In einem Augenblick großer Verwirrung in der Kirche finden auch die Theorien jener neue Verbreitung, die behaupten, der Stuhl Petri sei „vakant“. Anders ausgedrückt: Es gebe seit 50 Jahren keine rechtmäßigen Päpste mehr. Von den „Sedisvakantisten“, wie die Anhänger dieser Theorien genannt werden, wird der zeitliche Beginn der „Sedisvakanz“ zwar unterschiedlich angesetzt, doch sind sich alle darin einig, daß es spätestens durch die Approbation der Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils keine legitime päpstliche Autorität mehr gebe.
Aus der behaupteten Häresie des Konzils folge automatisch der Verlust des Pontifikats von Papst Paul VI. (1963–1978) und seiner Nachfolger, einschließlich Papst Franziskus. Diese Theorien werden im Internet von verschiedenen Seiten mit einem auffallend aggressiven Ton vertreten. Den Machern fehlt, wie eine Überprüfung zeigt, in der Regel jegliche theologische oder kirchenrechtliche Qualifikation. Mehr noch fehlt ihnen eine wirkliche Liebe zur Kirche. Diese würde ihnen zumindest mehr Zurückhaltung und Vorsicht bei der Behandlung so schwerwiegender und komplexer Fragen auferlegen.
Ein Buch zur Widerlegung des Sedisvakantismus
Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Phänomen legen die beiden amerikanischen Juristen John Salza und Robert Siscoe mit dem Buch True or False Pope? Refuting Sedevacantism and Other Modern Errors (Echter oder falscher Papst? Widerlegung des Sedisvakantismus und anderer moderner Irrtümer) vor.
Die Studie im Umfang von 700 Seiten wurde mit einem Vorwort von Msgr. Bernard Fellay, dem Generaloberen der Priesterbruderschaft St. Pius X. veröffentlicht. Das mag auf den ersten Blick erstaunen, wurden dieser in der Vergangenheit von innerkirchlichen Gegnern selbst schismatische und sedisvakantistische Tendenzen unterstellt. Aufgrund ihres kirchenrechtlich ungeklärten Status ist die Piusbruderschaft tatsächlich mehr als andere Teile der Kirche mit sedisvakantistischen Positionen konfrontiert, gegen die sie sich mit Nachdruck wehrt. Das erklärt auch, weshalb sich gerade sie, in besonderer Weise um die Abwehr der „sedisvakantistischen Versuchung“ bemüht.
Das Buch von Salza und Siscoe liefert eine umfassende und reicht dokumentierte Widerlegung sedisvakantistischer Positionen. Ausgehend von Aussagen von Päpsten, Ökumenischen Konzilen und Kirchenvätern führen die Autoren den Beweis, daß die Sedisvakantisten, zur Rechtfertigung ihrer Theorie, häufig die Erklärungen von Päpsten und Theologen manipulieren, um angeblichen Taktiken zu enthüllen, derer in Wirklichkeit sie selbst sich bedienen, um zu verteidigen, was nicht verteidigt werden kann.
Sedisvakantismus als Reaktion auf die Kirchenkrise
Ausgangspunkt des Buches sei die Frage gewesen, ob das Phänomen Sedisvakantismus eine Reaktion auf die Kirchenkrise war. „Als wir vor zehn Jahren mit unseren Untersuchungen begannen, ging es uns nur darum, diese Frage zu beantworten. Die Antwort lautet Ja, der Sedisvakantismus ist ursächlich eine Reaktion auf die Kirchenkrise. Im Zuge der Beschäftigung haben wir dann aber den Ansatz erweitert, als wir bei der Überprüfung der von Sedisvakantisten vorgebrachten ‚Beweise‘ anhand der Originaldokumente feststellen mußten, daß zum Teil skrupellos manipuliert wird. Das hat uns zur Widerlegung veranlaßt, indem wir diese Manipulationen aufzeigen und die verkürzten Zitate in ihren Kontext stellen und vor allem vollständig zitieren“, so Salza und Siscoe in einem ausführlichen Interview mit der ausgezeichneten katholischen Internetseite Adelante la fe.
Eine der Hauptthesen des Sedisvakantismus sei die Leugnung zentraler Wesensmerkmale der Kirche: der Sichtbarkeit, der Unvergänglichkeit und der Unfehlbarkeit.
„Im Buch behandeln wir zwei unterschiedliche Irrtümer des Sedivakantismus. Der erste Irrtum ist einfach der zu meinen, daß die Päpste seit Pius XII. nicht wirklich Päpste waren. Der zweite Irrtum, der unmittelbar aus dem ersten folgt (in manchen Fällen sogar diesem vorausgeht), ist der zu glauben, daß die ganze Kirche, über die die jüngsten Päpste regiert haben, eine falsche Kirche sei. Um es verständlicher zu machen: Der zweite Irrtum beschränkt sich nicht darauf, zu behaupten, daß es eine „diabolische Desorientierung der hohen kirchlichen Hierarchie“ gibt, wie es Schwester Lucia dos Santos, das älteste der drei Seherkinder von Fatima behauptete, sondern eine totale Fahnenflucht der hohen Hierarchie. Laut dieser Theorie gehe es demnach nicht nur um eine subversive Infiltration der Kirche durch kirchenfeindliche Kräfte, sondern um die völlige Zerstörung der sichtbaren Kirche und deren Ersetzung durch eine neue Kirche. Eine Position, die nicht aufrechtzuerhalten ist, ohne die wesensmäßigen Attribute der Kirche zu leugnen, vor allem ihre Sichtbarkeit und ihre Unvergänglichkeit. […]
Jene, die sich die sedisvakantistische Position im guten Glauben zu eigen gemacht haben, sind sich nicht bewußt, daß sie in den Irrtum geführt wurden durch verkürzte oder falsch verstandene Zitate, eine schlechte Theologie und skrupellose Apologeten der angeblich vakanten Cathedra Petri, die leider mehr damit beschäftigt scheinen, ihre Position zu ‚beweisen‘ als die Wahrheit.“
„Sedisvakantisten haben ihren Glauben an die Kirche als mystischer Leib Christi verloren“
Siscoe und Salza betonen in ihrem Buch, die Sedisvakantisten hätten auf die gleiche Weise den Glauben an die Kirche, den mystischen Leib Christi verloren wie jene Jünger, die den Glauben während der Passion Christi verloren. Die sedisvakantistische Position sei daher eine Reaktion auf die Krise der Kirche. Und obwohl die Sedisvakantisten in der Kirchenkrise vor allem eine Protestantisierung beklagen, verfallen sie selbst einer Form des Neo-Protestantismus. Es sei daher kein Zufall, daß der Sedisvakantismus in eine Vielzahl von Fraktionen, Gruppen und Sekten verfallen, die sich gegenseitig ablehnen, bekämpfen und exkommunizieren. Manche Gruppen wählen sogar eigene Päpste, von denen es derzeit weltweit mindestens ein Dutzend geben soll.
Der Sedisvakantismus sei, so die Autoren, wenn auch zahlenmäßig nicht bedeutend, in der Sache aber einer der größten Irrtümer unserer an Irrtümern reichen Zeit. Er greife, wenn auch mit anderer Absicht und anderem Ansatz, die Fundamente der von Christus gestifteten Kirche genauso frontal und fundamental an, wie der Protestantismus. Er unterminiere die Autorität der Kirche und das ganz unabhängig von der Person des jeweiligen kirchlichen Amtsträgers. Nicht zuletzt fördere er eine kirchenfeindliche Haltung, die auch Gläubige verunsichern und ganz vom Glauben abbringen könne.
Das Buch von Salza und Siscoe verdient auch im deutschen Sprachraum Beachtung zu finden. Das Buch kann über die Internetseite zum Buch https://www.trueorfalsepope.com/ bezogen werden.
Text: Emmanuele Barbieri/Giuseppe Nardi
Bild: Adelante la fe