„Parallel-Oberer“ Bergoglio – Warum wurde der heutige Papst 1990 von seinen Jesuiten-Brüdern exiliert?


Papst Geburtstag
Papst-Geburts­tag 2014

(Bue­nos Aires/​Rom) Am heu­ti­gen 17. Dezem­ber fei­ert Papst Fran­zis­kus sei­nen 78. Geburts­tag. Am Vor­mit­tag erfreu­te ihn ein Tan­go, der von Tau­sen­den sei­ner „Afi­ci­o­na­dos“ ihm zu Ehren auf dem Peters­platz getanzt wur­de. Der Osser­va­to­re Roma­no ver­öf­fent­lich­te eine Sei­te aus einer in Argen­ti­ni­en erschie­ne­nen Papst-Bio­gra­phie, auf die Jor­ge Mario Berg­o­glio beson­de­ren Wert legt und an deren Zustan­de­kom­men und Nie­der­schrift er selbst Hand anlegte.

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Das Buch mit dem Titel Aquel Fran­cis­co wur­de von zwei argen­ti­ni­schen Jour­na­li­sten, Javier Cáma­ra und Seba­sti­an Pfaf­fen geschrie­ben (sie­he eige­nen Bericht Als Berg­o­glio als „bril­lant, aber ver­rückt“ ins „Exil“ geschickt wur­de). Bei­de stam­men aus Cor­do­ba in Argen­ti­ni­en, wo auch der Ver­lag sei­nen Sitz hat. Der Schwer­punkt des Buches liegt in der Rekon­struk­ti­on der bei­den Pha­sen im Leben des amtie­ren­den Pap­stes, die er in der argen­ti­ni­schen Pro­vinz­stadt ver­brach­te. Das waren die bei­den Jah­re des Novi­zi­ats von 1958–1960 und die zwei Jah­re des Exils ohne jeden Auf­trag, in das er von sei­nen Ordens­obe­ren von 1990–1992 ver­schickt wor­den war. Ein Exil, das Papst Berg­o­glio heu­te ger­ne als „inne­re Rei­ni­gung“ bezeichnet.

aquel_franciscoAquel Francisco – die autobiographische Biographie

Im Dezem­ber 2013 war der Papst vom Erz­bi­schof von Cor­do­ba bei einem Rom-Besuch infor­miert wor­den, daß die bei­den Jour­na­li­sten dabei waren, zu die­ser Dop­pel­pe­ri­ode ein Buch zu schrei­ben. Papst Fran­zis­kus griff zum Tele­fon­hö­rer und rief die bei­den an. „Nicht ein­mal, son­dern mehr­fach, und ließ den Griff nicht mehr locker“, so der Vati­ka­nist San­dro Magi­ster zur Epi­so­de. Der Papst begann mit Cáma­ra und Pfaf­fen einen inten­si­ven Schrift­ver­kehr über E‑Mail, schil­der­te sei­ne Erin­ne­run­gen und mach­te aus der Bio­gra­phie eine Art Auto­bio­gra­phie. Von einer „auto­bio­gra­fia cor­do­ba­na“ spricht Magi­ster, da das Buch gespickt ist mit direk­ten Aus­sa­gen unter Anfüh­rungs­zei­chen. Dabei han­delt es sich um Erzäh­lun­gen und Bewertungen.

„Es sind vor allem zwei Punk­te des Buches, die neu­gie­rig machen“, so Magi­ster. Das betrifft ein­mal die wirk­li­chen Grün­de, die dazu führ­ten, daß der ehe­ma­li­ge argen­ti­ni­sche Jesui­ten­pro­vin­zi­al Berg­o­glio bei sei­nen Mit­brü­dern in Ungna­de fiel. An der Spit­ze der Jesui­ten in Argen­ti­ni­en stand der heu­ti­ge Papst in den 70er Jah­ren, um genau zu sein von 1973–1979. Ins Exil geschickt wur­de er 1990 von Pater Vic­tor Zor­zin, der Pater Berg­o­glio aus näch­ster Nähe kann­te. Pater Zor­zin war näm­lich Berg­o­gli­os Vize, als die­ser Ordens­pro­vin­zi­al war. 1986 wur­de Zor­zin zum Pro­vin­zi­al. Ein Amt, das er bis 1991 bekleidete.

Warum wollten seine Mitbrüder Bergoglio loswerden?

Zwi­schen Zor­zin und Berg­o­glio gab es gro­ße Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten über die Art der Ordens­lei­tung. Das­sel­be galt zwi­schen Berg­o­glio und Zor­zins Nach­fol­ger, Pater Igna­cio Garcà­a‑Mata, der von 1991–1997 Pro­vin­zi­al war und damit zu einer Zeit, als Berg­o­gli­os neue Kar­rie­re außer­halb sei­nes Ordens bereits im Gan­ge war. 1992 ernann­te ihn Papst Johan­nes Paul II. zum Weih­bi­schof von Bue­nos Aires, 1997 zum Erz­bi­schof-Koad­ju­tor, acht Mona­te spä­ter, im Febru­ar 1998, zum Erz­bi­schof von Bue­nos Aires und Pri­mas von Argentinien.

Laut den bei­den Buch­au­to­ren arti­ku­lier­ten sich die ordens­in­ter­nen Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten in einer häm­mern­den „Ver­leum­dungs­kam­pa­gne“ gegen Pater Berg­o­glio. Eine Kam­pa­gne, deren Echo bis nach Rom zu hören war und bis zum dama­li­gen Ordens­ge­ne­ral, dem Hol­län­der Peter Hans Kol­ven­bach vor­drang. Man habe das Gerücht in Umlauf gesetzt, wie unter ande­rem Pater àngel Ros­si, der der­zei­ti­ge Obe­re der Jesui­ten­nie­der­las­sung in Cor­do­ba im Buch bestä­tigt, daß der „ein­mal so bril­lan­te“ Ex-Pro­vin­zi­al exi­liert wor­den war, „weil er krank, ver­rückt“ gewor­den sei.

Der „Parallel-Obere“ Bergoglio

Der 1979 auf Berg­o­glio gefolg­te Pro­vin­zi­al, Pater Andrés Swin­nen, der sei­nem Vor­gän­ger immer ver­bun­den blieb, lie­fert eine sub­stan­ti­el­le­re Erklä­rung der Exi­lie­rung. Die „Schuld“ Berg­o­gli­os sei es gewe­sen, daß er auch nach dem Ende sei­nes Man­dats als Pro­vin­zi­al wei­ter­hin als Anfüh­rer einer Frak­ti­on inner­halb der Ordens­pro­vinz auf­trat und Ein­fluß aus­zu­üben versuchte.

Zuerst hat­te man ihn zum Rek­tor des Cole­gio Maxi­mo von San Miguel gemacht. Dann schick­te man ihn zum Dok­to­rats­stu­di­um nach Deutsch­land. Doch in Frank­furt am Main blieb er nur ganz kurz. In den weni­gen Mona­ten, die er sich in Deutsch­land auf­hielt, rei­ste er viel und besuch­te die ver­schie­de­nen Jesui­ten­nie­der­las­sun­gen. Man hat­te ihn aus Argen­ti­ni­en abzu­schie­ben ver­sucht. Das erklärt auch, wes­halb es nie zum Stu­di­um, dem offi­zi­el­len Auf­ent­halts­grund kam. Doch nach kur­zer Zeit gelang ihm die Rück­kehr in sei­ne Hei­mat. Nun schick­te man ihn an das Cole­gio del Sal­va­dor, wo er Theo­lo­gie unter­rich­te­te. Doch wo immer er auch hin­ge­schickt wur­de, trat er „wie ein Par­al­lel-Obe­rer“ auf, so Pater Swin­nen. Auf die­se Wei­se beein­fluß­te er vie­le Jesui­ten, vor allem jün­ge­re Mit­brü­der. Inner­halb eines Jahr­zehnts von 1979, dem Ende von Berg­o­gli­os Amts­zeit als Pro­vin­zi­al, bis zu sei­ner Exi­lie­rung 1990 ver­lie­ßen mehr als 100 jun­ge argen­ti­ni­sche Jesui­ten den Orden und gaben ihr Prie­ster­tum auf.

Exodus aus dem Orden, der Bergoglio angelastet wurde

Der Exodus wur­de Berg­o­glio ange­la­stet. Ein „Groß­teil der Aus­ge­tre­te­nen gehört der Grup­pe an, die nicht auf der Sei­te Berg­o­gli­os stan­den, son­dern sich viel­mehr sei­ner ent­le­di­gen woll­ten“, so Pater Swin­nen. Ob an sei­ner Sei­te oder gegen ihn, der ehe­ma­li­ge Pro­vin­zi­al spiel­te eine zen­tra­le Rol­le im pro­vinz­in­ter­nen Konflikt.

Das Buch lie­fert kei­ne nähe­ren Hin­ter­grün­de über die Grün­de des Kon­flik­tes. Lag es ledig­lich an der Per­sön­lich­keits­struk­tur Berg­o­gli­os und ande­rer Akteu­re oder ging es um inhalt­li­che Fra­gen von Glau­bens­leh­re und Kir­chen­ord­nung? Weder der amtie­ren­de Papst noch die im Buch zitier­ten Jesui­ten schei­nen die dama­li­gen Streit­punk­te, die zu so hand­fe­sten Kon­flik­ten führ­ten, „auf­wär­men“ zu wollen.

Cordobaner Exilschriften

Bis­her ist bekannt, daß Papst Fran­zis­kus in sei­nem Leben kein Buch geschrie­ben hat. Sei­ne schrift­li­che Hin­ter­las­sen­schaft beschränkt sich auf kür­ze­re Bei­trä­ge und Vor­wör­ter für eini­ge Bücher von ande­ren sowie zwei Bor­schü­ren, die erschie­nen, nach­dem er im Kon­kla­ve 2005 zum Gegen­spie­ler Joseph Ratz­in­gers wur­de. Bereits in die­ser Zeit als Erz­bi­schof von Bue­nos Aires bedien­te er sich Manu­el Fer­nan­dez‘ als Ghost­wri­ter. Ihn mach­te er zum Rek­tor der Päpst­li­chen Uni­ver­si­tät von Bue­nos Aires, Titu­lar­erz­bi­schof, Syn­oda­len der Bischofs­syn­ode über die Fami­lie und zum offi­zi­el­len päpst­li­chen Tex­te­schrei­ber. Auch das Apo­sto­li­sche Schrei­ben Evan­ge­lii Gau­di­um stammt maß­geb­lich aus sei­ner Feder. Das ist an sich nicht unge­wöhn­lich für Staats­män­ner und füh­ren­de Persönlichkeiten.

Um so mehr aber erstaunt, daß Papst Fran­zis­kus im Buch sagt, in sei­nem Cor­do­ba­ner Exil zwei Bücher geschrie­ben zu haben. Die Bücher tra­gen den Titel „Refle­xio­nes en espe­ran­za“ (Gedan­ken über die Hoff­nung) und vor allem „Cor­rup­ción y peca­do“ (Kor­rup­ti­on und Sün­de) und mei­nen die Bro­schü­ren. Letz­te­rer Text habe sei­nen Aus­gang wegen einer Tra­gö­die genom­men, der Ermor­dung einer 17-Jäh­ri­gen im Jahr 1990 durch Ange­hö­ri­ge der hohen Gesell­schaft. 2014 erschien er auch in deut­scher Übersetzung.

Evangelii gaudium und Romano Guardini

Die „Kor­rup­ti­on“ ist ein The­ma, das Papst Fran­zis­kus in sei­nen Pre­dig­ten immer wie­der auf­greift. Das katho­li­sche Kir­chen­ober­haupt sagt, im Exil das Stu­di­um von Roma­no Guar­di­ni wie­der­auf­ge­nom­men zu haben, um sei­ne Dis­ser­ta­ti­on über den deut­schen Reli­gi­ons­phi­lo­so­phen zu voll­enden. „Es ist mir nicht gelun­gen, sie abzu­schlie­ßen, aber die­ses Stu­di­um hat mir sehr gehol­fen bei dem, was danach auf mich zukam, ein­schließ­lich der Nie­der­schrift des Apo­sto­li­schen Schrei­bens Evan­ge­lii gau­di­um, des­sen Teil über die sozia­len Kri­te­ri­en zur Gän­ze aus mei­ner Dok­tor­ar­beit über Guar­di­ni ent­nom­men ist“.

Die nie voll­ende­te Dis­ser­ta­ti­on ist nicht bekannt, aber in Evan­ge­lii gau­di­um fin­det sich tat­säch­lich ein aus­führ­li­ches Zitat von Guar­di­ni aus des­sen 1950 erschie­ne­ner Arbeit „Das Ende der Neu­zeit“. Das Zitat fin­det sich in den Absät­zen 217–237, in denen der Papst die Kri­te­ri­en dar­legt, die befolgt wer­den sol­len, um die För­de­rung des All­ge­mein­wohls und des sozia­len Frie­dens voranzubringen.

Inwie­weit sei­ne Art der Amts­füh­rung, ob als Pro­vin­zi­al, als „Par­al­lel-Obe­rer“, als Erz­bi­schof oder Papst mit den Kri­te­ri­en Guar­di­nis in Zusam­men­hang ste­hen, bedürf­te einer eige­nen Untersuchung.

Text: Set­ti­mo Cielo/​Giuseppe Nardi
Bild: MiL

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