Der vor-apokalyptische Charakter des Christseins


Der "Family Day", die Lage des Christentums in Europa und der vor-apokalyptische Charakter des Christseins
Der "Family Day", die Lage des Christentums in Europa und der vor-apokalyptische Charakter des Christseins

(Rom) In Ita­li­en hat auch der zwei­te Fami­ly Day eine gro­ße Mobi­li­sie­rungs- und Wider­stands­be­reit­schaft gegen eine staat­lich gelenk­te Zer­set­zung der Fami­lie gezeigt. Ein Phä­no­men, das über die Gren­zen hin­aus Bedeu­tung hat. Mit die­ser Bedeu­tung befaßt sich Rodol­fo Casa­dei, Jour­na­list des Wochen­ma­ga­zins Tem­pi und Nah­ost-Exper­te, der sei­ne Ana­ly­se zur Ver­fü­gung stell­te zur Lage der Chri­sten­heit in Euro­pa und der Not­wen­dig­keit, zu einem vor-apo­ka­lyp­ti­sches Christ­sein zurückzufinden.

Was sagt uns der römische Family Day über die Lage des Christentums in Europa?

Anzei­ge

von Rodol­fo Casadei

Der Erfolg des Fami­ly Day von Rom hat eine anthro­po­lo­gi­sche, sozia­le und poli­ti­sche Bedeu­tung, die über den Kampf gegen den Gesetz­ent­wurf Cirin­nà  (Lega­li­sie­rung einer de fac­to „Homo-Ehe“ und daß Homo­se­xu­el­le Kin­der adop­tie­ren kön­nen) hin­aus­geht. Es ist nicht zu ver­ges­sen, daß ein erheb­li­cher Teil des katho­li­schen Ver­bands­we­sens nicht an der Kund­ge­bung teil­neh­men woll­te und auch nicht alle Bischö­fe zur Teil­nah­me auf­ge­ru­fen haben. Das kann man als Reflex der Bereit­schaft sehen, den Glau­ben auf eine pri­va­te Dimen­si­on zu redu­zie­ren. Ohne näher auf die Beweg­grün­de und den Vor­wand ein­zu­ge­hen, mit denen die Ver­dun­ke­lung des poli­ti­schen Ein­sat­zes begrün­det wird, der sich aus dem christ­li­chen Glau­ben ergibt (als Aus­druck der gött­li­chen und natür­li­chen Ord­nung im geord­ne­ten Zusam­men­le­ben der Men­schen, aber auch als kon­kre­ter Aus­druck der Näch­sten­lie­be): sie sind sym­pto­ma­tisch für die Lage der Reli­gio­si­tät in der west­li­chen Welt.

Freie Marktwirtschaft – freier Markt der Religionen

Eine inter­es­san­te Dia­gno­se die­ses Phä­no­mens einer Unter­wer­fungs­be­reit­schaft, das nicht sel­ten mit einem selt­sa­men schlech­ten Gewis­sen ein­her­geht, haben Rémi Bra­gue und Eli­sa Gri­mi im Sam­mel­band „Con­tro il cri­stia­ne­si­mo e l’umanesimo – Il per­do­no dell’Occidente“ gelie­fert (Gegen das Chri­sten­tum und den Huma­nis­mus – Die Ver­ge­bung des Westens). Dar­in lesen wir, daß die Reli­gio­nen schon seit eini­ger Zeit die Unter­stüt­zung durch den Staat ver­lo­ren haben, der nor­ma­ler­wei­se eine bestimm­te Kir­che pri­vi­le­gier­te. Das begün­stig­te das Auf­tre­ten des reli­giö­sen Plu­ra­lis­mus und einer reli­giö­sen Frag­men­tie­rung in vie­len Län­dern. Das führ­te auch zu einer Kon­kur­renz zwi­schen den Reli­gio­nen auf dem frei­en Markt der Bekennt­nis­se. „Die Prä­senz die­ser vie­len Reli­gio­nen nimmt das Aus­se­hen eines Mark­tes an. Auf die­sem Markt wer­den ver­schie­de­ne Pro­duk­te ange­bo­ten. Um sei­ne reli­giö­sen Bedürf­nis­se zu befrie­di­gen, ist das Indi­vi­du­um frei, sei­ne Wahl zu tref­fen. Es kann nicht nur zwi­schen unter­schied­li­chen Reli­gio­nen wäh­len, son­dern auch inner­halb einer jeden Reli­gi­on, kann es à  la car­te sich ein Bou­quet aus Ele­men­ten sei­nes Gefal­lens zusam­men­stel­len“ (S. 271).

Der Ver­lust einer vom Staat begün­stig­ten Mono­pol­stel­lung und damit in Fol­ge auch des sozia­len und fami­liä­ren Drucks hat zur Ent­ste­hung eines regel­rech­ten Reli­gi­ons­mark­tes geführt. Letzt­lich die exak­te Kopie des sich gleich­zei­tig durch­set­zen­den Wirt­schafts­sy­stems aus frei­em Han­del und Kon­sum. Ein Hin­weis dar­auf, daß nicht die Reli­gi­on selbst, Motor die­ser äuße­ren Ent­wick­lung ist. Der freie Markt kennt kein Mono­pol, son­dern regelt sich nach Ange­bot und Nach­fra­ge. Das Ange­bot der reli­giö­sen Grup­pen neigt dazu, sich dem Kon­su­men­ten anzu­pas­sen und nicht umgekehrt.

Vormoderne Ordnung weitgehend zerschlagen

Family Day: Anwesende und Abwesende
Fami­ly Day: Anwe­sen­de und Abwesende

An die­ser Stel­le könn­te man ein­wen­den, daß Reli­gi­on eine Spe­zi­al­wa­re ist, bei der Gesetz von Ange­bot und Nach­fra­ge nicht gilt. Die­ser Ein­wand hät­te eine gewis­se Berech­ti­gung, wenn wir noch in der Vor­mo­der­ne leben wür­den, als die Gesell­schaft sich noch als Volk und damit als Gemein­schaft ver­stand und die Bin­dung zwi­schen den Gene­ra­tio­nen leben­dig und real war. Wir leben aber in der Post­mo­der­ne, die geprägt ist durch Indi­vi­dua­lis­mus und fluk­tu­ie­ren­de, lose und zeit­lich auf Begrenzt­heit ange­leg­te Bin­dun­gen, eine Zeit, in der es kein Volk mehr gibt, son­dern nur mehr eine mehr oder weni­ger zufäl­li­ge Sum­me von Indi­vi­du­en, die sich zur sel­ben Zeit am sel­ben Ort befin­den. Fami­liä­re Bin­dun­gen sind durch eine Unzahl von Brü­chen porös, Lebens­ab­schnitts­part­ner, Geschwi­ster, die nur Halb­ge­schwi­ster sind und jeweils nur etwas vom gemein­sa­men Leben tei­len, Allein­er­zie­hen­de, getö­te­te Kin­der, Geschwi­ster, Tan­ten, Onkel, Enkel durch Abtrei­bung, räum­li­che und emo­tio­na­le Ent­frem­dung durch Glo­ba­li­sie­rung. Das Indi­vi­du­um lei­det an Ein­sam­keit, Anony­mi­tät, affek­ti­ver Dür­re, psy­cho­lo­gi­scher Zer­brech­lich­keit, die aus der Zer­stö­rung der Vater­fi­gur herrührt.

„Viele erwarten sich von Religion nicht bekehrt und geheiligt, sondern befriedigt zu werden“

Bra­gue und Gri­mi spre­chen eine ver­nich­ten­de Wahr­heit aus:

„Vie­le unse­rer Zeit­ge­nos­sen erwar­ten sich von der Reli­gi­on nicht bekehrt und gehei­ligt zu wer­den, son­dern ein­fach nur befrie­digt zu wer­den“ (S. 274).

Einst wag­te der Gläu­bi­ge zu sagen: „Mei­ne Reli­gi­on ist die wah­re Reli­gi­on“. Heu­te rühmt er sich vor allem sagen zu kön­nen: „Ich füh­le mich wohl“. Das per­sön­li­che Wohl­be­fin­den und nicht das öffent­li­che Zeug­nis für die Wahr­heit und die sich aus der Wahr­heit erge­ben­de Ände­rung des eige­nen Lebens­stils ist zum Haupt­zweck der reli­giö­sen Erfah­rung geworden.

In der vor­mo­der­nen Zeit war sich jeder Mensch bewußt, Teil eines Gan­zen zu sein. Die Ord­nung war eine Gewiß­heit, die ihn als Indi­vi­du­um über­rag­te. In der Reli­gi­on such­te er die Ant­wort auf die Fra­ge nach dem Sinn des Seins und dar­auf, wie er die­ser objek­ti­ven, von Gott geschaf­fe­nen Ord­nung die­nen konn­te mit dem Bestre­ben, Got­tes Wil­len zu tun. In der post­mo­der­nen Zeit hat der Mensch kei­ne siche­ren Bezugs­punk­te mehr: alles ist sub­jek­tiv, alles ver­än­der­bar, heu­te so, mor­gen schon ganz anders, was schert es mich, was ich gestern gesagt habe, die „Fle­xi­bi­li­tät“ ist der Maß­stab aller Din­ge. Gibt es noch eine Wahr­heit? Ist nicht auch sie rela­tiv? Bes­ser gesagt: Hat nicht auch die Wahr­heit rela­tiv zu sein? Wenn es eine Wahr­heit gibt, dann ist sie für den post­mo­der­nen Men­schen nicht erkenn­bar und nicht begreif­bar. In der Regel ist der Besitz eines Smart­phones wich­ti­ger. Aus dem viel­fäl­ti­gen Ange­bot folgt der Umkehr­schluß: Wenn es ein so breit­ge­fä­cher­tes Ange­bot an Reli­gio­nen gibt, ist das Beweis dafür, daß es kei­ne Wahr­heit gibt und letzt­lich das eine wie das ande­re Ange­bot glei­cher­ma­ßen vom Wahr­heits­an­spruch her halt­los ist. Womit wir wie­der bei der Reli­gi­on als Dienst­lei­stungs­un­ter­neh­men zur Befrie­di­gung indi­vi­du­el­ler Wün­sche nach Wohl­be­fin­den sind. Der post­mo­der­ne Mensch, der vom Leben ver­letzt wird (sen­ti­men­ta­ler Schiff­bruch, Demü­ti­gun­gen in den sozia­len Bezie­hun­gen, Ent­täu­schun­gen, beruf­li­ches Schei­tern, nicht­erfüll­te Jugend­träu­me) fragt nicht nach der Wahr­heit, son­dern nach Genug­tu­ung, Ruhe, Besei­ti­gung von Schuldgefühlen.

Religiöses Angebot durch Anpassung geändert

Ent­spre­chend hat sich die Art und Wei­se geän­dert, wie vie­le reli­giö­se Grup­pen die Din­ge betrach­ten. Sie bemü­hen sich, für poten­ti­el­le Pro­se­ly­ten attrak­tiv zu wir­ken. Das ist ihnen sogar wich­ti­ger, als den Wil­len Got­tes zu tun. Auch hier greift das kapi­ta­li­sti­sche Den­ken der frei­en Markt­wirt­schaft in das Reli­giö­se ein. Erfolg zählt. Wie vie­le Anhän­ger habe ich, Anhän­ger bedeu­ten Geld. Sie sor­gen sich auch oft mehr um sozia­le Aner­ken­nung oder zumin­dest Dul­dung. Daher bemü­hen sie sich, nicht „nega­tiv“ auf­zu­fal­len, nicht der momen­ta­nen Mehr­heits­mei­nung zu wider­spre­chen und ja nicht in einer kon­tro­ver­sen Fra­ge die Auf­merk­sam­keit der Medi­en auf sich zu zie­hen. Ihr Ziel ist eine „gute Pres­se“ und die wird durch die Beto­nung eines klein­sten gemein­sa­men Nen­ners ange­strebt, auch um den Preis einer Preis­ga­be der eige­nen reli­giö­sen Iden­ti­tät, oder durch auf­fäl­lig lau­tes Nach­spre­chen der Mei­nung der Mäch­ti­gen, um von denen (und damit auch von den Medi­en) wohl­wol­lend wahr­ge­nom­men zu werden.

Werbestrategien statt Wahrheitsverkündigung

Family Day im Circus Maximus gegen die Zerstörung der Familie
Fami­ly Day im Cir­cus Maxi­mus gegen die Zer­stö­rung der Familie

Sie ver­trau­en nicht mehr auf die Stär­ke, die der Bot­schaft inne­wohnt, und nicht mehr auf die Gna­de des­sen, von dem sie behaup­ten, nur das Instru­ment zu sein. Sie inve­stie­ren lie­ber in aus­ge­klü­gel­te Wer­be- und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­stra­te­gien und Bünd­nis­se und in den Auf­bau guter Bezie­hun­gen zu den welt­li­chen Mäch­ten, an deren Sei­te man sich ger­ne sonnt. Damit ein­her geht der Ver­zicht, sich der Welt zu wider­set­zen und deren Übel anzu­kla­gen. Sie suchen lie­ber die Akzep­tanz statt einer mög­li­chen, ja wahr­schein­li­chen Gegnerschaft.

Dafür gibt es einen dop­pel­ten Grund.

Erstens: die reli­giö­sen Bewe­gun­gen selbst sind von der post­mo­der­nen Zer­brech­lich­keit erfaßt; ihre Anfüh­rer und ihre Basis lei­den, wie die Gesamt­ge­sell­schaft, unter dem Tod des Vaters und unter der Kri­se der mensch­li­chen Ver­nunft. Wie bereits erwähnt, löst sich die orga­ni­sche Gemein­schaft in die blo­ße Sum­me der Indi­vi­du­en auf. Die Ableh­nung der Welt und die Zurück­wei­sung durch einen Teil der Gesell­schaft, beson­ders der Medi­en, von denen die ver­nehm­ba­re öffent­li­che Mei­nung gemacht wird, wird für jene uner­träg­lich, die ihre Stand­haf­tig­keit ver­lo­ren haben, weil ihnen die Ver­wur­ze­lung in der intak­ten Fami­lie, der Halt des Vaters und die geleb­te Brü­der­lich­keit ver­lo­ren­ge­gan­gen ist, oder sie die­se gar nie erlebt haben. Es fehlt an jener Klar­heit in den wich­tig­sten Din­gen, für die man bereit ist, sich für die Brü­der zu opfern, anstatt die Brü­der dem Oppor­tu­nis­mus zu opfern.

Zwei­tens: Reli­giö­se Grup­pen sehen im Ver­zicht auf jede öffent­li­che Ankla­ge der Übel die­ser Welt eine effi­zi­en­te Stra­te­gie, sich einen mög­lichst gro­ßen Teil vom Markt der reli­giö­sen Nach­fra­ge zu sichern. Um so mehr kon­zen­trie­ren sie sich dar­auf, die Nach­fra­ge nach Ruhe und Well­ness zu befrie­di­gen. Wer Trost und psy­cho­lo­gi­sche Genug­tu­ung sucht, will ja nicht Ableh­nung von Arbeits­kol­le­gen und Nach­barn erfah­ren, wegen der unan­ge­neh­men Wahr­hei­ten, die er ihnen sagt. Und noch weni­ger will man Repres­sa­li­en durch die Mäch­ti­gen die­ser Welt erle­ben, die ziem­lich uner­freu­lich wer­den kön­nen. Das alles bedeu­tet näm­lich Streß. Und genau den soll man ja, so die gän­gi­ge Mei­nung, ver­mei­den, denn schließ­lich lebt man ja nur ein­mal und soll­te die­ses Leben mög­lichst genießen.

Family Day für dieses Denken eine störende Provokation

Wer sich in die­sen Denk­scha­blo­nen bewegt, für den war natür­lich der Fami­ly Day Salz auf die Wun­den, eine unnö­ti­ge und stö­ren­de Pro­vo­ka­ti­on, eben Streß, weil die Regie­rung, der Groß­teil der Medi­en und vie­le Bekann­te, Vor­ge­setz­te anders denken.

Das alles vor­aus­ge­schickt läßt sich sagen, daß ein ehr­li­ches und authen­ti­sches Chri­sten­tum auf dem frei­en Markt der Reli­gio­nen nicht mit­hal­ten kann. Dort kann es kei­ne neue Anhän­ger­schaft fin­den, son­dern besten­falls bereits vor­han­de­ne „Kli­en­tel“ ver­lie­ren. Der Grund ist ein­fach: Das Chri­sten­tum ist kein Glau­ben der psy­cho­lo­gi­schen Genug­tu­ung und der Ruhe. Es ist ein Glau­ben, der auf Kal­va­ria führt unter Schlä­gen und Beschimp­fun­gen und dabei ange­spuckt wer­den durch die Mäch­ti­gen die­ser Welt, ihren will­fäh­ri­gen Höf­lin­gen und dem von ihnen kon­trol­lier­ten Mob. Der Christ hat kei­nen ande­ren Weg als den Weg, den auch Sein Herr Jesus Chri­stus gegan­gen ist. Er ist den­sel­ben Mecha­nis­men und Gegen­spie­lern aus­ge­setzt und dem­sel­ben „Publi­kum“, das mit Mehr­heits­ent­scheid die Frei­las­sung von Bar­ab­bas for­der­te und die Kreu­zi­gung für Chri­stus. Es ist der Glau­ben, der seit 20 Jahr­hun­der­ten wie­der­holt: „Ich bin nicht gekom­men, Frie­den auf die Erde zu brin­gen, son­dern das Schwert“ (Mt 10,34). Alle, die sich die­ser Tat­sa­che ent­zie­hen und ein „ande­res“ Chri­sten­tum ver­brei­ten möch­ten, ob Gläu­bi­ge, Hir­ten oder sogar Bischö­fe, wer­den dar­an schei­tern. Chri­stus hat das Hun­dert­fa­che des­sen auf Erden ver­hei­ßen, die Sei­net­wil­len etwas auf­ge­ge­ben haben, aber auch Ver­fol­gung, und vor allem das ewi­ge Leben (Mk 10,28–30). Er hat nichts ver­heim­licht, son­dern sei­nen Jün­gern vor­her­ge­sagt, daß ihre Ver­fol­ger auch sie vor den San­he­drin zer­ren und ankla­gen und sie in den Syn­ago­gen gei­ßeln wer­den (Mt 10,17.22). Man kann nur stau­nen dar­über, wie ein reli­giö­ses Bekennt­nis, das so etwas ver­heißt, so vie­le Völ­ker Euro­pas bekeh­ren konn­te, zuletzt die Litau­er vor 700 Jahren.

Der Grund für das Christsein liegt im menschgewordenen Gott

Um zu erklä­ren, war­um Mil­lio­nen Men­schen auf unse­rem Kon­ti­nent durch die Gene­ra­tio­nen für sich und ihre Kin­der die Tau­fe wünsch­ten, genügt es nicht, auf das biß­chen brü­der­li­che Lie­be zu ver­wei­sen, die die Chri­sten mit all ihren mensch­li­chen Schwä­chen geben konn­ten. Es genügt auch nicht, auf die Anzie­hungs­kraft der mild­tä­ti­gen Essens­aus­ga­be durch die Klö­ster in den Zei­ten des gro­ßen Hun­gers zu ver­wei­sen; auch nicht auf das Anse­hen von Köni­gen und Kai­sern, die sich der Rei­he nach bekehr­ten, manch­mal aus poli­ti­schem Inter­es­se, manch­mal aus Über­zeu­gung. Denn oft genug haben sie der Kir­che schwer gescha­det und den Glau­ben mißachtet.

Das Chri­sten­tum ist zur mensch­li­chen Faser gewor­den, aus der die euro­päi­sche Kul­tur gewo­ben wur­de. Ein Gewe­be, das durch die per­fek­te Sym­bio­se des grie­chi­schen Den­kens und des römi­schen Rechts wur­de, weil es Ant­wort gab auf die Fra­ge nach dem Sinn des Lebens und des mensch­li­chen Lei­dens. Es hat nicht ver­spro­chen, die­ses Lei­den zu besei­ti­gen, son­dern es zu erklä­ren und zu hei­li­gen. Gott hat frei­wil­lig selbst die­ses Lei­den auf sich genom­men, indem er Mensch wur­de. Er hat vom Leben als unge­bo­re­nes Kind im Mut­ter­leib bis zum Lei­den und Ster­ben am Kreuz alle Lebens­pha­sen des Men­schen durch­lebt und durch­lit­ten. Er selbst hat sich zum Opfer gemacht, um den Men­schen­op­fern ein Ende zu berei­ten (man lese René Girard). Er erlöst und erret­tet. Er gab die Ant­wort, auf die die alte Mensch­heit gewar­tet hatte.

Die gefährliche Illusion des postmodernen Menschen

Family Day: Scheidepunkt zwischen zwei Teilen in der katholischen Kirche
Fami­ly Day: Schei­de­punkt zwi­schen zwei Tei­len in der katho­li­schen Kirche

Die Illu­si­on des moder­nen Men­schen, auch des post­mo­der­nen, ist es, das Lei­den aus dem mensch­li­chen Sein zu ent­fer­nen und soll­te das nicht im Guten mög­lich sein, dann aus­zu­mer­zen. Denn wenn die Ant­wort des Chri­sten­tums nicht mehr akzep­tiert wird, macht sich der Mensch wie­der auf die Suche, dem Lei­den zu ent­ge­hen. Die Flucht beginnt von neu­em, die Chri­stus vor 2000 Jah­ren been­det hat. Eine Flucht, die kei­ne Ant­wort fin­det außer eine schreck­li­che. Der Rück­fall in die Unmensch­lich­keit auf Erden und der Ver­lust des ewi­gen Lebens.

Wenn die neu­en Tech­no­lo­gien im Dienst der Lebens­qua­li­tät und die neu­en recht­li­chen Kon­struk­tio­nen, die es ermög­li­chen sol­len, Dra­ma und Leid auf dem Rechts- und Dienst­lei­stungs­weg zu besei­ti­gen (lega­le Abtrei­bung, Eutha­na­sie, Gleich­stel­lung homo­se­xu­el­ler Bezie­hun­gen mit der Bin­dung von Mann und Frau, Dro­gen­frei­ga­be, künst­li­che Befruch­tung, Leih­mut­ter­schaft) nicht genü­gen, dann wen­det man sich der spi­ri­tu­el­len Welt zu. Wenn aber im Mit­tel­punkt der spi­ri­tu­el­len Suche das eige­ne Wohl­füh­len steht und damit ein ego­isti­sches Ich, dann wird der Weg nicht zum Chri­sten­tum füh­ren, son­dern unwei­ger­lich zu fern­öst­li­cher, eso­te­ri­scher, syn­kre­ti­sti­scher, okkul­ter, letzt­lich belie­bi­ger Reli­gio­si­tät ver­füh­ren. Das Gleich­nis von den pro­te­stan­ti­schen Kir­chen Nord­eu­ro­pas zeigt es: Wenn das Chri­sten­tum sich will­fäh­rig dem Zeit­geist andient und sich um immer neue Bequem­lich­keit für eine Wohl­fühl­kli­en­tel bemüht, endet es in der Selbst­aus­lö­schung, auch wenn die aus­ge­höhl­te Fas­sa­de wie eine Rui­ne noch etwas über­dau­ert. War­um? Weil es sei­ner eige­nen Natur widerspricht.

Christsein hat vor-apokalyptischen Charakter

Wenn das Chri­sten­tum sei­nem Ursprung treu blei­ben will, kann das christ­li­che Zeug­nis im post­mo­der­nen Westen gar nicht anders, als einen vor-apo­ka­lyp­ti­schen Cha­rak­ter anzu­neh­men. Es ist geru­fen, aus Loya­li­tät gegen­über der Wahr­heit, immer mehr Zeug­nis über die letz­ten Tage abzu­le­gen und sich nicht um sozia­len Frie­den, fried­li­ches Zusam­men­le­ben und um einen Platz auch für das Chri­sten­tum im neu­en Macht­sy­stem zu küm­mern. Fab­ri­ce Had­jadj sagte:

„Wir befin­den uns nicht not­wen­di­ger­wei­se am Ende der Zei­ten, wir sind aber in eine Zeit ein­ge­tre­ten, die dem Ende der Zei­ten ähnelt.“

Es ist Auf­ga­be der Chri­sten ein Zeug­nis zu geben, das auf der Höhe der Zeit ist, einer Zeit, „die dem Ende der Zei­ten ähnelt“. Der apo­ka­lyp­ti­sche Aus­gang ist nicht mehr eine dunk­le Pro­phe­zei­ung, die Gegen­stand von Mani­pu­la­ti­on und Sen­sa­ti­ons­gier ist, son­dern eine histo­ri­sche Mög­lich­keit, ja Wahr­schein­lich­keit, die kon­kre­te Gestalt annimmt. Die wach­sen­de Hege­mo­nie der Tech­no­lo­gie, die täg­lich die völ­li­ge Kon­trol­le und Über­wa­chung des mensch­li­chen Lebens aus­wei­tet, impli­ziert, daß sich die­se Rea­li­tät in ihr Gegen­teil ver­kehrt, nicht nur tech­nisch, son­dern auch im mensch­li­chen Ver­hal­ten: das völ­li­ge und selbst­zer­stö­re­ri­sche Feh­len von Kon­trol­le. Der Tag rückt näher, an dem ein Ter­ro­rist durch einen ein­fa­chen Knopf­druck Tei­le der Welt in die Luft jagen kann, viel­leicht sogar die gan­ze Welt.

Leben mit Blick auf die Ewigkeit

Die Tat­sa­che, daß die Mensch­heit einen apo­ka­lyp­ti­schen Weg ein­ge­schla­gen hat, bedeu­tet nicht, daß das christ­li­che Zeug­nis nicht neue zivi­li­sa­to­ri­sche Lei­stun­gen her­vor­brin­gen kann. Bra­gue ant­wor­tet im Inter­view wie folgt auf Eli­sa Grimi:

„Die Zivi­li­sa­ti­on des christ­li­chen Euro­pas wur­de von Leu­ten auf­ge­baut, deren Ziel es gar nicht war, eine ‚christ­li­che Kul­tur‘ zu schaf­fen. Wir ver­dan­ken sie Per­so­nen, die an Chri­stus geglaubt haben, nicht Per­so­nen, die an das Chri­sten­tum geglaubt haben. Man den­ke an Papst Gre­gor den Gro­ßen. Was er zum Bei­spiel mit dem Gre­go­ria­ni­schen Cho­ral geschaf­fen hat, hat nicht nur bis heu­te unver­wech­sel­ba­ren Bestand, son­dern war Aus­gangs­punkt und Impuls für die gesam­te Musik­ge­schich­te der Welt. Was aber hat die­se Chri­sten aus­ge­zeich­net, was hat Gre­gor den Gro­ßen aus­ge­zeich­net? Sie stell­ten sich vor, daß das Ende der Welt nahe ist. Für eine sich in Jahr­hun­der­ten ent­fal­ten­de christ­li­che Kul­tur war also gar kei­ne Zeit. Er woll­te nur Ord­nung schaf­fen in der Welt, ehe er sie ver­las­sen wür­de. Ein biß­chen so, wie jemand eben sein Haus in Ord­nung bringt, bevor er auf Urlaub fährt. Chri­stus ist nicht gekom­men, um eine Kul­tur zu schaf­fen, son­dern um die Men­schen zu ret­ten, wel­cher Kul­tur auch immer.“

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Tem­pi (Screen­shots)

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1 Kommentar

  1. Die katho­li­sche Chri­sten­heit hat in ihrer Mehr­heit das Wis­sen und Erah­nen einer
    christ­li­chen Moral, Ethik und ent­spre­chend das Glau­bens­fun­da­ment. Dass nun Bi-
    schö­fe, Kar­di­nä­le und sogar Fran­zis­kus eine Unter­stüt­zung ver­wei­gern, muss be-
    denk­lich stim­men. Die­se gro­ße Demon­stra­ti­on für die Fami­lie, hät­te mehr Gewicht
    wenn Rom mit einer Stim­me die­se groß­ar­ti­ge Akti­on unter­stützt hät­te. Aber auch
    hier :..die Kir­che lässt die Men­schen allein.

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