Papst Franziskus und die verschwundenen Wörter „Ablaß“, „Strafe“, „Fegefeuer“ und „Gericht“


@Servizio Fotografico - L'Osservatore Romano

(Rom) „Ablaß und Fege­feu­er waren kon­sti­tu­ti­ve Ele­men­te aller Jubel­jah­re, nicht aber von die­sem. Der Papst spricht nicht mehr davon, so als wür­den sie einen Schat­ten auf den abso­lu­ten Vor­rang der Barm­her­zig­keit wer­fen“, so der Vati­ka­nist San­dro Magister.

Anzei­ge

Untrenn­bar ver­bun­den mit einem Hei­li­gen Jahr ist sein Cha­rak­ter als Zeit der Gna­de. Die katho­li­sche Kir­che spricht von Indul­genz und meint damit den Nach­laß der Sün­den­stra­fen. Als Gna­den­mit­tel stellt sie daher Teil­ab­läs­se und voll­kom­me­ne Abläs­se zur Ver­fü­gung, die von den Leben­den genützt, aber auch Ver­stor­be­nen zuge­wen­det wer­den kön­nen. Zur Gewin­nung eines Ablas­ses sind meh­re­re Bedin­gun­gen zu erfül­len. Eine zen­tra­le Rol­le kommt dabei der Beich­te zu, in der die Sün­den ver­ge­ben wer­den kön­nen. Die Gefahr der ewi­gen Ver­damm­nis ist damit abge­wen­det, doch kön­nen die mit einer Sün­de ver­bun­de­nen zeit­li­chen Sün­den­stra­fen blei­ben. Um sich von ihnen zu rei­ni­gen, kommt ein Betrof­fe­nen in das Fege­feu­er, eben den Ort der Rei­ni­gung. Die Abläs­se ver­kür­zen die­se Zeit, indem Sün­den­stra­fen nach­ge­las­sen werden.

Papst Franziskus hat es „bisher penibel vermieden, das Wort ‚Ablaß‘ auszusprechen

Doch Papst Fran­zis­kus habe es bis­her peni­bel ver­mie­den, das Wort „Indul­gen­tia“ oder „Ablaß“ aus­zu­spre­chen, so Magi­ster. Weder bei der Öff­nung der Hei­li­gen Pfor­te im zen­tral­afri­ka­ni­schen Ban­gui noch bei der Öff­nung der Hei­li­gen Pfor­te am 8. Dezem­ber im Peters­dom oder jener der Late­ran­ba­si­li­ka erwähn­te der Papst die Sün­den­stra­fen und die Mög­lich­keit ihres Nach­las­ses durch einen Gna­den­akt. „Auch in den bei­den Mitt­wochs-Kate­che­sen, die er bis­her dem Hei­li­gen Jahr wid­me­te, erwähn­te er nichts davon.“

Um das Wort „Ablaß“ zu fin­den, muß man in der Ankün­di­gungs­bul­le Miser­i­cor­diae vul­tus für das Jahr suchen, die am 11. April 2015 ver­öf­fent­licht wur­de. Auch im erläu­tern­den Schrei­ben vom 1. Sep­tem­ber fin­det sich ein Hin­weis, wo der Papst Anwei­sun­gen gibt, daß der Jubi­lä­ums­ab­laß welt­weit gewon­nen wer­den kann, auch für Ver­stor­be­ne und auch von Gefangenen.

Auch die Ankündigungsbulle sagt nur vage, was ein Ablaß ist

„Doch nicht ein­mal hier wird gesagt, was genau ein Ablaß ist. Das Wort wird viel­mehr als Syn­onym für die ‚Got­tes Ver­ge­bung für unse­re Sün­den‘ gebraucht“, so Magi­ster. Genau das aber ist der Ablaß nicht. Die Ver­ge­bung der Sün­den und der Nach­laß der Sün­den­stra­fen sind unter­schied­li­che Ebenen.

Nur in der Ankün­di­gungs­bul­le wird der Ablaß etwas kon­kre­ter benannt, wenn es heißt:

„Im Sakra­ment der Ver­söh­nung ver­gibt Gott die Sün­den, die damit wirk­lich aus­ge­löscht sind. Und trotz­dem blei­ben die nega­ti­ven Spu­ren, die die­se in unse­rem Ver­hal­ten und in unse­rem Den­ken hin­ter­las­sen haben. Die Barm­her­zig­keit Got­tes ist aber auch stär­ker als die­se. Sie wird zum Ablass, den der Vater durch die Kir­che, die Braut Chri­sti, dem Sün­der, dem ver­ge­ben wur­de, schenkt und der ihn von allen Kon­se­quen­zen der Sün­de befreit, so dass er wie­der neu aus Lie­be han­deln kann und viel­mehr in der Lie­be wächst, als erneut in die Sün­de zu fallen.“

Die zeit­li­chen Sün­den­stra­fen, für die man ins Fege­feu­er kommt, bezeich­net Papst Fran­zis­kus als „nega­ti­ve Spu­ren“. Ob die Gläu­bi­gen damit den eigent­li­chen Zusam­men­hang ver­ste­hen und die Bedeu­tung des dafür zur Ver­fü­gung ste­hen­den Gna­den­mit­tels bleibt dahin­ge­stellt. Die For­mu­lie­rung bleibt „sehr vage“, so Magi­ster. Wer mehr erfah­ren will, muß im Kate­chis­mus der Katho­li­schen Kir­che unter Num­mer 1471 und fol­gen­de nach­schla­gen. Ein Hin­weis oder eine Emp­feh­lung dies zu tun, fin­det sich in der Bul­le nicht.

Was sagt der Katechismus?

1471 Die Leh­re über die Abläs­se und deren Anwen­dung in der Kir­che hän­gen eng mit den Wir­kun­gen des Buß­sa­kra­men­tes zusammen.

Was ist der Ablaß?

„Der Ablaß ist Erlaß einer zeit­li­chen Stra­fe vor Gott für Sün­den, die hin­sicht­lich der Schuld schon getilgt sind. Ihn erlangt der Christ­gläu­bi­ge, der recht berei­tet ist, unter genau bestimm­ten Bedin­gun­gen durch die Hil­fe der Kir­che, die als Die­ne­rin der Erlö­sung den Schatz der Genug­tu­un­gen Chri­sti und der Hei­li­gen auto­ri­ta­tiv aus­teilt und zuwendet.“

„Der Ablaß ist Teil­ab­laß oder voll­kom­me­ner Ablaß, je nach­dem er von der zeit­li­chen Sün­den­stra­fe teil­wei­se oder ganz frei­macht.“ Abläs­se kön­nen den Leben­den und den Ver­stor­be­nen zuge­wen­det wer­den (Paul VI., Ap. Konst. „Indul­gen­ti­arum doc­tri­na“ nor­mঠ1–3).

Der Kate­chis­mus erklärt auch, was „Sün­den­stra­fen“ bedeutet:

Die Sün­den­stra­fen

1472 Um die­se Leh­re und Pra­xis der Kir­che zu ver­ste­hen, müs­sen wir wis­sen, daß die Sün­de eine dop­pel­te Fol­ge hat. Die schwe­re Sün­de beraubt uns der Gemein­schaft mit Gott und macht uns dadurch zum ewi­gen Leben unfä­hig. Die­se Berau­bung heißt „die ewi­ge Sün­den­stra­fe“. Ande­rer­seits zieht jede Sün­de, selbst eine gering­fü­gi­ge, eine schäd­li­che Bin­dung an die Geschöp­fe nach sich, was der Läu­te­rung bedarf, sei es hier auf Erden, sei es nach dem Tod im soge­nann­ten Pur­ga­to­ri­um [Läu­te­rungs­zu­stand]. Die­se Läu­te­rung befreit von dem, was man „zeit­li­che Sün­den­stra­fe“ nennt. Die­se bei­den Stra­fen dür­fen nicht als eine Art Rache ver­stan­den wer­den, die Gott von außen her aus­üben wür­de, son­dern als etwas, das sich aus der Natur der Sün­de ergibt. Eine Bekeh­rung, die aus glü­hen­der Lie­be her­vor­geht, kann zur völ­li­gen Läu­te­rung des Sün­ders füh­ren, so daß kei­ne Sün­den­stra­fe mehr zu ver­bü­ßen bleibt [Vgl. K. v. Tri­ent: DS 1712–1713; 1820].

1473 Die Sün­den­ver­ge­bung und die Wie­der­her­stel­lung der Gemein­schaft mit Gott brin­gen den Erlaß der ewi­gen Sün­den­stra­fen mit sich. Zeit­li­che Sün­den­stra­fen ver­blei­ben jedoch. Der Christ soll sich bemü­hen, die­se zeit­li­chen Sün­den­stra­fen als eine Gna­de anzu­neh­men, indem er Lei­den und Prü­fun­gen jeder Art gedul­dig erträgt und, wenn die Stun­de da ist, den Tod erge­ben auf sich nimmt. Auch soll er bestrebt sein, durch Wer­ke der Barm­her­zig­keit und der Näch­sten­lie­be sowie durch Gebet und ver­schie­de­ne Buß­übun­gen den „alten Men­schen“ gänz­lich abzu­le­gen und den „neu­en Men­schen“ anzu­zie­hen [Vgl. Eph 4,24].

Jubeljahre waren in der Geschichte Zeiten besonders großzügiger Gnadenakte

Die Hei­li­gen Jah­re waren in der Kir­chen­ge­schich­te die Momen­te, in denen beson­ders groß­zü­gig Gna­den­ak­te gewährt wur­den, um die Men­schen mit Gott zu ver­söh­nen und ihnen Erleich­te­rung für den Ein­tritt in den Him­mel zu ver­schaf­fen. Des­halb kamen den Jubel­jah­ren beson­de­re Bedeu­tung zu, so auch dem zuletzt unter Johan­nes Paul II. began­ge­nen Hei­li­gen Jahr 2000.

In der Ankün­di­gungs­bul­le Incar­na­tio­nis myste­ri­um vom 29. Novem­ber 1998 wur­de die Bedeu­tung des Ablas­ses genau erklärt. Die Apo­sto­li­sche Pöni­ten­tia­rie erließ im Auf­trag des pol­ni­schen Pap­stes prä­zi­se Anwei­sun­gen, unter wel­chen Bedin­gun­gen ein voll­stän­di­ger Jubi­lä­ums­ab­laß gewon­nen wer­den konnte.

Auch „Strafe“ und „Gericht“ gehören zu den verschwundenen Wörtern

Für das Hei­li­ge Jahr der Barm­her­zig­keit erging kei­ne sol­che Anwei­sung an die Pöni­ten­tia­rie. „In dem von Fran­zis­kus aus­ge­ru­fe­nen Jubel­jahr der Barm­her­zig­keit ist das alles fak­tisch bei­sei­te­ge­legt. Es scheint, als wür­de die Apo­sto­li­sche Pöni­ten­tia­rie nicht ein­mal zu exi­stie­ren“, so Magi­ster. Der Papst ver­brei­te unab­läs­sig eine Bot­schaft von Barm­her­zig­keit, uni­ver­sel­ler Ver­ge­bung, voll­kom­me­ner Sün­den­til­gung, aber alles ohne einen aus­drück­li­chen Hin­weis auf die Sün­den­stra­fen und deren Nachlaß.

„Das Wort ‚Stra­fe‘ ist ein ande­res ver­schwun­de­nes Wort. In der Ankün­di­gungs­bul­le und dem fol­gen­den Schrei­ben fin­det es sich nur drei Mal am Ran­de: in einem Zitat des Pro­phe­ten Hosea und in zwei Hin­wei­sen auf die irdi­sche Gerech­tig­keit und die Lebens­be­din­gun­gen der Gefan­ge­nen“, so Magister.

Mit der „Stra­fe“ ist auch das „Gericht“ ver­schwun­den. Jeden­falls fin­det sich bei Papst Fran­zis­kus kein Hin­weis. Ganz im Gegen­teil, wie sei­ne Pre­digt vom 8. Dezem­ber zur Eröff­nung des Hei­li­gen Jah­res zeigt, wo er sagte:

„Wie­viel Unrecht wird Gott und sei­ner Gna­de getan, wenn man vor allem behaup­tet, dass die Sün­den durch sein Gericht bestraft wer­den, anstatt allem vor­an­zu­stel­len, dass sie von sei­ner Barm­her­zig­keit ver­ge­ben wer­den (vgl. Augu­sti­nus, De prae­de­sti­na­tio­ne sanc­torum 12,24)! Ja, genau­so ist es. Wir müs­sen die Barm­her­zig­keit dem Gericht vor­an­stel­len, und in jedem Fall wird das Gericht Got­tes immer im Licht sei­ner Barm­her­zig­keit stehen.“

Franziskus schafft nichts ab, ordnet aber Hierarchie der Wahrheit neu

Fran­zis­kus lege nicht Hand an die über­lie­fer­te Leh­re, „er schafft nichts ab“, so Magi­ster. „Er ord­net aber die Hier­ar­chie der Wahr­heit neu“ und habe kei­ne Pro­ble­me, Tei­le der Leh­re der Ver­ges­sen­heit anheim­zu­stel­len, „die er für mar­gi­nal hält“.

Doch jeder Ein­griff in die Leh­re, auch neue Gewich­tun­gen, haben Aus­wir­kun­gen. Indem der Ablaß und die Sün­den­stra­fen in die Abstell­kam­mer wan­dern, ver­schwin­det auch das Fege­feu­er. Kön­nen sie Katho­li­ken über­haupt noch etwas dar­un­ter vor­stel­len? Wer dazu etwas wis­sen will, muß zumin­dest in das Pon­ti­fi­kat von Bene­dikt XVI. zurück­ge­hen, der in einer Kate­che­se vom 12. Janu­ar 2011 dar­über sprach und in sei­ner denk­wür­di­gen Enzy­kli­ka Spe sal­vi vom 30. Novem­ber 2007.

Text: Set­ti­mo Cielo/​Giuseppe Nardi
Bild: MiL

Print Friendly, PDF & Email
Anzei­ge

Hel­fen Sie mit! Sichern Sie die Exi­stenz einer unab­hän­gi­gen, kri­ti­schen katho­li­schen Stim­me, der kei­ne Gel­der aus den Töp­fen der Kir­chen­steu­er-Mil­li­ar­den, irgend­wel­cher Orga­ni­sa­tio­nen, Stif­tun­gen oder von Mil­li­ar­dä­ren zuflie­ßen. Die ein­zi­ge Unter­stüt­zung ist Ihre Spen­de. Des­halb ist die­se Stim­me wirk­lich unabhängig.

Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

Das ist müh­sam, es ver­langt eini­ges ab, aber es ist mit Ihrer Hil­fe möglich.

Unter­stüt­zen Sie uns bit­te. Hel­fen Sie uns bitte.

Vergelt’s Gott!