Die SPIEGEL-Reichstagsbrandserie von 1959/​60: Eine journalistische Geschichtsverneblung wird als Aufklärung verkauft – VorSPIEGELeien (V)


„Titelstory“ im SPIEGEL vom 23.10.1959
„Titel­sto­ry“ im SPIEGEL vom 23.10.1959

Durch die von Chef­re­dak­teur Rudolf Aug­stein ver­klär­te „Jahr­hun­der­t­ar­beit“ eines Lai­en-Histo­ri­kers wur­den die NS-Mit­ver­ant­wort­li­chen am Reichs­tags­brand eben­so ent­la­stet wie die Mit­schul­di­gen an dem Justiz­mord an van der Lubbe. 

Anzei­ge

Ein Gast­bei­trag von Hubert Hecker. 

Legenden von und über den SPIEGEL bis heute

SPIE­GEL-Her­aus­ge­ber Rudolf Aug­stein heu­er­te seit Grün­dung des Maga­zins 1947 ein Dut­zend SS-Kader als Redak­teu­re und Mit­ar­bei­ter an. Wei­te­re hoch­ran­gi­ge NS-Beam­te hielt er sich als Infor­man­ten warm. Der Ein­fluss der brau­nen Seil­schaf­ten in der SPIE­GEL-Redak­ti­on bei der jour­na­li­sti­sche Bewer­tung der NS-Zeit und der natio­nal­so­zia­li­sti­sche Kriegs­ver­bre­cher bis zur Hin­rich­tung der letz­ten sie­ben Mas­sen­mör­der im Juni 1952 war unüber­seh­bar. , Der redak­tio­nel­le Ein­fluss des Nazi-Netz­wer­kes auf die SPIE­GEL-Pro­duk­ti­on wird aber erst seit 15 Jah­ren von Histo­ri­kern ernst­haft unter­sucht und publiziert.

Gleich­wohl wer­den wei­ter­hin Legen­den über die SPIE­GEL-Geschich­te ver­brei­tet: Nach zehn Jah­ren reak­tio­nä­rer NS-Ver­tu­schung habe sich das „heu­ti­ge auf­klä­re­ri­sche Selbst­bild des Maga­zins her­aus­ge­bil­det“ – so kürz­lich der Histo­ri­ker Nor­bert Frei.

Die­se Aus­sa­ge ist in zwei­fa­cher Hin­sicht falsch: Das Blend­bild vom Auf­klä­rungs­ma­ga­zin hat­te sich der SPIEGEL von Anfang an zuge­legt und in die­ser Camou­fla­ge Ablen­kungs- und Ver­tu­schungs­jour­na­lis­mus zu Nazi-Tätern betrie­ben. Das änder­te sich auch „Ende der fünf­zi­ger Jah­re“ nicht, als die SPIEGEL - Redak­ti­on mit einer Serie über den Reichs­tags­brand von 1933 einen Coup plazierte.

Augstein klotzt

In der elf­tei­li­gen Serie „Ste­hen Sie auf van der Lub­be“ von Okto­ber 1959 bis Janu­ar 1960 woll­te Aug­stein bewie­sen haben, dass die Nazis in kei­ner Wei­se als Anstif­ter und Hel­fers­hel­fer bei dem Reichs­tags­brand am 27. 2. 1933 betei­ligt gewe­sen wären, son­dern aus­schließ­lich und zufäl­lig von der angeb­li­chen Ein­zel­tat des Maria­nus van der Lub­be pro­fi­tiert hät­ten bei der Zer­schla­gung des Ver­fas­sungs­staa­tes der Wei­ma­rer Republik.

Der Hob­by-Histo­ri­ker Aug­stein protz­te groß­kot­zig über die Autoren­ar­beit des Hob­by-Geschicht­lers Fritz Tobi­as: „Nach die­ser SPIE­GEL-Serie bleibt nicht der Schat­ten eines Bele­ges, um den Glau­ben an die Mit­tä­ter­schaft der Nazi-Füh­rer leben­dig zu erhal­ten. Einer Jahr­hun­dert-Legen­de wird der Dolch­stoß versetzt.“

Die Nazis waren Nutznießer, Anstifter und Mittäter des Reichstagsbrandes

Es ist histo­risch unbe­strit­ten, dass der Reichs­tags­brand kurz vor den Reichs­tags­wah­len am 5. März 1933 für die dama­li­ge Nazi-Regie­rung ein Pro­pa­gan­daf­anal dar­stell­te, das sowohl die geplan­ten Ver­haf­tun­gen von füh­ren­den Kom­mu­ni­sten und Sozi­al­de­mo­kra­ten recht­fer­ti­gen soll­te wie auch die dau­er­haf­te Aus­set­zung der Grund­rech­te-Ver­fas­sung durch das Not­stands­ge­setz am näch­sten Tag.

Die dama­li­gen Zeit­ge­nos­sen und auch die Histo­ri­ker nach dem 2. Welt­krieg gin­gen von der berech­tig­ten Hypo­the­se aus, dass die poli­ti­schen Haupt­nutz­nie­ßer die­ses destruk­ti­ven Groß­ereig­nis­ses, die Nazis, bei der Brand­stif­tung ihre Fin­ger im Spiel gehabt hät­ten. Der Nicht-Histo­ri­ker Aug­stein selbst zitiert dazu sei­nen Vater, den er ver­ächt­lich „histo­risch unge­bil­det“ abkan­zelt und damit auch des­sen klu­ge und weit­blicken­de Aus­sa­ge: „Erst haben sie den Reichs­tag ange­zün­det, spä­ter wer­den sie die Welt in Brand setzen.“

Die Verhaftungslisten waren schon verschickt

Das Reichstagsgebäude brannte in der Nacht vom 27. Februar 1933
Das Reichs­tags­ge­bäu­de brann­te in der Nacht vom 27. Febru­ar 1933

Die Nazi-Füh­rer, allen vor­an Göring und Goeb­bels, setz­ten schon in der Nacht, bevor der letz­te Band­herd gelöscht war, die Paro­le in die Welt, der Reichs­tags­brand sei ein lan­ge geplan­tes Signal für einen kom­mu­ni­sti­schen Auf­stand von den lin­ken Par­tei­en. So lau­te­te dann auch die durch­sich­ti­ge Recht­fer­ti­gung für die „zur Abwehr kom­mu­ni­sti­scher staats­ge­fähr­den­der Gewalt­ak­te“ schon am näch­sten Tag erlas­se­ne „Not­ver­ord­nung zum Schutz von Volk und Staat“.

Dabei waren die Listen für etwa 4000 kom­mu­ni­sti­sche und sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Funk­ti­ons­trä­ger, die in „Schutz­haft“ genom­men wur­den, schon sechs Stun­den vor dem Reichs­tags­brand ver­schickt wor­den. Göring ließ bald dar­auf drei Füh­rer der KPD als Brand­an­stif­ter und Mit­tä­ter ver­haf­ten, einer stell­te sich frei­wil­lig. Maria­nus van der Lub­be, der einer links-syn­di­ka­li­sti­schen Orga­ni­sa­ti­on ange­hör­te, war schon im Reichs­tags­ge­bäu­de wäh­rend des Bran­des in Poli­zei­ge­wahr­sam genom­men worden.

Bei dem im Sep­tem­ber 1933 ange­setz­ten Pro­zess vor dem Reichs­ge­richt in Leip­zig wie­der­hol­te Göring als Zeu­ge die NS-Pro­pa­gan­da, dass die Kom­mu­ni­sti­sche Par­tei zu ver­nich­ten sei. Dem ange­klag­ten kom­mu­ni­sti­schen Funk­tio­när Dimit­row hielt er „brül­lend“ (so das Pro­to­koll) ent­ge­gen, er sei ein Gau­ner, der an den Gal­gen gehö­re, weil er den Reichs­tag ange­steckt hätte.

Es gab keinen Zweifel an der Mittäterschaft

Das Reichs­ge­richt unter dem Vor­sitz eines ehe­ma­li­gen DVD-Man­nes kam in sei­nem Urteil vom 23. 12. 1933 zu dem Ergeb­nis: „Es kann nach Ansicht des Senats kei­nem Zwei­fel unter­lie­gen, daß die Tätig­keit van der Lub­bes im Reichs­tag im bewuß­ten und gewoll­ten Zusam­men­wir­ken mit dem oder den Mit­tä­tern erfolgt ist, die im Ple­nar­saal den Brand vor­be­rei­tet und die Selbst­ent­zün­dung ange­legt haben.“

Das Gericht wuss­te schon damals, was Histo­ri­ker, Phy­si­ker und Brand­ex­per­ten spä­ter bestä­tig­ten: Der zu 75 Pro­zent erblin­de­te van der Lub­be konn­te unmög­lich allein in der Zeit von 15 Minu­ten und nur mit haus­halts­üb­li­chen Koh­le­an­zün­dern den Ple­nar­saal des Reichs­tags in Flam­men gesetzt haben. Dass der gro­ße Ple­nums­saal schlag­ar­tig ent­flammt wur­de, weist auf eine Rauch­gas­ex­plo­si­on (Back­draft) hin, die aller­dings nur wirk­sam wer­den konn­te, wenn zuvor Brenn­stof­fe oder Brand­be­schleu­ni­ger in den Ple­nar­saal ein­ge­bracht wor­den waren.

Der Plenarsaal war mit Brandbeschleunigern präpariert

Hermann Göring (vorn) stemmt sich gegen den Verdacht seiner Hintergrundtäterschaft
Her­mann Göring (vorn) stemmt sich gegen den Ver­dacht sei­ner Hintergrundtäterschaft

Ein vom Reichs­ge­richt bestell­ter Gut­ach­ter, der Che­mie-Brand­sach­ver­stän­di­ge Wil­helm Schatz, hat­te im Ple­nar­saal Spu­ren einer selbst­ent­zünd­li­chen Flüs­sig­keit ent­deckt (Phos­phor in Schwe­fel­koh­len­stoff), die iden­tisch war mit der Sub­stanz, die sei­ner­zeit auch die Ber­li­ner SA benutzt hat­te, um zum Bei­spiel geg­ne­ri­sche Pla­ka­te zu zer­stö­ren. Auf die­sen und wei­te­re Brand­ex­per­ten grün­de­te das Gericht sein Urteil, dass von der Lub­be Mit­tä­ter gehabt haben muss­te, die den zen­tra­len Reichs­tags­raum prä­pa­riert hat­ten, sodass die Koh­le­an­zün­der des hol­län­di­schen Blind­gän­gers den Ple­nar­saal sogleich in ein Flam­men­meer verwandelten.

Wel­che Auf­ga­be Mari­nus van der Lub­be in die­sem Mario­net­ten­spiel zukam, sprach der Senat des Reichs­ge­richts auch aus: „Die Rol­le, die dem Ange­klag­ten van der Lub­be bei der Inbrand­set­zung des Reichs­tags zuge­dacht war, war offen­bar die, den Ver­dacht der Täter­schaft, und zwar einer Allein­tä­ter­schaft auf ihn zu len­ken.“ Und die­se Rol­le spiel­te van der Lub­be auch gut.

Dass aber die NS-Leu­te auf kei­nen Fall als Len­ker und Hel­fer für die Brand­stif­tung in Fra­ge kämen, schloss das Gericht ohne wei­te­re Unter­su­chun­gen deduk­tiv aus, da die „gesin­nungs­mä­ßi­gen Hem­mun­gen die­ser Par­tei der­ar­ti­ge ver­bre­che­ri­sche Hand­lun­gen von vorn­her­ein aus­schlie­ßen.“ Indem das Gericht a prio­ri die Mit­tä­ter­schaft von Nazi-Ein­hei­ten aus­schloss, wur­den in Rich­tung SA- oder NSDAP-Grup­pen auch kei­ne wei­te­ren Ermitt­lun­gen ein­ge­lei­tet. Das war ein schwer­wie­gen­der Man­gel des Ver­fah­rens und führ­te letzt­lich zu einem Justiz­mord an van der Lub­be. Denn ohne die ent­schei­den­de Brand-Hil­fe der Nazis wäre dem Hol­län­der das Nie­der­bren­nen des Reichs­ta­ges gar nicht gelungen.

Das Gericht folg­te in sei­nen Ver­hand­lun­gen allein der Ver­dachts­spur der Nazi-Pro­pa­gan­da nach kom­mu­ni­sti­schen Trieb­kräf­ten. Doch trotz viel­fäl­ti­ger Zeu­gen konn­te es eine Anstif­tung oder gar Betei­li­gung der ange­klag­ten KPD-Füh­rer an dem Reichs­tags­brand eben­falls nicht bewei­sen, so dass die vier Kom­mu­ni­sten­füh­rer aus Man­gel an Bewei­sen frei­ge­spro­chen wurden.

Van der Lubbe mit dem Anzündemittel Marke „Fleißige Hausfrau“

Aug­stein hat­te schon zehn Jah­re vor der gro­ßen Reichs­tags­brand­se­rie die The­se von der Allein­tä­ter­schaft ver­brei­ten las­sen: Der ehe­ma­li­ge Chef der preu­ßi­schen Poli­ti­schen Poli­zei und enger Ver­trau­ter Görings, spä­ter SS-Ober­füh­rer und Trä­ger des SS-Toten­kopf­rings, Rudolf Diels (+1957), durf­te in Som­mer 1949 in der SPIE­GEL-typi­schen Serie „Die Nacht der lan­gen Mes­ser .… fand nicht statt“ sei­ne Ver­si­on des Reichs­tags­bran­des aus­brei­ten. Diels pro­ji­ziert in den halb­blin­den und schmäch­ti­gen van der Lub­be eine Art Super­mann: „Schwer atmend saß er vor mir. Wie nach einer gewal­ti­gen Arbeit flog sein keu­chen­der Atem. Ein wil­der Tri­umph lag in den bren­nen­den Augen des blas­sen, aus­ge­mer­gel­ten jun­gen Gesich­tes.“ Die The­se von der Allein­tä­ter­schaft hakt er mit einem ‚War­um nicht?’ ab: „War­um soll­te ein sol­cher Feu­er­mi­chel nicht mit einem Streich­holz in der Lage sein, die feu­er­emp­find­li­che kal­te Pracht des Ple­nar­saa­les in Flam­men zu set­zen? Nun hat­te die­ser Spe­zia­list einen gan­zen Ruck­sack vol­ler Anzün­de­mit­tel ver­wen­det. Er war so emsig tätig gewe­sen, daß er eini­ge Dut­zend Brand­her­de ange­legt hat­te. Mit einem Anzün­de­mit­tel, Mar­ke „Flei­ßi­ge Haus­frau“ hat­te er den Ple­nar­saal in Flam­men gesetzt.“

Der ehe­ma­li­ge SS-Mann und NS-Funk­tio­när Diels führt höchst unglaub­wür­dig wei­ter aus: „Ich selbst habe schon eini­ge Wochen nach dem Brand und bis 1945 geglaubt, daß die Natio­nal­so­zia­li­sten die Brand­stif­ter gewe­sen sei­en. Ich glau­be es heu­te (1949) nicht mehr.“ Was sei­nen Umschwung zur Ent­la­stung der Nazis nach dem Krieg brach­te, wird in kei­ner Wei­se deutlich.

Augstein präsentiert Görings Ehrenwort als Beweis für die Alleintäterschaft

Es gehör­te schon eine gehö­ri­ge Por­ti­on Chuz­pe dazu, wenn Aug­stein den Lesern vier Jah­re nach dem Ende des ver­bre­che­ri­schen NS-System einen hoch­ran­gi­gen SS-Mann, Chef der poli­ti­schen Poli­zei und Pro­te­gé von Göring als glaub­wür­di­gen Zeu­gen der NS-Geschich­te prä­sen­tiert. Die­se Frech­heit wird nur noch von dem SS-Autor selbst über­trof­fen, der sei­nen För­de­rer Göring, der den Kri­mi­nal­be­am­ten Diels zum Vor­stands­vor­sit­zen­den der Her­mann-Göring-Rüstungs­wer­ke gemacht hat­te, als Zeu­gen für die Allein­tä­ter­the­se auf­ruft: Göring habe bei den Ver­hö­ren im Nürn­ber­ger Pro­zess mit Ehren­wort behaup­tet, dass er und die NSDAP nichts mit der Anstif­tung des Reichs­tags­bran­des zu tun gehabt hät­ten. In der spä­te­ren Reichs­tags­brand­se­rie von 1959 grei­fen die SPIE­GEL-Autoren und auch Aug­stein selbst in sei­nem Vor­wort die­se drei­ste The­se wie­der auf, dass Görings gro­ßes Ehren­wort über die Nicht­be­tei­li­gung am Reichs­tags­brand glaub­wür­di­ger sei als etwa die Aus­sa­gen vom Nazi-Geg­ner Her­mann Rausch­ning oder Gene­ral­oberst a. D. Franz Halder.

Anfang 1957 ließ Aug­stein den ehe­ma­li­gen SS-Ober­sturm­bann­füh­rer und ver­sier­ten Pres­se­chef des NS-Außen­mi­ni­sters, Karl Paul Schmidt, ali­as Paul Carell, in der SPIE­GEL-Serie: „Ich bin ein Lump, Herr Staats­an­walt“ eben­falls die Allein­tä­ter­the­se zum Reichs­tags­brand aus­brei­ten. Schmidt ver­kauft ähn­lich wie Diels sei­ne Phan­ta­sie- und Plau­si­bi­li­täts­über­le­gun­gen als Auf­klä­rungs­fak­ten. Sei­ne For­mu­lie­rung: „nicht der Schat­ten eines Bewei­ses“ wur­de spä­ter von Aug­stein in sei­nem Lob­lied auf die näch­ste Brand­tä­ter­se­rie übernommen.

Die SS-Seilschaft in der SPIEGEL-Redaktion wird aktiv

Angeklagt und zum Tode verurteilt: Marinus van der Lubbe beim Reichstagsbrandprozess
Ange­klagt und zum Tode ver­ur­teilt: Mari­nus van der Lub­be beim Reichstagsbrandprozess

Ab Okto­ber 1959 publi­zier­te der SPIEGEL die elf­tei­li­ge Serie: „Ste­hen Sie auf van der Lub­be! Der Reichs­tags­brand 1933 – Geschich­te einer Legen­de /​ Nach einem Manu­skript von Fritz Tobi­as“. Die SPIE­GEL-typi­sche Geschich­te ver­mit­telt den Ein­druck einer akri­bi­schen Inve­sti­ga­ti­on von Spu­ren. In Wirk­lich­keit ist sie das Gegen­teil von einer syste­ma­ti­schen kri­mi­na­li­sti­schen und histo­ri­schen Unter­su­chung, son­dern besteht nach SPIE­GEL-Manier im „per­so­na­li­sier­ten und emo­tio­na­len Ansatz“ aus einer Samm­lung von Kri­mi­nal­ge­schich­te – jour­na­li­stisch auf­ge­peppt von den SPIEGEL-Leuten.

Der Haupt­ge­währs­mann von Tobi­as war der dama­li­ge Kri­mi­nal­rat Dr. Wal­ter Zir­pin, der maß­geb­lich an den Ermitt­lun­gen zum Reichs­tags­brand Anteil hat­te. Spä­ter war er als SS-Haupt­sturm­füh­rer und kri­mi­nal­po­li­ti­scher Lei­ter im Ghet­to Litz­mann­stadt an kriegs­ver­bre­che­ri­schen Aktio­nen betei­ligt. Zir­pin wur­de Anfang der 50er Jah­re vom SPIEGEL als unbe­la­ste­ter und kom­pe­ten­ter Kri­mi­na­list emp­foh­len. In einem Akt spä­ter SS-Kame­rad­schaft hat­te der SS-Ober­sturm­bann­füh­rer Weh­ner, Autor der 30teiligen SPIE­GEL-Serie zur Glo­ri­fi­zie­rung von SS-Grup­pen­füh­rer Arthur Nebe, in einem wei­te­ren Arti­kel für meh­re­re ehe­ma­li­ge SS-Füh­rer hoch­ran­gi­ge Stel­len in der bun­des­deut­schen Kri­mi­nal­po­li­zei ein­ge­for­dert – dar­un­ter Wal­ter Zir­pin. Die publi­zi­sti­sche Für­spra­che hat­te Erfolg: Zir­pin wur­de dar­auf­hin Lei­ter der Kri­mi­nal­po­li­zei Han­no­ver. Nach der Eröff­nung der zen­tra­len Erfas­sungs­stel­le für NS-Ver­bre­cher in Lud­wigs­burg 1958 muss­te Zir­pin mit unan­ge­neh­men Ermitt­lun­gen rech­nen, zumal er auch auf der pol­ni­schen Liste für NS-Kriegs­ver­bre­cher stand. Es spricht eini­ges dafür, dass die SPIE­GEL-Redak­ti­on damals mit der eigen­wil­li­gen Inter­pre­ta­ti­on der Reichs­tags­brand­ge­schich­te dem unter Ermitt­lungs­druck ste­hen­den SS-Kame­ra­den Zir­pin Schüt­zen­hil­fe geben wollte.

Auch ein Zweck der Serie: ein SS-Kriegsverbrecher als Widerständler

Zir­pin und sein Kol­le­ge Hei­se wer­den als Kron­zeu­gen dafür auf­ge­baut, dass neben dem schnell gefass­ten Brand­stif­ter van der Lub­be kei­ne wei­te­ren kom­mu­ni­sti­schen Mit­tä­ter oder Anstif­ter ermit­telt wer­den konn­ten. An die­ses kom­mu­ni­sti­sche Täter­kom­plott glaub­te aber schon 1933 nie­mand ernst­haft und nach dem Krieg sowie­so nicht. War­um woll­te der SPIEGEL dann 1959 mit einer elf­tei­li­gen Serie offe­ne Türen ein­ren­nen, Ant­wor­ten auf Fra­gen geben, die kei­ner gestellt hatte?
Auf­fäl­lig oft wird ein Gegen­satz zwi­schen der Kri­po-Arbeit und der NS-Pro­pa­gan­da auf­ge­baut – etwa so: „Sie (Zir­pin und Hei­sig) beton­ten auch vor dem Reichs­ge­richt in Leip­zig wie­der­holt, daß van der Lub­be nach den kri­mi­nal­po­li­zei­li­chen Fest­stel­lun­gen – ent­ge­gen den The­sen Hit­lers und der NSDAP-Pro­mi­nenz – Allein­tä­ter war.“ Die Bot­schaft ist klar: Zir­pin sei tap­fer bei sei­nem Stand­punkt geblie­ben – gegen den Druck der NS-Prominenz!

Der Spiegel lügt

Doch in der Sache tisch­te der SPIEGEL zu der Rol­le und den Aus­sa­gen Zir­pins Lügen auf. Schon in einer Exper­ti­se durch den Stutt­gar­ter Stu­di­en­rat Hans Schnei­der im Jah­re 1960 und ande­ren Stu­di­en nach 1990 konn­te anhand der ori­gi­na­len Reichs­tags­brand-Pro­zess­ak­ten aus Ost-Ber­lin nach­ge­wie­sen wer­den, dass der SPIEGEL bzw. Autor Tobi­as die Ver­neh­mungs- und Gerichts­pro­to­kol­le falsch zitiert, teil­wei­se sogar in ihr Gegen­teil ver­kehrt hat­te, um die Allein­schuld van der Lub­bes zu bewei­sen: Zir­pin hat­te 1933 vor dem Reichs­ge­richt nie von der Allein­tä­ter­schaft gespro­chen, son­dern im Gegen­teil betont, dass er wegen Zeit­man­gels die Fra­ge nach Mit­tä­tern nicht habe unter­su­chen können.

Der SPIEGEL/​Tobias/​Zirpin nen­nen die Gut­ach­ter und Brand­ex­per­ten „nai­ve oder gewis­sen­lo­se Sach­ver­stän­di­ge“ mit „phan­ta­sie­vol­len Kom­bi­na­tio­nen“. Damit waren die Ergeb­nis­se gemeint, die gegen die vom SPIEGEL pro­pa­gier­te Allein­tä­ter­schaft spra­chen: Alle theo­re­ti­schen Erwä­gun­gen und prak­ti­schen Erfah­run­gen spre­chen dage­gen, „daß bei der zur Ver­fü­gung ste­hen­den Zeit der Brand im Ple­nar­saal den Umfang hät­te anneh­men und so hät­te ver­lau­fen kön­nen, wenn nicht eine beson­de­re Vor­be­rei­tung des Saa­les für die Inbrand­set­zung vor­an­ge­gan­gen wäre“.

Dann phan­ta­siert Zir­pin ins Blaue hin­ein Geschichts­hal­lu­zi­na­tio­nen, die nichts mit Ermitt­lungs­tat­sa­chen zu tun haben: „Als ob es nicht in der Geschich­te unzäh­li­ge Brand­ka­ta­stro­phen gege­ben hät­te, die – durch win­zi­ge Ursa­chen in Gang gesetzt – mit rasen­der Schnel­lig­keit auch gro­ße, sta­bi­le Bau­ten ein­ge­äschert haben.“ Das war ein Rück­griff auf ein Zitat vom SS-Kol­le­gen Diels – aber 1959 genau­so unsin­nig wie 1949.

Schließ­lich behaup­tet Zir­pin fälsch­lich, allein die Kom­mu­ni­sten hät­ten eini­ge Tage spä­ter den Ver­dacht der Nazi-Mit­tä­ter­schaft am Reichs­tags­brand auf­ge­bracht. In Wirk­lich­keit war die­se Ver­mu­tung schon in der Nacht All­ge­mein­gut bei den mei­sten Nicht-Nazis.

Das ideologisch-soziale Umfeld des ‚Alleintäters’ wird ausgeblendet

Das sie­ben­sei­ti­ge Erst­ver­neh­mungs­pro­to­koll von Zir­pin und Hei­sig ist so ange­legt, dass die Kon­tak­te van der Lub­bes mit links- und rechts­ra­di­ka­len Kräf­ten kei­ne Rol­le spie­len. Auf­grund der Aus­blen­dung des sozia­len und ideo­lo­gi­schen Umfel­des von dem Brand­stif­ter kommt Zir­pin zu der Schluss­fol­ge­rung der Allein­tä­ter­the­se. Die­ser poli­zei­li­che Tun­nel­blick war gera­de kein Ruh­mes­blatt der deut­schen Kri­mi­na­li­stik, wie Zir­pin, der Gold­räu­ber von Litz­mann­stadt, nach dem Krieg glau­ben machen wollte.

Spä­te­stens als Hit­ler am 28. 2. mit dem Reichs­tags­brand die not­stands­be­grün­de­te Aus­set­zung der Ver­fas­sung und den Bann­fluch gegen die Lin­ken ins Werk setz­te, ver­brei­te­te und ver­fe­stig­te sich im Par­tei­en­spek­trum, der Bevöl­ke­rungs­mehr­heit und sogar bei Nazis wie Diels die Ansicht, dass die Natio­nal­so­zia­li­sten bei dem Feu­er­an­schlag auf das Reichs­tags­ge­bäu­de ihre Fin­ger im Spiel gehabt hät­ten. In der noch nicht gleich­ge­schal­te­ten Pres­se war davon aller­dings nur in Ver­mu­tun­gen zu lesen, inso­fern man noch kei­ne Zeu­gen und Bewei­se in der Hand hatte.

Nach dem Krieg: ein Mosaikbild von der NS-Mittäterschaft

Erst nach dem Zusam­men­bruch des NS-Systems konn­ten Zeu­gen, Kon­takt­per­so­nen und Betrof­fe­ne ihre Erfah­run­gen erzäh­len, was in zahl­rei­chen Schrif­ten publi­ziert wur­de. Der pro­mi­nen­te­ste Zeu­ge war der ehe­ma­li­ge Gene­ral­stabs­chef Franz Hal­der, der 1942 per­sön­lich Görings ange­be­ri­sche Rede zur Anstif­tung des Reichs­tags­brands gehört hat­te. Eben­so berich­te­te der ehe­ma­li­ge Dan­zi­ger Senats­prä­si­dent Her­mann Rausch­ning von einer Gesprächs­run­de in der Ber­li­ner Reichs­kanz­lei, bei der Göring detail­liert schil­der­te, wie „sei­ne Jun­gens durch einen unter­ir­di­schen Gang aus dem Prä­si­den­ten­pa­lais in den Reichs­tag gelang­ten, wie sie weni­ge Minu­ten Zeit gehabt und fast ent­deckt wor­den wären“. Aus den ver­schie­de­nen Zeug­nis­sen und Per­spek­ti­ven war mosa­ik­ar­tig das fol­gen­de Bild ent­stan­den: Dem­nach hat­ten Hitl­erleu­te unter Anlei­tung mitt­le­rer Par­tei­funk­tio­nä­re und im Auf­trag der NS-Spit­ze als vor­be­rei­ten­de Mit­tä­ter van der Lub­bes den Ple­nar­saal des Reichs­ta­ges brand­tech­nisch präpariert.

Zwei Geständnisse von SA-Leuten

Zehn Wochen nach dem Reichstag brannten die Bücher (Fotomontage von John Hartfield)
Zehn Wochen nach dem Reichs­tag brann­ten die Bücher (Foto­mon­ta­ge von John Hartfield)

Den Indi­zi­en­be­weis, dass der halb­blin­de van der Lub­be unmög­lich allein mit Haus­halts­an­zün­dern in kür­ze­ster Zeit den Ple­nar­saal hät­te voll­stän­dig in Brand set­zen kön­nen, hat­te schon das Reichs­ge­richt fest­ge­stellt, aber mit der The­se der Mit­tä­ter­schaft von Kom­mu­ni­sten auf eine fal­sche Spur gesetzt. Der Che­mie-Brand­sach­ver­stän­di­ge Schatz hat­te Spu­ren von Phos­phat-Brand­be­schleu­ni­ger im Ple­nar­saal nach­wei­sen kön­nen. Die­se Hin­wei­se auf Mit­tä­ter wur­den spä­ter durch ein Doku­ment bestärkt: Die 1936 her­aus­ge­ge­be­ne Hit­ler­bio­gra­phie von Kon­rad Hei­den ent­hält im soge­nann­ten „Ernst-Testa­ment“ einen Bericht, der auf den SA-Füh­rers Karl Ernst zurückgeht:
„Durch einen unter­ir­di­schen Gang zwi­schen Görings Palast und dem Reichs­tag ist SA-Grup­pen­füh­rer Karl Ernst mit sei­nen Kame­ra­den Fied­ler und von Moh­ren­schildt am Abend des 27. Febru­ar 1933 um vier­tel vor neun in den Ple­nar­saal des Reichs­tags ein­ge­drun­gen, wo sie Stüh­le und Tische mit Phos­phor bestri­chen, Dra­pe­ri­en und Tep­pi­che mit Petro­le­um tränk­ten. Nach zwan­zig Minu­ten war die Arbeit fertig.“
Der natio­nal­so­zia­li­sti­sche Mit­wis­ser und Mit­tä­ter Karl Ernst kam ein Jahr spä­ter auf die Proskrip­ti­ons­li­ste der NS-Füh­rung und wur­de am 30. 6. 1934 im Rah­men des soge­nann­ten Röhm­put­sches liqui­diert. Auch von Moh­ren­schildt als Ver­trau­ter Ernst’ wur­de ein Tag spä­ter von SS-Leu­ten erschossen.

Das Ernst-Doku­ments als „Testa­ment“ mag in sei­ner Form nach­träg­lich erstellt wor­den sein, der Wahr­heits­ge­halt von des­sen Reichs­tags­brand­be­richt wur­de aber vor eini­gen Jah­ren voll­stän­dig bestä­tigt: Wal­ter Erich von Moh­ren­schildt besuch­te im Lau­fe des Jah­res 1933 in Wit­zen­hau­sen, wo er Schü­ler der dor­ti­gen Kolo­ni­al­schu­le gewe­sen war, die ihm bekann­te Arzt­fa­mi­lie Dr. Richard Wolfrom. Des­sen Frau Toni Wolfrom ver­trau­te von Moh­ren­schildt „ein Geheim­nis an, das ihn sehr bedrück­te“: Er als SA-Mann habe mit ande­ren SA-Leu­ten im Reichs­tag das Feu­er legen müs­sen. Die­ses Geständ­nis des SA-Manns wur­de nach dem Tod von Moh­ren­schildt in der Fami­lie Wolfrom tra­diert und von zwei Nich­ten der Toni Wolfrom in einem FAZ-Leser­brief vom 8. 2. 2008 der Öffent­lich­keit mit­ge­teilt. Die bei­den Leser­brief­schrei­be­rin­nen waren Dr. Ilse Wolfrom aus Bad Kreuz­nach und Gise­la Teck­len­borg aus Bremen.

Der SPIEGEL glaubt der Göring-Propaganda von der Nazi-Nichtbeteiligung …

Die SPIE­GEL-Autoren ver­such­ten die Zeu­gen­aus­sa­gen von Hal­der und Rausch­ning als unge­nau und unzu­tref­fend abzu­bie­gen, wäh­rend sie für die Glaub­wür­dig­keit des Ober-Nazis Göring ihre Hand ins (Reichs­tags­brand-) Feu­er legen woll­ten. Göring hat­te vor dem Nürn­ber­ger Tri­bu­nal im Nach­hin­ein behaup­tet: „Selbst wenn ich das Feu­er ver­an­laßt hät­te, wür­de ich nicht damit prah­len.“ Nach­dem aber die NS-Füh­rung die bei­den Haupt­ak­teu­re der SA-Brand­vor­be­rei­tungs­trup­pe besei­tigt hat­te, also Karl Ernst und Wal­ter Erich von Moh­ren­schildt, wür­de von den ein­ge­schüch­ter­ten ande­ren SA-Leu­ten nie­mand mehr den Mund auf­ma­chen. Somit konn­te Göring gefahr­los – zumin­dest im eng­sten NS-Krei­sen –von „sei­ner“ Reichs­tags­brand­stif­tung prahlen.

…führende Nazis dagegen gingen von der NS-Mittäterschaft aus

Für die Anstif­tung und Mit­tä­ter­schaft der Nazis beim Reichs­tags­brand spricht auch die Tat­sa­che, dass füh­ren­de NS-Leu­te, die die Men­ta­li­tät der Par­tei­ge­nos­sen gut kann­ten, die Tat spon­tan ihrer eige­nen Orga­ni­sa­ti­on zutrau­ten. Die Aus­sa­ge des ehe­ma­li­ge SS-Füh­rers und Pro­te­gé Görings, Rudolf Diels, wur­de schon genannt: „Ich selbst habe schon eini­ge Wochen nach dem Brand und bis 1945 geglaubt, daß die Natio­nal­so­zia­li­sten die Brand­stif­ter gewe­sen sei­en.“ Noch ein­deu­ti­ger ist die Zuord­nung des Nazi-Ideo­lo­gen und dama­li­gen Chef­re­dak­teurs des „Völ­ki­schen Beob­ach­ters“, Alfred Rosen­berg: „Ich hof­fe, es ist nicht das Werk unse­rer Bur­schen. Es ist genau eines jener ver­dammt blö­den Stücke, die ihnen ähn­lich sehen.“ Das sag­te der NSDAP-Ideo­lo­ge zu dem bri­ti­schen Jour­na­li­sten Sef­ton Del­mer, als die bei­den am 27. Febru­ar 1933 gegen 22 Uhr vor dem bren­nen­den Reichs­tag standen.“

Der Brandstifter – von Nazi-Leuten angestiftet?

Nicht nur als Mit­tä­ter, auch als Anstif­ter und Ideen­ge­ber für den Hol­län­der kamen NS-Leu­te in den Blick. Ein ent­spre­chen­der Zeit­zeu­gen­be­richt stammt von dem Ber­li­ner Jour­na­li­sten Alfred Wei­land. Der wirk­te damals als Funk­tio­när der All­ge­mei­nen Arbei­ter­uni­on (AAU), einer links-syn­di­ka­li­sti­schen, aber nicht mos­kau­hö­ri­gen Räte­or­ga­ni­sa­ti­on. Wei­land hat­te im Febru­ar 1933 Kon­takt mit van der Lub­be, der im Auf­trag einer hol­län­di­schen Räte-Grup­pe nach Ber­lin gesandt wor­den war. Das Reichs­ge­richt bestä­tig­te in sei­nem Urteil die Kon­tak­te und Sym­pa­thien von van der Lub­be gegen­über der AAU. Es ist auch bekannt, dass die Ber­li­ner NSDAP mit Spit­zeln in der AAU prä­sent war. Goeb­bels, seit 1926 NSDAP-Gau­lei­ter von Ber­lin, hat­te sei­ner Par­tei­or­ga­ni­sa­ti­on mit der Pro­pa­gan­da­schrift „Der Nazi-Sozi“ ein lin­kes Pro­fil gege­ben und ver­stand es, Mit­glie­der lin­ker Orga­ni­sa­tio­nen her­über­zu­zie­hen. Außer­dem ließ er mit SA-Spit­zeln und ‚U‑Booten’ in ver­deck­ten Ope­ra­tio­nen für die Natio­nal­so­zia­li­sten arbei­ten. Van der Lub­be, der sich in den Ber­li­ner Orga­ni­sa­tio­nen nicht aus­kann­te, rutsch­te in die­se Gemenge­la­ge von aktio­ni­stisch ein­ge­stell­ten Syn­di­ka­li­sten und radi­ka­len SA-Grup­pen mit sozia­li­sti­schem Drall. Wei­land berich­te­te, die­se Nazi-Grup­pen hät­ten van der Lub­be in pro­vo­ka­ti­ve Aktio­nen hin­ein­ge­zo­gen, die die Not­stands­maß­nah­men der Regie­rung Hit­ler recht­fer­ti­gen bzw. her­bei­füh­ren sollten.

Keine Beweise, aber viel Spekulationen

Der Hob­by-Histo­ri­ker Fritz Tobi­as und die jour­na­li­sti­schen SPIE­GEL-Fri­sie­rer las­sen von Anfang an durch­blicken, dass sie nur an der Allein­tä­ter­the­se Inter­es­se haben. Cum ira et stu­dio stel­len sie im ersten Teil der Serie mit dem kon­text­lo­sen Tun­nel­blick des NS-Kri­mi­na­li­sten Zir­pin eini­ge Hin­wei­se für die Allein­tä­ter­schaft van der Lub­bes zusam­men. Die Bewei­se gip­feln in rei­ner Histo­ri­en­spe­ku­la­ti­on von ande­ren Groß­brän­den durch „win­zi­ge Ursachen“.

In den fol­gen­den sie­ben Fort­set­zun­gen kon­zen­triert sich die SPIE­GEL-Autoren­ge­mein­schaft dar­auf, alle Spu­ren und Kon­tak­te, die auf Anstif­tung, Hin­ter­män­ner und Mit­tä­ter­schaft ver­wei­sen, zu ver­wi­schen und zu ver­ne­beln. Dabei hat­te das Maga­zin selbst auf sei­nem Titel­bild den Täter anschau­lich als eine Mario­net­te prä­sen­tiert, bei der die Draht­zie­her (Nazi-Leu­te) nach dem Spiel (dem Reichs­tags­brand) die Figur sicht­bar „hän­gen“ lassen:

Eine Kriminalgeschichte zur Verwirrung der Leser

Der Haupt­teil der Serie, die sie­ben Fort­set­zungs­ge­schich­ten zur Ent­kräf­tung der Mit­tä­ter­schaft-The­se, haben wenig mit Dar­stel­lung und Auf­klä­rung histo­ri­scher Ereig­nis­se zu tun, son­dern stel­len eine Art Kri­mi­nal­ge­schich­te dar, bei dem die SPIE­GEL-Autoren alle Zeu­gen­aus­sa­gen zu erschüt­tern suchen, um ihre eige­ne Ver­si­on der Geschich­te durchzuboxen.

Die Leser wer­den mit einer Unmen­ge von histo­ri­schen Per­so­nen, Bezie­hun­gen, Orten und Geschich­ten über­la­den. Am Ende blickt kei­ner mehr durch, so dass man resi­gnie­rend den Schluss­fol­ge­run­gen der SPIE­GEL-Autoren fol­gen soll. Oder: Der Leser wird in ein Laby­rinth von Orten und Ereig­nis­sen geführt, aus dem nur der all­wis­sen­de Seri­en-Autor den Aus­weg weist, der mit „Allein­tä­ter“ über­schrie­ben ist.

Perfektionierung der Verneblungstechnik durch Serien

Die SPIE­GEL-Redak­ti­on hat­te 1959 jede Men­ge Erfah­run­gen in die­ser Seri­en-Tech­nik, bei der man anschei­nend jedes gewoll­te Ergeb­nis pro­du­zie­ren konn­te: In der drei­ßig­tei­li­gen SPIE­GEL-Serie genau zehn Jah­re vor­her: „Glanz und Elend der deut­schen Kri­mi­nal­po­li­zei“ vom ehe­ma­li­gen SS-Haupt­sturm­füh­rer Bern­hard Weh­ner war die Legen­den­bil­dung und Ver­neb­lungs­tech­nik zur NS-Geschich­te in der Form von Auf­klä­rungs­ar­beit eines Kri­mi­na­li­sten schon vor­ex­er­ziert wor­den. Die Serie „Die Nacht der lan­gen Mes­ser“ (1949) von SS-Ober­füh­rer Rudolf Diels kann als Vor­be­rei­tung der Allein­tä­ter­the­se zum Reichs­tags­brand ange­se­hen wer­den. Mit der elf­tei­li­gen Serie „Ich bin ein Lump, Herr Staats­an­walt“ (1957) vom ehe­ma­li­gen SS-Haupt­sturm­füh­rer Paul ‚Carell’ Schmidt hat­te man die Situa­ti­on der Gerichts­pro­zes­se in tota­li­tä­ren Syste­men durch­ex­er­ziert. Außer­dem konn­te der SS-Haupt­sturm­füh­rer a. D. Georg Wolff als Res­sort­lei­ter und stell­ver­tre­ten­der Chef­re­dak­teur bis 1959 die Ent­wick­lung oder Betreu­ung von mehr als 70 SPIE­GEL-Seri­en vorweisen.

Die größ­te Ver­neb­lungs­ak­ti­on aber bestand dar­in, dass SPIE­GEL-Her­aus­ge­ber Rudolf Aug­stein die­se kri­mi­nal­ge­schich­ten­haf­te Serie zu einer fach-histo­ri­schen Jahr­hun­der­t­ar­beit hochjubelte.

Und kei­ner lachte.

Text: Hubert Hecker
Bild: vom Autor zusam­men­ge­stellt (Screen­shots)

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