von Roberto de Mattei*
„Marcher contre la Terreur“ (Marsch gegen den Terror) wurde von „Le Monde“ und den führenden westlichen Medien die Berichterstattung über den großen laizistischen Aufmarsch vom 11. Januar in Paris übertitelt. Nie aber war ein Slogan heuchlerischer als dieser, der von den Massenmedien als Reaktion auf das Massaker von Paris vom 7. Januar vorgegeben wurde. Welchen Sinn hat es vom Terror zu sprechen, ohne zum Substantiv das dazugehörige Adjektiv „islamisch“ zu nennen?
Welchen Sinn hat es, vom Terror zu sprechen, aber zu verschweigen, daß es ein islamischer Terror ist?
Der Angriff auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ wurde mit dem Ruf „Allahu akbar“ ausgeführt, um Mohammed für beleidigende Karikaturen zu rächen, und hinter den Kalaschnikows der Terroristen steht eine präzise Weltsicht: die moslemische. Erst jetzt beginnen die westlichen Geheimdienste die Drohungen von Abu Muhamad al-Adnani ernst zu nehmen, die in einem mehrsprachigen Communiqué am 21. September 2014 über die Online-Tageszeitung „The Long War Journal“ verbreitet wurden.
„Wir werden Rom erobern, seine Kreuze hinwegfegen, seine Frauen mit der Erlaubnis Allahs, dem Höchsten, zu Sklaven machen“, erklärte der Sprecher des Islamischen Staates (IS) seinen Anhängern. Er wiederholte nicht einfach die Aussage, die „Ungläubigen“ zu vernichten, wo immer sie sich befinden, sondern gab ihnen auch Anweisungen: „Plaziert den Sprengstoff auf ihren Straßen, greift ihre Grundlagen an, dringt in ihre Häuser ein, schlagt ihnen den Kopf ab. Sie sollen sich nirgends mehr sicher fühlen! Wenn es euch nicht möglich ist, Sprengstoff oder Munition zu bekommen, isoliert die ungläubigen Amerikaner, die ungläubigen Franzosen oder egal welchen anderen ihrer Verbündeten: schlagt ihnen den Schädel mit Steinen ein, tötet sie mit einem Messer, fahrt sie mit dem Auto nieder, stürzt sie irgendwo hinunter, erstickt oder vergiftet sie.“
Illusion, es handle sich nicht um einen Krieg gegen den Westen, sondern nur um einen innerislamischen Konflikt
Man gibt sich weiterhin der Illusion hin, daß der Krieg, der im Gange ist, nicht ein vom Islam dem Westen erklärter Krieg sei, sondern ein Krieg innerhalb der islamischen Welt, und daß der einzige Weg zur eigenen Rettung der sei, den gemäßigten Islam dabei zu unterstützen, den fundamentalistischen Islam zu besiegen, wie etwa Sergio Romano am 11. Januar im „Corriere della Sera“ meinte, ein Beobachter, der eigentlich als intelligent gilt. In Frankreich lautet der derzeit am häufigsten wiederholte Slogan ein „amalgama“ zu vermeiden. Gemeint ist, man dürfe den gemäßigten Islam nicht mit dem radikalen Islam gleichsetzen. Doch das gemeinsame Ziel des gesamten Islams ist die Eroberung des Westens und der Welt. Wer dieses Ziel nicht teilt, ist aus moslemischer Sicht nicht etwa ein gemäßigter Moslem, sondern schlicht und einfach kein guter Moslem.
Die Unterschiede, wenn schon, betreffen nicht das Ziel, sondern die Mittel zur Erreichung des Ziels: Die Moslems von al-Qaida und des Islamischen Staates (IS) haben den leninistischen Weg der gewaltsamen Aktion gewählt. Die Moslembrüder verfolgen hingegen den Weg Gramscis der kulturellen Hegemonie. Die Moscheen sind die Antriebszentren dieses kulturellen Krieges, den Bat Ye’or als Soft-Dschihad bezeichnet, während sie mit dem Ausdruck Hard-Dschihad den militärischen Krieg zur Terrorisierung und Vernichtung des Feindes bezeichnet. Über die Wahl der Mittel kann man diskutieren und diskutiert man auch innerhalb des Islams. Es herrscht aber Übereinstimmung, was das Endziel betrifft, die Ausweitung des Geltungsbereiches der Scharia, des koranischen Gesetzes über die ganze Welt.
Islam bedeutet Unterwerfung – Westliche Staatsführungen bewegen sich auf dünnem Eis
Der Islam ist jedenfalls ein Substantiv, das mit „Unterwerfung“ übersetzbar ist. Die Unterwerfung, um den Terror zu vermeiden, ist das Zukunftsszenario für Europa, das der Romanautor Michel Houllebecq in seinem jüngsten Buch schildert, das in aller Eile aus den französischen Buchhandlungen entfernt wurde. Ein Nein zum Terror bedeutet für unsere Politiker ein Nein zur gewaltsamen Unterwerfung durch die Dschihadisten, aber ein Ja zur friedlichen, vorauseilenden Unterwerfung, die den Westen gewissermaßen sanft in den Dhimmi-Status überführt.
Der Westen erklärt sich bereit, den Islam „mit menschlichem Gesicht“ zu akzeptieren. Was er aber in Wirklichkeit am Islam ablehnt, ist nicht nur die Gewalt, sondern auch der religiöse Absolutheitsanspruch. Für den Westen gibt es eine Lizenz zum Töten im Namen des moralischen Relativismus, aber nicht im Namen absoluter Werte. Die Abtreibung wird in allen westlichen Staaten systematisch praktiziert und keiner der Staats- und Regierungschefs, die in Paris gegen den Terror marschierten, hat sie je verurteilt. Was aber ist Abtreibung, wenn nicht die Legalisierung des Terrors, ein Staatsterror, der gefördert, ermutigt, gerechtfertigt, aber nie verurteilt wird? Welches Recht haben überhaupt die westlichen Staatsführer gegen den Terror zu demonstrieren? Bewegen sie sich nicht auf gefährlich dünnem Eis?
Während der ehemaligen Chef der linksextremen „Lotta Continua“, Adriano Sofri, mit Blick auf den Trauermarsch von Paris ein Europa feiert, das „unter der Bastille“ neu erwache, behauptete die postmoderne Philosophin Julia Kristeva, die Kardinal Ravasi so teuer ist, in der Tageszeitung „La Repubblica“ vom 13. Januar 2015, daß „die aufklärerische Straße Europa gerettet hat“ und daß „angesichts der Gefahr, die sie liefen, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit aufgehört haben, abstrakte Konzepte zu sein, indem sie in Millionen Menschen fleischgeworden sind“.
Wer aber hat den Terror erfunden, wenn nicht das republikanische Frankreich?
Wer aber hat den Terror erfunden, wenn nicht das republikanische Frankreich, das ihn einsetzte, um alle Opponenten der französischen Revolution zu vernichten? Ideologie und Praxis des Terrorismus stehen erstmals in der Geschichte mit der französischen Revolution Seite an Seite, besonders ab dem 5. September 1793, als der „Terror“ vom Nationalkonvent zum Alltag und zu einem zentralen Teil des revolutionären Systems gemacht wurde. Der erste Völkermord, der als solcher ins Bewußtsein trat, war der gegen die Vandée. Er wurde im Namen der republikanischen Ideale von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit durchgeführt. Der Kommunismus, der den Anspruch erhob, den von der französischen Revolution begonnenen Säkularisierungsprozeß zu vollenden, potenzierte den Terror auf globaler Ebene, der in weniger als 70 Jahren mehr als 200 Millionen Tote forderte. Und ist der islamische Terrorismus heute nicht eine Kontaminierung der „Philosophie des Korans“ mit der aus dem Westen importierten marxistisch-illuministischen Praxis?
„Charlie Hebdo“ ist eine Zeitung, in der seit ihrer Gründung die Satire in den Dienst einer anarchischen und libertinen Lebensphilosophie gestellt wurde, deren Wurzeln in der antichristlichen Aufklärung liegen. Das französische Satireblatt wurde wegen seiner Karikaturen über Mohammed bekannt. Es dürfen aber nicht die geschmacklosen, gotteslästerlichen Karikaturen vergessen werden, die 2012 veröffentlicht wurden, um die Legalisierung der „Homo-Ehe“ zu unterstützen. Die Redakteure von „Charlie Hebdo“ sind als extreme, aber letztlich kohärente Ausdrucksform einer relativistischen Kultur anzusehen, die sich heute im ganzen Westen ausgebreitet hat. So wie die Terroristen, die sie angegriffen haben, als extreme, aber letztlich kohärente Ausdrucksform des Hasses gegen Westen anzusehen sind, der in der gesamten weiten islamischen Welt vorherrschend ist.
Der Islam kann nicht mit Relativismus bekämpft werden
Jene, die die Existenz einer absoluten und objektiven Wahrheit vertreten, werden von den Neo-Aufklärern mit den islamischen Fundamentalisten gleichgesetzt. Wir aber setzen den Relativismus mit dem Islamismus gleich, weil beiden derselbe tödliche Fanatismus eigen ist. Der Fanatismus ist nicht Ausdruck der Wahrheit, sondern einer intellektuellen und emotionalen Schieflage, die durch die Entfernung von der Wahrheit entsteht. Und es gibt nur eine Wahrheit, in der die Welt den Frieden finden kann, das heißt, die Ruhe der Ordnung: Jesus Christus, Sohn Gottes, auf den hin alle Dinge im Himmel und auf der Erde ausgerichtet sein müssen, damit sich der Frieden Christi im Reich Christi verwirklicht, worauf Papst Pius XI. in der Enzyklika Quas Primas vom 11. Dezember 1925 hinwies und als Ideal für jeden Christen benannte.
Man kann den Islam nicht im Namen der Aufklärung und erst recht nicht im Namen des Relativismus bekämpfen. Was allein sich ihm entgegensetzen kann, ist das Naturrecht und das Gottesgesetz, die von Grund auf sowohl vom Relativismus als auch vom Islam geleugnet werden. Aus diesem Grund sollen wir das Kreuz hochhalten, das der Laizismus und der Islamismus ablehnen, und daraus eine Fahne für unser Leben und unser Handeln machen. „Wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten: für Juden ein empörendes Ärgernis, für Heiden eine Torheit“, sagte der Apostel Paulus (1 Kor 1,23). Wir können mit ihm sagen: „Wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten, für Moslems ein empörendes Ärgernis, für Laizisten eine Torheit“.
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*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Schriftleiter der Monatszeitschrift Radici Cristiane und der Online-Nachrichtenagentur Corrispondenza Romana, von 2003 bis 2011 stellvertretender Vorsitzender des Nationalen Forschungsrats von Italien, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt erschienen: Vicario di Cristo. Il primato di Pietro tra normalità ed eccezione (Stellvertreter Christi. Der Primat des Petrus zwischen Normalität und Ausnahme), Verona 2013; in deutscher Übersetzung zuletzt: Das Zweite Vatikanische Konzil – eine bislang ungeschriebene Geschichte, Ruppichteroth 2011; Die Türkei in Europa – Gewinn oder Katastrophe?, Gräfelfing 2010; Plinio Corràªa de Oliveira – Der Kreuzritter des 20. Jahrhunderts, Wien 2004.
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Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana