Gastbeitrag von Wolfgang Casparet*
Die Calvinisten treffen sich über ihre puritanische Ausrichtung am Alten Testament mit den Juden. Dies gilt nicht nur für das Religiöse, sondern auch säkularisiert für das Politische. Da die meisten Calvinisten wie auch die Mehrheit der Juden in den Vereinigten Staaten leben, kommt es zu einer Verschränkung der calvinistischen und jüdischen Ansichten und Interessen. Wer dies nicht verstanden hat, versteht nicht die geistige und politische Ausrichtung des amerikanischen Welthegemons.
Schon das Christentum ist nicht einheitlich, der Calvinismus teilt sich ebenfalls wiederum in verschiedenen Freikirchen, wie auch das Judentum nicht homogen ist. Innerhalb des Calvinismus geben die fundamentalistischen Evangelikalen den Ton an, ähnlich bei den Juden die Zionisten – Amerika gilt manchen sogar als der eigentliche Sitz des Zionismus (Piper 2005).
Die Evangelikalen
Schon von ihrem calvinistischen Ansatz her fühlen sich die Evangelikalen nicht nur den Juden allgemein, sondern speziell den Zionisten verbunden. Während für die jüdischen Zionisten Israel die Heimstatt der Juden darstellt, sehen die Evangelikalen die Juden und Israel unter einem ganz speziellen Gesichtspunkt, dem Prämillenarismus. Dieser erklärt sich aus der fundamentalistischen Auslegung der Offenbarung des Johannes im Neuen Testament. In dieser Geschichtsphilosophie des Christentums herrscht der Diabolos, der Teufel, Verwirrer, Verführer, Satan, Luzifer, der Antichrist auf der gegenwärtigen sündigen Welt. Demzufolge muss die Welt eine Zeit schwerer Trübsal durchmachen, ehe sie in einer apokalyptischen Katastrophe untergeht und Christus glorreich wiederkehrt.
Nach der Wiederkehr Christi (1. Parusie) wird der Teufel gefangen genommen und das Tausendjährige Reich („Millenium“) der Gerechten und Heiligen folgt. Darauf entkommt der Teufel noch einmal kurz, wird dann aber endgültig in die Hölle verbannt, Christus kommt nochmals wieder (2. Parusie) und das Jüngste Gericht hebt an. Die evangelikalen Prämillenaristen sehen nun in der Rückkehr der Juden nach Palästina das Aufkommen der bevorstehenden (ersten) Wiederkunft Christi und fördern daher diese. Im alttestamentarischem Verbundenheit nach Ezechiel 37:12: „So spricht Gott der Herr: Siehe, ich will eure Gräber auftun und hole euch, mein Volk, aus euren Gräbern herauf und bringe euch ins Land Israels.“
Um Jerusalem und Israel
Die christlich-fundamentalistischen Prämillenaristen nehmen aber erstaunlicherweise nicht Jesu Worte zur Kenntnis „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ (Johannes 18:36). Selbst aus der Offenbarung (21:2) wird ignoriert „Und ich, Johannes, sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabfahren“. Oder aus dem Hebräer-Brief 12:22 „Sondern ihr seid gekommen zu dem Berge Zion und zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem“. Ähnlich im Galater-Brief 4:26 „Aber das Jerusalem, das droben ist, das ist die Freie; die ist unser aller Mutter“. Jerusalem und Israel der Zukunft sind aus christlicher Sicht keine geographischen Orte, wie es der evangelikale Zionismus annimmt, sondern metaphysische. Die evangelikale Parteinahme für die konkrete zionistische Landnahme in Palästina entspricht also nicht den Worten des Neuen Testaments.
Das Wort Jesu (Matthäus 5:17) „Glaubt nicht, dass ich gekommen bin, das Gesetz und die Propheten aufzuheben; ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen“, definiert sich im Christentum neu (Johannes 14,6): „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich“. Es wird zu „Die Erfüllung des Gesetzes ist also die Liebe“ (Römer-Brief 13:10). Wie man auf dieser Basis zu der Meinung, kommen kann, „Jedes Sandkorn zwischen dem Toten Meer, dem Jordan und dem Mittelmeer gehört den Juden. Dazugehören auch das Westjordanland und Gaza“ oder „Wir stehen für das Recht, dass alles Land, das Gott Abraham in seinen Bund vor 4000 Jahren gegeben hat, Israel gehört .… Palästinenser gibt es nicht“ (Lampman 2004), bedarf einer wahrhaft puritanischen Denkart.
Ambivalenten
Auf diese Weise wundert es nicht, dass „die amerikanischen christlichen Zionisten, abgesehen von den israelischen Streitkräften, vielleicht der letzte strategische Aktivposten des jüdischen Staates sind“ (Pipes 2003). Der Kommunikationsdirektor von Benjamin Netanjahu schrieb (Freund 2006): „Danken wir Gott für die christlichen Zionisten. Ob es uns gefällt oder nicht – die Zukunft der Beziehungen zwischen Israel und den Vereinigten Staaten hängt vielleicht weniger von den amerikanischen Juden als von den amerikanischen Christen ab.“ Der Mehrheitsführer der Republikaner Richard Armey erklärte sich „zufrieden damit, wenn Israel sich das ganze Westjordanland nimmt“ und musste sich erst später von seinem Diktum distanzieren „die Palästinenser sollten wegziehen“ (Engel 2002). Zwar „würden die meisten amerikanischen Juden mit den neuen christlichen Rechten nichts zu tun haben wollen“ (Cohen) und nennen die evangelikale-zionistische Zusammenarbeit eine „unheilige Allianz“ (Mort 2002). Auch fürchten Zionisten die Missionierungsabsichten der Evangelikalen (Gorenberg 2000). Doch sieht es David Harris als leitender Direktor des American Jewish Committee pragmatisch: „Das Zeitenende mag morgen kommen, aber heute geht es um Israel“ (nach Broadway 2004).
Die mindestens 40 Millionen erklärten evangelikalen Christen (Mearsheimer und Walt 2007, S. 197) auf der Seite der amerikanischen Rechten, der Republikaner, arbeiten somit an der Errichtung des „jüdischen Jahrhunderts“ (Slezkine 2004/2006). Nach anderen Quellen sind es 70 Millionen Evangelikale in Amerika und sogar 600 Millionen weltweit (Nelson 2003), jedenfalls wenn man die philosemitischen Tendenzen vor allem der evangelischen Kirchen, aber auch anderer nach 1945 einbezieht. Damit stellen die politisch engagierten Evangelikalen jedenfalls in den herrschenden USA einen Gutteil einer der beiden Parteien, während die Mehrheit der Juden die andere Partei bevorzugt (nach Helmreich 2012). Steht also – wenn es nach Amerika geht – das christliche Millenium oder die Verwirklichung der Prophezeiungen des Alten Testamentes vom Sieg Jahwes vor der Türe?
Literaturhinweis
Bill BROADWAY: „The Evangelical-Israeli Connection: Scripture Inspires Many Christians to Support Zionism Politically, Financially“, Washington Post, 27. März 2004.
Naomi M. COHEN: „Dual Loyalties: Zionism and Liberalism“, in Allon GAL: Envisioning Israel. The Changing Ideals and Images of American Jews. The Magnes Press and Wayne State University Press, Jerusalem and Detroit 1996, S. 326.
Matthew ENGEL: „Senior Republican Calls on Israel to Expel West Bank Arabs“, Guardian, 4. Mai 2002.
Michael FREUND: „Christian Zionists Key to Continued U.S. Support for Israel“, Jewish Press (online), 27. Dezember 2006.
Gershom GORENBERG: The End of Days: Fundamentalism and the Struggle for the Temple Mount. Free Press, New York 2000).
Jeffrey HELMREICH: Amerikas Juden sind mehrheitlich für Obama. Mittelbayerische Zeitung, 28.6.2012.
Jane LAMPMAN: „Mixing Prophecy and Politics“, Christian Science Monitor, 7. Juli 2004.
Daniel PIPES: „[Christian Zionism]: Israel’s Best Weapon“, New York Post (online), 15. Juli 2003.
John J. MEARSHEIMER und Stephen M. WALT: Die Israel-Lobby. Wie die amerikanische Außenpolitik beeinflusst wird. Zuerst „The Israel Lobby and U.S. Foreign Policy“ 2007. Aus dem Englischen von Ulrike BISCHOFF u.a.. Campus Verlag, Frankfurt a.M. 2007.
Jo-Ann MORT: „An Unholy Alliance in Support of Israel“, Los Angeles Times, 19. Mai 2002.
Craig NELSON: Christian Zionists: Evangelicals a new lifeline for Israelis. Atlanta Journal-Constitution, 25 Dezember 2003.
Michael Collins PIPER: The New Jerusalem. Zionist Power in America. 2. Auflage, Sisyphus Press, Washington 2005.
Daniel PIPES: „(Christian Zionism): Israel’s Best Weapon“, New York Post (online), 15. Juli 2003.
Yuri SLEZKINE: Das jüdische Jahrhundert. Zuerst „The Jewish Century“ 2004. Mit einem Vorwort von Dan DINER. Aus dem Englischen von Michael ADRIAN, Bettina ENGELS und Nikolaus GRAMM. Verlag Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 2006.
*Wolfgang Caspart, österreichischer Philosoph und Politikwissenschaftler. Der vorliegende Beitrag wurde erstmals 2006 vorgelegt.
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