„Osservatore Romano“ und Islam – Armenier-Genozid und der „wahre“ Islam


Osservatore Romano 15. April 2015(Rom) Fügung oder Zufall? Genau am Tag, an dem die Tür­kei hef­ti­ge Angrif­fe gegen Papst Fran­zis­kus rich­te­te und der tür­ki­sche Staats­prä­si­dent Racep Tayyip Erdo­gan sich an die Spit­ze die­ser Kri­tik gegen das katho­li­sche Kir­chen­ober­haupt stell­te, ver­öf­fent­lich­te der Osser­va­to­re Roma­no auf der Titel­sei­te in den Spal­ten, die sonst dem Leit­ar­ti­kel vor­be­hal­ten sind, den Arti­kel eines Muslimen.

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Papst Fran­zis­kus hat­te sich den tür­ki­schen Bann­strahl zuge­zo­gen, weil er es gewagt hat­te, den Völ­ker­mord an den christ­li­chen Arme­ni­ern auch einen Völ­ker­mord zu nen­nen. Genau das aber wird von der Tür­kei bis heu­te geleug­net. Und zwar nicht nur von der Tür­kei. Auch UNO-Gene­ral­se­kre­tär Ban Ki-moon gibt sich wort­karg zum Aghet, der „Kata­stro­phe“, wie die Arme­ni­er den Geno­zid an ihrem Volk nen­nen. US-Prä­si­dent Barack Oba­ma, der sich an ande­rer Stel­le gern in der Rol­le des moder­nen Moral­apo­stels sieht, spielt die Mas­sa­ker und Depor­ta­tio­nen der Jung­tür­ken gegen die christ­li­chen Arme­ni­er, Grie­chen und Syrer herunter.

Der Autor, dem die Tages­zei­tung des Vati­kans einen Ehren­platz ein­räum­te, ist Zou­hir Louas­si­ni. Der mos­le­mi­sche Jour­na­list und Buch­au­tor wur­de in Tan­ger in Marok­ko gebo­ren. Er war Gast­pro­fres­sor an ver­schie­de­nen Uni­ver­si­tä­ten, arbei­tet mit RAI News zusam­men und schreibt für ara­bi­sche Tages­zei­tun­gen, dar­un­ter al-Hayat, Lako­me und al-Alam.

„Wahrer“ Islam, „falscher“ Islam, Aufklärung als außerreligiöses Disziplinierungsmittel der Religion?

Es han­del­te sich nicht um sei­nen ersten Arti­kel im Osser­va­to­re Roma­no. Die drei vor­her­ge­hen­den kön­nen auf Arab­Press nach­ge­le­sen werden.

Sein aktu­el­ler Bei­trag befaßt sich nicht mit dem Völ­ker­mord an den Arme­ni­ern, aber mit den Wur­zeln der Abnei­gung gegen die „Ungläu­bi­gen“, die den jun­gen Men­schen an den Koran-Schu­len der isla­mi­schen Staa­ten, aber auch in Euro­pa „syste­ma­tisch ein­ge­impft“ (San­dro Magi­ster) werde.

Es brau­che in den isla­mi­schen Staa­ten eine „Revo­lu­ti­on“ in der Glau­bens­ver­mitt­lung, so Louas­si­ni, wenn künf­tig tra­gi­sche Ereig­nis­se „wie wir sie in Garis­sa und in Kenia gese­hen“ haben, ver­mie­den wer­den sollen.

„Man muß es für das Wohl eines so gro­ßen Glau­bens wie des Islams tun, der sich von den Ket­ten befrei­en muß, die Inter­pre­ta­tio­nen dar­stel­len, die ande­ren Epo­chen angehören“.

Der Osser­va­to­re Roma­no als Sprach­rohr einer poli­tisch-kor­rek­ten Islam-Inter­pre­ta­ti­on, laut der nicht der Islam ein Pro­blem sei, son­dern ledig­lich eine inak­zep­ta­ble Aus­le­gung, die im Sin­ne der west­li­chen Auf­klä­rung über­wun­den wer­den müsse?

So wün­schen es die west­li­chen Regie­run­gen. So erwar­ten sie es von den Reli­gi­ons­ver­tre­tern. Ist es der ange­mes­se­ne Ansatz? Es wird nicht gesagt, aber ange­deu­tet: Die Auf­klä­rung als außer­re­li­giö­ses Dis­zi­pli­nie­rungs­mit­tel aller Religionen?

Hier der Text von Zou­hir Louas­si­ni, ver­öf­fent­licht auf der Inter­net­sei­te des Osser­va­to­re Roma­no am 14. April und in der Druck­aus­ga­be vom 15. April.

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Diese Kinder von Tanger

von Zou­hir Louassini

Es war Anfang der 70er Jah­re in einem Tan­ger voll Leben und Hoff­nung. Ich war noch kei­ne acht Jah­re alt. Die Erin­ne­rung an jene Zeit erscheint mir ver­schwom­men und wirr. Etwas aber ist mir noch heu­te ganz klar prä­sent: mei­ne Äng­ste, von denen es vie­le gab. Mich äng­stig­te die Dun­kel­heit zum Bei­spiel. Spä­ter ver­stand ich, daß das mit Sicher­heit kei­ne Urangst war. Und sie war nichts im Ver­gleich zur Beklem­mung, die ich damals jedes Mal ver­spür­te, wenn ich an der Kathe­dra­le vorbeikam.

Ich muß­te jeden Tag an ihr vor­bei, weil sie sich auf mei­nem Schul­weg befand. Dort brach­ten mir die Leh­rer für „reli­giö­se Erzie­hung“ bei, daß die Chri­sten, da Ungläu­bi­ge, zur Höl­le ver­dammt waren. Ihre Schuld? Weil sie die Wor­te Got­tes „ver­fälscht“ hat­ten. Ich erin­ne­re mich, wie trau­rig ich war wegen des Schick­sals, das mei­ne Freun­de Jesús und Miguel, zwei christ­li­che Freun­de, erwar­te­te, die oft zu mir nach Hau­se kamen und fast täg­lich mei­ne Spiel­ge­fähr­ten waren. Gewiß, ich trö­ste­te mich mit der Illu­si­on, daß die bei­den spa­ni­schen Brü­der im Lau­fe der Zeit, viel­leicht mit mei­ner Hil­fe, auch die „Wahr­heit“ erken­nen würden.

Alle die­se Erin­ne­run­gen tauch­ten wie­der ganz leben­dig in mir auf, ange­sichts des Arti­kels von Hani Naqs­ha­ban­di, der am 7. April von Elaph ver­öf­fent­licht wur­de. Er erhob ein­deu­ti­ge Vor­wür­fe gegen jene, die an den Schu­len Haß leh­ren und dazu die Reli­gi­on miß­brau­chen. End­lich! Was wir in Garis­sa in Kenia gese­hen haben, wo 150 Kin­der getö­tet wur­den, nur weil sie Chri­sten waren, ist auch einer Fol­ge der Erzie­hung, die an den Schu­len ver­mit­telt wird.

Es genügt die Schul­pro­gram­me in fast allen isla­mi­schen Staa­ten zu lesen, um sich bewußt zu machen, daß wir vor einem ern­sten Pro­blem ste­hen, das ange­gan­gen wer­den muß, sofort und mit Mut. Schon als Kin­der ler­nen die Mos­lems das Chri­sten­tum nur aus dem Blick­win­kel der Fuqa­ha, den Inter­pre­ten des Koran ken­nen. Nur die, wie Naqs­ha­ban­di schreibt, „wis­sen vom Chri­sten­tum und den ande­ren Reli­gio­nen soviel, wie sie von der Rela­ti­vi­täts­theo­rie wis­sen. Im Klar­text: Nichts.“ Das hin­der­te sie aber nicht dar­an, „uns zu sagen, daß die Chri­sten Ungläu­bi­ge sind und wir haben ihnen geglaubt. Sie haben uns gesagt, daß die Chri­sten das Volk der Höl­le sind und daß das Para­dies unser Mono­pol ist und wir haben ihnen bei­gepflich­tet. Sie haben uns gesagt, daß die Chri­sten die Fein­de Allahs und des Islams sind und wir haben gesagt: ‚Allah soll sie ver­flu­chen‘“. Ein­deu­ti­ger geht es nicht mehr!

Es stimmt, daß eini­ge ara­bisch-mus­li­mi­sche Staa­ten eini­ge Refor­men ein­ge­lei­tet haben. Die Ergeb­nis­se zei­gen uns jedoch, daß die Ver­su­che geschei­tert sind. Der Mut heu­te besteht dar­in, das ein­zu­ge­ste­hen und sofort damit zu begin­nen, die Grün­de für das Schei­tern anzu­ge­hen. Und es ist nahe­lie­gend, daß damit bei der Schu­le begon­nen wer­den muß, indem die bestehen­den Pro­gram­me durch ande­re ersetzt wer­den, die den Respekt und die Ach­tung für ande­re Reli­gio­nen leh­ren. Man muß es für das Wohl eines so gro­ßen Glau­bens wie des Islams tun, der sich von den Ket­ten befrei­en muß, die Inter­pre­ta­tio­nen dar­stel­len, die ande­ren Epo­chen angehören.

Der syri­sche Dich­ter Ado­nis sag­te auf der jüng­sten Buch­mes­se in Kai­ro im ver­gan­ge­nen Febru­ar: „Es gibt nicht einen wah­ren Islam und einen fal­schen Islam: es gibt nur gemä­ßig­te Mos­lems und extre­mi­sti­sche Mos­lems je nach ihrer Les­art und Inter­pre­ta­ti­on des hei­li­gen Tex­tes. Der Islam ist aber immer nur einer“. Si par­va licet com­pon­e­re mag­nis: auch im Namen jenes Kin­des von Tan­ger und sei­ner klei­nen Freun­de, fällt es uns zu, jetzt, zu ent­schei­den, mit wem wir spre­chen und mit wem wir die Zukunft bauen.“

Einleitung/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Osser­va­to­re Roma­no (Screen­shot)

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Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

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