Kardinal Ravasi an die Logen: „Liebe Brüder Freimaurer“


Freimaurerloge Heredom1224 von Cagliari
Kardinal Ravasi, der "Kulturminister" des Vatikans, schrieb an die Freimaurer. Im Bild: Freimaurerloge Heredom1224 von Cagliari

(Rom) Kar­di­nal Gian­fran­co Rava­si, der Vor­sit­zen­de des Päpst­li­chen Kul­tur­ra­tes, wand­te sich am ver­gan­ge­nen Sonn­tag in sei­ner Kolum­ne in der ita­lie­ni­schen Wirt­schafts­zei­tung Il Sole 24 Ore an die „lie­ben Brü­der Freimaurer“.

Anzei­ge

Der Bei­trag ist über­schrie­ben mit den Stich­wor­ten „Die Kir­che & die Loge“.

„Jen­seits der unter­schied­li­chen Iden­ti­tät, fehlt es nicht an gemein­sa­men Wer­ten: Gemein­schafts­sinn, Wohl­tä­tig­keit, Kampf gegen den Mate­ria­lis­mus.“ Mit die­sen Wor­ten lei­tet Kar­di­nal Rava­si sei­ne Kolum­ne ein, um dann sehr kon­kret zu wer­den, was das Ver­hält­nis zwi­schen Kir­che und Frei­mau­re­rei betrifft.

„Die­se ver­schie­de­nen Unver­ein­bar­keits­er­klä­run­gen zwi­schen den bei­den Zuge­hö­rig­kei­ten zur Kir­che und zur Frei­mau­re­rei ver­hin­dern aber nicht den Dia­log, wie es aus­drück­lich im Doku­ment der deut­schen Bischö­fe heißt, das bereits damals spe­zi­fi­sche Berei­che des Aus­tau­sches nann­te, wie die Dimen­si­on der Gemein­schaft, die Wohl­tä­tig­keit, der Kampf gegen den Mate­ria­lis­mus, die Men­schen­wür­de, das gegen­sei­ti­ge Kennenlernen.
Man muß zudem jene Hal­tung bestimm­ter inte­gra­li­sti­scher katho­li­scher Krei­se über­win­den, die – um eini­ge, ihnen unlieb­sa­me, auch hohe Expo­nen­ten der Kir­che zu tref­fen – zur Waf­fe der apo­dik­ti­schen Ankla­ge einer Logen­mit­glied­schaft griffen.
Abschlie­ßend, wie schon die Bischö­fe Deutsch­lands schrie­ben, muß man über gegen­sei­ti­ge ‚Feind­se­lig­kei­ten, Belei­di­gun­gen, Vor­ur­tei­le‘ hin­aus­ge­hen, weil ‚im Ver­gleich zu den ver­gan­ge­nen Jahr­hun­der­ten der Ton, das Niveau und die Art, die Unter­schie­de zu zei­gen‘, die wei­ter­hin ein­deu­tig fort­be­stehen, sich ver­bes­sert und gewan­delt haben.“

Ravasis Kolumne "Liebe Brüder Freimaurer"
Rava­si Kolum­ne „Lie­be Brü­der Freimaurer“

Kar­di­nal Rava­si, der sehr gut Deutsch spricht, beruft sich bei sei­ner Gesprächs­be­reit­schaft auf die deut­schen Bischö­fe, wobei er Kar­di­nal Franz König von Wien gewiß mit ein­schließt, der mit beson­de­rem Nach­druck, wenn auch ver­geb­lich, auf die Auf­he­bung der Exkom­mu­ni­ka­ti­on für die Frei­mau­rer hin­ar­bei­te­te. Als Fuß­ab­strei­fer die­nen „inte­gra­li­sti­sche katho­li­sche Krei­se“, von denen sich der Kar­di­nal gleich­zei­tig distan­ziert und den Vor­wurf der Logen­mit­glied­schaft gegen Kir­chen­ver­tre­ter als Ver­leum­dung die­ser Krei­se abtut. Die Aus­sa­ge des Kar­di­nals unter­schei­det sich damit nicht son­der­lich von jener des Wie­ner Dom­pfar­rers Toni Faber.

Die Kolum­ne des Kar­di­nals fällt mit einem Arti­kel in La Croix, der Tages­zei­tung der Fran­zö­si­schen Bischofs­kon­fe­renz zusam­men, die am ver­gan­ge­nen 25. Janu­ar die Auf­he­bung der Exkom­mu­ni­ka­ti­on gegen die Frei­mau­rer for­der­te, weil die­se Stren­ge „exklu­siv“ und „schmerz­lich“ nur die Frei­mau­rer tref­fe, „die sich zum katho­li­schen Glau­ben bekennen“.

Ende Okto­ber 2015 erklär­te Oscar de Alfon­so, Groß­mei­ster der Groß­lo­ge von Spa­ni­en, bei einer gemein­sa­men Tagung mit latein­ame­ri­ka­ni­schen Logen: „Wir leben in einem der besten Momen­te für die Frei­mau­re­rei.“ Ob er damit auch mein­te, daß die Zeit gün­stig sein könn­te, für die Auf­he­bung der Exkom­mu­ni­ka­ti­on durch die Katho­li­sche Kirche?

Die Reaktion des Großorients von Italien

Auf der Inter­net­sei­te von Il Sole 24 Ore kann Rava­sis Frei­mau­rer-Kolum­ne inzwi­schen nicht mehr abge­ru­fen wer­den, dafür aber auf der Inter­net­sei­te des Groß­ori­ents von Ita­li­en.

Großmeister Stefano Bisi (Großorient von Italien)
Groß­mei­ster Ste­fa­no Bisi (Groß­ori­ent von Italien)

Der Groß­mei­ster Ste­fa­no Bisi des Groß­ori­ents von Ita­li­en ant­wor­te­te Kar­di­nal Rava­si mit einem Brief an Il Sole 24 Ore. Dar­in begrüß­te er die Aus­sa­ge des Kar­di­nals, daß „die offi­zi­el­len Posi­tio­nen und Doku­men­te der Kir­che über die freie Mau­re­rei, nicht einen künf­ti­gen fried­li­chen Dia­log zwi­schen den bei­den Insti­tu­tio­nen behindern“.

Der Groß­mei­ster weiter:

„Es freut mich zu hören, daß Sie ohne Vor­ur­tei­le und mit der kul­tu­rel­len Weit­sicht, die Sie aus­zeich­net, über die Frei­mau­re­rei spre­chen und jen­seits der offi­zi­el­len Posi­tio­nen und Schrif­ten der Kir­che, die all­ge­mein bekannt sind, ohne vor­ge­faß­te Ideen aner­kannt haben, daß es zwi­schen den bei­den Rea­li­tä­ten den­noch auch gemein­sa­me Wer­te gibt, die ver­bin­den, wenn auch nicht ipso fac­to die unter­schied­li­chen Sicht­wei­sen und die deut­li­chen wenn nicht ent­schie­de­nen Unter­schie­de annul­lie­ren.“ Bisi wie­der­holt die von Kar­di­nal Rava­si genann­ten „Gemein­sam­kei­ten“ und schloß mit dem Wor­ten: „Auf die­ser Grund­la­ge kann man sich einen kon­struk­ti­ven Dia­log im vol­len Respekt der unter­schied­li­chen Iden­ti­tät wünschen.“

Ravasi, das enzyklopädische „Wunderkind“

Rava­si, Jahr­gang 1942, wur­de 1966 für die Erz­diö­ze­se Mai­land zum Prie­ster geweiht. Er gilt als „Wun­der­kind“, das sich bereits am Ende sei­ner Volks­schul­zeit aus eige­ner Initia­ti­ve Alt­grie­chisch bei­brach­te, weil es die Hei­li­ge Schrift unbe­dingt im Ori­gi­nal lesen woll­te. Heu­te beherrscht er neben sei­ner Mut­ter­spra­che Ita­lie­nisch wei­te­re zwölf alte und moder­ne Spra­chen. Am erz­bi­schöf­li­chen Prie­ster­se­mi­nar in Mai­land lehr­te er Bibel­ex­ege­se. Sei­ne Fähig­keit liegt in der Gabe, auch kom­ple­xe Sach­ver­hal­te ver­ständ­lich dar­zu­le­gen. Das mach­te ihn schnell unter Stu­den­ten beliebt und sei­ne Vor­ge­setz­ten auf ihn auf­merk­sam. Er gilt als wan­deln­de Enzy­klo­pä­die mit einer fas­zi­nie­ren­den Gaben sich viel einzuprägen.

Seit Ende der 1980 Jah­re gestal­te­te er jeden Sonn­tag­mor­gen eine Ein­füh­rung in die Sonn­tags­le­sun­gen bei Cana­le 5, dem größ­ten Fern­seh­sen­der von Sil­vio Ber­lus­co­ni. Er han­del­te sich ver­trag­lich her­aus, daß sei­ne Sen­dung nicht durch die sonst obli­ga­te Fern­seh­wer­bung unter­bro­chen wird. Auch trat er im Gegen­satz zu ande­ren Kir­chen­ver­tre­tern nie in Talk Shows und ande­ren Fern­seh­sen­dun­gen zwei­fel­haf­ten Geschmacks auf.

Die Gabe verständlich zu kommunizieren

Kardinal Gianfranco Ravasi
Kar­di­nal Gian­fran­co Ravasi

Sowohl in katho­li­schen (Avve­ni­re) als auch lai­zi­sti­schen Medi­en (Il Sole 24 Ore) wur­de er stän­di­ger Kolum­nist. Sei­ne Bücher sind Best­sel­ler, wes­halb ihm Kri­ti­ker vor­war­fen, sich zu sehr Lieb­kind machen zu wol­len. Doch zu den nicht ver­han­del­ba­ren Wer­ten, wie Abtrei­bung, Eutha­na­sie, bezog er immer kla­re Posi­ti­on und war auch bereit, streit­bar die Klin­gen zu kreu­zen. Rava­si for­dert abso­lu­ten Respekt für das Leben eines jeden Men­schen in jedem Augen­blick, „des­halb schul­det man auch dem sün­di­gen Men­schen Respekt“. Ins­ge­samt ver­band ihn daher wenig mit sei­nem Erz­bi­schof, dem Kar­di­nal Car­lo Maria Mar­ti­ni, der bereits sein Lehr­mei­ster am Päpst­li­chen Bibel­in­sti­tut in Rom war.

Als Theo­lo­ge fand er hin­ge­gen die Wert­schät­zung des Glau­bens­prä­fek­ten Joseph Kar­di­nal Ratz­in­ger. Vie­le Jahr galt Rava­si zwar als Kan­di­dat für alles, der aber nichts wur­de. Auch als Nach­fol­ger von Kar­di­nal Mar­ti­ni als Erz­bi­schof von Mai­land war er 2002 im Gespräch, wur­de es aber nicht. Als es 2012 um den Nach­nach­fol­ger ging, brach­te er sich sogar selbst ins Gespräch, wur­de aber erneut übergangen.

Die Karrierepanne

Die Ravasi-Kolumne auf der Internetseite des Großorient
Die Rava­si-Kolum­ne auf der Inter­net­sei­te des Großorient

2005 schien der Bischofs­stuhl von Assi­si, der Stadt des hei­li­gen Fran­zis­kus, für ihn bereit­zu­ste­hen. Rava­si hät­te sicher ver­stan­den, die Auf­merk­sam­keit auf die klei­ne ita­lie­ni­sche Diö­ze­se zu len­ken, deren Bischö­fe außer­halb ihrer enge­ren Umge­bung nicht bekannt sind. Doch im letz­ten Moment leg­te sich die Bischofs­kon­gre­ga­ti­on quer. Grund war eine 2002 auch in der Tages­zei­tung Il Sole 24 Ore erschie­ne­ne Rava­si-Kolum­ne über Ostern mit dem Titel „Er ist nicht auf­er­stan­den, son­dern hat sich erho­ben“. Rava­sis Kan­di­da­tur für Assi­si wan­der­te in den Papier­korb. Eine Por­ti­on inner­ita­lie­ni­sche Kir­chen­po­li­tik mag dabei eine Rol­le gespielt haben.

Der zum Papst gewor­de­ne Joseph Ratz­in­ger hielt sei­ne Wert­schät­zung auf­recht und berief ihn 2007 an die Spit­ze des Päpst­li­chen Kul­tur­ra­tes. Das hat­te mit einem ande­ren Ver­dienst Rava­sis zu tun, der im Gegen­satz zu zahl­rei­chen Exege­ten, mit Nach­druck dafür plä­dier­te, daß der Mensch Jesus auch in der exege­ti­schen Dar­le­gung nicht von sei­nem Gott­sein getrennt wer­den dür­fe. Eine Posi­ti­on, für die Bene­dikt XVI. mit sei­ner Jesus-von-Naza­reth-Tri­lo­gie eintritt.

Der „Vorhof der Völker“

Als Vor­sit­zen­der des Päpst­li­chen Kul­tur­ra­tes ent­wickel­te der 2010 zum Kar­di­nal erho­be­ne Theo­lo­ge, die Idee des „Vor­hofs der Völ­ker“ in Anleh­nung an den Vor­hof der Hei­den des jüdi­schen Tem­pels. Bis dort­hin konn­ten jene ein­tre­ten, die nicht Juden waren, wei­ter durf­ten sie nicht. Die 2011 gestar­te­te Initia­ti­ve soll­te einen Dia­log zwi­schen der Katho­li­schen Kir­che und suchen­den Athe­isten begin­nen. Welt­weit fan­den seit­her Ver­an­stal­tun­gen statt.

Die Akti­on hat­te bis­her jedoch kei­nen nen­nens­wer­ten Erfolg. Das Inter­es­se ebb­te schnell ab. Papst Bene­dikt XVI. selbst übte kurz vor sei­nem Amts­ver­zicht Kri­tik dar­an und ver­such­te die Ver­an­stal­tung auf Kurs zu brin­gen. Er warf dem „Vor­hof der Völ­ker“ vor, ein selbst­ge­fäl­li­ger Debat­tier­club zu sein. Ein Zug, auf den zwar eine Rei­he von erklär­ten Athe­isten auf­sprang, die ein Forum für ihre Selbst­dar­stel­lung such­ten. Das Ziel müs­se aber die Evan­ge­li­sie­rung sein. Ohne den mis­sio­na­ri­schen Schub habe die Ver­an­stal­tung kei­nen Sinn.

Mutter-Erde-Kult, Biennale, Expo und vorsorgliches Schweigen

Der „Vor­hof der Völ­ker“, als jeweils mehr­tä­gi­ge Ver­an­stal­tung, fin­det zwar wei­ter­hin jähr­lich in zehn Aus­ga­ben in ver­schie­de­nen Städ­ten statt, doch weit­ge­hend unter Aus­schluß der Öffent­lich­keit. Ein­zi­ges Auf­se­hen erreg­te, als der „Vor­hof der Völ­ker“ im Novem­ber 2014 in Argen­ti­ni­en Sta­ti­on mach­te und Kar­di­nal Rava­si an einem scha­ma­ni­schen Pacha­ma­ma-Kult teilnahm.

Auch die von Rava­si orga­ni­sier­te vati­ka­ni­sche Teil­nah­me mit eige­nem Pavil­lon an der Bien­na­le von Vene­dig in Vene­dig  oder bei der Expo in Mai­land blieb nicht unumstritten.

Anson­sten ist es unter Papst Fran­zis­kus ziem­lich ruhig um das ein­sti­ge „Wun­der­kind“ gewor­den. Trotz sei­ner Bemü­hun­gen, nicht nega­tiv auf­zu­fal­len, oder sich an die päpst­li­che Agen­da her­an­zu­ta­sten, gehört der lom­bar­di­sche Theo­lo­ge nicht zu den Ver­trau­ten des argen­ti­ni­schen Papstes.

Mit der ver­ständ­nis­vol­len Kolum­ne an die „Lie­ben Brü­der Frei­mau­rer“ mel­de­te sich Kar­di­nal Rava­si nun in die Öffent­lich­keit zurück.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Grand’Oriente/​Loggia Heredom1224 (Screen­shots)

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