Gastkommentar von Endre A. Bárdossy*
Heinrich Denzingers Quellensammlung Enchiridion Symbolorum et Definitionum ist seit 1854 ein allseits bekanntes Kompendium der Glaubensbekenntnisse und Lehrentscheidungen der Päpste und der Konzilien. Eine kleine Lesehilfe möge zur Auffrischung dienen: En-cheir‑àdion bedeutet altgriechisch etwas auf der Hand liegendes; es handelt sich also um ein „Handbuch“. Symbolus heißt „Kennzeichen, Sinnbild“; und Symbolum bedeutet im Kirchenlatein „Glaubensbekenntnis“.
Latein als die Muttersprache der Römisch-Katholischen Kirche verdient wieder mehr Pflege und Aufmerksamkeit von uns, sowohl im prachtvollen „Alten Ritus“ der Tridentinischen Messe wie auch im „Dialog“ mit der säkularisierten Welt. Wir dürfen die Präzision der sogenannten toten Sprachen – die subkutan in uns weiterleben – nicht vergessen: Der Platonische Diálogos heißt nicht Anbiederung & Kapitulation, sondern ein tapferes Streitgespräch.
Ein flüchtiger Blick auf 44 Auflagen in 160 Jahren ist ein überzeugender Hinweis auf die Unentbehrlichkeit dieser Anthologie (griech. Blütenlese) des katholischen Glaubens. Der Ariadnefaden der Tradition führt durch die Jahrhunderte hindurch im Spiegel dieses Werkes.
Auflage | Jahre | Herausgeber |
1–5. | 1854–1883 | Heinrich Denzinger |
6–9. | 1888–1900 | Prof. Ignatius Stahl |
10–27. | 1908–1951 | Clemens Bannwart SJ und
Johannes Baptist Umberg SJ |
Erweitert 28–31. | 1952–1957 | Karl Rahner SJ |
Überarbeitet 32–36. | 1963–1976 | Adolf Schönmetzer SJ – „DS“ |
Lateinisch mit dt.
Übersetzungen 37–44. Mit CD-Rom ab 42. |
1991–2014 |
Prof. Peter Hünermann – „DH“ |
Im folgenden Beitrag soll versucht werden, die Wurzeln einer Tendenz chronologisch freizulegen, – spezifisch auf die Herkunft von Jorge Mario Bergoglio bezogen, – die seit dem Zweiten Vaticanum die Lehre der Römisch-Katholischen Kirche immer drastischer verwässern. Hand in Hand damit haben wir uns von jener grundlegenden Tradition entfernt, deren Inbegriff und Fahnenträger „Der Denzinger“ bis zum heutigen Tage ist.
1962–1965: Vaticanum II
Der Umfang von Denzingers erster Auflage (432 Seiten) ist durch neue Dokumente des Lehramtes (1854–1957) auf etwa 700 Seiten herangewachsen. Mit dem Konzil stieg das Volumen des Denzingers nochmals nahezu auf 1000 Seiten. Da in unserer postkonziliaren „Neuzeit“ selbst die Neupriester der lateinischen Amts‑, Liturgie- und Wissenschaftssprache kaum mehr mächtig sind, hat Hünermann den Originaldokumenten deutsche Übersetzungen angeheftet. Damit verdoppelte sich das ohnehin umfangreiche Werk auf etwa 1900 Seiten.
1965–1981: Generalat von P. Pedro Arrupe S.J.
Arrupe war der tonangebende Generalobere von damals, der sogar als Zweiter Ordensgründer, aber auch als Zerstörer eingeschätzt wurde.
Jesuiten weltweit
1965: 36.038
1973: 29.436
2002: 21.061
2003: 20.403
2007: 19.216
2009: 18.516
2012: 17.637
2013: 17.287
2014: 16.968
Unter seinem Generalat desertieren zahlreiche Jesuiten in die lateinamerikanische Befreiungs- und Volkstheologie, ja sogar auf die Seite des subversiven Guerillakriegs nach kubanischen Leitbildern. Laut offizieller Statistik des Ordens setzte ein anhaltender Mitgliederschwund ein, wofür neben Apostasie vor allem die Überalterung und der fehlende Nachwuchs verantwortlich sind. Dass für einen katholischen Orden aus einem agitatorischen Linkstrend wenig Anziehungskraft entströmen kann, ist im Grunde genommen auch sehr verständlich.
1973: Der unbekannte Jorge Mario Bergoglio wird mit 37 Jahren – und lediglich nach 15 jähriger Ordenszugehörigkeit – ziemlich „jung“ Pater Provinzial in seiner argentinischen Heimat. In jenen zunehmend trüben Zeiten war er ein Adept des Peronismus. Damals war Argentinien vom hohen Klerus (wie Antonio Quarracino, Raúl Francisco Primatesta) angefangen bis zum einfachen Volk durch und durch von Peróns ideologisch gemäßigter Demagogie begeistert: „Weder Yankees noch Kommunisten“ war das prophetische Losungswort des Generals Juan Domingo Perón. Vor den 70er Jahren blieb seine rechts stehende, eher nur verbal dahin deklamierende Gewerkschaftsbewegung, wie durch ein Wunder, von marxistischer Infiltration verschont. „Soziale Gerechtigkeit“ war das gefühlsmäßig verbindende, aber inhaltsleere Schlagwort zwischen der Kirche und Peróns redegewaltiger Politik.
Anfangs der 70er Jahre mischte sich den inneren Querelen des Peronismus eine kommunistisch inspirierte, vom kubanischen Revolutionsführer Fidel Castro und dem internationalen Sozialismus mächtig geförderte kontinentalweite Unterwanderung bei.
An einem denkwürdigen 11. September 1973 sah sich das Militär in Chile unter dem General Augusto Pinochet – Gott und dem Vaterland verpflichtet – gezwungen, gegen die „Kubanisierung“ des Landes durch den Altsozialisten Salvador Allende mit den Waffen zu intervenieren. General Augusto Pinochet regierte bis 1990 mit eiserner Hand gegen den Kommunismus.
1974: Als im Juli dieses Jahres der mehrfach wiedergewählte, populäre General Perón starb, waren damit die letzten, schützenden Schleusen gegen die Sintflut von Linksaußen auch in Argentinien geöffnet.
1974–1975: Sogar in der 32. Generalkongregation des weltweiten Jesuitenordens vollzog sich eine radikale Kehre nach links. Bergoglio war einer der zahlreichen Teilnehmer an dieser Kongregation, allerdings ohne aufzufallen. Als überzeugter, aufrechter Peronist war er vermutlich noch fern von einer Umkehr positioniert – aber vom Linksrutsch seiner Mitbrüder sicher nicht unbeeindruckt.
Obwohl Karl Rahner in seinen jungen, vorkonziliaren Jahren ein Denzinger-Herausgeber war, äußerte er sich später oft abfällig über die sogenannten „Denzinger-Katholiken“. Seine Kehrtwendung hängt sicherlich mit dem säkularisierten „Konzilsgeist“ zusammen, der ein Jahrzehnt nach dem II. Vaticanum auch im Jesuitenorden zum Durchbruch kam.
1976: Anfangs ließ der Militärputsch in Argentinien viele Menschen aufatmen
General Jorge Rafael Videla erhob sich gegen die regierungsunfähige Präsidentenwitwe Isabel Martànez de Perón, die wie ein peinlich wirkendes „dummes Ganserl“ nicht imstande war, das von ihrem verstorbenen Gemahl (1974) geerbte Amt des Staatsoberhauptes auszuüben. Für die staatstragende Peronistische Partei war die Gefahr des kommunistischen Umsturzes durch links-peronistische Montoneros sowie durch die marxistische Volksarmee (Ejército Revolucionario del Pueblo / ERP) eine beinharte, akute Realität geworden. Diese genossen Applaus und volle Unterstützung der Sozialisten aus aller Welt.
Anfangs gab es eine natürliche und zumindest gefühlsmäßige Allianz aus Militär, rechten Gewerkschaften und Kirche für den „Proceso de Reorganización Nacional“, wie es offiziell hieß. Am Anfang flogen dem von der Presse als „korrekt, höflich und beinahe puritanisch“ beschriebenen General Videla im bürgerlichen Lager durchaus Sympathien zu. In diesem an und für sich wünschenswerten Prozess gab es aber bedauerlicherweise keine geistige Führung, auch seitens der argentinischen Kirche nicht, sondern eine mehr oder weniger willkürliche Herrschaft von brutalen Offizieren, die der Korruption auch nicht abhold waren.
1978: Hinter den Kulissen einer triumphalen Fußball-Weltmeisterschaft entfachte ein erbarmungsloser Kampf. Die Terrorakte der Subversion wurden mit militärischer Härte, aber auch mit unverhältnismäßigen Kriegsverbrechen vergolten. Videla – als Chef der Junta mit allen Vollmachten ausgestattet – war nicht in der Lage, den von seinen Kommandanten verübten „Terror gegen den Terror“ in Grenzen zu halten.
Im Gegensatz zu Chile, das unter Pinochet ein moderates „Wirtschaftswunder“ erlebte, war in Argentinien die Abwehr des Kommunismus von einer wirtschaftlichen Dauerkrise überschattet. In Chile wurde die Führung in Banken und Schaltstellen der Wirtschaft von einer jungen, kompetenten Generation der sogenannten „Chikago Boys“ übernommen, die ihre Studien an den päpstlichen Universitäten des Landes absolviert und an der Universität von Chikago bei Friedrich August von Hayek und Milton Friedman promoviert hatten, währenddessen José Martànez de Hoz, der Wirtschaftsminister Videlas, ein unprofessioneller Dilettant war. In Argentinien fungierte über 30 Jahre lang die astronomische Inflation – in den 70er und 80er Jahren sogar weit über 1000 Prozent jährlich – als Ersatz für die fehlenden Staatseinnahmen, was den wirtschaftlichen Niedergang des Landes definitiv besiegelte. Die Strukturen der Produktivität sind langfristig bis heute ruiniert.
1978: Wahl von Papst Johannes Paul II.
1979: Der unbeliebte, umstrittene, autoritäre Pater Provinzial Bergoglio wurde von seinen Ordensbrüdern abgelöst. Er verschwand aus der Öffentlichkeit und tauchte in die Anonymität einer erstaunlich langen Zeitspanne (1979–1992) unter. Was ist in dieser Zeit geschehen? Nach der Darstellung von Stefan Kiechle, dem derzeitigen Pater Provinzial der Deutschen Provinz des Jesuitenordens (cf. Grenzen überschreiten, Echter Verlag, Würzburg 2015): „Gott hat ihn verändert…“. Oder hat ihn der Orden von der rechten auf die linke Seite umgepolt?
1980: Am 6. Januar wurde der am 29. Dezember des Vorjahres zum Erzbischof von Mailand ernannte Jesuit Carlo Maria Martini geweiht und inthronisiert.
1981–1983: Papst Johannes Paul II. ordnete eine kommissarische Verwaltung des gesamten Jesuitenordens an, womit Arrupe und ein von ihm bereits designierter Nachfolger schließlich und endlich entmachtet wurden. Aber der rebellische Orden versteckte sich alsdann schweigsam bis halblaut im kirchlichen „Untergrund“, in der „Sozialarbeit“, an „Universitäten in Übersee“ wie in Argentinien, Zentralamerika und Japan, weit weg vom „bösen“ Vatikan.
Die päpstliche Maßregelung von Arrupe war ein leichtes und gerechtes Verfahren. Nachdem er einen schweren Schlaganfall und eine halbseitige Lähmung erlitt, war er noch 10 Jahre lang bis zum Lebensende (1981–1991) ohnehin regierungsunfähig.
1983: Mailands Erzbischof Martini wird vom Papst in das Kardinalskollegium aufgenommen. Setzte Johannes Paul damit eine versöhnliche Geste oder ein Zeichen der Schwäche dem Orden gegenüber? Alsdann scharte sich die progressive, intellektuelle 68er-Schickeria vorzugsweise in der Umgebung des neuen Jesuitenkardinals. Dieser polterte als „Ante-Papst“ in der breiten Öffentlichkeit und wartete sprungbereit auf das nächste Konklave. Johannes Paul II regierte jedoch „zu lang“ und Martini wurde „zu krank“, sodass der Heilige Geist ihn doch nie ernsthaft für die Papstwürde auserkoren hat.
1983: In Argentinien trat nach dem verlorenen Falklandkrieg (1982) die letzte Militärjunta zurück. Es war der Beginn der unrühmlichen Regierungszeit des demokratisch gewählten Raúl Alfonsàn vom sozialistischen Flügel der sogenannten „Radikalen Partei“. Nach einem Währungs- und reinem Namenswechsel von 1000 „Peso Argentino“ zu einem neuen „Austral“ trieb der neue Wirtschaftsminister der sozialdemokratischen Regierung Juan Vital Sorrouille die übliche Inflation wieder bis auf die absolute Spitze von 30 Prozent pro Monat. Sobald dieser akkumulierte Grenzwert ((1+0,30)^12–1)*100 = 2229,8 % im Jahresschnitt erreicht war, lösten sich alle Märkte im Chaos auf – und die Gesellschaft versetzte sich in den Reizzustand der Rebellion.
1986: Zwecks Dissertation, angeblich über den Religionsphilosophen und Dogmatiker Romano Guardini (1885–1968), tauchte der bereits fünfzigjährige Bergoglio kurz auf, als er sich auf den Weg nach Frankfurt in die Jesuitenhochschule begab, um sie unverrichteter Dinge nach einigen Wochen wieder zu verlassen. Wahrscheinlich hatte er eingesehen, dass diese Aufgabe für ihn einige Nummern zu groß war. Eine Dissertation ist Voraussetzung für eine akademische Laufbahn und die Ernennung zum Bischof.
1990: Auch in Chile wurde die Militärregierung durch friedliche Wahlen zurückgedrängt. In Argentinien unter dem triumphal gewählten Präsidenten Carlos Saúl Menem, einem Dissidenten aus dem klassischen Peronismus, und seinem Minister Domingo Cavallo kam es zum abrupten Ende der Hyperinflation dank einer genial ausgedachten Peso-Dollar-Parität 1:1. Diese wurde nicht durch die darniederliegende Wirtschaftskraft des Landes ermöglicht, sondern durch die Privatisierung der maroden Staatsbetriebe finanziert. Die neuen, kräftigen Investoren kamen aus dem Ausland, vor allem aus Spanien.
Eine weitergehende Analyse der Ursachen dafür, warum auch das Jahrzehnt der 90er Jahre schief verlief, würde zeigen, dass ab 1995 nach dem Abflauen des wirtschaftstötenden Inflationsfiebers eine vorsichtig ausbalancierte Abwertung nötig gewesen wäre. Die Einkünfte aus der Privatisierungswelle waren bald verflossen und für die weitere Erhaltung der Peso-Dollar-Parität sprang die Auslandsverschuldung ein – so wie bei uns in Griechenland. In einem komplexen wirtschafts‑, innen- und weltpolitischen Umfeld wurden die Banken und die Regierung Menem durch den Internationalen Währungsfonds „gerettet…“
Jorge Mario Bergoglios rapider Aufstieg
1992: Bergoglio wurde urplötzlich Weihbischof von Buenos Aires. Sobald der nach wie vor unbekannte, – sagen wir mal so – erfolglose Jesuitenprovinzial Jorge Mario Bergoglio in das Erzbischöfliche Palais von Buenos Aires gehievt worden war, gelangte er sehr rapide aufwärts. Ausgerechnet als fünf wirtschaftlich schwungvolle bis vielversprechende Jahre (1900–1995) ins Land einkehrten, kehrte er seine geharnischten Hassgefühle gegen die „neoliberale“ Marktwirtschaft hervor. Er schloss sich immer lauter dem progressivsten, mehr Illusionen als realen Erfolg versprechenden Hauptstrom deren an, die stets an der jüngsten Vergangenheit „basteln“, aber für den Aufbau der Gegenwart und Zukunft bar jeder brauchbaren Idee herumstehen.
Ob Bergoglio insgeheim tüchtiger geworden war oder geschoben wurde, bleibt ein Rätsel seiner ungewöhnlichen Karriere. Jedenfalls wurde er erst im nachhinein ein rigoroser Kritiker des Gewesenen und ein inkompetenter Besserwisser in wirtschaftlichen Fachfragen. Denn zur historisch rechten Zeit, am historisch rechten Ort verlautbarte er kein lautes Wort gegen die Misswirtschaft der Militärdiktatur. Er hat sich mit ideologischen Äußerungen lange zurückgehalten, sich wenig kompromittiert, und war ein treuer Diener für seinen betagten Chef Quarracino, der ganz und gar im „Justicialismo“ und damit in der Vergangenheit engagiert war. Justicialismo ist ein argentinisches Synonym für den rechten Peronismus.
Bezüglich einer bohrenden Rätselfrage kann ich nur wiederholen, dass in Bergoglios Curriculum zwischen seiner Abwahl als „unbekannter, junger, erfolgloser Pater Provinzial“ (1979) und seiner urplötzlichen, kometenhaftigen Erscheinung als „Weihbischof auf sicherem Posten“ (1992) eine gähnende Lücke besteht.
In Buenos Aires Weihbischof zu sein, nämlich in der Hauptstadt und somit in der wichtigsten Erzdiözese des Landes, war der Königsweg, der nach innerkirchlichem „Brauch und Sitte“ unweigerlich zur Kardinalswürde und zu einem „möglichen“ Thronanwärter auf das Papsttum führen musste. Als sich der unscheinbare Bergoglio in Frankfurt vergeblich um ein Doktorat bemühte, waren vermutlich seine Ordensoberen auf ihn aufmerksam geworden. Meine Arbeitshypothese besagt, dass es dem umtriebigen Jesuitenkardinal Carlo Maria Martini und dem oppositionellen, „progressistisch“ eingestellten gesamten Orden sicherlich nicht schwer gefallen war, in Bergoglio einen idealen Spitzenkandidat für die Palastrevolution zu entdecken.
1997: Also haben sie ihn als künftigen Koadjutor mit Nachfolgerecht auf das Amt des Erzbischofs von Buenos Aires aufgebaut. Dem alternden, ahnungslosen Quarracino verursachte Bergoglio ganz bestimmt kein Unbehagen, da beiden der gute Ruf von „aufrechten, rechten“ Peronisten zugeschrieben war.
1998: Nach dem Ableben von Erzbischof Quarracino wurde Bergoglio in der Tat automatisch sein Nachfolger als Erzbischof und Primas von Argentinien.
2001: Kurz darauf wurde er eo ipso auch Kardinal.
Als Zwischenbilanz kann gesagt werden, dass ab 1990 die politische Lage in Argentinien ganz und gar nicht „schwierig, chaotisch oder undurchsichtig“ war. Im Gegenteil die soziale Stimmung im Lande war sehr vielversprechend, da nach der katastrophal versagenden Regierung des Sozialdemokraten Raúl Alfonsàn (1983–1989) in der Person von Carlos S. Menem ein „waschechter“ Peronist an die Reihe kam, der während der Militärregierung sogar zeitweilig eingesperrt war. Er verstand vom Wirtschaften zwar gar nichts, aber er erwählte einen gescheiten, energischen Wirtschaftsminister. Nach zwei Jahren erfolgreicher Wirtschaftspolitik (1990–1992) entpuppte sich Menem als Dissident aus den „klassischen“ Klischees des altväterlichen Peronismus, was für Erzbischof Quarracino und seinen Weihbischof Bergoglio als ein „neoliberaler“ Unfug und Verrat vorkommen musste. Präsident Menem hatte den längeren Atem und wurde 1995 triumphal wiedergewählt, es ging aber bis Ende des Jahrzehnts bergab mit ihm, da er viele Fehler beging und er verlor die Wahlen gegen Fernando de la Rúa von der oppositionellen „Radikalen Partei“, der nur vorübergehend vom 10. Dezember 1999 bis zum 21. Dezember 2001 Präsident von Argentinien war. Er wurde von den „hemdlosen“ Peronisten (d. h. von der Plebs der Vorstädte) in der vorweihnachtlichen Hitze gestürzt. Buenos Aires war in Flammen, die Supermärkte wurden geplündert. Der ehemalige Vizepräsident von Carlos S. Menem und aktuell regierender Landeshauptmann von Buenos Aires, Eduardo Duhalde, war der anführende Caudillo.
2002: Im totalen Chaos gab es in Argentinien in der ersten Januar-Woche zu viele Präsidenten nacheinander: Ramón Puerta, Adolfo Rodràguez Saá, Eduardo Camaño… Schließlich riss Eduardo Duhalde die Mehrheit des Kongresses hinter sich, und als starker Mann der Stunde übergab er die Macht an Néstor Kirchner (2002–2007). Kardinal Bergoglio konnte sich nach dem Rummel ungeniert als Verbündeter des Kirchnerismus entfalten.
2005: Wahl von Papst Benedikt XVI.
Unter dem polnischen „Philosophenpapst“ Karol Wojtyla war Joseph Kardinal Ratzinger der standhafte Präfekt der Römischen Kongregation für die Glaubenslehre. In seiner präzisen Erklärung „Dominus Iesus“ (2000) bezog er sich 17 Mal ausdrücklich auf den Denzinger. Als Nachfolger ist er selber ein begnadeter „Theologenpapst“ geworden, der nach gezielten Konspirationen und mangelnder Loyalität seitens der Martini-Partei und der sogenannten „Mafia“ von Sankt Gallen (Godfried Danneels, Walter Kasper u. a. m.) das Petrusamt im Alter von 86 Jahren verlassen hat. Die Etikettierung „Mafia“ ist in diesem Kontext kein Schimpfwort von dritter Seite, da es von Kardinal Danneels selber mit „Galgenhumor“ ins Gespräch gebracht worden ist.
Allem Anschein nach war es in den 27 Regierungsjahren von Johannes Paul II. der folgenschwerste Fauxpas, Bergoglio die Kardinalswürde zu verleihen. Dieser Kardinalshut zog also ungeahnte Konsequenzen nach sich, da sein Amtsinhaber als Thronanwärter aus dem Konklave 2005 zwar mit einem leeren Korb, aus dem Konklave 2013 jedoch als Sieger hervorging. Bergoglio ist seitdem unermüdlich dabei, die von Karl Rahner angezettelte, von Pedro Arrupe, dem sogenannten „Schwarzen Papst“ angeführte und von Carlo Maria Martini und Godfried Danneels patronisierte Palastrevolution rücksichtslos gegen die Tradition durchzuziehen. Der Staatsstreich im Vatikan war offenbar an den regierenden Päpsten Johannes Paul und Benedikt vorbei von langer Hand geplant gewesen.
Bergoglio hat sich erst langsam – nicht bevor er die Kardinalswürde erhielt – vollständig „geoutet“ und blieb für eine lange Zeit ein unbeschriebenes (oder nur ein wenig auffälliges) Blatt im Hintergrund. Erst gegen Benedikt bezog er eine unverbrämte, feindliche Stellung. Seine Beförderung dürfte eine undurchsichtige Heimzahlung gewesen sein, die systematisch von seinem Orden aufgebaut wurde, der bis heute nicht verwinden kann, dass Arrupe abgesetzt und die marxistisch-linkslastige „Theologie der Befreiung“ von den beiden Päpsten Johannes Paul und Benedikt abgekanzelt worden war.
2006: Benedikts Regensburger Vorlesung wurde von Bergoglio brüsk und demonstrativ vor aller Welt abgelehnt. Um die vatikanische Befremdung darüber zu glätten und den frommen Schein zu wahren, entließ er Guillermo Marcó, seinen damaligen Pressesprecher als Sündenbock, der heute jedoch im „Video vom Papst 2016“ einer der Darsteller ist.
Aber ein Jesuitenkardinal und Erzbischof wie Martini oder Bergoglio – mit einem militanten Orden hinter sich – galten praktisch als pragmatisierte Beamte auf höchster Ebene, die beinahe so unabsetzbar, unversetzbar und unangreifbar waren wie der Papst selber. Einmal so hoch angekommen, konnte also Bergoglio freihändig obstruieren, zunächst einmal in seiner Heimat als Verbündeter des linkslinken Kirchner-Regimes.
2007–2015: Nach dem frühen Herztod Néstor Kirchners kam seine Ehefrau ins Präsidentenamt. Das „Präsidenten-Ehepaar“ Kirchner gehörte bekanntlich in seinen Studentenjahren zur revolutionären Jugend, als Bergoglio noch ein „provinzieller“ Pater Provinzial war.
2013: Bergoglios Wahl zum Papst
Franziskus hat mit seinen Säuberungen bereits mehrmals vorexerziert, dass ein unbotmäßiger (weil traditionsverbundener) Kurienkardinal mit einem Federstrich aus seinem Amt entlassen werden kann. Einem ebensolchen Einzelgänger im Bischofsamt kann abermals mit leichtfertiger Hand eine „Apostolische Visitation“ mit vorzeitigem Ruhestand angehängt werden. Dafür lieferte der unbarmherzige Franziskus auch schon manche Beispiele.
2016: Im unsäglichen „Video vom Papst“ (Gebetsmeinungen Januar 2016) über die vier synkretistisch präsentierten Weltreligionen steht jetzt der ganze Unfug von Nostra aetate schwarz auf weiß fest. Papst Franziskus spricht höchstpersönlich als Conferencier und lässt den Priester Guillermo Marcó, seinen ehemaligen Pressesprecher aus Buenos Aires, als Statisten in diesem interreligiösen Indifferentismus auftreten. Das theatralische Machwerk ist ein kitschiger Schwachsinn gegen alle Glaubensbekenntnisse und Definitionen der katholischen „Denzinger Tradition“. Die frei erfundenen Phantasieprodukte von vier komplementär ineinander verzahnten Religionen täuschen eine Versöhnung von Differenzen vor, wo in der Tat fundamentale Abgründe bestehen.
Der theologische „Dialog“
Ein theologisches Gespräch („Dialog“) hätte Sinn und sachlich klärende Aussagekraft nur dann, wenn die Darsteller aus Judentum, Islam und Buddhismus nicht anonyme Schauspieler in einem Aufnahmestudio oder solitäre Einzelgänger auf eigene Faust wären, sondern prominente Anführer mit Namen und Angabe ihrer näheren Stellung und Herkunft aus einer kohärenten Gemeinschaft benannt wären. Gerade diese Glaubensgemeinschaften bestehen aber außerhalb des Rest-Katholizismus und der russischen Orthodoxie nirgendwo mehr. Die Säkularisierung zehrt überall an der Substanz.
Im Prolog des Evangeliums nach Johannes steht die exklusive Distinktion:
„Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er die Macht, Kinder Gottes zu werden, denen nämlich, die an seinen Namen glauben…“ (1,12)
Mit Franziskus feiern jedoch der Relativismus und der Synkretismus einen bislang ungekannten Höhenflug:
„Viele denken anders, fühlen anders, sie suchen und finden Gott auf unterschiedliche Weise. In dieser Vielfalt, in dieser Auffächerung der Religionen [= en el abanico / also in der Form eines eng verflochtenen, egalitären Fächers, damit sagt er im spanischen Originalton unverhohlen die Unwahrheit] gibt es eine einzige [??!] Gewissheit, an der wir für alle festhalten: Wir sind alle Kinder Gottes.“
Somit muss sich dieser Papst kategorisch auf seinen Kopf zusagen lassen, dass er eine schwere, offensichtliche Häresie gegen das Johannes-Evangelium verbreitet.
Mit dieser Fehleinschätzung haben sich die Protestanten längstens, und aber auch das Vaticanum II in den letzten 50 Jahren völlig überflüssig gemacht. Wenn man Gott außerhalb der Kirche ebenso gut in einem „Abanico“ (Fächer) suchen und finden könnte – dann hätte die Kirche selber abgedankt und wäre entbehrlich geworden. Joseph Kardinal Ratzinger, aber auch Erzbischof Marcel Lefebvre haben recht behalten:
„Mit dem Kommen Jesu Christi, des Retters, hat Gott die Kirche für das Heil aller Menschen eingesetzt. Diese Glaubenswahrheit nimmt nichts von der Tatsache weg, dass die Kirche die Religionen der Welt mit aufrichtiger Ehrfurcht betrachtet, schließt aber zugleich radikal jene Mentalität des Indifferentismus aus, die durchdrungen ist von einem religiösen Relativismus, der zur Annahme führt, dass eine Religion [bzw. jede beliebige Konfession oder jede primitive Kultur] gleich viel gilt wie die andere.“
(Dominus Iesus. Erklärung der Römischen Glaubenskongregation vom 6. VIII. 2000. § 22)
Tief sitzende Zerrissenheit zwischen „Treue und Untreue“
Die ständig wiederkehrenden Refrains der historischen „Schuldbekenntnisse“, die stereotype „Bewältigung“ der Vergangenheit und die eigene „Nestbeschmutzung“ im interreligiösen, interkonfessionellen und internationalen Dialog erklingen immer wieder einseitig von katholischer (oder deutscher Seite) aus. Ich habe noch keinen indigenen Prediger gehört, der seine Vorfahren als Kannibalen bedauerte, keinen protestantischen Pastor, der über Luthers Antisemitismus ein Wort verlöre… Auch gab es noch keinen amerikanischen Präsidenten, der in Hiroshima und Nagasaki Kränze niederlegte. Bislang hat kein einziger Muselman eingestanden, was sie einst in Iberien, in Byzanz oder in Ungarn von Mohács über Budavár bis an die Mauern vom Türkenschanzpark in Wien angerichtet hatten.
Es ist zu bedauern, wenn unser Papst als führende Amtsperson anstelle der Glaubenswahrheiten uns Illusionen vorspiegelt, unerfüllbare Forderungen stellt, Wetter- und Klimaprognosen formuliert, grundlose Schuldgefühle hochschaukelt und unsere eigene Abwehrkraft einschläfert: Seid umschlungen Millionen – während im Nahen Osten die Christen ausgerottet und im Abendland überflutet werden. Gott möge auch den Naiven und Einfältigen seine Gnade walten lassen, wenn sie wenigstens guten Willens sind. Der Weg, der in die Hölle führt, ist allerdings mit guten Vorsätzen gepflastert.
Die immer tiefer sitzende Zerrissenheit zwischen „Treue und Untreue“ zur überlieferten Lehre schwillt seitdem weiter. Der Widerstand wächst. Der Konflikt ist noch nicht ausgefochten und wirkt auf die Kämpfer der Tradition wie erfrischend. Mit seiner Hermeneutik der geistigen Kontinuität vermachte uns Ratzinger ein Erbe, das vom argentinischen „Soziologenpapst“ nicht sogleich, leicht und komplett desavouiert werden kann.
In Ratzingers Nachlassenschaft findet sich ein ganzes Arsenal für die Verteidigung der Glaubenswahrheiten. Franziskus liebt dagegen keine Präzisionssprache und palavert nur in seiner spanisch-italienischen Muttersprache (da er anscheinend keine andere beherrscht) über sekundäre Themen, die dem Massengeschmack entgegenkommen. Dementsprechend ist er lediglich ein Repetent alter Gemeinplätze aus der Wirtschaft, der Tagespolitik, der Klimaänderung und aus den pastoralen Irrtümern des II. Vaticanums. Er will ein Macher, kein Denker, ein Praktiker, kein Theoretiker sein. Seinen nebulösen Bildungsweg hat er ohne Dissertation abgeschlossen, was im durch und durch akademisch trainierten Jesuitenorden ein seltenes Manko darstellt.
Triviales Volksempfinden der Jakobinerphilosophie
Franziskus verlangt von uns einerseits an die Peripherien des Geistes und der Zivilisation auszuwandern und dem trivialen Volksempfinden der Jakobinerphilosophie entgegenzukommen. Dementsprechend fordert er, der laufenden Völkerwanderung nach Europa bedingungslos Platz zu machen: „Nehmt Gute und Schlechte gleichermaßen auf!“ Die Habe- und Taugenichtse sollen uns Mores lehren – und nicht wir ihnen.
Der allgemeinen Nivellierung nach unten ist entschieden entgegenzuhalten, dass uns die Befreiungs- und Volkstheologie keine neue Offenbarung bescheren kann. Die Option der lateinamerikanischen Kirche für die Armen hat schwerwiegende Konsequenzen wie Bildungsdefizit, mangelnde Initiative und fehlendes Verantwortungsbewusstsein, die in der Dritten Welt zu einem anhaltenden Pauperismus führen müssen.
Die Ideologen der „Liberación“ und Angela Merkel scheinen dem gleichen Irrtum erlegen zu sein: Als ob es unsere monokausale Pflicht wäre, für alle Misswirtschaft der Weltgeschichte die direkte Verantwortung zu übernehmen und nicht nur unserer „nächsten Umgebung“ und unserem eigentlichen Verantwortungsbereich, sondern auch den Abermillionen „Übernächsten“ gegenüber Schuldgefühle zu hegen, die in zahlreichen Aberglauben, Sitten und Bräuchen, Irrlehren und offenbar falschen Religionen unbelehrbar verstockt sind. Wer auf Buddha vertraut – na, dann rechne er auch mit den wirtschaftlichen Konsequenzen dafür. Wer wider besseres (und mögliches) Wissen seine Einsichten und seine falschen Glaubenssätze nicht laufend überprüft, dem kann schwerlich geholfen werden. Was der Dritten Welt fehlt, ist die Option für eine breite Bildungsgesellschaft und die Formung einer ethisch gesinnten Elite. Ohne elitäre Führungspersönlichkeiten sind die Massen wie verloren.
Selbstverständlich müssten die Armen und Verfolgten vor allem zu Selbsthilfe – für sich persönlich und für ihre Heimat notfalls auch mit der Waffe in der Hand – angehalten werden. Widrigenfalls haben sie die Folgen ihrer selbstauferlegten Misswirtschaft und Unfreiheit zu ertragen. Es gibt freilich auch viel schuldloses Unglück, aber noch mehr selbstverschuldete Unmündigkeit und Unmut unter ihnen. Es gibt kein Liebes-Gebot für eine parasitäre Lebensweise:
„Wer nicht arbeiten [d. h. keine Selbsthilfe leisten] will, soll auch nicht essen! Wir haben nämlich gehört, dass einige unter euch einen faulen Lebenswandel führen, nichts arbeiten, sondern sich unnütz machen. Denen, die es angeht, gebieten und befehlen wir im Herrn Jesus Christus, dass sie… ihr eigen Brot essen“ (2 Thessalonicher 3,10–12).
Niemand verfügt über grenzenlose Vorräte an Gütern, Diensten und Rechten. Die „kapazitätsorientierte“ Obergrenze für die Umverteilung der Errungenschaften der Zivilisation ist eine unelastische Barriere, jenseits deren eine totale Demoralisierung bei den ausgebeuteten Gebern, aber auch bei den über Gebühr verwöhnten Nehmern eintritt. Gegen eine Betonwand sollte man nicht mit dem Kopf anrennen. Selbst ein reicher Finanzminister wie Wolfgang Schäuble muss es einsehen, dass seine Futtersäcke keine selbstvermehrend regenerierbare Füllhörner sind, die für Glück und Taschengeld, Fruchtbarkeit und Gratisessen der auf uns lauernden Migranten aus aller Welt offenstehen.
Ultra posse nemo tenetur
Freilich, das Nötige und Mögliche muss getan werden, wohltätig und freigebig, jedoch nicht verschwenderisch und nicht zuletzt auch militärisch, wo eine Intervention unerlässlich wird. Und das Unabänderliche – was wir entgegen Merkels naivem Optimismus nicht schaffen können – müssen auch die „Gutmenschen“ mit Gelassenheit ertragen. In der Wirtschaft gibt es keine unbezahlten Rechnungen, die Frage ist lediglich, wem der Schwarze Peter zugeschoben wird.
Ultra posse nemo tenetur: Über sein Können hinaus ist niemand verpflichtet, eine Leistung zu erbringen. Es ist untragbar und unmoralisch uns zuzumuten, dass wir ein paar Millionen kulturfremde Migranten auszuhalten hätten. Unlängst hat Andreas Unterberger in seinem Tagebuch (cf. „Heiße Luft…“ am 21. Januar 2016) dieses uralte Prinzip in Erinnerung gerufen, das selbstverständlich sowohl bei objektiver Unmöglichkeit, als auch bei subjektivem Unvermögen gilt. Fraglich wäre es nur, falls es auf Heuchelei gründen sollte. Eine Rechtfertigung aus Pflichtenkollision ist also durchaus auch für uns, angeblich wohlhabende Europäer nicht unzulässig. Verdientermaßen haben wir unseren krisengefährdeten, relativen Reichtum in der Regel hart erarbeiten und nach einem Weltkrieg Generationen hindurch praktisch aus dem Nichts ansparen müssen, während die Ideologen der Dritten Welt auf die gebratenen Tauben warten. Derselbe Grundsatz gilt auch im Verwaltungsrecht für die Frage, ob sich der Staat wie, wann, wo, womit und wieweit karitativ einsetzen kann, wenn dafür weder Mittel, Kontrollen noch Kompetenzen vorhanden sind. Die moralischen Pflichten sind also durch das Machbare begrenzt. Allerdings, wer es unterlässt sein kleines Wissen und breites Gewissen stets auf Vordermann zu bringen, begeht eine schwere Fahrlässigkeit.
Grenzgebiet, wo Fahrlässigkeit in der Politik und Irrtumsanfälligkeit der Kirche aufeinandertreffen
Und nun stoßen unsere Überlegungen schließlich in das Grenzgebiet vor, wo die Fahrlässigkeit in der Politik und die Irrtumsanfälligkeit der Kirche selbst aufeinandertreffen. Für Laizisten ist das freilich keine Sorge, denn sie glauben, dass minderwertige Ideologien aus dem dunklen XX. Jahrhundert wie die demokratische „Diktatur der Massen“, ein ethisch frei schwebender, unfundierter „Liberalismus“ oder der internationale und nationale „Sozialismus“ eine zivilisierte Hochkultur hervorbringen können. Selbstverständlich jeder Religion und jedem Religionsersatz entspricht eine typisch geprägte Kulturverfassung, von den primitiven Indigenen angefangen bis zur militanten Unkultur der Französischen, Bolschewistischen oder Sexuellen Revolution.
Die Irrtumsfreiheit des kirchlichen Lehramtes ist auf die Bekenntnisse und Definitionen beschränkt, die uns in Angelegenheiten des Glaubens und der Sitten üblicherweise aus dem Denzinger bekannt sind. Für pastorale und kulturell nachwirkende Entscheidungen und Richtwerte gibt es freilich Erfahrungen, Überlieferungen und weise Vordenker, aber keine unfehlbare Haftung der Autoritäten, egal ob sie Priester, Staatsmänner oder Professoren sind. Hoch oben im delikatesten Amt aller Ämter gibt es also keinen Papst und keine Kirchenlehrer frei von Irrtümern in den zeitlichen Dingen, wenn auch die Kirche Jahrhunderte hindurch eine überaus erfolgreiche Mater et Magistra für die abendländische Zivilisation war. Wer das leugnet ist entweder ein Ideologe oder ein Ungebildeter, der dringend auf eine historische Nachschulung angewiesen ist.
Deshalb brauchen wir nicht am Glauben zu verzweifeln und auch nicht am nötigen Gehorsam dem Lehramt gegenüber zu rütteln, wenn wir aufgrund einer 50-jährigen soliden Erfahrung respektvoll fragen, ob das Aggiornamento des Konzilspapstes Johannes XXIII. vielleicht doch ein Fehlschlag war, der für die abendländische Zivilisation bis heute katastrophale Folgen gezeitigt hat.
Folge der Unvernunft sind bis heute anhaltende interreligiöse und interkonfessionelle Zumutungen
Das Vaticanum II war von seinem Urheber als „pastorales“ Konzil vorgesehen, das nicht vorhatte irgendwelche Definitionen zu erlassen. Es sollte am Ton und an der Wellenlänge gefeilscht werden, um das Alte im neuen, saloppen Gewand für die Blue-Jean-Generation verständlicher zu machen. Nur dabei ist es freilich nicht geblieben und die Väter verfassten auch völlig richtige dogmatische Konstitutionen über die fortwährende Subsistenz des „Depositum fidei“ in der Einen, Katholischen, Apostolischen Kirche. Die verfassungsrechtlichen, traditionskonformen Aussagen über das Selbstverständnis des Katholizismus können natürlich kein Gegenstand der Kritik sein. Kurz und gut: Für die pastoralen und kulturellen, vor allem aber für die politischen Vorhaben, da diese variabel sind, gibt es jedoch keine sicheren Depots und diese können rundweg richtig oder verfehlt sein. Zweifellos gehören in dieses Genre die allererste Konstitution über die leichtfertige Zertrümmerung der heiligen Liturgie sowie die zum Schluss folgenden Erklärungen Nostra aetate und Dignitatis humanae über den religiösen Liberalismus, die nach den überlang dahinziehenden Konzilsberatungen am Ende des dritten Jahres mit großer Eile und ohne Tiefe durchgepeitscht wurden.
Direkte Folge dieser Unvernunft sind die bis heute anhaltenden interreligiösen und interkonfessionellen Zumutungen, die sogar in den unrühmlichen Assisi-Treffen des nicht unweisen und nicht ungeschickten polnischen Papstes kulminierten. Benedikt zog zwar in seinem Pontifikat alle Notbremsen, es war jedoch bereits zu spät. In Assisi 3 von 2011 war die Verwilderung der kirchlichen Disziplin bereits so weit fortgeschritten, dass der Papst bald darauf inmitten einer allgemeinen Einschüchterung sich gezwungen sah, mutlos zu resignieren.
„Allertreueste Opposition“: legitim, tapfer, unablässig für die objektive Wahrheit und Gerechtigkeit eintreten
Dennoch scheint es völlig absurd und ausgeschlossen zu sein, für die postkonziliaren Päpste – all ihrer Irrtumsanfälligkeit zum Trotz, die ihnen in den nicht-unfehlbaren Grauzonen der Regierungstätigkeit eigen ist – eine Sedisvakanz-Hypothese zu erwägen. Das wäre selbst dann unmöglich, wenn „unser Franziskus“ auf die Dauer versagen und noch lange leben sollte. Eine papstlose Kirche ist schlichtweg unvorstellbar. Als „Allertreueste Opposition“ seiner Majestät – wie einst die alten Whigs in England genannt wurden – bekennen wir uns in den dogmatisch undefinierbaren Belangen eher zu einem fehlbaren Papsttum und beten in stürmischen Zeiten für seine Erleuchtung, anstatt an einen endgültigen Schiffbruch zu glauben. Daran zu poltern, warum und wie lange Gott die Zustände eines unfähigen oder gar abwegigen Papstes dulden möge, steht uns so wenig zu, wie Gott dem Propheten Jonas kein Recht für seine eschatologischen Reklamationen zubilligte (Jonas 4,9).
Wer es besser weiß, was die objektive Wahrheit ist, und es sich nicht bloß einbildet oder nur vortäuscht, der muss legitim und demütig, tapfer und unablässig dafür eintreten. Anstelle der ontologischen Wahrheit erkennen wir zwar nur „Objekte“, die durchaus empirisch und wissenschaftlich, intuitiv und traditionell, oder sonst, wie in einem Kunstwerk, durchaus nicht subjektiv beliebig, sondern höchst gesichert sein können, aber nach dem hl. Paulus sehen wir immer nur „durch einen Spiegel rätselhaft… und stückweise“ (1. Korintherbrief 13,9–12). Das ist zwar ein schmerzhaftes Vorgehen und verlangt eine beständige, strenge Revisionsbereitschaft gegen sich selbst, die für die ganze Kirche und die ganze Zivilisation vorteilhaft wäre, um aus den falschen Erwartungen der liberalen Katholiken endlich einmal munter zu werden. Einen absoluten „Punkt“ vermögen wir nicht wahrzunehmen, denn was wir für eine punktgenaue Definition halten, stellt immer nur einen kleinen „Fleck“ dar, der sich mit mehr oder minder unscharfen Abweichungen vor uns als „Vorstellung“ präsentiert. Dieser unsichtbare Punkt heißt im Spanischen „Das Weiße“ (El Blanco) einer Zielscheibe, das beharrlich anzuzielen ist, aber in diesem Leben weder völlig zu sehen noch völlig zu übersehen ist. Manche haben allerdings ein besseres Sehvermögen und eine höhere Zielgenauigkeit.
Wir können zusammen mit dem kleingläubigen Jonas keine Fahrkarte für eine Urlaubsreise ans Ende der Welt nach Tarschisch lösen, wenn Gottes Marschbefehl Richtung Ninive bestimmt worden ist (Jonas 1:3). Zorn und Strafen sind allein Gott und seiner Gerechtigkeit vorbehalten, der kein „barmherziger, seniler“ Opa ist. Wann Er uns einen wohlverdienten Fisch bestellen will, um uns samt all unseren Ungeheuerlichkeiten zu verschlingen, dafür brauchen wir Ihm keine Ratschläge zu erteilen.
*Der Autor war über 20 Jahre lang o. Universitätsprofessor für Volkswirtschafts- und Betriebswirtschaftslehre in Argentinien und Leiter eines „Seminario de Aplicación Interdisciplinaria“. Die Zwischentitel wurden von der Redaktion eingefügt.
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