von Roberto de Mattei*
Wenn eine Haltung der heutigen Mentalität radikal fremd ist, dann die der Buße. Begriff und Verständnis von Buße läßt an ein Leiden denken, das wir uns selbst zufügen, um unsere eigene Schuld oder die anderer zu sühnen, und um uns mit den Verdiensten des heilbringenden Leidens Unseres Herrn Jesus Christus zu vereinen. Die moderne Welt lehnt die Haltung der Buße ab, weil sie vom Hedonismus durchdrungen ist und einen Relativismus bekennt, der die Leugnung einer jeden Form von Wohl, persönlichem oder allgemeinem ist, für das es lohnt, sich zu opfern, außer es ginge um die Suche nach Freude, Genuß und Unterhaltung.
Nur so lassen sich Episoden erklären, wie die derzeit stattfindende, wilde Medienattacke gegen die Franziskanerinnen der Immakulata, deren Klöster als Ort schlimmster Kasteiungen behauptet werden, nur weil dort ein bescheidenes Leben strenger Nüchternheit und Sühne geführt wird. Der Kontrast ist für die Spaßgesellschaft zu groß, zu fern, als daß sie es noch verstehen könnte. Ein Cilicium, ein Büßerhemd zu tragen, oder das Monogramm des Namens Jesu auf die Brust einprägen zu lassen, wird als Barbarbei verrissen, während Sadomasochismus und Ganzkörpertätowierungen zur Mode stilisiert werden und als „Recht“ eines jeden Menschen gelten.
Die Feinde der Kirche wiederholen mit aller Kraft, zu der die Medien fähig sind, die antiklerikalen Anschuldigungen aller Zeiten. Neu daran ist die Haltung jener kirchlichen Autoritäten, die die verleumdeten Ordensschwestern, statt sie zu verteidigen, mit stiller Genugtuung den Medienhenkern überlassen. Die Genugtuung rührt von der Unvereinbarkeit zwischen der Ordensregel dieser Schwestern und den neuen Standards her, die ein „mündiger Katholizismus“ aufdrängt.
Der Sühnegeist gehört seit ihren Ursprüngen zur katholischen Kirche, wie uns die Gestalten des Heiligen Johannes dem Täufer und der Heiligen Maria Magdalena in Erinnerung rufen. Heute aber halten auch viele Kirchenmänner jede Erinnerung an die alten asketischen Übungen für unerträglich. Und doch gibt es keine vernünftigere Lehre als jene von der Notwendigkeit zur Abtötung des Fleisches.
Wenn der Körper gegen den Geist revoltiert (Gal 5,16–25), ist es dann nicht etwa vernünftig und klug ihn zu züchtigen? Kein Mensch ist frei von Sünde, auch nicht die „mündigen Christen“. Wenn jemand die eigenen Sünden durch die Buße sühnt, handelt er damit nicht nach einem ebenso logischen wie gesunden Grundsatz? Die Bußübungen beschämen das Ich, weisen die rebellische Natur in die Schranken und leisten Wiedergutmachung und Sühne für die eigenen Sünden und die Sünden anderer. Wenn wir dann noch an die Seelen denken, die Gott lieben, und die die Ähnlichkeit mit dem Kreuz suchen, dann wird die Buße etwas, was die Liebe verlangt.
Berühmt sind die Seiten von De Laude flagellorum des Heiligen Petrus Damiani, dem großen Benediktiner, Kardinal und Reformator des 11. Jahrhunderts, der zum Kirchenlehrer erhoben wurde. Das Kloster Fonte Avellana bei Gubbio, dessen Prior er war, war geprägt von äußerster Strenge der Ordensregel. „Ich möchte das Martyrium für Christus erleiden, habe aber nicht Gelegenheit dazu, indem ich mich aber den Schlägen unterziehe, bekunde ich zumindest den Willen meiner brennenden Seele“ (Epistola VI, 27, 416c). Jede Reform in der Kirchengeschichte erfolgte mit der Absicht, durch Strenge, Nüchternheit und Buße für die Übel der Zeit Wiedergutmachung zu leisten.
Im 16. und 17. Jahrhundert praktizierten die Mindersten Brüder des Heiligen Franz von Paola, der Paulanerorden, das Gelübde eines strengen Lebens der Umkehr, der Buße und des Fastens, die der Heilige in den Worten vita quaresimale zusammenfaßte. Dieses Gelübde wurde bis 1975, bis zur Anwendung der neuen Ordensregel nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, praktiziert. Sie verlangte von den Brüdern die ständige Enthaltsamkeit nicht nur von Fleisch, sondern auch von Eiern, Milch und allen Milchprodukten. Die Rekollekten nahmen ihre Mahlzeiten am Boden sitzend ein, mischten Asche unter ihre Speisen und legten sich vor dem Eingang zum Refektorium nieder, damit die anderen Brüder über sie drüber steigen mußten, um einzutreten. Die Barmherzigen Brüder vom heiligen Johannes von Gott sahen in ihren Regeln vor, „am Boden zu essen, die Füße der Brüder zu küssen, öffentliche Ermahnungen zu erdulden und sich öffentlich anzuklagen“. Ähnlich waren die Regeln anderer strenger Reformorden wie der Barnabiten, der Piaristen, der Oratorianer des Heiligen Philipp Neri oder der Theatiner. Es gibt keine religiöse Ordensgemeinschaft, wie der aus Hamburg stammende und zur katholischen Kirche konvertierte Lukas Hoste (1596–1661) dokumentierte, die in den eigenen Regeln nicht Bußübungen vorsieht, etwa durch Fasten an mehreren Tagen der Woche, oder die Reduzierung der Schlaf- und Ruhezeiten (Codex regularum monasticarum et canonicarum, 1759, Akademische Druck und Verlaganstalt, Graz 1958).
Zu diesen in den Regeln vorgesehenen Bußübungen fügten die eifrigsten unter den Ordensleuten noch die sogenannten „supererogatorischen“ Bußübungen hinzu, die der persönlichen Entscheidung überlassen blieben. Der Heilige Albert von Jerusalem zum Beispiel schrieb in der Ordensregel für die Karmeliten, die von Papst Honorius III. 1226 bestätigt wurde, am Ende des Kapitels über die Art des Ordenslebens und seine Bußpraktiken: „Wenn jemand mehr geben will, wird ihn der Herr selbst bei Seiner Wiederkunft belohnen.“
Benedikt XIV., der ein milder und ausgewogener Papst war, beauftragte die beiden großen Büßer, den Heiligen Franziskaner Leonhard von Porto Maurizio und den Heiligen Passionisten Paul vom Kreuz mit den Vorbereitungen für das Heilige Jahr 1750. Fra Diego von Florenz hat uns ein Tagebuch über die Volksmission auf der Piazza Navona hinterlassen, die der Heilige Leonhard von Porto Maurizio vom 13. bis 25. Juli 1759 predigte. Mit einer schwarzen Kette um den Hals und einer Dornenkrone auf dem Kopf geißelte er sich dabei vor der Menge und rief: „Entweder Buße oder Hölle“ (San Leonardo da Porto Maurizio, Opere complete. Diario di Fra Diego, Venezia 1868, Bd. V, S. 249).
Der Heilige Paul vom Kreuz beendete seine Predigten auf öffentlichen Plätzen, indem er sich geißelte. Dabei führte er so heftige Schläge, daß manche Gläubige nicht länger zuschauen konnten und auf das Podest sprangen, um ihn davon abzuhalten und dabei selbst riskierten, von der Geißel getroffen zu werden (I processi di beatificazione di canonizzazione di san Paolo della Croce, Postulazione generale dei PP. Passionisti, Bd. I, Roma 1969, S. 493).
Die Buße ist eine seit zweitausend Jahren ununterbrochen von den Heiligen (kanonisiert oder nicht) geübte Praxis, die mit ihrem Leben dazu beigetragen haben, die Geschichte der Kirche zu schreiben, von der Heiligen Johanna Franziska von Chantal und der Heiligen Veronica Giuliani, die sich mit einem glühenden Eisen das Christogramm in die Brust prägten, bis zur Heiligen Therese vom Kinde Jesu, die in das Buch mit den Heiligen Evangelien, das sie immer bei sich auf dem Herzen trug, am Ende das Glaubensbekenntnis mit ihrem Blut hineinschrieb.
Diese Großzügigkeit in der persönlichen Hingabe charakterisierte nicht nur die kontemplativen Ordensfrauen. Im 20. Jahrhundert ließen zwei heilige Diplomaten die Römische Kurie erstrahlen: Kardinal Rafael Merry del Val (1865–1930), Staatssekretär des Heiligen Papstes Pius X., und der Diener Gottes Msgr. Giuseppe Canovai (1904–1942), diplomatischer Vertreter des Heiligen Stuhls in Argentinien und Chile. Der erste trug unter dem Kardinalspurpur ein Büßerhemd mit kleinen Eisenhaken. Über den zweiten, der ein Gebet geschrieben mit seinem Blut hinterließ, sagte Kardinal Siri: „Die kleinen Ketten, die Bußhemden, die schrecklichen Geißeln aus Rasierklingen, die Wunden, die Narben älterer Verletzungen stehen nicht am Beginn, sondern am Ende eines inneren Feuers. Sie sind nicht der Grund, sondern die beredte und enthüllende Explosion desselben. Es handelte sich um die Klarheit, in allem einen Grund zu sehen, um Gott zu lieben und im blutenden Opfer die Ehrlichkeit des inneren Verzichts garantiert zu sehen“ (Commemorazione per la Positio di beatificazione, 23. März 1951).
In den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts begannen die asketischen und spirituellen Übungen der Kirche nachzulassen. Pater Jean-Baptiste Janssens, der Generalobere des Jesuitenordens (1946–1964) intervenierte mehr als einmal, um die eigenen Mitbrüder an den Geist des heiligen Ignatius zu mahnen. 1952 schickte er ihnen einen Brief über die „ständige Abtötung“. Darin widersetzte er sich den Positionen der nouvelle théologie, die eine wiedergutmachende und erwirkende Sühne ausschließen wollte und schrieb, daß Fasten, Geißeln, Bußhemden und andere selbstauferlegte Widrigkeiten nach dem Willen Christi (Mt 6,16–18) vor den Menschen verborgen bleiben, aber den jungen Jesuiten gelehrt werden sollen ab dem dritten Jahr der Probation (Dizionario degli Istituti di Perfezione, Bd. VII, Sp. 472). De Bußformen können sich im Laufe der Jahrhunderte ändern, nicht aber der Geist, der sich immer dem der Welt widersetzt.
Den geistlichen Glaubensabfall des 20. Jahrhunderts vorhersehend rief die Gottesmutter persönlich in Fatima zur Buße. Die Buße ist nichts anderes als die Zurückweisung der falschen Worte, Ideen und Haltungen der Welt; der Kampf gegen die Mächte der Finsternis, die gegen die Mächte der Engel die Herrschaft über die Seelen gewinnen wollen; und die ständige Abtötung der ungeordneten Sinnlichkeit und des Stolzes, die im tiefsten unseres Seins verwurzelt sind.
Nur wenn wir diesen Kampf gegen die Welt, den Dämon und das Fleisch (Eph 6,10–12) akzeptieren, werden wir die Bedeutung der Vision verstehen können, deren 100. Jahrestag wir in einem Jahr begehen. Die Hirtenkinder von Fatima haben „links von Unserer Lieben Frau etwas oberhalb einen Engel gesehen, der ein Feuerschwert in der linken Hand hielt; es sprühte Funken und Flammen gingen von ihm aus, als sollten sie die Welt anzünden; doch die Flammen verloschen, als sie mit dem Glanz in Berührung kamen, den Unsere Liebe Frau von ihrer rechten Hand auf ihn ausströmte: den Engel, der mit der rechten Hand auf die Erde zeigte und mit lauter Stimme rief: Buße, Buße, Buße!“
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt erschienen: Vicario di Cristo. Il primato di Pietro tra normalità ed eccezione (Stellvertreter Christi. Der Primat des Petrus zwischen Normalität und Ausnahme), Verona 2013; in deutscher Übersetzung zuletzt: Das Zweite Vatikanische Konzil – eine bislang ungeschriebene Geschichte, Ruppichteroth 2011.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons/OFM Catania (Screenshots)