Kardinal Ratzingers Antwort auf die Dezentralisierungspläne von Papst Franziskus


Papst Franziskus: zwischen Santa Marta und Synodenaula
Papst Fran­zis­kus: zwi­schen San­ta Mar­ta und Synodenaula

(Rom) Am 17. Okto­ber hielt Papst Fran­zis­kus im Zusam­men­hang mit der Bischofs­syn­ode eine „pro­gram­ma­ti­sche Rede“ (ORF), in der er unter ande­rem eine Dezen­tra­li­sie­rung der Kir­che durch Auf­wer­tung der Bischofs­kon­fe­ren­zen ankün­dig­te. Eine pro­gram­ma­ti­sche Aus­sa­ge, die sich bereits im Apo­sto­li­schen Schrei­ben Evan­ge­lii Gau­di­um von Novem­ber 2013 findet.

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Der katho­li­sche Intel­lek­tu­el­le Rober­to de Mat­tei schrieb, daß eine Dezen­tra­li­sie­rung der Kir­che „Glau­ben und gesun­den Men­schen­ver­stand belei­digt“.

Wider­spruch gegen die Absicht von Papst Fran­zis­kus for­mu­lier­te sein Vor­gän­ger Bene­dikt XVI. bereits 1984. Damals führ­te der bekann­te katho­li­sche Publi­zist Vitto­rio Mess­o­ri ein Gespräch mit dem dama­li­gen Kar­di­nal Joseph Ratz­in­ger, der gera­de seit zwei Jah­ren Prä­fekt der römi­schen Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on war. Dar­aus ent­stand das Buch „Zur Lage des Glau­bens“, das 1985 in deut­scher Aus­ga­be erschien und wie kaum ein ande­res Buch Ratz­in­gers inner­kirch­li­che Dis­kus­si­on und Bewe­gung auslöste.

„Zur Lage des Glau­bens“ befaß­te sich vor allem mit der Nach­kon­zils­zeit. Ein Glau­bens­prä­fekt, und damit mit höch­ster Auto­ri­tät, for­mu­lier­te 19 Jah­re nach dem Ende des Kon­zils eine Kri­tik, die unter den dama­li­gen Ver­hält­nis­sen ein regel­rech­ter Tabu­bruch war.

Im vier­ten Kapi­tel „Prie­ster und Bischö­fe“ ist ein eige­nes Unter­ka­pi­tel den Bischofs­kon­fe­ren­zen gewidmet:

Die Bischofskonferenzen

Kardinal Ratzinger mit Vittorio Messori
Kar­di­nal Ratz­in­ger mit Vitto­rio Messori

Kom­men wir nun von den „ein­fa­chen“ Prie­stern zu den Bischö­fen, das heißt zu denen, die als „Nach­fol­ger der Apo­stel“ die „Fül­le des Wei­he­sa­kra­men­tes“ inne­ha­ben, die „authen­ti­sche Leh­rer“ der christ­li­chen Leh­re sind, denen „in den ihnen anver­trau­ten Diö­ze­sen ordent­li­che, eigen­stän­di­ge und unmit­tel­ba­re Gewalt“ zusteht, deren „Prin­zip und Fun­da­ment der Ein­heit“ sie sind, und die, ver­eint im Bischofs­kol­le­gi­um mit ihrem Haupt, dem Papst, „in der Per­son Chri­sti han­deln“, um die uni­ver­sa­le Kir­che zu leiten.
Alle Defi­ni­tio­nen, die wir gege­ben haben, stam­men aus der katho­li­schen Leh­re über den Epi­sko­pat und sind vom II. Vati­ka­num bekräf­tigt worden.

Das Kon­zil, erin­nert Ratz­in­ger, „woll­te eben die Rol­le und die Ver­ant­wor­tung des Bischofs stär­ken, indem es das Werk des I. Vati­ka­nums wie­der auf­nahm und ver­voll­stän­dig­te, das durch die Erobe­rung Roms unter­bro­chen wur­de, nach­dem es sich nur mit dem Papst beschäf­ti­gen konn­te. Die­sem letz­te­ren hat­ten die Kon­zils­vä­ter die Unfehl­bar­keit im Lehr­amt bestä­tigt, wenn er als ober­ster Hir­te und Leh­rer eine Glau­bens- und Sit­ten­leh­re für ver­bind­lich erklärt“.

So war bei man­chem Theo­lo­gen ein gewis­ses Ungleich­ge­wicht ent­stan­den, sobald nicht genü­gend betont wur­de, daß auch das Bischofs­kol­le­gi­um die­sel­be „Unfehl­bar­keit im Lehr­amt“ genießt, vor­aus­ge­setzt, daß die Bischö­fe „das Band der Com­mu­nio unter­ein­an­der und mit dem Nach­fol­ger Petri bewahren“.

Ist also mit dem II. Vati­ka­num alles wie­der in Ordnung?

„In den Doku­men­ten ja, aber nicht in der Pra­xis, wo sich noch eine wei­te­re jener para­do­xen Fol­gen der Nach­kon­zils­zeit gezeigt hat“, ant­wor­te­te er. „Die ent­schei­den­de Neu­be­to­nung der Rol­le des Bischofs ist in Wirk­lich­keit ver­hallt, oder sie droht durch die Ein­bin­dung der Bischö­fe in immer straf­fer durch­or­ga­ni­sier­te Bischofs­kon­fe­ren­zen mit ihren oft schwer­fäl­li­gen büro­kra­ti­schen Struk­tu­ren gera­de­zu erstickt zu wer­den. Wir dür­fen nicht ver­ges­sen, daß die Bischofs­kon­fe­ren­zen kei­ne theo­lo­gi­sche Grund­la­ge haben, sie gehö­ren nicht zur unauf­gebba­ren Struk­tur der Kir­che, so wie sie von Chri­stus gewollt ist: sie haben nur eine prak­ti­sche, kon­kre­te Funktion.“

Dies, so sagt er, bestä­tigt übri­gens der neue Codex des kano­ni­schen Rech­tes, der den Umfang der Auto­ri­tät der Kon­fe­ren­zen fest­legt, die nicht „im Namen aller Bischö­fe han­deln (kön­nen), wenn nicht alle Bischö­fe ein­zeln ihre Zustim­mung gege­ben haben“, außer es han­delt sich um Mate­ri­en, „in denen das all­ge­mei­ne Recht es vor­schreibt oder eine beson­de­re Anord­nung die­se bestimmt, die der Apo­sto­li­sche Stuhl (…) selbst erlas­sen hat“ (CIC Can. 455). Das Kol­lek­tiv ersetzt folg­lich nicht die Per­son des Bischofs, der – so erin­nert der Codex in Bestä­ti­gung des Kon­zils – „der authen­ti­sche Kün­der und Leh­rer des Glau­bens für den sei­ner Sor­ge anver­trau­ten Gläu­bi­gen“ ist (vgl. CIC Can. 753). Ratz­in­ger bestä­tigt: „Kei­ne Bischofs­kon­fe­renz hat als sol­che eine lehr­amt­li­che Funk­ti­on. Ent­spre­chen­de Doku­men­te ver­dan­ken ihr Gewicht allein der Zustim­mung, die ihnen von den ein­zel­nen Bischö­fen gege­ben wird.“

War­um beharrt der Prä­fekt auf die­sem Punkt?

„Weil es dar­um geht“ – so ant­wor­tet er –, „gera­de das Wesen der katho­li­schen Kir­che, die auf einer epi­skopa­len Struk­tur und nicht auf einer Art Föde­ra­ti­on von Natio­nal­kir­chen basiert, zu bewah­ren. Die natio­na­le Ebe­ne ist kei­ne kirch­li­che Grö­ße. Es müß­te von neu­em klar wer­den, daß es in jeder Diö­ze­se nur einen Hir­ten und Leh­rer des Glau­bens gibt in Gemein­schaft mit den ande­ren Hir­ten und Leh­rern und mit dem Stell­ver­tre­ter Chri­sti. Die katho­li­sche Kir­che basiert auf dem Gleich­ge­wicht zwi­schen der Gemein­schaft und der Per­son, in die­sem Fall zwi­schen der Gemein­schaft der ein­zel­nen in der uni­ver­sa­len Kir­che ver­ein­ten Orts­kir­chen und der Per­son des Ver­ant­wort­li­chen der Diözese.“

Es kommt vor, sagt er, daß „bei eini­gen Bischö­fen ein gewis­ser Man­gel an Sinn für die indi­vi­du­el­le Ver­ant­wor­tung und die Dele­gie­rung ihrer unver­äu­ßer­li­chen Befug­nis­se als Hir­ten und Leh­rer an die Struk­tu­ren der loka­len Kon­fe­renz dazu führt, das ins Anony­mat abglei­ten zu las­sen, was hin­ge­gen sehr per­so­nal blei­ben muß. Die Grup­pe der in den Kon­fe­ren­zen ver­ein­ten Bischö­fe sind in ihren Ent­schei­dun­gen von ande­ren Grup­pen, von eigens dazu ein­ge­rich­te­ten Dienst­stel­len abhän­gig, die Vor­la­gen erar­bei­ten. Es geschieht dann, daß die Suche nach Aus­gleich zwi­schen den ver­schie­de­nen Ten­den­zen und das Bemü­hen um Ver­mitt­lung oft ver­flach­ten Doku­men­ten Raum geben, in denen ent­schie­de­ne Posi­tio­nen (wo sie not­wen­dig wären) abge­schwächt werden.“

Er erin­nert dar­an, daß es sei­nem Land schon in den drei­ßi­ger Jah­ren eine Bischofs­kon­fe­renz gege­ben hat:

„Soweit gut, aber die wirk­lich kraft­vol­len Doku­men­te gegen den Natio­nal­so­zia­lis­mus waren jene, die von ein­zel­nen muti­gen Bischö­fen stamm­ten. Die Schrift­stücke von der Kon­fe­renz erschie­nen hin­ge­gen oft ziem­lich blaß und zu schwach im Ver­hält­nis zu dem, was die Tra­gö­die ver­langt hätte.“

Die Aufgabe des Bischofs

„Es gibt ein kla­res sozio­lo­gi­sches Gesetz, wel­ches – ob man es will oder nicht – die Arbeits­wei­se der nur schein­bar ‚demo­kra­ti­schen‘ Grup­pen lei­tet. Gera­de jenes Gesetz hat (wie jemand ver­merkt hat) auch im Kon­zil gewirkt. Man hat eini­ge Sit­zun­gen wäh­rend der zwei­ten Ses­si­on 1963 unter­sucht: An den Ver­samm­lun­gen in der Aula nah­men durch­schnitt­lich 2135 Bischö­fe teil. Von die­sen grif­fen nur etwas mehr als 200, als 10 Pro­zent aktiv durch Wort­mel­dun­gen in die Debat­te ein; die ande­ren 90 Pro­zent spra­chen nie und beschränk­ten sich dar­auf, zuzu­hö­ren und abzustimmen.
Im übri­gen ver­steht es sich doch eigent­lich von selbst, daß Wahr­heit nicht durch Abstim­mun­gen geschaf­fen wer­den kann. Eine Aus­sa­ge ist ent­we­der wahr oder sie ist nicht wahr. Die Wahr­heit kann man nur fin­den, nicht schaf­fen. Von die­ser Grund­re­gel weicht auch – ent­ge­gen einer ver­brei­te­ten Vor­stel­lung – das klas­si­sche Ver­fah­ren Öku­me­ni­scher Kon­zi­li­en nicht ab. Denn auf ihnen galt immer, daß nur ver­bind­li­che Aus­sa­ge wer­den kann, was mit mora­li­scher Ein­stim­mig­keit ange­nom­men ist. Das bedeu­tet nun nicht, daß man mit ein­stim­mig erziel­ten Ergeb­nis­sen sozu­sa­gen Wahr­heit pro­du­zie­ren könn­te. Die Vor­stel­lung, die sich dar­in aus­drück­te, war viel­mehr, daß Ein­stim­mig­keit so vie­ler Bischö­fe unter­schied­li­cher Her­kunft, unter­schied­li­cher Bil­dungs­for­men und unter­schied­li­cher Tem­pe­ra­men­te ein Zei­chen dafür sei, daß sie hier von dem spre­chen, was sie nicht selbst erfun­den, son­dern nur gefun­den haben. Die mora­li­sche Ein­stim­mig­keit hat nach der klas­si­schen Kon­zils­idee nicht den Cha­rak­ter einer Abstim­mung, son­dern den Cha­rak­ter eines Zeugnisses.
Wenn man sich die­se klar­macht, braucht man nicht mehr zu begrün­den, war­um eine Bischofs­kon­fe­renz, die ja einen sehr viel beschränk­te­ren Kreis ver­tritt als ein Kon­zil, nicht über Wahr­heit abstim­men kann. Im übri­gen möch­te ich hier auch noch auf einen psy­cho­lo­gi­schen Sach­ver­halt ver­wei­sen. Wir katho­li­schen Prie­ster mei­ner Gene­ra­ti­on sind dar­an gewöhnt, die Gegen­sät­ze zwi­schen Mit­brü­dern zu ver­mei­den und immer das Ein­ver­neh­men zu suchen und uns nicht so sehr durch exzen­tri­sche Stand­punk­te her­vor­zu­tun. So bringt in vie­len Bischofs­kon­fe­ren­zen der Grup­pen­geist und viel­leicht auch der Wunsch nach einem ruhi­gen Leben oder der Kon­for­mis­mus die Mehr­heit dazu, die Posi­tio­nen von akti­ven, zu kla­ren Zie­len ent­schlos­se­nen Min­der­hei­ten zu akzeptieren.“

Er fährt fort: „Ich ken­ne Bischö­fe, die unter vier Augen zuge­ben, daß sie anders ent­schie­den hät­ten als in der Kon­fe­renz, wenn sie allein hät­ten ent­schei­den müs­sen. Indem sie das Grup­pen­ge­setz akzep­tier­ten, haben sie die Mühe gescheut als ‚Spiel­ver­der­ber‘, als ‚rück­stän­dig‘ und ‚wenig auf­ge­schlos­sen‘ ange­se­hen zu wer­den. Es scheint recht ange­nehm, immer gemein­sam ent­schei­den zu kön­nen. Auf die­se Wei­se besteht jedoch die Gefahr, daß das ‚Skan­da­lon‘ und die ‚Tor­heit‘ des Evan­ge­li­ums ver­lo­ren­ge­hen, jenes ‚Salz‘ und jener ‚Sau­er­teig‘, was heu­te ange­sichts der Schwe­re der Kri­se weni­ger denn je für einen Chri­sten ent­behr­lich ist (vor allem wenn er Bischof und folg­lich mit kla­ren Ver­ant­wor­tun­gen für die Gläu­bi­gen betraut ist).“

Joseph Kar­di­nal Ratz­in­ger: Zur Lage des Glau­bens. Ein Gespräch mit Vitto­rio Mess­o­ri, Ver­lag Neue Stadt, 1. Auf­la­ge, Mün­chen 1985, S. 59–63

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Set­ti­mo Cielo/​Rorate Caeli

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