmexikos

APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS NACH MEXIKO
(12.–18. FEBRUAR 2016)

EUCHARISTIEFEIER MIT DEN INDIGENEN GEMEINDEN VON CHIAPAS

PREDIGT DES HEILIGEN VATERS 

Städ­ti­sches Sport­zen­trum, San Cri­stó­bal de Las Casas
Mon­tag
, 15. Febru­ar 2016

[Mul­ti­me­dia]


 

Li sman­t­al Kaj­val­ti­ke toj lek – die Wei­sung des Herrn ist voll­kom­men, sie erquickt den Men­schen: So begann der Psalm, den wir gehört haben. Die Wei­sung des Herrn, sein Gesetz, ist voll­kom­men, und der Psal­mist unter­nimmt es, all das auf­zu­zäh­len, was die­ses Gesetz in dem bewirkt, der es anhört und befolgt: Es erquickt den Men­schen, macht den Unwis­sen­den wei­se, erfreut das Herz und erleuch­tet die Augen (vgl. Ps 19,8–9).

Das ist das Gesetz, das das Volk Isra­el aus der Hand des Mose emp­fan­gen hat­te, ein Gesetz, das dem Volk Got­tes hel­fen soll­te, in der Frei­heit zu leben, zu der es beru­fen wor­den war. Ein Gesetz, das Licht für sei­ne Schrit­te sein und die Wan­de­rung des Got­tes­vol­kes beglei­ten woll­te. Eines Vol­kes, das die Skla­ve­rei und die Zwangs­herr­schaft des Pha­ra­os erlebt hat­te, das Lei­den und Miss­hand­lung erlit­ten hat­te, bis Gott sag­te: „Genug!“, bis Gott sag­te: „Jetzt reicht’s! Ich habe das Elend gese­hen, habe die Kla­ge gehört, ich ken­ne sein Leid“ (vgl. Ex 3,9). Und da offen­bart sich das Gesicht unse­res Got­tes, das Gesicht des Vaters, der ange­sichts des Schmer­zes, der Miss­hand­lung und der Unge­rech­tig­keit im Leben sei­ner Kin­der lei­det; und sein Wort, sein Gesetz wird zum Sym­bol der Frei­heit, zu einem Sym­bol für Freu­de, für Weis­heit und für Licht. Es ist eine Erfah­rung, eine Wirk­lich­keit, die ihren Wider­hall fin­det in einer Aus­sa­ge, die aus der Weis­heit ent­springt, die die­sem Land seit alten Zei­ten ein­ge­prägt wur­de und die im Popol Vuh [„Buch des Rates“] so aus­ge­drückt wird: Die Mor­gen­däm­me­rung brach her­ein über allen Stäm­men gemein­sam. Das Ange­sicht der Erde wur­de sofort geheilt durch die Son­ne (33). Die Mor­gen­däm­me­rung brach her­ein für die Völ­ker, deren Weg immer wie­der durch die ver­schie­de­nen Fin­ster­nis­se der Geschich­te führte.

In die­ser Aus­sa­ge liegt ein Seh­nen danach, in Frei­heit zu leben, liegt eine Sehn­sucht nach dem Land der Ver­hei­ßung, wo Unter­drückung, Miss­hand­lung und Ernied­ri­gung nicht die gül­ti­ge Wäh­rung sind. Ins Herz des Men­schen und ins Gedächt­nis vie­ler unse­rer Völ­ker ist die Sehn­sucht nach einem Land, nach einer Zeit ein­ge­mei­ßelt, wo die Gering­schät­zung über­wun­den ist durch die Geschwi­ster­lich­keit, die Unge­rech­tig­keit besiegt ist durch die Soli­da­ri­tät und die Gewalt zum Schwei­gen gebracht ist durch den Frieden.

Unser himm­li­scher Vater teilt nicht nur die­se Sehn­sucht, er selbst hat sie ange­regt und regt sie wei­ter an, indem er uns sei­nen Sohn Jesus Chri­stus schenkt. In ihm begeg­nen wir dem Vater, der Sei­te an Sei­te mit uns geht. In ihm sehen wir, wie die­ses voll­kom­me­ne Gesetz Fleisch annimmt, ein Gesicht bekommt, die Geschich­te ergreift, um sein Volk zu beglei­ten und zu unter­stüt­zen; wie es Weg wird, Wahr­heit wird, Leben wird, damit die Fin­ster­nis nicht das letz­te Wort behält und die Mor­gen­däm­me­rung nicht auf­hört, über dem Leben sei­ner Kin­der aufzugehen.

Auf vie­ler­lei Art und Wei­se woll­te man die­ses Seh­nen zum Schwei­gen brin­gen und ver­stum­men las­sen, auf vie­ler­lei Art hat man ver­sucht, unse­re See­le zu betäu­ben, auf vie­ler­lei Wei­se hat man danach getrach­tet, das Leben unse­rer Kin­der und Jugend­li­chen schläf­rig zu machen und ein­zu­lul­len mit dem Hin­weis, dass sich nichts ändern kann oder dass es unmög­li­che Träu­me sind. Ange­sichts die­ser For­men weiß sogar die Schöp­fung ihre Stim­me zu erhe­ben: »Die­se Schwe­ster schreit auf wegen des Scha­dens, den wir ihr auf­grund des unver­ant­wort­li­chen Gebrauchs und des Miss­brauchs der Güter zufü­gen, die Gott in sie hin­ein­ge­legt hat. Wir sind in dem Gedan­ken auf­ge­wach­sen, dass wir ihre Eigen­tü­mer und Herr­scher sei­en, berech­tigt, sie aus­zu­plün­dern. Die Gewalt des von der Sün­de ver­letz­ten mensch­li­chen Her­zens wird auch in den Krank­heits­sym­pto­men deut­lich, die wir im Boden, im Was­ser, in der Luft und in den Lebe­we­sen bemer­ken. Dar­um befin­det sich unter den am mei­sten ver­wahr­lo­sten und miss­han­del­ten Armen die­se unse­re unter­drück­te und ver­wü­ste­te Erde, die „seufzt und in Geburts­we­hen liegt“ (Röm 8,22)« (Lau­da­to si’, 2).

Die Her­aus­for­de­rung der Umwelt­si­tua­ti­on, die wir erle­ben, und ihre mensch­li­chen Wur­zeln betref­fen uns alle(vgl. Ebd, 14) und rufen uns auf den Plan. Wir kön­nen uns ange­sichts einer der größ­ten Umwelt­kri­sen der Geschich­te nicht mehr taub stellen.

In die­sem Punkt habt ihr uns viel zu leh­ren, habt ihr der Mensch­heit viel zu leh­ren. Eure Völ­ker ver­ste­hen, in einer har­mo­ni­schen Bezie­hung zur Natur zu leben; sie respek­tie­ren sie als »Nah­rungs­quel­le, gemein­sa­mes Haus und Altar, auf dem die Men­schen mit­ein­an­der tei­len« (Apa­re­ci­da 472).

Aller­dings sind eure Völ­ker oft­mals syste­ma­tisch und struk­tu­rell ver­kannt und aus der Gesell­schaft aus­ge­schlos­sen wor­den. Eini­ge haben eure Wer­te, eure Kul­tur und eure Tra­di­tio­nen für min­der­wer­tig gehal­ten. Ande­re haben – gleich­sam trun­ken von Macht, Geld und den Geset­zen des Mark­tes – euch eures Bodens beraubt oder ihn durch ihr Han­deln ver­seucht. Wie trau­rig! Wie gut täte es uns allen, Gewis­sens­er­for­schung zu hal­ten und zu ler­nen, um Ver­zei­hung zu bit­ten: “Ver­zeiht, Brü­der und Schwe­stern!“! Die durch die Weg­werf­kul­tur ent­blöß­te Welt von heu­te braucht euch!

Die jun­gen Men­schen von heu­te, die einer Kul­tur aus­ge­setzt sind, die all die kul­tu­rel­len Reich­tü­mer und Merk­ma­le zu unter­drücken sucht zugun­sten einer homo­ge­nen Welt, die­se jun­gen Men­schen haben es nötig, dass die Weis­heit eurer alten Men­schen nicht ver­lo­ren geht!

Die Welt von heu­te, die dem Prag­ma­tis­mus ver­haf­tet ist, muss den Wert der Unent­gelt­lich­keit neu lernen!

Wir sind dabei, die Gewiss­heit zu fei­ern, dass »der Schöp­fer […] uns nicht [ver­lässt], nie­mals macht er in sei­nem Plan der Lie­be einen Rück­zie­her, noch reut es ihn, uns erschaf­fen zu haben« (Lau­da­to si’, 13). Wir fei­ern, dass Jesus Chri­stus wei­ter stirbt und auf­er­steht in jeder Geste, die wir für den Gering­sten unse­rer Brü­der voll­brin­gen. Fas­sen wir Mut, wei­ter Zeu­gen sei­ner Pas­si­on und sei­ner Auf­er­ste­hung zu sein, indem wir die Wei­sung des Herrn ver­kör­pern, denn Li sman­t­al Kaj­val­ti­ke toj lek – die Wei­sung des Herrn ist voll­kom­men, sie erquickt den Menschen.

Text: vati​can​.va
Bild: vati​can​.va/OR (Screen­shot)

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