(Ottawa) Von der katholischen Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, findet in Kanada eine große Auseinandersetzung zwischen überzeugten gläubigen Katholiken einerseits und modernistischen Hirten und ihrem verweltlichten Apparat statt.
Das ist besonders auffallend, war Kanada für die römisch-katholische Kirche doch sehr lange ein wenig problematisches, ja fruchtbares Gebiet.
Im Osten eine mehr als vier Jahrhunderte alte französischsprachige katholische Anwesenheit mit vielen großen Missionaren, darunter vielen Jesuiten, vielen Märtyrern, einer großen missionarischen Tätigkeit und einer tiefen Verankerung in der französisch-kanadischen Bevölkerung.
Im westlichen anglophonen Teil von Kanada eine starke Präsenz von Einwanderern aus katholischen Ländern mit starken Einflüssen aus den USA und aus Großbritannien, sowohl was die Orden als auch typische Charakteristiken betrifft durch den Kontakt und den Umgang mit Anglikanern und protestantischen Denominationen.
Blühende Kirche unter Druck geraten
In den vergangenen 50 Jahren ist dieses Gefüge sehr schwer unter Druck geraten, wie auf der Website www.dici.org genau dokumentiert ist.
In den französischsprachigen Gebieten trat eine gewaltige Verweltlichung bei der Bevölkerung ein. Das 2. Vaticanum und seine lokale „Umsetzung“ sorgten für eine gewaltige Desorientierung bei dem dortigen Klerus und inhaltliche Leere und liturgische Verlotterung brachten eine gewaltige Entfremdung der ursprünglich zum übergroßen Teil strenggläubig-katholischen Bevölkerung von der Kirche zuwege.
Sehr viele Kirchen, darunter auch Kathedralen, werden geschlossen, verkauft, profaniert, nicht selten abgebrochen. Trotzdem scheint die Hauptaktivität vieler inzwischen numerisch sehr kleinen Diözesen (bis zu 8.000 Gläubigen) offensichtlich die Bekämpfung der Priesterbruderschaft St. Pius X. zu sein (wie jetzt im Bistum Chicoutimi, wo der Bischof niemals durch großen neuevangelisierenden Eifer aufgefallen ist).
Seitdem Gläubige dort in Saguenay einen Besuch durch einen Pater der FSSPX organisierten, liegen die Nerven blank. Erstens wurde bei der Reise ein stark überalteter Augustinerinnenkonvent besucht, wo eine 90jährige Nonne vor Freude fast kollabierte, weil nach über einem halben Jahrhundert endlich ein katholischer Geistlicher in Soutane vor der Tür stand (soweit zur alltäglichen pastoralen Betreuung).
Zweitens hat der Pater am 15. Februar 2015 eine Heilige Messe im traditionellen Ritus gefeiert, was bei der nach Religion dürstenden Bevölkerung sehr viel Interesse hervorrief, aber bei der Bistumsleitung zu schlimmsten Drohungen und Verwünschungen gegen eine Teilnahme hieran geführt hat.
Eine sehr befremdliche Reaktion, ist die Entkirchlichung im französischsprachigen Quebec doch die höchste in der Welt mit einem Rückgang der praktizierenden Katholiken um 95 Prozent von 1965 bis jetzt. Viele Orden ziehen sich zurück oder verschmelzen sich mit den anglokanadischen Brüdern und Schwestern. Man denke als besonders bezeichnendes Beispiel daran, daß die früher sehr große und stolze Jesuitenprovinz Quebec mit eigenem Ausbildungsseminar in der englischsprachigen Jesuitenprovinz Canada aufgegangen ist.
Verdunsten der katholischen Orden
Die Canadian Religious Conference beziffert im Augenblick die Zahl der Kommunitäten/Ordensniederlassungen auf 200, mit ca. 16.000 Mitgliedern, davon 94 Prozent älter als 60 Jahre, und nicht weniger als 50 Prozent älter als 80 Jahre!
In Anglokanada dagegen stehen die römisch-katholischen Gläubigen mit ihrer jüngeren Einwanderungstradition (Iren, Italiener, Spanier, Portugiesen, Filippiner) deutlich mehr zu ihrem Glauben und zur katholischen Lehre. Die Mitglieder sind durchschnittlich jünger und es gibt auch prozentual mehr religiösen Nachwuchs.
Zu gleicher Zeit gibt es durch die Nachbarschaft mit den USA und durch die gemeinsame Sprache enge Kontakte und ähnliche Verhaltensweisen bei Problemen und Bedrohungen. Der Klerus und besonders das Episkopat sind meist sehr progressiv und ganz auf Dialog und Verständnis für die Welt eingestellt. Auch einige Orden mit Schwerpunkt in Kanada sind sehr modernistisch ausgerichtet: besonders bekannt hier die „Basilian Fathers“.
Säkularisierungsdruck durch den Staat
Seit einigen Jahren wird nun vom säkularen Staat eine aggressive Kampagne für das Recht auf Abtreibung, für Gender, für frühe und rabiate Sexualerziehung in den Schulen und gegen das Sonderstellungsmerkmal der Mann-Frau-Kinder-Familie geführt, sehr ähnlich wie in den USA und in Frankreich. Dagegen hat sich starker Protest entwickelt, z.B. durch die Campaign for Life Coalition, durch PAFE (Parents as First Educators), durch REAL Women of Canada. Juristisch wehrt man sich durch die CCRL (Catholic Civil Rights League) gegen die Bevormundung durch den Staat.
Das Episkopat hat dagegen schon lange kapituliert. Kardinal Thomas Collins von der Erzdiözese Toronto, auf Dialog mit der Welt und Vermeidung von Konflikten ausgerichtet und verständnisvoll für die Moderne, gab vor kurzem die Erklärung ab: „Schools have a responsibility to teach the curriculum set out by the Ministry of Education“ (Schulen haben eine Verpflichtung, den Lehrplan des Bildungsministeriums zu unterrichten). Hiermit gab er die eigene Identität der freien katholischen Schulen preis.
Kapitulation der Bischöfe, Widerstand der Eltern
Der säkulare Staat rechtfertigte sich, daß er beim Institute of Catholic Education (1986 durch die Bischofskonferenz gegründet) nachgefragt hatte und dieses (durch fortschrittsliebende Personen besetzte) Gremium mit Einverständnis durch Kardinal Collins „feedback and advice“ gegeben habe.
Inzwischen haben Zehntausende Eltern eine Protestpetition an die Regierung und an das kanadische Episkopat unterschrieben.
Im Web wird sehr ausführlich und engagiert berichtet. Die Website www.LifeSiteNews.com brachte einen ausführlichen Artikel und verlinkte ihn auch mit der Aussage von Kardinal Robert Sarah: „Detaching pastoral practice from catholic doctrine is a dangerous schizophrenic pathology“ (Die Trennung der pastoralen Praxis von der katholischen Lehre ist eine gefährliche schizophrene Pathologie). Die Aussage stammt aus dem Buch „Dieu ou Rien“ (Gott oder Nichts) von Kardinal Sarah, in Paris bei Fayard herausgegeben, aus dem merkwürdigerweise das angekündigte Vorwort von Papst em. Benedikt XVI. verschwand (siehe eigenen Bericht).
Schwaches Episkopat
Die Bischofssynode über die Familie von 2015 wird im katholischen Kanada mit Argusaugen abgewartet.
Sehr viel Aufmerksamkeit bekam eine obszöne Beschimpfung von Kardinal Raymond Burke am 7. Februar 2015 durch Father Timothy Scott, dem langjährigen Sprecher der Basilian Fathers. Erst nach massiven und geharnischten Protesten wurde dessen Tweet am 22. Februar 2015 gelöscht. Bis dato ist unbekannt, ob dieser Priester weiterhin Sprecher der Basilian Fathers ist. Dieser Orden ließ nur ein kurzes „Sorry too“ (Es tut uns leid) verlauten.
Das kanadische Episkopat schweigt (so wie das französische Episkopat bei der Manif pour Tous und bei den Veilleurs). Aus dem Vatikan hört man auch nichts.
Mißbrauchsskandal
Besonders brisant wird die Situation in Kanada weil sich hier einige von den größten und abscheulichsten Massenmißbrauchsfällen in der Kirche abspielten. Der aus Westflandern stammende Oblatenmissionar Eric Dejaegher wurde gerade Ende Januar 2015 zu einer sehr hohen Gefängnisstrafe verurteilt. Ein nächstes Verfahren steht gegen ihn in Edmonton im Staat Alberta an. An dem St. Joseph‘s College in Edmonton war übrigens der oben genannte Father Timothy Scott Rektor.
Viele Bistümer sind durch die Entschädigungszahlungen für Mißbrauchsfälle von Kirchenvertretern auf den Bettelstab gekommen. 2013 wurde über die Schließung von zwei Kirchen im Erzbistum Antigonish wegen finanzieller Probleme durch Entschädigungszahlungen berichtet.
Das aktuelle Bild
Stark sensibilisierte und kämpferisch motivierte Gläubige; schwerste Missetaten innerhalb der Kirche; fundamentale Bedrohung der kirchlichen Lehre; Verachtung und Obszönität gegenüber tapferen seriösen Kardinälen; schlaffe Hirten, eingeknickt vor dem Weltgeist; große finanzielle Probleme und pastoraler Rückzug auf breiter Fläche. In Kanada scheint es sich nicht mehr um lokales Geplänkel lange vor der Hauptauseinandersetzung zu handeln. Vielmehr findet hier schon eine gewaltige Schlacht in vermintem Gelände statt.
Text: Amand Timmermans
Bild: Wikicommons