Recht und Pflicht zum Widerstand gegen Hirten, die ihre Pflicht nicht erfüllen


Papst Franziskus
Papst Franziskus

(Rom) In sei­nem neu­en Auf­satz zeigt der Histo­ri­ker Rober­to de Mat­tei neue Pro­ble­me auf, die sich in der aktu­el­len Situa­ti­on für Katho­li­ken stel­len. Dazu gehö­re die Fra­ge, ob es ein Wider­stands­recht, ja eine Wider­stands­pflicht der Katho­li­ken gegen Hir­ten gibt, die ihrem Auf­trag nicht nach­kom­men, und soll­te es der Papst selbst sein. Die Fra­ge betref­fe auch das Aus­maß und die Gren­zen eines sol­chen Wider­stands­rechts. Die Beant­wor­tung set­ze eine genaue Kennt­nis der päpst­li­chen Auto­ri­tät vor­aus, wie sie durch das Erste Vati­ka­ni­sche Kon­zil defi­niert wurde.

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von Rober­to de Mattei*

Die histo­ri­sche Pha­se, die sich nach der Syn­ode 2014 auf­tut, ver­langt von den Katho­li­ken nicht nur die Bereit­schaft zur Pole­mik und zum Kampf, son­dern auch eine Hal­tung umsich­ti­gen Nach­den­kens und der genau­en Beschäf­ti­gung mit den neu­en Pro­ble­men, die auf dem Tisch lie­gen. Das erste die­ser Pro­ble­me ist das Ver­hält­nis der Gläu­bi­gen zu einer Auto­ri­tät, die ihrer Auf­ga­be nicht nach­zu­kom­men scheint. Kar­di­nal Bur­ke sprach in einem Inter­view mit Vida Nue­va vom 30. Okto­ber davon, daß „es einen star­ken Ein­druck gibt, als sei die Kir­che wie ein Schiff ohne Steu­er­ru­der“. Ein kräf­ti­ges Bild, das tat­säch­lich dem all­ge­mei­nen Erschei­nungs­bild entspricht.

Republikanisierung und ständige Synodalität der Kirche zerschellen an Pastor aeternus

Der zu beschrei­ten­de Weg in die­ser kon­fu­sen Situa­ti­on ist sicher nicht der, sich in der Lei­tung der Kir­che an die Stel­le des Pap­stes und der Bischö­fe set­zen zu wol­len, denn der ober­ste Steu­er­mann der Kir­che bleibt immer Jesus Chri­stus. Die Kir­che ist eben kei­ne demo­kra­ti­sche Ver­samm­lung, son­dern eine mon­ar­chi­sche und hier­ar­chi­sche Gesell­schaft, die gött­lich auf der Insti­tu­ti­on des Papst­tums gegrün­det ist, das ihren uner­setz­li­chen Grund­stein bil­det. Der pro­gres­si­ve Traum, die Kir­che zu repu­bli­ka­ni­sie­ren und sie in einen Zustand stän­di­ger Syn­oda­li­tät umzu­wan­deln, ist dazu ver­ur­teilt, an der Kon­sti­tu­ti­on Pastor aeter­nus des Ersten Vati­can­ums zu zer­schel­len, das nicht nur das Unfehl­bar­keits­dog­ma, son­dern vor allem die ober­ste und unmit­tel­ba­re Voll­macht des Pap­stes über alle Bischö­fe und die gan­ze Kir­che definierte.

Päpstlicher Primat

Heiliger Athanasius
Hei­li­ger Athanasius

In den Dis­kus­sio­nen des Ersten Vati­ka­ni­schen Kon­zils behaup­te­te die Min­der­heit der Unfehl­bar­keits­geg­ner in Wie­der­ho­lung kon­zi­lia­ri­sti­scher und gal­li­ka­ni­scher The­sen, daß die Auto­ri­tät des Pap­stes nicht nur beim Papst lie­ge, son­dern bei dem mit den Bischö­fen ver­ein­ten Papst. Eine klei­ne Grup­pe von Kon­zils­vä­tern bat Pius IX. im dog­ma­ti­schen Text fest­zu­stel­len, daß der Papst durch das Zeug­nis der Kir­chen („nixus testi­mo­nio Eccle­si­arum“) unfehl­bar sei, doch der Papst leg­te in ent­ge­gen­ge­setz­ter Rich­tung Hand an das Sche­ma, indem er der For­mel „ideo­que eius­mo­di Roma­ni Pon­ti­fi­cis defi­ni­tio­nis esse ex se irre­for­ma­bi­lis“ noch den Ein­schub „non autem ex con­sen­su Eccle­siae“ hin­zu­füg­te (Des­halb las­sen sol­che Lehr­ent­schei­dun­gen des römi­schen Pap­stes kei­ne Abän­de­rung mehr zu, und zwar schon von sich aus, nicht erst infol­ge der Zustim­mung der Kir­che). Damit wur­de end­gül­tig geklärt, daß die Zustim­mung der Kir­che abso­lut kei­ne Bedin­gung für die Unfehl­bar­keit dar­stellt. Am 18. Juli wur­de in Anwe­sen­heit einer gro­ßen Men­schen­men­ge, die dicht­ge­drängt den Peters­dom füll­te, die Schluß­fas­sung der Apo­sto­li­schen Kon­sti­tu­ti­on Pastor aeter­nus mit 525 gegen zwei Stim­men ange­nom­men. 50 Ver­tre­ter der Oppo­si­ti­on ent­hiel­ten sich. Sofort nach der Abstim­mung pro­mul­gier­te sie Pius IX. fei­er­lich als Glaubensregel.

Die Kon­sti­tu­ti­on Pastor aeter­nus legt fest, daß der Pri­mat des Pap­stes in einem ober­sten Juris­dik­ti­ons­pri­mat über alle Hir­ten und die gesam­te Her­de der Gläu­bi­gen auf dem gesam­ten Erdenkreis besteht, der unab­hän­gig von jeder ande­ren Gewalt ist. Er besitzt die­se höch­ste Voll­macht nicht weil sie ihm durch alle Bischö­fe über­tra­gen wur­de, son­dern Kraft gött­li­cher Rechts­an­ord­nung. Die Grund­la­ge der päpst­li­chen Sou­ve­rä­ni­tät besteht nicht im Cha­ris­ma der Unfehl­bar­keit, son­dern im apo­sto­li­schen Pri­mat, über den der Papst als Nach­fol­ger des Petrus und Apo­stel­fürst über die Welt­kir­che ver­fügt. Der Papst ist nicht unfehl­bar, wenn er sei­ne Regie­rungs­voll­macht aus­übt. Die Geset­ze der Kir­che kön­nen sich, im Gegen­satz zum Got­tes­ge­setz und Natur­recht, ändern. Die mon­ar­chi­sche Ver­fas­sung der Kir­che, die dem römi­schen Papst die Fül­le der Auto­ri­tät anver­traut, ist gött­li­chen Rechts und wird durch das Cha­ris­ma der Unfehl­bar­keit garan­tiert. Die­se Juris­dik­ti­on umfaßt neben der Regie­rungs­ge­walt auch die ober­ste Lehrgewalt.

Privileg und Grenzen klar definiert

Die Kon­sti­tu­ti­on Pastor aeter­nus legt mit gro­ßer Klar­heit die Bedin­gun­gen für die päpst­li­che Unfehl­bar­keit fest. Die­se Bedin­gun­gen wur­den umfas­send am 11. Juli 1870 von Bischof Vin­zenz Gas­ser von Bri­xen in sei­ner Funk­ti­on als offi­zi­el­ler Bericht­erstat­ter der Glau­bens­de­pu­ta­ti­on auf dem Kon­zil dar­ge­legt. Bischof Gas­ser prä­zi­sier­te in erster Linie, daß der Papst nicht als Pri­vat­per­son unfehl­bar ist, son­dern nur in sei­ner öffent­li­chen Auf­ga­be als Kir­chen­ober­haupt und als sol­ches übt der Papst sein Amt aus, wenn er als uni­ver­sa­ler Leh­rer und Hir­te ex cathe­dra spricht. Zwei­tens muß der Papst zu Fra­gen des Glau­bens und des sitt­li­chen Lebens, res fidei vel morum, Stel­lung neh­men. Schließ­lich muß er den Wil­len haben, in der Fra­ge, zu der er Stel­lung nimmt, eine end­gül­ti­ge Ent­schei­dung zu tref­fen. Die Natur der Hand­lung, in der der Papst unfehl­bar agiert, muß im Verb defi­ni­re zum Aus­druck kom­men, das sich auf das ex cathe­dra bezieht.

Papsttum zwischen Gipfel heroischer Treue und Abgrund der Apostasie

Die Unfehl­bar­keit des Pap­stes bedeu­tet in kei­ner Wei­se, daß er in Ange­le­gen­hei­ten der Regie­rung und des Lehr­am­tes über eine unbe­grenz­te und will­kür­li­che Voll­macht ver­fügt. Das Unfehl­bar­keits­dog­ma defi­niert einer­seits ein höch­stes Pri­vi­leg, legt aber gleich­zei­tig prä­zi­se Gren­zen fest, die sogar die Mög­lich­keit der Untreue, des Irr­tums und des Ver­rats berück­sich­ti­gen. Wäre dem nicht so, gäbe es kei­ne Not­wen­dig­keit, in den Gebe­ten für den Papst dafür zu bit­ten „ut non tra­dat eum in ani­mam ini­micorum eius“. Wenn es unmög­lich wäre, daß der Papst in das feind­li­che Lager über­wech­selt, bräuch­te man nicht dafür zu beten, daß das nicht geschieht. Der Ver­rat des Petrus ist das Para­dig­ma einer mög­li­chen Treu­lo­sig­keit, die seit­her auf allen Päp­sten der Geschich­te bis zum Ende der Zei­ten lastet. Der Papst, obwohl er die höch­ste Auto­ri­tät auf Erden ist, bewegt sich zwi­schen dem Gip­fel einer heroi­schen Treue zu sei­nem Man­dat und dem immer gegen­wär­ti­gen Abgrund der Apo­sta­sie. Das sind die Pro­ble­me, die das Erste Vati­ka­ni­sche Kon­zil noch zu behan­deln hat­te, wäre es am 20. Okto­ber 1870 einen Monat nach dem Ein­drin­gen der ita­lie­ni­schen Trup­pen in Rom nicht unter­bro­chen und auf unbe­stimm­te Zeit ver­tagt worden.

Aktuelle Frage: Ist es möglich dem Papst zu widerstehen, der seinem Auftrag nicht nachkommt?

Widerstandsrecht in der Kirche
Wider­stands­recht in der Kir­che: Aus­maß und Grenzen?

Das sind die Pro­ble­me, die von den der Tra­di­ti­on ver­bun­de­nen Katho­li­ken heu­te stu­diert und ver­tieft wer­den müs­sen, ohne in irgend­ei­ner Wei­se die Unfehl­bar­keit des Pap­stes und sei­ne ober­ste Regie­rungs­ge­walt zu leug­nen: Ist es mög­lich und wenn ja auf wel­che Wei­se dem Papst zu wider­ste­hen, wenn die­ser sei­nem Auf­trag nicht nach­kommt, die unver­kürz­te Wei­ter­ga­be des von Jesus Chri­stus der Kir­che über­ge­be­nem depo­si­tum des Glau­bens und der Moral zu garantieren?

Lei­der war das nicht der vom Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil beschrit­te­ne Weg, obwohl es das Erste Vati­ca­num fort­set­zen und in gewis­ser Wei­se inte­grie­ren woll­te. Die The­sen der Min­der­heit der Unfehl­bar­keits­geg­ner, die von Pius IX. besiegt wur­den, tra­ten in der Aula des Zwei­ten Vati­can­ums im Gewand des Kol­le­gia­li­täts­prin­zips wie­der auf. Laut der Mei­nung eini­ger Ver­tre­ter der Nou­vel­le Théo­lo­gie, wie Pater Yves Con­gar, hol­te sich die Min­der­heit von 1870 nach fast einem Jahr­hun­dert eine auf­se­hen­er­re­gen­de Revan­che. Wenn das Erste Vati­ca­num den Papst als Spit­ze einer hier­ar­chi­schen und sicht­ba­ren socie­tas per­fec­ta kon­zi­pier­te, nah­men das Zwei­te Vati­ca­num und vor allem nach­kon­zi­lia­re Maß­nah­men eine Neu­ver­tei­lung der Macht im hori­zon­ta­len Sinn vor, indem sie die­se in Rich­tung der Bischofs­kon­fe­ren­zen und syn­oda­ler Struk­tu­ren ver­scho­ben. Heu­te scheint die Auto­ri­tät der Kir­che dem „Volk Got­tes“ über­tra­gen wor­den zu sein, das die Diö­ze­sen, Basis­ge­mein­schaf­ten, Pfar­rei­en, Bewe­gun­gen und Ver­bän­de der Gläu­bi­gen umfaßt. Die dem Papst ent­zo­ge­ne Unfehl­bar­keit und ober­ste Juris­dik­ti­ons­ge­walt wer­den der katho­li­schen Basis zuge­schrie­ben, wäh­rend die Hir­ten der Kir­che sich dar­auf beschrän­ken sol­len, die Wün­sche der Basis zu inter­pre­tie­ren und zu artikulieren.

Horizontale Umverteilung der Macht und ihre katastrophalen Folgen

Die Bischofs­syn­ode von Okto­ber mach­te die kata­stro­pha­len Ergeb­nis­se die­ser neu­en Ekkle­sio­lo­gie offen­sicht­lich, die den Anspruch erhebt, auf einem „all­ge­mei­nen Wil­len“ zu grün­den, die durch Mei­nungs­um­fra­gen und Fra­ge­bö­gen zum Aus­druck kommt. Was aber ist der Wil­len des Pap­stes, dem durch gött­li­ches Man­dat der Auf­trag zukommt, das gött­li­che Gesetz und das Natur­recht zu bewah­ren? Sicher ist, daß in Kri­sen­zei­ten, wie jener, die wir erle­ben, alle Getauf­ten das Recht haben, ihren Glau­ben zu ver­tei­di­gen, auch indem sie sich jenen Hir­ten wider­set­zen, die ihrer Ver­pflich­tung nicht nach­kom­men. Die wirk­lich recht­gläu­bi­gen Hir­ten und Theo­lo­gen haben ihrer­seits die Auf­ga­be, das Aus­maß und die Gren­zen die­ses Wider­stands­rechts zu stu­die­ren und aufzuzeigen.

Einleitung/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Wikicommons/​Ars Christiana

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