Papst Franziskus schreibt Vorwort für „Mafia“-Gründer – Opera Omnia von Kardinal Carlo Maria Martini


Kardinal Carlo Maria Martini SJ
Kardinal Carlo Maria Martini SJ

(Rom) Papst Fran­zis­kus „ent­bot an die­sem Mon­tag eine beson­de­re Hom­mage dem ver­stor­be­nen ita­lie­ni­schen Kar­di­nal Car­lo Maria Mar­ti­ni“, so Agence France Pres­se (AFP). Das katho­li­sche Kir­chen­ober­haupt hat das Vor­wort zum ersten Band der Gesam­mel­ten Wer­ke von Kar­di­nal Mar­ti­ni geschrie­ben, der am 22. Okto­ber in den Buch­han­del kommt. Alles, was Papst Fran­zis­kus über Mar­ti­ni sagt, an ihm lobt und her­vor­hebt, läßt eine tat­säch­li­che oder zumin­dest beton­te Über­ein­stim­mung zwi­schen den bei­den rang­höch­sten Gestal­ten aus dem Jesui­ten­or­den der jüng­sten Zeit erkennen.

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Was Fran­zis­kus ver­schweigt: Kar­di­nal Mar­ti­ni war auch eine zwie­lich­ti­ge Gestalt. Die Trag­wei­te des päpst­li­chen Vor­worts wird erst in ande­rem Zusam­men­hang deut­lich. Kar­di­nal Mar­ti­ni war auch Grün­der und Stich­wort­ge­ber des gehei­men Zir­kels „Grup­pe Sankt Gal­len“, die sich selbst als „Mafia“ in der Kir­che ver­stand, wie Kar­di­nal Dan­neels, selbst Mit­glied der Grup­pe, vor kur­zem offen und selbst­si­cher bekann­te. Ein gehei­mer Zir­kel mit dem Ziel, durch gehei­me Machen­schaf­ten den Kurs der Kir­che zu beein­flus­sen – und Ein­fluß auf die Papst­wahl zu nehmen.

„Le cat­ted­re dei non cre­den­ti“ (Die Lehr­stüh­le der Ungläu­bi­gen) heißt der erste Band der Ope­ra omnia von Kar­di­nal Car­lo Maria Mar­ti­ni, die von Vir­gi­nio Pon­tig­gia im Ver­lag Bom­pia­ni her­aus­ge­bracht werden.

AFP: „Große Gestalt des progressistischen Flügels der katholischen Kirche“

Der eben­falls aus dem Jesui­ten­or­den stam­men­de, 2012 gestor­be­ne Erz­bi­schof von Mai­land gehör­te zu den „gro­ßen Gestal­ten des pro­gres­si­sti­schen Flü­gels der katho­li­schen Kir­che“, so AFP in ihrem Bericht. Das Vor­wort von Papst Fran­zis­kus unter­streicht die­se Bedeu­tung und läßt mehr erken­nen, als nur die gemein­sa­me Zuge­hö­rig­keit zum Jesui­ten­or­den. Immer­hin war Mar­ti­ni für einen Teil der Kir­che der per­so­ni­fi­zier­te pro­gres­si­ve Gegen­spie­ler jener von ihm bekämpf­ten „Restau­ra­ti­on“, die 1978 mit der Wahl von Papst Johan­nes Paul II. begann (Car­lo Maria Kar­di­nal Mar­ti­ni – Ein not­wen­di­ger Nach­ruf abseits des Jubel­chors) und erst 2013 mit dem uner­war­te­ten Amts­ver­zicht von Bene­dikt XVI. ende­te (Als Kar­di­nal Mar­ti­ni zu Bene­dikt XVI. sag­te: Du mußt zurück­tre­ten).

Das Vor­wort von Papst Fran­zis­kus wur­de in der Mon­tag­aus­ga­be des Cor­rie­re del­la Sera abge­druckt. Der Papst lobt dar­in „die Fähig­keit“ Mar­ti­nis, „die inner­kirch­li­che Debat­te, die Syn­oden und Ver­samm­lun­gen der Bischö­fe der gan­zen Welt zu för­dern, die vom Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil (1962–1965) ein­ge­führt wurden“.

„Ich bin der Mei­nung, daß jeder von uns einen Ungläu­bi­gen und einen Gläu­bi­gen in sich hat, die drin­nen mit­ein­an­der spre­chen, sich gegen­sei­tig befra­gen, sich stän­dig, einer dem ande­ren, ste­chen­de und beun­ru­hi­gen­de Fra­gen stellt. Der Ungläu­bi­ge, der in mir ist, beun­ru­higt den Gläu­bi­gen, der in mir ist und umge­kehrt“, mit die­sen Wor­ten eröff­ne­te Kar­di­nal Mar­ti­ni 1987 sei­nen ersten „Lehr­stuhl der Ungläu­bi­gen“. Damit begann ein „lan­ger Weg des Dia­logs (in 12 Auf­la­gen, bis 2002), den der Kar­di­nal woll­te, um den Ungläu­bi­gen das Wort zu geben“, so der Cor­rie­re del­la Sera.

Papst: „Habe geistliche Exerzitien auf der Grundlage seiner Texte gemacht“

Kardinal Martini: "Dialog mit der Welt"
Kar­di­nal Mar­ti­ni: „Dia­log mit der Welt“

Das päpst­li­che Vor­wort wur­de vom Cor­rie­re del­la Sera zwei Tage nach der „wich­ti­gen Rede“ des Pap­stes vor den im Vati­kan zu einer Syn­ode über die Fami­lie ver­sam­mel­ten Bischö­fen abgedruckt.

„Ich habe nie auf­ge­hört zu fra­gen“, erin­nert sich Fran­zis­kus, „der sich mit den Tex­ten Mar­ti­nis form­te, einem Jesui­ten wie er“, so AFP. Wört­lich schreibt der Papst: „Das Erbe, das uns Kar­di­nal Mar­ti­ni hin­ter­las­sen hat, ist ein kost­ba­res Geschenk. Sein Leben, sei­ne Wer­ke und sei­ne Wor­te haben vie­len Men­schen auf ihrem Weg der Suche Hoff­nung und Halt gege­ben. Vie­le von uns in Argen­ti­ni­en, am ‚Ende der Welt‘, haben geist­li­che Exer­zi­ti­en auf der Grund­la­ge sei­ner Tex­te gemacht! Män­ner und Frau­en unter­schied­li­chen Glau­bens, nicht nur im christ­li­chen Bereich, haben in sei­nen Gedan­ken Ermu­ti­gung und Licht gefun­den und tun es noch immer. Wir haben daher die Ver­ant­wor­tung, die­ses Erbe zu schät­zen, damit er auch heu­te Wege des Wachs­tums näh­ren und eine wirk­li­che Lei­den­schaft der Für­sor­ge für die Welt ent­fa­chen kann.“

Das Bestre­ben von Kar­di­nal Mar­ti­ni sei es stets gewe­sen, „mit der Welt im Dia­log“ zu sein.

Der Papst hebt dann drei Aspek­te her­vor, „die ich für beson­ders her­aus­ra­gend in der Gestalt des Kar­di­nals halte“.

Synodalität, Ausgegrenzte annehmen, pastorales Talent

Das Buch: "Die Lehrstühle der Ungläubigen"
Das Buch: „Die Lehr­stüh­le der Ungläubigen“

„Der erste betrifft sei­ne Auf­merk­sam­keit, in der kirch­li­chen Gemein­schaft den Stil der Syn­oda­li­tät zu för­dern und zu beglei­ten, die so sehr vom Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil gewünscht wur­de.“ Dabei gehe es einer­seits dar­um, „zu hören und zu unter­schei­den, was der Geist im Gewis­sen des Vol­kes Got­tes bewegt“, ande­rer­seits um die Obsor­ge, „daß die Dif­fe­ren­zen nicht in destruk­ti­ve Kon­flik­te aus­ar­ten. Ohne Angst vor Span­nun­gen oder sogar Wider­spruch zu haben, die jeder pro­phe­ti­sche Schub not­wen­di­ger­wei­se mit sich bringt.“

Die ent­schei­den­de Fra­ge, so der Papst, sei für Kar­di­nal Mar­ti­ni „immer gewe­sen: „Auf wel­che Wei­se ist Jesus Chri­stus, leben­dig in der Kir­che, heu­te Quel­le der Hoffnung?“.

Mar­ti­ni habe „weder den Moden noch sozio­lo­gi­schen Erhe­bun­gen Kon­zes­sio­nen gemacht“. Er sei sich aber „bewußt gewe­sen, daß es in der Kir­che vie­le ver­schie­de­ne Sen­si­bi­li­tä­ten und kul­tu­rel­le Kon­tex­te gibt, wes­halb eine freie und demü­ti­ge Debat­te uner­läß­lich ist“.

Als zwei­ten Aspekt nennt Fran­zis­kus: „Die Auf­for­de­rung, die Ver­ges­se­nen und Aus­ge­grenz­ten auf­zu­neh­men, war das Grund­ge­rüst des Lehr­am­tes von Kar­di­nal Mar­ti­ni“. Und drit­tens „die Ver­traut­heit Mar­ti­nis mit der Hei­li­gen Schrift“ und sein „pasto­ra­les Talent“, mit dem er „die Wor­te Got­tes allen Gläu­bi­gen, Lai­zi­sten, Intel­lek­tu­el­len und gewöhn­li­chen Men­schen zu kom­mu­ni­zie­ren“ ver­stand, wie das katho­li­sche Kir­chen­ober­haupt lobend betonte.

Die Vor­stel­lung des Buches erfolgt heu­te abend um 18 Uhr im Audi­to­ri­um San Fede­le von Mai­land (Via Hoe­pli 3/​b). Vor­ge­stellt wird es vom Jesui­ten Car­lo Casa­lo­ne von der Stif­tung Car­lo Maria Mar­ti­ni, von Gui­do For­mi­go­ni, dem Koor­di­na­tor des wis­sen­schaft­li­chen Bei­rats der gesam­mel­ten Werk­aus­ga­be und wei­te­ren Gästen.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: MiL

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