Die Mängel der Konzilserklärung zu den nicht-christlichen Religionen sollten nüchtern analysiert und Alternative erarbeitet werden.
Ein Gastbeitrag von Hubert Hecker
I. Professor Joseph Ratzinger war seinerzeit Konzilsberater beim Kölner Kardinal Joseph Frings. Später als Kardinal, Glaubenspräfekt und Papst äußerte er sich mehrfach kritisch zu einzelnen Aspekten des Konzils. Insbesondere kritisierte er den Fortschrittsoptimismus in der Pastoralkonstitution „Die Kirche in der Welt von heute“, nach dem sich die wahren und vernünftigen Ideen in „aufrichtigen und klugen Dialog“ mit allen Kräften dieser Welt durchsetzen würden. Ratzinger weist in einer kritischen Analyse zur „modernen Welt“ nach, dass sich neben den vernunftgesteuerten Entwicklungen auch „Pathologien der Vernunft“ gerade in der Neuzeit verbreiteten. Dazu zählt er die massenmörderischen Exzesse des Kommunismus im 20. Jahrhundert, die das Konzil ausblendet.
Nach dem Muster dieser Kritik zeigt Papst Benedikt XVI. auch Mängel in der „Erklärung über die nicht-christlichen Religionen“ auf. So schreibt er 2013 im Vorwort zum siebten Band seiner „Gesammelten Schriften“: Die Konzilserklärung „Nostra Aetate“ sei zwar ein „außerordentlich dichtes Dokument“. Als Schwäche habe sich aber erwiesen, dass es von den nicht-christlichen Religionen nur positiv spreche und die nicht unerheblichen „kranken und gestörten Formen von Religion“ beiseitelasse.
Pathologische Formen der Religion – auch im Islam
Ratzinger plädiert für eine Unterscheidung der Geister der Religionen. Die einzelnen Religionen forderten nicht nur Unterschiedliches, sondern auch Gegensätzliches. Darüber hinaus würden die „degenerierten Religionsformen den Menschen nicht aufbauen, sondern entfremden.“ Er spricht an anderer Stelle von „Pathologien der Religion“. Ratzinger nennt als Beispiele die Massen-Menschenopfer der Azteken oder Tempelprostitution und Witwenverbrennung im Hinduismus. Aktuell erleben wir weltweit pathologische Wucherungen des Islam. Sind nicht auch die zahlreichen koranischen Aufforderungen Allahs zu Krieg, Gewalt und Tötungen Fehlformen religiöser Gotteszuschreibung?
II. Papst Benedikt XVI. hat in seiner Weihnachtsansprache an die Kurien-Kardinäle am 22. 12. 2005 einige grundlegende Klarstellungen zum II. Vatikanischen Konzil dargelegt. Diese Erwägungen sind für das vorliegende Thema erhellend. Der Papst erörterte zunächst den Streit um die Auslegung des Konzils. Dabei argumentierte er gegen die „Hermeneutik der Diskontinuität und des Bruchs“ bezüglich der Einordnung des Konzils in die kirchliche Lehrgeschichte. Dagegen plädierte Benedikt für eine „Hermeneutik der Reform“. Unter Verwendung von Weisungen Papst Johannes’ XXIII. präzisierte er sein Konzilsverständnis, nach dem die dogmatischen Kernwahrheiten der kirchlichen Lehre treu und vollständig zu vermitteln seien, aber im Kontext der gegenwärtigen Zeit und Umstände einige Aspekte der kirchlichen Lehre neu reflektiert und ausgesagt werden müssten.
Auseinanderhalten von Gott und Kaiser, Kirche und Staat
Am Beispiel der Neubestimmung des Verhältnisses von Kirche und Moderne erläuterte der Papst diesen methodischen Grundsatz genauerhin am „Verhältnis von Kirche und modernem Staat“. Das Konzil überwand den verhärteten Gegensatz des 19. Jahrhunderts von atheistischem Liberalismus einerseits und der strikten Ablehnung eines säkularen Staates mit den entsprechenden Grundfreiheiten durch Papst Pius IX. etwa. Bei der Neuformulierung stützte sich das Konzil – und auch der Papst in seiner Argumentation – auf biblische und frühkirchliche Lehre und Praxis, nach denen Religion und Politik, Kirche und Staat als grundsätzlich getrennte Gegebenheiten angesehen wurden.
Benedikt zeichnet das Ergebnis der Konzilsüberlegungen nach: Der säkulare, religionsneutrale Staat in seiner Verantwortung für das tolerante Zusammenlegen seiner Bürger wird anerkannt. Damit einher geht die staatliche Pflicht zur Gewährleistung der Grundfreiheiten – also auch der Religionsfreiheit.
Als Resümee seiner Überlegungen fasst Papst Benedikt zusammen: So wie die frühe Kirche in lebendiger Auseinandersetzung mit der griechisch-römischen Kultur stand, wie Thomas von Aquin im 13. Jahrhundert das Verhältnis von Glauben und vernunftmäßiger Argumentation neu befruchtete, so sollte die Kirche einen kritischen Dialog mit den Strömungen der Neuzeit führen. Das heutige Gespräch zwischen Glauben und Vernunft müsse in großer Offenheit, „aber auch mit der klaren Unterscheidung der Geister geführt“ werden.
Themenrelevante Folgerungen aus den bisherigen Überlegungen:
- Die Kirche hat ihre in der Neuzeit entwickelte (politische) Lehre aufgegeben, wonach sie als Minderheit in einem Staat für sich Religionsfreiheit forderte, bei Katholiken-Mehrheit aber einen katholisch-konfessionellen Staat verlangte. Der sollte gegenüber anderen Religionen Toleranz zeigen. Diese alte Lehre wies gewisse Parallelen zum islamischen Staatsverständnis auf: Bei muslimisch-politischer Oberherrschaft sollte es keinen Rechtsanspruch auf Religionsfreiheit geben, sondern nur eine Duldung der „Schriftreligionen“ Judentum und Christentum. Mit der neuen Konzilslehre sind diese Gemeinsamkeiten weggefallen.
- Die Kirche plädiert für die grundsätzliche Trennung von Religion/Kirche und Politik/Staat. Damit lehnt sie einen Religions- oder Konfessionsstaat ab, erst recht einen Gottes- oder Scharia-Staat islamischer Prägung.
- Mit der Anerkennung des säkularen Staates und seiner bürgerlichen Grundfreiheiten durch die Kirche ist implizit auch die Akzeptanz der modernen staatlichen Gewaltenteilung gegeben – auch das im Widerspruch zur islamischen Praxis und Lehre von der staatlichen Gewalteneinheit seit Mohammeds Zeiten.
- Aus der Anerkennung der bürgerlichen Religionsfreiheit als ein Grund- und Menschenrecht ergibt sich das Recht und die Pflicht der Kirche, auch gegenüber den islamischen Staaten dieses menschliche Grundrecht einzufordern.
- Benedikt fordert eine kritisch-konstruktive Auseinandersetzung mit den Strömungen der modernen Zeit und Welt. Diese Art eines offenen Dialogs mit Unterscheidung der Geister sollte auch das Modell für das Gespräch mit dem Islam sein. Ein solcher Ansatz sollte den bisherigen reduktionistischen Verständigungsdialog mit den Muslimen, bei dem alle Streitfragen ausgeblendet werden, ersetzen.
Frühere Kritik an der Konzilserklärung
III. Schon in seiner Zeit als Glaubenspräfekt hatte Joseph Kardinal Ratzinger die Ansätze der Konzilserklärung zum Thema seiner Reflexionen über Christentum und die Weltreligionen gemacht. In seinem Buch Glaube, Wahrheit, Toleranz sind diese Aufsätze zusammengefasst. Ratzinger setzt sich darin leidenschaftlich dafür ein, dass die Wahrheitsfrage nicht zur Disposition gestellt wird. Seine Argumentation richtet sich sowohl gegen den Wahrheits-Relativismus im Agnostizismus der Moderne wie auch gegen die Relativierung der christlichen Wahrheit im Kontext der Weltreligionen.
Die Konzilserklärung „Nostra aetate“ spricht von „wahren und heiligen“ Elementen der Völker- und Weltreligionen. Sie ließen einen „Strahl jener Wahrheit erkennen, die alle Menschen erleuchtet“ und die in Jesus Christus als Weg, Wahrheit und Leben in der ganzen „Fülle des religiösen Lebens“ zu uns gekommen sei. Diese Denkfigur von Teil-Wahrheiten außerhalb und der Fülle der Wahrheit innerhalb der Kirche findet sich analog in den Konzilsdokumenten zur Ökumene. Das entscheidende Argumentationsglied ist das Wort von dem Strahl der (göttlichen, ganzen) Wahrheit.
Die frühen Christen kannten keine Teilwahrheiten der heidnischen Religionen
In dieser Wendung finden sich zwei Anspielungen auf frühchristliche Argumentationen: zum einen die Rede von den vorchristlichen ‚Samenkörnern der Wahrheit’ in antiken Philosophien, zum andern ein Pauluswort im Römerbrief, nach dem den Heiden die Forderungen des Gesetzes ins Herz geschrieben und im Gewissen erfahrbar ist.
Ratzinger weist aber darauf hin, dass das frühe Christentum bei der Suche nach Anknüpfungspunkten gerade nicht bei den antiken Religionen fündig wurde. In den heidnischen Göttervorstellungen und Ritualpraktiken konnten die frühen Christen nichts Heiliges und Wahres ausmachen oder Berührungen durch den „Strahl der Wahrheit“ entdecken. Die „Samenkörner der Wahrheit“ – „semina verbi“ – fanden sie allein in Schriften der griechisch-römischen Philosophie, die in religionskritischer Weise nach Gott und Wahrheit gefragt hatte. Bei dem Studium der damaligen Philosophien ging es den Kirchenvätern nicht um Glaubensinhalte, sondern um Erkenntnisse der Vernunft im Lichte der Wahrheitssuche. Ähnlich verhielt sich Thomas von Aquin, als er die aristotelische Philosophie als Methode und Suchbewegung für die Theologie nutzbar machte.
Der Papst zieht aus diesen Erfahrungen der Kirchen- und Theologie-Geschichte die entsprechenden Folgerungen für die Auseinandersetzung mit anderen Religionen. In einem Vorwort zu einem Buch des italienischen Philosophen Marcello Pera stellt Benedikt fest, dass „ein interreligiöser Dialog im engeren Sinne unmöglich“ sei, also ein Dialog über die jeweiligen Glaubensinhalte. Sehr wohl aber sei eine Begegnung der Religionen auf der Basis von Vernunft und vernunftorientierter Wahrheitssuche möglich. Diese Perspektive war das wesentliche Anliegen der Regensburger Rede des Papstest. Ein weiteres Feld der Religionsbegegnung könne darin bestehen, dass die ethischen und kulturellen Folgen der jeweiligen Religionen erörtert werden. In diesem Sinne arbeiten Kirche und islamische Staaten schon länger zusammen, etwa wenn sie sich bei internationalen Konferenzen abstimmen und gemeinsam gegen Abtreibungsliberalisierung und Gender-Ideologie votieren.
Kritisch-missionarischer Dialog mit anderen Religionen
Eine andere Lehre aus der frühchristlichen Auseinandersetzung mit heidnischen Religionen besteht in Folgendem: Die Kirchenlehrer traten den Vertretern der Heiden-Religionen kritisch, argumentativ und missionarisch gegenüber. Das dürfte auch für heute eine fruchtbare Alternative zum lauwarmen Interreligions-Dialog sein, wie ihn die Konzilserklärung nahe legt.
Diese frühchristlich-missionarische Überzeugungsarbeit mit den antiken Götterreligionen steht übrigens im krassen Gegensatz zu der islamischen Auseinandersetzung mit heidnischen Polytheisten. Nach koranischen Anweisungen von Mohammed, der früh-islamischen Praxis und dem heutigen Vorgehen des Islamischen Staates gibt es mit den Anhängern von Götter-Religionen keinen kritisch-missionarischen Dialog. Die Polytheisten wurden von Mohammed mit der Alternative: Konversion oder Tod erpresst. Auf diese Praxis des Propheten berufen sich heute die ISlamisten bei ihrem mörderischen Vorgehen gegen die Jesiden z. B.
Schließlich ist noch auf das Paulus-Diktum einzugehen, nach dem den Heiden „von Natur aus“ das (moralisch-vernünftige) Gesetz ins Herz geschriebene ist, das sie in ihrem Gewissen erkennen. Dieses Paulus-Wort kann nicht als „Strahl der (christlichen) Wahrheit“ oder als christliche Teilwahrheit in den jeweiligen Heiden-Religion vereinnahmt werden. Denn es bezieht sich auf die vorreligiöse Basis des vernunfterkennenden Naturrechts.
Nicht die Religionen an sich haben Heilsbedeutung
Den vorchristlichen und später den germanischen Religionen sprachen die Kirchenlehrer allenfalls einen adventlichen Charakter zu, also Vorbereitung, Warten und Sehnsucht nach der neuen religio vera. Denn die Heilsbedeutung der Religionen – so Ratzingers Folgerung – liege nicht in ihrem Lehrsystem oder Teilwahrheiten, sondern indem sie mit Haltungen der Ehrfurcht, Güte oder Hoffnung auf das ewige Leben die Suche nach Gott offen hielten.
In diesem Sinne ist der Respekt etwa vor frommen Muslimen angebracht, die sich in Gebet und sittlicher Lebensführung um Gottes Gebote bemühen. Dagegen sind die Konzilsaussagen zu den angeblich wahren oder teilwahren Lehraussagen des Islam irreführend bis falsch. Dafür ist eine Aussage von Papst Franziskus ein Beleg, wenn er in seiner Enzyklika Evangelii gaudium den Konzilstext folgendermaßen paraphrasiert: „Die heiligen Schriften des Islam bewahren Teile der christlichen Lehre“ (Nr. 252). Franziskus oder seine Vorschreiber können die entsprechenden Stellen im Koran nicht gelesen haben, die sich auf neutestamentliche Geschichten beziehen. Denn diese sind bestenfalls apokryphische Überlieferungen (wie die Verlebendigung von Tontauben durch das Jesuskind), meistens aber Häresien, mehrfach jedoch verzerrte Geschichten oder Neuerfindungen Mohammeds (wie das Nicht-Sterben Christi am Kreuz).
An anderer Stelle formuliert Kardinal Ratzinger: „Das Heil liegt nicht in den Religionen als solchen, sondern es hängt mit ihnen zusammen, sofern und soweit sie den Menschen auf das eine Gute, auf die Suche nach Gott, nach Wahrheit und Liebe bringen.“ In diesem Zusammenhang kritisiert Ratzinger die „Gleichheitsideologie der Religionen“, die man durchaus auch auf den Konzilstext beziehen kann.
Dialog als Inbegriff eines relativistischen Religionsverständnisses
Kardinal Ratzinger diagnostiziert in seinem oben erwähnten Buch, dass der Begriff ‚Dialog’ heute geradezu zum Inbegriff eines relativistischen Religionsverständnisses geworden sei (S. 97ff). Nach diesem Ansatz wäre ein interreligiöser Dialog ein Austausch zwischen grundsätzlich gleichrangigen und gleichwahren Positionen, um zu einem Maximum an Kooperation und Gemeinsamkeiten zu kommen. Die Unterscheidung von wahr und unwahr im Bereich der Religion müsste dann aufgehoben werden – so fordern es Vertreter der pluralistischen Theologie wie auch Religionswissenschaftler wie Assmann.
Nach Ratzingers Einschätzung würde ein solches relativistisches Dialog-Verständnis zur Abschaffung von Konversion und Mission führen. Auch dazu lässt sich wieder ein Beispiel im Verhalten von Papst Franziskus anführen: Sein Interview mit dem Neu-Heiden/Atheisten Scalfari war ein Exempel für ein nicht-missionarisches Gespräch, das ausschließlich zur Klärung der Standpunkte diente.
Missionarischer statt relativistischer Dialog
Kardinal Ratzinger hält dagegen, dass der Glaube in der Konstellation von Wahrheit und Vernunft, Verantwortung und Freiheit konstitutiv zu Menschsein und Menschheit gehöre. Uns Christen seien in und durch Christus die Gaben der Wahrheit und der Liebe geschenkt, die uns drängen, sie andern anzubieten – in Freiheit natürlich.
Die frühen Christen führten damals unzählige Streitgespräche mit heidnischen Philosophen und Religionsvertretern. Erfüllt von der Wahrheit der christlichen Lehre, suchten sie das argumentative Gespräch, gleichwohl mit dem Ziel, ihr Gegenüber zu überzeugen. Ein solcher missionarischer Dialog ist die christliche Alternative zu dem relativistischen Dialog, den die Kirchenleitung zurzeit propagiert.
IV. In seiner Regensburger Rede vom 12. September 2006 sprach Papst Benedikt XVI. zwei zentrale Punkte im Islam an: zum einen die offensichtlichen historischen Erfahrungen mit der gewalttätigen Ausbreitung des Islam durch Feuer und Schwert, zum andern das Gottesbild des Islam mit einer Tendenz zum Willkür-Gott.
Der Islam brachte Krieg und Leid über die Menschheit
- Benedikt zitierte den byzantinischen Kaiser Manuel II., der im Dialog mit einem persischen Islam-Gelehrten die These aufstellte, Mohammed habe Schlechtes und Inhumanes gebracht wie etwa dies, den Glauben mit dem Schwert zu verbreiten. Der Kaiser konnte diese Aussage mit vielen historischen Erfahrungen belegen. Denn die Byzantiner mussten zum Ende des 14. Jahrhunderts mehr als vier Jahrhunderte muslimischer Gewalt beklagen. In dieser Zeit hatten die osmanischen Türken sie in ihrem kleinasiatischen Kernland attackiert, drangsaliert, unterdrückt, vertrieben und gedemütigt.
Wie zur Bestätigung der zitierten Behauptung reagierten zahlreiche islamische Gruppen und Staaten mit Hass-Reden und Gewaltausbrüchen auf diese Passage der akademischen Rede des Papstes.
Religiös motivierte Gewalt bis heute vorwiegend im Islam
Kein geringerer als Kardinal Karl Lehmann aus Mainz leistete damals dem Papst argumentative Schützenhilfe gegen die Angriffe von Seiten der Islamisten und teilweise der westlichen Medien. In einem längeren Beitrag für die Frankfurter Rundschau stellte er fest, dass bis heute „religiös motivierte und legitimierte Gewalt … sich vorwiegend am Islam festmacht“. Mit diesem Phänomen müsse man „unsere muslimischen Gesprächspartner konfrontieren“. In diesem Kontext sollte mit den Muslimen auch die These erörtert werden, dass die islamische Gewaltproblematik in der „muslimischen Religion“ sowie der „theologischen Tradition des kämpfenden und herrschenden Islam“ verankert sei. Als weiteren zentralen Diskussionspunkt im christlich-muslimischen Dialog müsste der Komplex „Religionsfreiheit und die Verfasstheit des modernen Staates“ behandelt werden.
Diese kardinalen Forderungen stellen eine massive Kritik am Dialogprozess zwischen den Religionen dar, wie er vom Konzil beschrieben und seither von den Kirchenführern angestrebt beziehungsweise gefordert und gefördert wurde. Das Konzil hatte das interreligiöse Gespräch ausdrücklich auf das Gemeinsame reduzieren wollen – unter Ausblendung der strittigen Punkten und Problematiken.
Statt Wohlfühl-Dialog den Islam mit kritischen Fragen konfrontieren
- Der christlich-muslimische Verständigungsdialog läuft zum größten Teil einseitig ab, er ist weitgehend ein Monolog von Kirche und Christen in Richtung Islam. Diese Unwirksamkeit eines echten Dialogs resultiert auch aus der interreligiösen Gemeinsamkeits-Ideologie des Konzils. Denn erstens schrumpfen die Gemeinsamkeiten zwischen Christentum und Islam bei tieferem Eindringen in die Materie auf weniges zusammen, wie an verschiedenen Stellen dieser Serie aufgezeigt. Und zum zweiten erweisen sich die wenigen Schnittmengen der beiden Religionen als wenig relevant, da die brennenden Probleme bei den ausgeblendeten Streitfragen liegen.
Die hatte Papst Benedikt in seiner Regensburger Rede angesprochen. Das Gewalt-Zitat des byzantinischen Kaisers war für ihn Ausgangspunkt für weitere Erörterungen: Gewalttätiges, nicht vernunftmäßiges Handeln ist dem Wesen Gottes zuwider – so die Folgerung Kaiser Manuels, dem sich der Papst anschloss. Benedikt führte diesen Gedanken weiter. Ausgehend vom göttlichen Logos des Johannes-Evangeliums über die frühe Kirche zeigte Benedikt die fruchtbare und gewaltbeschränkende Symbiose von Glaube und Vernunft in der christlichen Theologie- und europäischen Geistesgeschichte auf. Dabei blieb der Vorwurf im Raum stehen, dass der auf Koran und Hadith gestützte Islam eben diese gewaltbeschränkende Vernunftorientierung nicht kennt beziehungsweise die entsprechenden Ansätze im Mittelalter abgewürgt hat.
Genau auf diesen herausfordernden Vorwurf reagierten 38 muslimische Gelehrte schon einen Monat später mit einem Brief, in dem sie darauf ernsthaft und argumentativ eingingen. Ein Jahr später folgten 138 islamische Theologen diesem Ansatz mit einem weiteren langen Schreiben. Inzwischen haben mehrere Forums-Seminare zwischen islamischen Gelehrten und katholischen Theologen stattgefunden.
Eine Folgerung aus diesen Überlegungen: Ein Impuls in Richtung Islam, der Muslime mit problematischen Seiten des Islam konfrontiert, bringt mehr Dialog-Prozesse in Gang als die Engführung der Konzilserklärung auf Gemeinsamkeiten. Allerdings bleibt leider festzustellen, dass sich auch in diesem Fall die Bereitschaft islamischer Theologen zu einem rückhaltlosen Dialog in Grenzen hält.
Hat Allah die Züge eines Willkür-Gottes?
- Papst Benedikt hatte eine dritte Differenz zwischen Islam und Christentum angesprochen: Für die christliche Theologie gibt es eine Entsprechung zwischen dem Sein und Handeln Gottes als dem höchsten Logos (Wort, Vernunft), der vernünftigen Ordnung der Welt (analogia entis) sowie dem vernunftorientierten Menschen. „Für die muslimische Lehre hingegen“, so der Papst weiter, „ist Gott absolut transzendent. Sein Wille ist an keine unserer Kategorien gebunden und sei es die der Vernünftigkeit. (…) Ibn Hazn geht so weit zu erklären, dass Gott auch nicht durch sein eigenes Wort gehalten sei und dass nichts ihn dazu verpflichte, uns die Wahrheit zu offenbaren. Wenn er es wollte, müsse der Mensch auch Götzendienst treiben. Hier tut sich ein Scheideweg im Verständnis Gottes auf…“.
Diese aufgeworfene kontroverstheologische Frage wiegt umso schwerer, als sie das Zentrum des Allah-Glaubens berührt. Sie beinhaltet die These, dass Allah mehr oder weniger ein Willkürgott sei. Unter diesem Vorzeichen tun sich muslimische Theologen schwer damit, ihren Glauben in eine befruchtende Verbindung mit dem Vernunft-Denken einzubinden. Im transzendent-unberechenbaren Willen und Handeln Allahs könnte vielleicht auch der tiefste Grund für das immer wieder aufbrechende Gewaltpotential des Islam liegen bzw. die Gewaltbereitschaft von Muslimen.
Der erste Brief von 38 Islam-Gelehrten geht ansatzweise auf diese Frage ein, allerdings nur oberflächlich-apologetisch. Gleichwohl bedeutet der angesprochene Fragen-Komplex eine langfristige Herausforderung für die islamische Theologie. Kirche und Theologen haben die Pflicht, die muslimischen Gelehrten immer wieder mit diesen problematischen Aspekten des Islam zu konfrontieren.
V. Papst Benedikts Dialog-Perspektiven nach der Regensburger Rede
Über die schroffen Reaktionen von Teilen der islamischen Welt auf seine Regensburger Rede war der Papst sehr bestürzt. Um „die Gemüter zu beruhigen“ distanzierte er sich förmlich von dem Gewaltzitat des Kaiser Manuel. Auch seine kritische Anfrage an den islamischen Vernunft- und Gottesbegriff stellte er bei weiteren Ansprachen zum Thema zurück.
In seiner Weihnachtsansprache vor der Römischen Kurie im Jahre 2006 ging der Papst erneut auf seine Regensburger Rede ein und skizzierte seine Perspektiven für einen Dialog mit dem Islam. Es ging Benedikt dabei um das Verhältnis von Vernunft und Glauben, insbesondere in Auseinandersetzung mit der Aufklärung. Einerseits gelte es, „einer Diktatur der positivistischen Vernunft zu widersprechen, die Gott aus dem Leben der Gemeinschaft und aus den öffentlichen Ordnungen ausschließt und dabei den Menschen seiner Maßstäbe beraubt.“ In der Kritik der säkularen Vernunft der Gottvergessenheit habe man einen Aspekt des Dialogs mit dem Islam und anderen Religionen.
“Andererseits müssen die wahren Errungenschaften der Aufklärung, die Menschenrechte und dabei besonders die Freiheit des Glaubens und seiner Ausübung als wesentliche Elemente gerade auch für die Authentizität der Religion aufgenommen werden.“ Papst Benedikt wirbt dafür, dass diese Themen im Zentrum des Dialogs mit dem Islam stehen sollten, also das Eintreten „gegen Gewalt und für das Miteinander von Glaube und Vernunft, von Religion und Freiheit“.
Um die Konzentration auf diese Themen hatte der Papst auch schon im Jahre 2005 bei einem Treffen mit Vertretern der muslimischen Gemeinden am Rande des Weltjugendtags bemüht. Benedikt benannte damals als gemeinsame Aktionsbasis für Christen und Muslime den „Dienst an den moralischen Grundwerten“. An erste Stelle trete „die Würde der Person und die Verteidigung der Rechte, die sich aus dieser Würde ergeben“ – etwa, dass „das Leben eines jeden Menschen heilig ist“. Diese Botschaft werde auch aus der deutlichen und unverwechselbaren Stimme des Gewissens erkannt. Der Papst betonte, nur über die Anerkennung der „Zentralität der Person“ könne man eine „gemeinsame Verständigungs-Grundlage finden, eventuelle kulturelle Gegensätze überwinden und die explosive Kraft der Ideologien wie auch der neuen Barbarei neutralisieren“. Ähnliches sagte Benedikt Ende 2008 zu den Teilnehmern des neu eingerichteten „Muslimisch/Katholischen Forums“: „Meine Hoffnung ist, dass diese grundlegenden Menschenrechte für alle Menschen überall geschützt werden. Politische und religiöse Führer haben die Pflicht, die freie Ausübung dieser Rechte in voller Achtung für die Gewissens- und Religionsfreiheit jedes einzelnen Menschen zu gewährleisten.“ Darüber hinaus ermuntert der Papst die katholischen und muslimischen Jugendliche zu „praktischem Einsatz“, um sich für die „Opfer von Krankheit, Hunger, Armut, Ungerechtigkeit und Gewalt“ einzusetzen.
Statt vermeintlicher Gemeinsamkeiten praktischer Einsatz für Personwürde und Menschenrechte
Mit diesen Schwerpunkten in seinen Dialog-Reden vor Christen und Muslimen entfernte sich der Papst deutlich von „Nostrae aetate“: Er sprach eben nicht von den vermeintlich religiösen Gemeinsamkeiten wie dem einen Gott, dem Propheten Jesus oder dem gemeinsamen Urvater Abraham.
Als Basis der Verständigung mit den Muslimen postuliert Papst Benedikt nicht eine minimale Schnittmenge von Glaubensgemeinsamkeiten, sondern die durch menschliche Vernunft und die Stimme des natürlichen Gewissens erkennbaren Prinzipien der Menschlichkeit wie die Menschenwürde, Menschenrechte, Recht auf Leben und Religionsfreiheit insbesondere. Dabei sieht er sich in Übereinstimmung mit den positiven Errungenschaften der Aufklärung wie auch mit der Konzilsargumentation in der Erklärung „Dignitatis humanae“, in der aus der Würde des Menschen die Menschenrechte auf Freiheit in Religion und anderen sozialen Feldern entwickelt wird. Damit knüpfte Benedikt an die Praxis der Kirchenväter an, die mit den Vertretern der heidnischen Religionen und Philosophien einen argumentativen, kritischen und missionarischen Dialog führten. Diese Art von Dialog kann als Vermächtnis des Theologen-Papstes gesehen werden.
Sicherlich war sich der Papst bewusst, dass seine Postulate an den gegenwärtigen, voraufklärerischen Islam auch als Veränderungsforderung verstanden werden. Doch diese Zumutung sollte man den Muslimen nicht ersparen. Angesichts der heute feststellbaren Rückwendung von Teilen der Muslime zu einer barbarischen, vorzivilisatorischen Praxis erscheint es umso notwendiger, dass sich die islamischen Theologen für Vernunft-Argumentation und Menschenrechte öffnen.
VI. Resümee der Überlegungen für Kirche und Theologie:
- Das Konzilsdokument „Nostra aetate“, insbesondere das dritte Kapitel zum Dialog mit dem Islam, sollte vom Postament des alternativlosen Superdogmas zu einer einfachen Lehr-Erklärung herabgestuft werden, wie es die Konzilsväter gewollt hatten.
- Die Engführung der Konzilserklärung auf die tatsächlichen oder vermeintlichen Gemeinsamkeiten mit dem Islam muss historisch-kritisch im Kontext des damaligen Konzilsoptimismus grundsätzlich infragegestellt werden.
- Statt Ausblendung aller Streitfragen sollten genau diese brennenden Religionsprobleme zum Thema gemacht werden für einen ernsthaften und argumentativen Dialog.
- Die islamische Theologie, seit Jahrhunderten mehr oder weniger in festen Bahnen erstarrt, hat ein Aufarbeitungs- und Entwicklungsproblem. Die kirchlichen Theologen sollten wie Katalysatoren den islamischen Gelehrten auf die Sprünge helfen.
- Insbesondere hat der Islam in den zentralen Komplexen religiös legitimierte Gewalt, Religionsfreiheit und Staatskonzept sowie Vernunft- und Willkür-Theologie erheblichen Reflexionsbedarf, um den Anschluss an die Moderne zu finden..
- Interreligiöse Gebetstreffen führen in den brennenden Fragen keinen Schritt weiter; im Gegenteil suggerieren sie religiöse Gemeinsamkeiten, die nicht da sind. Denn der gewaltfordernde Gott des Islam ist nicht der christliche Gott.
- Nach Papst Benedikt sollten die „Zentralität der Personwürde“ und den darauf folgenden Menschenrechte Grundlage für katholisch-muslimische Treffen sein.
- Sinnvoll sind auch Treffen und Koalitionen zu aktuellen ethisch-sozialen Themen wie etwa kürzlich das gemeinsame Manifest gegen Menschenhandel und moderne Sklaverei. Religiös motivierte Gewalt, Abtreibung, Suizid-Hilfe, Ehrenmorde, Genital-Verstümmlung etc. wären weitere Themen praktisch-gemeinsamer Agenden.
Literatur: Joseph Kardinal Ratzinger, Glaube Wahrheit Toleranz. Das Christentum und die Weltreligionen, Herder-Verlag 2003; Armin Schwibach, Benedikt XVI. und der Islam, kath.net vom 28. 3. 2015
Text: Hubert Hecker
Bild: Palazzo Apostlico/Terra Sancta/Derecho