Freier Markt und Kapitalismuskritik – Enzyklika „Laudato Si“ und die Kapitalismusdebatte in der katholischen Kirche


Acton Institute
Acton Insti­tu­te

(Rom) Die Öko-Enzy­kli­ka Lau­da­to si von Papst Fran­zis­kus geht auch auf wirt­schaft­li­che Aspek­te ein. Ihr wird unter ande­rem Kapi­ta­lis­mus-Kri­tik vor­ge­wor­fen. Die­ser Bereich der Kri­tik inner­halb der katho­li­schen Kir­che kommt vor allem aus den USA. Beson­ders aktiv ist dabei das Acton Insti­tu­te, das auch einen Able­ger in Rom hat. Gegen die­se Kri­tik hat sich nun der Vati­ka­nist Andrea Tor­ni­el­li zu Wort gemel­det. Wegen sei­ner beson­de­ren Nähe und direk­tem Zugang zu Papst Fran­zis­kus, gilt sei­ner Replik beson­de­re Auf­merk­sam­keit. Sie wird als Ant­wort des Pap­stes inter­pre­tiert. Eine knap­pe Gegen­über­stel­lung der bei­den Positionen.

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„Einer der neur­al­gi­schen Punk­te der Öko-Enzy­kli­ka Lau­da­to si, die in Zusam­men­hang mit dem Apo­sto­li­schen Schrei­ben Evan­ge­lii gau­di­um steht, ist eine glo­ba­le Kri­tik an der der­zei­ti­gen Ent­wickung, die aus dem öko­lo­gi­schen Not­fall das aktu­el­le Gesicht der sozia­len Fra­ge macht“, so der Vati­ka­nist Andrea Tor­ni­el­li. Papst Fran­zis­kus schreibt wört­lich: „abge­se­hen von jeg­li­cher Kata­stro­phen­pro­gno­se ist sicher, dass das gegen­wär­ti­ge welt­wei­te System unter ver­schie­de­nen Gesichts­punk­ten unhalt­bar ist“.

Pater Sirico: Zahlreiche Thesen und Hypothesen in Laudato si „unvorsichtig“

Die in der Enzy­kli­ka dar­ge­leg­ten The­sen wer­den ana­ly­siert, dis­ku­tiert und kri­ti­siert. Pater Robert Siri­co, der Vor­sit­zen­de des Acton Insti­tu­te for the Stu­dy of Reli­gi­on and Liber­ty bezeich­ne­te die The­sen „und Hypo­the­sen“ des Pap­stes als „unvor­sich­tig“. Man muß nicht der Mei­nung des Pau­li­sten Siri­co sein, um Zwei­fel an eini­gen The­sen zu hegen, die Papst Fran­zis­kus in sei­ner Enzy­kli­ka ansprach. Siri­cos Acton Insti­tu­te ver­tei­digt die völ­li­ge Frei­heit des Mark­tes, die sie mit der katho­li­schen Sozi­al­leh­re in Ein­klang zu brin­gen versucht.

Pater Robert Sirico
Pater Robert Sirico

In sei­nem Kom­men­tar zur Enzy­kli­ka, der im Wall Street Jour­nal und vom Acton Insti­tu­te ver­öf­fent­licht wur­de, schreibt Pater Siri­co: „Kom­men wir zum Kern: Viel von dem, was in der Enzy­kli­ka Lau­da­to si von Papst Fran­zis­kus über die Bewah­rung der Umwelt geschrie­ben wird, stellt eine wich­ti­ge Her­aus­for­de­rung für die Ver­fech­ter des frei­en Mark­tes dar, jene von uns, die wir glau­ben, daß der Kapi­ta­lis­mus eine mäch­ti­ge Kraft für die Pfle­ge des Pla­ne­ten ist und um die Men­schen aus der Armut her­aus­zu­füh­ren.“ Ein „gro­ßer Teil der dis­ku­tier­ten Punk­te in die­ser Enzy­kli­ka und vie­le der Hypo­the­sen, die dar­aus fol­gen, sind unvor­sich­tig. Es herrscht ein star­kes Vor­ur­teil gegen den frei­en Markt und es fin­den sich Ein­flü­ste­run­gen, daß die Armut die Fol­ge einer glo­ba­li­sier­ten Wirt­schaft ist“.

Dem hält Pater Siri­co ent­ge­gen: „Der Kapi­ta­lis­mus hat die größ­te Ver­rin­ge­rung der welt­wei­ten Armut in der Welt­ge­schich­te ange­regt. Laut der Inter­na­tio­na­len Arbeits­or­ga­ni­sa­ti­on (IAO) ist die Zahl der Men­schen, die mit 1,25 Dol­lar am Tag leben, von 811 Mil­lio­nen im Jahr 1991 auf 375 Mil­lio­nen im Jahr 2013 zurück­ge­gan­gen. Das ist nur eine Sta­ti­stik von einer gan­zen Myria­de von Sei­ten zugun­sten des Kapi­ta­lis­mus. Eine ehr­li­che Debat­te unter Fach­leu­ten wird die­ses Mär­chen besei­ti­gen.“ Über­haupt las­se „die Enzy­kli­ka unvor­sich­ti­ger­wei­se der Öko-Agen­da von Lai­en zuviel Raum, indem bei­spiels­wei­se fos­si­le Brenn­stof­fe ver­leum­det wer­den“. Die Schaf­fung von Reich­tum „kann die Armut ver­rin­gern, und Armut und Aus­beu­tung gehen häu­fig Hand in Hand.“

Tornielli: Daß Wirtschaft tötet, die Menschen in den entwickelten Länder verarmen „alles nur Verleumdung“?

Tor­ni­el­li, der inof­fi­zi­el­le Spre­cher des Pap­stes, wider­spricht dem ame­ri­ka­ni­schen Pau­li­sten­pa­ter. „Die Wirt­schaft, die tötet, die wach­sen­de Ver­ar­mung der ent­wickel­ten Staa­ten – allein die Bil­der vom regel­rech­ten phy­si­schen Kampf in eng­li­schen Super­märk­ten um ver­bil­lig­te Lebens­mit­tel, deren Ablauf­da­tum ver­fällt, soll­ten nach­denk­lich stim­men, oder auch nur die sta­ti­sti­sche Anga­be, daß die abso­lu­te Armut unter ita­lie­ni­schen Fami­li­en von 5,2 Pro­zent im Jahr 2011 auf 7,9 Pro­zent im Jahr 2013 gestie­gen ist – und die Ver­ant­wor­tung des aktu­el­len kapi­ta­li­sti­schen Systems, das von den Finanz­märk­ten beherrscht wird, soll also alles nur ‚Ver­leum­dung‘ sein. Das Dog­ma des Mark­tes darf nicht ange­zwei­felt wer­den. Die ein­zi­ge Lösung der Pro­ble­me der Armut, der Unter­ent­wick­lung, der Umwelt ist das, die Märk­te noch frei­er han­deln zu las­sen und auch das Leben der ver­schie­de­nen Staa­ten zu bedin­gen, wie es der­zeit in der Euro­päi­schen Uni­on geschieht: Eine Wäh­rungs­ein­heit ohne Wert­ein­heit und sogar ohne gemein­sa­me poli­ti­sche Stra­te­gien, wie das gegen­sei­ti­ge Abschie­ben der Ver­ant­wor­tung in der Ein­wan­de­rungs­fra­ge und den Ver­zicht auf eine Füh­rungs­rol­le bei der Über­win­dung der Nahost-Krise.“

Es sei zudem dar­an zu erin­nen, daß Kri­tik am „Markt-Dog­ma“, wenn auch „ohne Nen­nung eines drit­ten Weges, die von der Kir­che schon seit lan­gem auf­ge­ge­ben wur­de, mehr­fach auch von Bene­dikt XVI. geübt wur­de, so in der Enzy­kli­ka Cari­tas in veri­ta­te, wo er von ‚Miß­stän­den und Ver­zer­run­gen‘ der Welt­wirt­schaft spricht und aus­führ­te, daß der Markt weder die umfas­sen­de mensch­li­che Ent­wick­lung noch die sozia­le Ein­bin­dung fördert“.

Einigkeit herrscht, daß es eine „Weltautorität“ brauche

Andrea Tornielli, der inoffizielle "Papstsprecher"
Andrea Tor­ni­el­li, der inof­fi­zi­el­le „Papst­spre­cher“

Einig sind sich Pater Spi­ri­co und Tor­ni­el­li nur dar­in, daß bei­de eine „inter­na­tio­na­le Auto­ri­tät“ for­dern, wenn auch aus unter­schied­li­chen Grün­den, um eine welt­wei­te Koor­di­nie­rung und Len­kung zu errei­chen. Der Pau­list, damit welt­weit das Gesetz des frei­en Mark­tes durch­ge­setzt wird, das die Lösung aller ande­ren Pro­ble­me mit sich brin­ge. Der Vati­ka­nist, damit welt­weit der freie Markt kor­ri­giert, in den Län­dern, in denen eine Wirt­schafts­kri­se herrscht, hel­fend ein­ge­grif­fen, Frie­den sicher­ge­stellt, die Ernäh­rung aller Men­schen sicher­ge­stellt und bei­spiel­wei­se Migra­ti­ons­strö­me glo­bal gelenkt werden.

Kishore Jaya­ba­lan, Lei­ter des Acton Insti­tu­te in Rom und ehe­ma­li­ger Mit­ar­bei­ter des Päpst­li­chen Rates für Gerech­tig­keit und Frie­den, hat­te sich bereits zu Evan­ge­lii gau­di­um sehr kri­tisch geäu­ßert. Zur Enzy­kli­ka sag­te er: „Je mehr ich an die­ses Dilem­ma den­ke, desto mehr wer­de ich mir bewußt, daß die Wirt­schaft wie die Was­ser­lei­tun­gen in unse­rem gemein­sa­men Haus ist. Die Wirt­schaft ist abso­lut not­wen­dig für die War­tung und das Gedei­hen für Letz­te­res, auch wenn wir lie­ber nicht zu sehr dar­an den­ken. Wir zie­hen es vor, uns auf die Archi­tek­tur, den Gar­ten und natür­lich auf die Men­schen in sei­nem Inne­ren zu kon­zen­trie­ren. Doch ohne effi­zi­en­te Was­ser­lei­tun­gen wür­de das Haus schnell zusam­men­bre­chen und das nicht nur in mate­ri­el­ler Hinsicht.“

„Wasserversorgung“ oder „Wasserversorgung für alle“?

Dem hält Tor­ni­el­li ent­ge­gen, daß Jaya­ba­l­ans Ver­gleich und „sei­nem bedin­gungs­lo­sen Glau­ben an den Markt eini­ge Prä­zi­sie­run­gen“ feh­len wür­den. „In unse­rem ‚gemein­sa­men Haus‘ wer­den die Was­ser­lei­tung zwar in gutem Zustand gehal­ten, aber nur, damit sie per­fek­tes Trink­was­ser zu eini­gen Pent­house-Woh­nun­gen im letz­ten Stock der Wohn­an­la­ge beför­dern. Wer in den ande­ren Woh­nun­gen dar­un­ter lebt, oder sogar im Tief­par­terre, bei dem kommt nichts aus dem Was­ser­hahn, auch wenn er ihn auf­dreht. Über den Zugang zu den Lei­tun­gen und die Werk­zeu­ge ver­fü­gen nur die Eigen­tü­mer der Penthouse-Wohnungen.“

Die The­se, „laut der alle Wirt­schafts­in­stru­men­te in sich neu­tral sei­en, es kei­ne struk­tu­rel­len Pro­ble­me des Systems gebe und die ein­zi­ge Lösung eine noch grö­ße­re Markt­frei­heit sei, ist eine Idee, die jenen, die der Wirk­lich­keit ins Gesicht schau­en, naiv und inter­es­sen­ge­lenkt erscheint. Die­se Idee wird sicher von jenen 85 Men­schen geschätzt, die gleich­viel Reich­tum besit­zen, wie 3,5 Mil­li­ar­den Men­schen, die zur ärme­ren Hälf­te der Mensch­heit gehö­ren. Die Sche­re zwi­schen den Rei­chen und den Armen die­ses Pla­ne­ten tut sich immer mehr auf.“ Ein Vor­gang, der sich immer mehr beschleu­ni­ge, denn je rei­cher die Rei­chen wer­den, desto schnel­ler wür­den sie die Reich­tü­mer die­ser Welt in ihrer Hand konzentrieren.

„Papst Fran­zis­kus“, so Tor­ni­el­li, „ver­sucht an der Tür der bei­den Pent­house-Woh­nun­gen zu klin­geln, die die Was­ser­lei­tun­gen per­fekt war­ten, aber nur für die eige­ne Ver­sor­gung und zur Vorratsspeicherung.“

Politik „darf sich Wirtschaft nicht unterordnen“

Mit Lau­da­to si habe Papst Fran­zis­kus eine rea­li­sti­sche Schau der Situa­ti­on gebo­ten. Er bekla­ge „die Unter­wer­fung der Poli­tik unter die Tech­no­lo­gie und die Finanz“. Eben­so, daß „wirt­schaft­li­che Inter­es­sen leicht das Gemein­wohl in den Schat­ten stel­len und dafür die Infor­ma­ti­on mani­pu­liert wird, um die eige­nen Pro­jek­te nicht gefähr­det zu sehen“. Papst Fran­zis­kus schreibt in der Enzy­kli­ka: „Indes­sen fah­ren die Wirt­schafts­mäch­te fort, das aktu­el­le welt­wei­te System zu recht­fer­ti­gen, in dem eine Spe­ku­la­ti­on und ein Stre­ben nach finan­zi­el­lem Ertrag vor­herr­schen, die dazu nei­gen, den gesam­ten Kon­text wie auch die Wir­kun­gen auf die Men­schen­wür­de und die Umwelt zu ignorieren.“

Wenn sich die Wirt­schaft jeden tech­ni­schen Fort­schritt nur in Funk­ti­on auf einen Pro­fit zu eigen mache, ersticke sie die rea­le Wirt­schaft. Die Lek­ti­on der Welt­fi­nanz­kri­se von 2007/​2008 sei dann nicht ver­stan­den worden.

Tor­ni­el­li unter­streicht in sei­ner Replik auf die Kri­tik des Acton Insti­tu­te, daß die Kern­aus­sa­ge von Papst Fran­zis­kus die sei, daß sich die Poli­tik nicht der Wirt­schaft unter­ord­nen soll. „Die Ret­tung der Ban­ken um jeden Preis, indem man die Kosten dafür der Bevöl­ke­rung auf­bür­det, ohne den festen Ent­schluss, das gesam­te System zu über­prü­fen und zu refor­mie­ren, unter­stützt eine abso­lu­te Herr­schaft der Finan­zen, die kei­ne Zukunft besitzt und nach einer lang­wie­ri­gen, kost­spie­li­gen und schein­ba­ren Hei­lung nur neue Kri­sen her­vor­ru­fen kann“, so der Papst in Lau­da­to si. Zudem, so der Papst: „Das Prin­zip der Gewinn­ma­xi­mie­rung, das dazu neigt, sich von jeder ande­ren Betrach­tungs­wei­se abzu­kap­seln, ist eine Ver­zer­rung des Wirt­schafts­be­griffs“, es habe dazu geführt, „dass heu­te eini­ge Wirt­schafts­zwei­ge mehr Macht aus­üben, als die Staa­ten selbst“. Das katho­li­sche Kir­chen­ober­haupt habe mit sei­ner Enzy­kli­ka zu ver­ste­hen gege­ben, daß eine sol­che Ent­wick­lung für das All­ge­mein­wohl nicht wün­schens­wert sei.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Acton Institute/​Papalepapale (Screen­shot)

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