Barmherzigkeit ohne Gottesfurcht? – Eine Frage Gotti-Tedeschis an den Papst


(Rom) Der inter­na­tio­nal bekann­te Ban­kier und Finanz­ethi­ker Etto­re Got­ti Tede­schi, von 2009–2012 Prä­si­dent der Vatik­an­bank IOR, ver­faß­te eini­ge Tage nach dem Ende der Bischofs­syn­ode über die Fami­lie einen „Brief an mei­ne Enke­lin“, mit dem er Kri­tik an jenen äußer­te, die das Ehe­sa­kra­ment aus­höh­len wol­len. Nun ver­faß­te Got­ti-Tede­schi zum Hei­li­gen Jahr der Barm­her­zig­keit einen Brief an Papst Franziskus.

Barmherzigkeit ohne Gottesfurcht

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Euer Hei­lig­keit,

nach­dem ich heu­te vie­le Kom­men­ta­re über die Eröff­nung des Hei­li­gen Jah­res „der Barm­her­zig­keit“ gehört und gele­sen habe, las ich die­se Stel­le des Johan­nes­evan­ge­li­ums (Joh 3,14–21):

„Und wie Mose die Schlan­ge in der Wüste erhöht hat, so muss der Men­schen­sohn erhöht wer­den, damit jeder, der (an ihn) glaubt, in ihm das ewi­ge Leben hat.
Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er sei­nen ein­zi­gen Sohn hin­gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrun­de geht, son­dern das ewi­ge Leben hat.
Denn Gott hat sei­nen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt rich­tet, son­dern damit die Welt durch ihn geret­tet wird.
Wer an ihn glaubt, wird nicht gerich­tet; wer nicht glaubt, ist schon gerich­tet, weil er an den Namen des ein­zi­gen Soh­nes Got­tes nicht geglaubt hat.
Denn mit dem Gericht ver­hält es sich so: Das Licht kam in die Welt, und die Men­schen lieb­ten die Fin­ster­nis mehr als das Licht; denn ihre Taten waren böse.
Jeder, der Böses tut, hasst das Licht und kommt nicht zum Licht, damit sei­ne Taten nicht auf­ge­deckt werden.
Wer aber die Wahr­heit tut, kommt zum Licht, damit offen­bar wird, dass sei­ne Taten in Gott voll­bracht sind.“

Und ich habe nach­ge­dacht. Es ist wahr, daß die Barm­her­zig­keit Got­tes in sich unend­lich ist. Aber wie sicher sind wir, daß sie es auch in ihren Wir­kun­gen ist? Gott kann immer ver­ge­ben, unend­lich oft. Aber sind wir sicher, daß Er uns unend­lich oft vergibt?

Ich dach­te: Gott hat, obwohl Er seit jeher unend­lich barm­her­zig ist, die Ver­damm­nis des gefal­le­nen Engels und sei­ner Scha­ren erlaubt und zwar gleich bei der ersten von ihnen began­ge­nen Sünde.

Und ich habe wei­ter­ge­dacht: Es ist wahr, daß Gott barm­her­zig ist. Ist es aber nicht auch wahr, daß Er gerecht ist? Dien­te uns die berühm­te Got­tes­furcht nicht dazu, uns nicht der Illu­si­on hin­zu­ge­ben, wir könn­ten Sei­ne Barm­her­zig­keit miß­brau­chen und Ihn wei­ter beleidigen?

War­um sagt man nicht auch das? Ich habe eini­ge berühm­te Sät­ze im Gedächtnis.

Der hei­li­ge Basi­li­us schrieb: sich auf den barm­her­zi­gen Gott zu beru­fen, aber nicht auch auf den gerech­ten, heißt, Ihn für einen Kom­pli­zen unse­rer Nie­der­träch­tig­keit zu halten.

Der hei­li­ge Augu­sti­nus sag­te, daß die blo­ße Hoff­nung auf Barm­her­zig­keit vie­le See­len getäuscht hat und ver­lo­ren­ge­hen hat lassen.

Der hei­li­ge Alfon­so Maria von Ligou­ri sag­te, daß die Gewiß­heit der Barm­her­zig­keit Got­tes mehr See­len in die Höl­le bringt als Sei­ne Gerech­tig­keit, weil toll­küh­nes sich Ver­las­sen auf Sei­ne Barm­her­zig­keit, ohne sich zu bekeh­ren und gegen die Sün­de zu kämp­fen, ver­lo­ren­ge­hen läßt.

Deus non irri­de­tur. War­um wird also nicht gelehrt, daß die Barm­her­zig­keit Got­tes dar­in besteht, einen reu­igen Sün­der auf­zu­neh­men? Ist das impli­ziert, Euer Heiligkeit?

Hoch­ach­tungs­voll Ihr
Etto­re Got­ti Tedeschi

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Einleitung/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Wikicommons

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