(Bagdad) Nur europäische Politiker und Medien wundern sich nicht, weshalb unter den „Flüchtlingen“ übers Mittelmehr aus Nordafrika und dem Nahen Osten auffällig viele männliche Moslems im besten Alter sind (70–80 Prozent), aber verhältnismäßig wenig Christen, obwohl deren Verfolgung „die Züge eines Genozids trägt“ (Vatikan-Delegation bei der OSZE). Die islamische Einwanderung nach Europa erfolgt mehrgleisig, ein Teil auch als „Flüchtlingswelle“. Warum auch nicht, wird man sich am anderen Ufer des Mittelmeers denken: die europäische Politik applaudiert, eine ganze staatlich alimentierte Integrationsindustrie sekundiert und ein Großteil der Medien bildet schließlich den Lautsprecher für die neue „Willkommenskultur“.
Die Christen des Nahen Ostens werden nicht nur in ihrer Heimat verfolgt, sondern auch im europäischen „Flüchtlingsstadl“ übertrumpft. Ein christlicher Flüchtling paßt eben nicht wirklich in die Schablone des ideologischen „Flüchtlingsbildes“ der vorherrschenden Meinung.
„Stärker als der Terror“ – Patriarch Raphaà«l I. Sako über den Glauben der Christen seiner Heimat
Louis Raphaà«l I. Sako, Patriarch von Babylon und Oberhaupt der mit Rom unierten chaldäisch-katholischen Kirche, legte mit seinem Anfang des Jahres erschienenen Buch „Ne nous oubliez pas !“ Le SOS du patriarche des chrétiens d’Irak ein Plädoyer für die Christen des Nahen Ostens und ihr Ausharren in ihrer Heimat vor. Das Buch ist soeben auch in italienischen Übersetzung erschienen und würde auch eine deutsche Ausgabe verdienen.
Der Patriarch schildert darin den Leidensweg der Christen im Irak und in Syrien. Er beschreibt die langen Menschenkolonnen verängstigter Christen, die sich auf staubigen, schattenlosen Straßen bei Temperaturen um die 50 Grad Celsius langsam zu Fuß mit wenig Handgepäck und ohne Rast vorwärtswälzen auf der Flucht vor den Islamisten des Islamischen Staates (IS). Eltern, die ihre erschöpften Kinder auf den Armen, Männer, die ihre alte Mutter oder ihren alten Vater auf dem Rücken tragen. Der Patriarch schildert die Ratlosigkeit und Verzweiflung der Christen, als der Islamische Staat plötzlich auftauchte und Flugblätter verbreitete, mit denen die „Nazarener“ aufgefordert wurden, sich zum Islam zu bekehren, zu flüchten oder den Tod zu erleiden. „Zwischen uns und euch ist nur das Schwert“, ließen die Dschihadisten wissen.
„Es gibt keine Alternative zur Militärintervention“
Louis Raphaà«l I. Sako sagt es heute ganz unumwunden: Es gibt keine Alternative zur Militärintervention. Und er meint damit nicht Phantom-Luftschläge der US-geführten Koalition der Willigen, sondern Bodeneingreiftruppen, um den Islamischen Staat zu stoppen.
Das Buch enthält „tausend Perlen“, so Chiesa e postconcilio. Eine einzige davon sollte genügen, um den verschlafenen westlichen Glauben aufzurütteln. Seinem Gesprächspartner, der ihn fragte, wie es nur sein kann, daß die irakischen Christen es vorziehen, alles zu verlieren, als ihren Glauben zu verleugnen, antwortete der Patriarch:
„Im Irak ist es einfach undenkbar, den eigenen Glauben zu verleugnen. Er ist Teil der Identität eines Menschen. Der Glauben ist bei uns nicht spekulativ. Er ist eine Frage der Liebe zu Christus und der Anhänglichkeit an Ihn. Die Religion ist wie die Hefe im Brot, man kann sie nicht herausfiltern. Es handelt sich um eine mystische Existenz. Für uns Christen ist der Glauben das Wichtigste, für ihn ist man bereit alles zu opfern, auch sich selbst. Glauben ist Sein.“
Die „Märtyrer von morgen“
Nach dem gewaltsamen Vordringen des Islamischen Staates war es das erste Ziel der Christen, Frauen, Kinder und Alte in Sicherheit zu bringen. Die Christen der Ninive-Ebene flüchteten in das nahe irakische Kurdistan. Das Buch schildert aber auch, daß die männlichen Christen, wie jene der Ninive-Ebene, nicht auf den „Flüchtlingsbooten“ nach Europa sind, sondern im Schützengraben liegen, um ihre Familien, ihren Glauben und ihre Heimat zu verteidigen oder zurückzuerobern. Im Nordirak existieren die christliche „Einheit zum Schutz der Ninive-Ebene“ und die von Christen in Mosul gebildete Dwekh Nawsha, die Miliz der „Märtyrer von morgen“ (siehe auch Irakische Christen organisieren Kampf gegen das „Kalifat“).
Text: Andreas Becker
Bild: Chiesa e postconcilio