(Rom) Der Papst verunsichert viele Bischöfe. Diesen Schluß zieht der Vatikanist Sandro Magister in einem ausführlichen Interview der Tageszeitung Italia Oggi. Der Grund dafür? „Weil er auf mehreren Ebenen gleichzeitig spielt und sich häufig sogar selbst widerspricht.“
Sandro Magister ist seit 40 Jahren Chronist der Ereignisse im Vatikan. 1974 veröffentlichte er seine ersten Artikel im italienischen „Spiegel“, dem Wochenmagazin L’Espresso. Noch immer berichtet er wöchentlich auf den Spalten dieser Zeitschrift über alles, was wichtig war jenseits des Tibers und in der Weltkirche. Sein Hintergrundwissen ist enorm und dennoch behielt er sich in den Jahren eine freie Meinung.
Geboren 1943 in Busto Arsizio bei Mailand, studierte er Philosophie und Theologie an der Katholischen Universität in der lombardischen Metropole und begleitet beruflich nun schon das fünfte Pontifikat.
Italia Oggi: Papst Bergoglio hat in diesen Monaten einen planetarischen Erfolg genossen. Er hat aber auch einige Entscheidungen getroffen, die nachdenklich stimmen. Zum Beispiel hat ausgerechnet er, der sich als Bischof von Rom vorstellte, bei der Bischofssynode über die Familie sogar das Kirchenrecht herausgezogen, um festzuhalten, daß er über Petrinische Macht verfügt.
Sandro Magister: Ja, das stimmt, und zwar in seiner Abschlußrede.
Italia Oggi: Er hat eine einvernehmliche und offene Sicht der Kirchenregierung skizziert, dann aber die Franziskaner der Immakulata unter kommissarische Verwaltung gestellt und das sogar mit recht harten Methoden und hat faktisch den Bischofskonferenzen einen Maulkorb umgehängt.
Sandro Magister: Einige, darunter auch die italienische, sind faktisch vernichtet.
Italia Oggi: Und in seiner Ansprache vor den Volksbewegungen schien es eher, als würde man bestimmte Analysen von Toni Negri [1]marxistischer Staatstheoretiker, 1969 Mitgründer der linksextremen Gruppe „Arbeitermacht“ (Potere Operaio), 1973 Gründer der linksextremen Gruppe „Organisierte Selbstverwaltung“ (Autonomia … Continue reading hören. Gleichzeitig akzeptierte er aber die „Entlassung“ von 500 Kalligraphen, Malern und Druckern, weil der neue vatikanische Almosenier entschieden hat, sie nicht mehr zu brauchen.
Sandro Magister: In der Tat schreit diese Sache etwas…
Italia Oggi: … so wie die harten supergarantistischen Positionen zu Justiz und Strafvollzug schreien, während er selbst den ehemaligen Nuntius für die Dominikanische Republik, dem ein Verfahren wegen Pädophilie bevorsteht, in Sicherheitsgewahrsam nehmen ließ.
Sandro Magister: So hat es sich zugetragen.
Widersprüche sind Teil der Persönlichkeit von Jorge Bergoglio
Italia Oggi: Sie sind schon lange Vatikanist. Was für einen Eindruck haben Sie gewonnen?
Sandro Magister: Daß es Widersprüche gibt und daß sie ein Teil der Persönlichkeit von Jorge Bergoglio sind. Das ist ein begründetes Urteil, das auf den Beobachtungen von nun doch schon etlichen Monaten beruht.
Italia Oggi: Welche Schlußfolgerungen ziehen Sie daraus?
Sandro Magister: Er ist eine Person, die im Lauf ihres Lebens und nun auch als Papst, auf verschiedenen Registern gleichzeitig spielt, Baustellen offenläßt und viele Widersprüche. Allerdings sind die von Ihnen genannten nicht die einzigen.
Italia Oggi: Nennen wir andere …
Sandro Magister: Der eines äußerst gesprächigen Papstes, der telefoniert, der sich den verschiedensten Personen nähert, auch den fernsten, aber zum Fall Asia Bibi schweigt.
Italia Oggi: Die wegen Beleidigung des Islam zum Tode verurteilte Pakistanerin, die seit Jahren im Gefängnis sitzt.
Sandro Magister: Genau. Zu ihrem Fall hat Papst Franziskus kein Wort verloren. Genausowenig zu den in Nigeria entführten christlichen Mädchen, oder zur unfaßbaren, vor wenigen Tagen in Pakistan verübten Tat, bei der ein christliches Ehepaar bei lebendigem Leib in einem Ofen verbrannt wurde.
Italia Oggi: Es handelt sich um Geschichten, die das Verhältnis zum Islam betreffen, auf den wir noch zurückkommen. Diese Widersprüche nennen manche bereits „jesuitisch“, im Sinne von schillernd.
Sandro Magister: Ein solcher Zusammenhang wäre abwertend und nicht akzeptabel, auch wenn es wahr ist, daß die Spiritualität der Jesuiten historisch bewiesen hat, sich den verschiedensten Situationen anpassen zu können, manchmal auch solchen, die im Widerspruch zueinander stehen.
Ablauf der Bischofssynode von Papst Franziskus penibel kalkuliert
Italia Oggi: Widersprüchlich schien auch die Handhabung der jüngsten Synode.
Sandro Magister: Eine Handhabung, die vom Papst penibel kalkuliert war und bei der er nichts dem Zufall überlassen wollte, wie man hingegen glauben machen wollte, und die zahlreiche weitere widersprüchliche Elemente enthält.
Italia Oggi: Zum Beispiel?
Sandro Magister: Bergoglio sagte, und zwar wiederholt, die Lehre nicht anzurühren, sondern an der Seite der Tradition der Kirche zu stehen. Dann aber hat er Diskussionen angestoßen, wie die über die wiederverheiratet Geschiedenen, die in Wirklichkeit sogar Angelpunkte der Lehre berühren.
Italia Oggi: Warum?
Sandro Magister: Weil es unabwendbar ist, daß die Kommunion für die wiederverheiratet Geschiedenen zur Anerkennung der Zweitehe und damit zur Aufhebung des sakramentalen Ehebandes führt.
Verunsicherung reicht bis in die höchsten Kirchenkreise
Italia Oggi: Ich bin kein Vatikanist, aber von außen hat man den Eindruck, daß sich eine gewisse Verunsicherung ausbreitet und das nicht nur in der kirchlichen Hierarchie. Und das übrigens nicht nur in Bereichen, die man als traditionalistisch bezeichnen könnte …
Sandro Magister: Das steht außer Zweifel. Es gibt Kirchenvertreter von beachtlichem Rang, die gewiß keine Lefebvrianer sind, die das zu verstehen geben, auch wenn sie es nicht mit drastischen Worten und kritisierendem Ton sagen. Nicht einmal Kardinal Raymond Leo Burke, der kürzlich abgesetzte ehemalige Präfekt der Apostolischen Signatur hat es getan, weil es gar keine Richtung gibt, die dem Papst vorurteilsbeladen feindlich gesinnt ist. Allerdings gibt es offensichtliche Zeichen eines sich ausbreitenden Unbehagens.
Italia Oggi: Vielleicht einige Beispiele?
Sandro Magister: Nehmen wir den US-amerikanischen Episkopat und damit die Bischöfe eines der zahlenmäßig stärksten katholischen Völker der Erde. Diese Bischofskonferenz verfolgte in den vergangenen Jahren eine konsequente und kämpferische Linie auf öffentlichem Terrain, auch gegen bestimmte Entscheidungen von Präsident Barack Obama zu ethischen Fragen. Eine Linie, die von zahlreichen führenden Prälaten geteilt wurde. Ein Führungskern in der Kirche, könnte man sagen.
Italia Oggi: Und heute erleben die Amerikaner …?
Sandro Magister: Ein großes Unbehagen. Das gilt für die Kardinäle und Erzbischöfe wie Timothy Dolan von New York, Patrick O’Malley von Boston, José Gomez von Los Angeles oder Charles Chaput von Philadelphia. Ein Episkopat aus dem auch Burke stammt, der sicher nicht auf traditionalistische Kreise marginalisiert ist, sondern fester Bestandteil einer der solidesten Landeskirchen ist.
Feindseligkeiten von Kardinal Kasper losgetreten – Papst machte es möglich
Italia Oggi: Und auch die Italienische Bischofskonferenz, wie schon vorhin angedeutet, scheint etwas in Schwierigkeit zu sein.
Sandro Magister: Es bereitet Schwierigkeiten, mit diesem Papst Schritt zu halten mit einem Vorsitzenden Angelo Kardinal Bagnasco, der am meisten Schwierigkeiten von allen zu haben scheint.
Italia Oggi: Auch weil schon offen Erzbischof von Perugia, Gualtiero Bassetti, den Bergoglio zum Kardinal kreierte, als Nachfolger genannt wurde.
Sandro Magister: Meines Wissens gehört auch Bassetti zu den italienischen Bischöfen, die ein Unbehagen empfinden.
Italia Oggi: Unter den Italienern sind vielleicht der Mailänder Erzbischof Angelo Kardinal Scola und der Erzbischof von Bologna, Carlo Kardinal Caffarra zu denen, die die größten Schwierigkeiten mit Franziskus haben, zu zählen .
Sandro Magister: Das waren sie mit ihren Wortmeldungen vor und auf der Synode. Das war jedoch unvermeidlich, nachdem der Papst die Entscheidung getroffen hatte, Kardinal Walter Kasper die Diskussion eröffnen und damit die Feindseligkeiten lostreten zu lassen.
Italia Oggi: Warum?
Sandro Magister: Weil Kasper heute genau dieselben Thesen wieder auflegt, die 1993 an Johannes Paul II. und Joseph Ratzinger, damals im Amt des Glaubenspräfekten, gescheitert waren.
Stockhiebe gegen Traditionalisten viel häufiger und gezielter ausgeführt
Italia Oggi: Ja, der Papst hat Kasper gefördert, er hat Msgr. Bruno Forte zum Sondersekretär der Synode gemacht, der die Arbeiten so belastete, daß er Reaktionen von Synodenvätern provozierte, aber dann am Ende ermahnte Franziskus die einen wie die anderen, fast wie ein alter DCler (italienischer Christdemokrat) gegen die entgegengesetzten Extreme.
Sandro Magister: Das ist ein weiteres, sich wiederholendes Modul, in dem sich dieses Pontifikat ausdrückt: Seitenhiebe gegen die einen und die anderen. Wenn man aber die Summe macht, wird deutlich, daß die Stockhiebe gegen die Traditionalisten, die Legalisten, die Verteidiger der Glaubenslehre, sehr viel häufiger und gezielter ausgeführt werden. Wenn er sich hingegen gegen die Gutmenschen wendet, versteht man nie genau, wen er konkret damit meint.
Civiltá Cattolica-Leiter Sprecher des Papstes – Manuel Fernandez sein Ghostwriter
Italia Oggi: Mit der Synode trat der Chefredakteur der Civiltà Cattolica, Pater Antonio Spadaro immer mehr in den Vordergrund.
Sandro Magister: Er gebärdet sich inzwischen als Sprecher des Papstes und die Zeitschrift der Jesuiten, die sich im schrittweisen Niedergang befand (schon mit ihm als Chefredakteur, der sich viel mit Internet und Social Network befaßte), ist mit einem Schlag zum Sprachrohr der höchsten Spitze des Vatikans geworden. Vor allem seit dem ersten großen Interview mit dem Jesuitenpapst. Während der Ghostwriter von Franziskus Manuel Fernandez ist, der Rektor der Katholischen Universität von Buenos Aires, den der Papst zum Erzbischof machte. Mit Fernandez hat Franziskus Evangelii Gaudium geschrieben, so wie er schon vorher mit ihm das Dokument von Aparecida in Brasilien von 2007 verfaßt hat, als der damalige Erzbischof von Buenos Aires die Konferenz der lateinamerikanischen Bischöfe leitete, ein Dokument das für Viele die Vorwegnahme dieses Pontifikats war.
Italia Oggi: Im Widerspruch zum großen Zuspruch gibt es auch andere, wie den Publizisten Antonio Socci, der sogar die Gültigkeit der Papstwahl in Frage stellt. Haben Sie sein Buch: Non é Francesco (Er ist nicht Franziskus, Verlag Mondadori) gelesen?
Sandro Magister: Ich habe es an einem Abend gelesen, in einem Atemzug, trotz seiner 300 Seiten. Und das nicht wegen der Ungültigkeitsthese, weil ein Wahlgang im Konklave wegen eines weißen Stimmzettels zuviel annulliert wurde. Eine These, die meines Erachtens haltlos ist.
Antonio Soccis Buch rekonstruiert die Widersprüche dieses Pontifikats
Italia Oggi: Warum war die Lektüre dennoch interessant?
Sandro Magister: Wegen dem, was den Erfolg des Buches ausmacht, sodaß es heute die Bestsellerlisten anführt und alle anderen Bücher von und über Bergoglio überrundet hat: Es rekonstruiert mit unwiderlegbaren Fakten die Widersprüche, von denen wir bereits gesprochen haben.
Italia Oggi: Ein Buch, über das niemand offiziell spricht, scheint die enorme Popularität von Franziskus herauszufordern. Dem großen Zuspruch für Papst Franziskus zum Trotz nimmt die religiöse Praxis aber nicht zu, vielmehr wächst die Abneigung, auch die öffentliche, gegen die Katholische Kirche. Bergoglio Ja, Kirche Nein?
Sandro Magister: Auch die Popularität der Vorgänger, das sollten wir nicht vergessen, war sehr groß. Johannes Paul II. erlebte einen Welterfolg und das nicht erst in seinen letzten, durch Krankheit gezeichneten Jahren. Und auch Benedikt XVI. erreichte 2007 und 2008 in den Umfragen die höchsten Werte, auch wenn man das dann schnell in Vergessenheit fallenließ. Seine Reise in die USA war der Höhepunkt mit einem großen und positiven Empfang auch durch die weltliche Öffentlichkeit.
Vorgänger in der Kirche populär – Franziskus außerhalb
Italia Oggi: Wo liegt der Unterschied?
Sandro Magister: Daß die Vorgänger vor allem innerhalb der Kirche populär waren, auch wenn sie von beachtlichen Teilen der nicht christlichen öffentlichen Meinung bekämpft wurden. Die Popularität von Franziskus hingegen steht außerhalb der Kirche, auch wenn sie keine Wellen von Konvertiten hervorbringt. Im Gegenteil, die kirchenferne, dem Christentum feindlich gesinnte Kultur scheint ihn mit einer gewissen Befriedigung zu sehen.
Italia Oggi: In welcher Hinsicht?
Sandro Magister: Indem sie sehen, daß das Kirchenoberhaupt sich ihren Positionen annähert, die er zu verstehen und sogar zu akzeptieren scheint. Die Sache mit den wiederholten Gesprächen mit Eugenio Scalfari steht beispielhaft dafür: der Papst akzeptiert, daß der Gründer der Repubblica, der bisher einer der härtesten Gegner der Päpste war, von diesen Gesprächen veröffentlicht, was er will.
Italia Oggi: Mehr noch: Scalfari selbst hat erklärt, auch veröffentlicht zu haben, was Bergoglio gar nicht gesagt hatte.
Sandro Magister: Genau, in all dem ist keine Annäherung an das Christentum zu erkennen. Das Christentum aus dem Mund Bergoglios ist nicht mehr provokant, es macht keine Probleme mehr, man kann es sogar mit Höflichkeit behandeln, überlegen und distanziert. Das Christentum zählt weniger. Es genügt an den italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi zu denken, einen Katholiken. Was die Italienische Bischofskonferenz macht, hat keinerlei Bedeutung. Kurzum, aus einer Situation der Konfrontation und des Konflikts, sind wir zum Desinteresse übergegangen.
Papst schweigt zum Islam: „Sehe darin keine Hilfe für die Christen in islamischen Staaten“
Italia Oggi: Mit der islamischen Welt geht Papst Franziskus sehr leise um. Und auch Staatssekretär Pietro Parolin war bei seiner jüngsten Rede vor der UNO sehr zurückhaltend. Einige sprechen von einer großen Vorsicht und verweisen auf die Regensburger Rede von Benedikt XVI., die gewaltsame Reaktionen mit Toten auslöste.
Sandro Magister: Das ist eine bis zum Extrem getriebene Vorsicht. Konkret kann ich nicht erkennen, welchen Vorteil das bringen soll. Es scheint mir nicht, daß daraus eine Hilfe, auch nur eine winzige, für die Christen in den islamischen Regionen wird. Die Vorsicht könnte man verstehen, wenn man sie in Proportion zu den Auswirkungen mißt. Sie hätte Gültigkeit, wenn dadurch geringerer Schaden angerichtet würde, was an das Schweigen von Pius XII. zu den Juden erinnert.
Italia Oggi: Eine historische Polemik, die noch immer geführt wird …
Sandro Magister: Papst Pacelli unternahm alles erdenklich Mögliche, um die Juden auch persönlich im Vatikan zu retten. Heute wissen wir das. Er zögerte aber, die Sache öffentlich anzuklagen, weil er in größerem Maßstab befürchtete, was in den Niederlanden geschehen war, wo es nach einer öffentlichen Anklage durch die Bischöfe zu einer noch brutaleren Judenverfolgung gekommen ist.
Italia Oggi: Heute dauert dieses Schweigen aber an.
Sandro Magister: Ausgenommen Kardinal Jean-Louis Tauran, Präfekt für den interreligiösen Dialog, der auch mit harten Urteilen nicht spart.
Italia Oggi: Der springende Punkt ist also?
Sandro Magister: Daß es Mächtige wie den Islamischen Staat (IS) gibt, bei dem man sich zu sehr beeilt, zu sagen, daß er nichts mit dem Islam zu tun hätte, sondern von einem radikalen Islamismus genährt würde, der für sich die Frage der Vernunft noch nicht geklärt habe und damit das Verhältnis zwischen Glauben und Gewalt. Genau das hatte Papst Benedikt XVI. in Regensburg beklagt. Der bisher einzige wirkliche Dialog zwischen Christentum und Islam wurde durch eben jene Rede ausgelöst, indem 138 Moslemvertreter mit einem Brief reagierten.
Italia Oggi: Auch wenn der Besuch von Benedikt XVI. in der Blauen Moschee in Istanbul im Jahr darauf als Wiedergutmachung gesehen wurde.
Sandro Magister: Ratzinger konnte sich diese Geste erlauben, gerade weil er in Regensburg gesagt hat, was er gesagt hat. Sein Urteil war nicht unklar und rätselhaft. Man hat es sehr gut verstanden, weil er es kristallklar ausgesprochen hatte.
Franziskus „läßt häufig Worte und Gesten absichtlich im Unklaren“
Italia Oggi: Und Franziskus redet klar?
Sandro Magister: Nicht immer. Als er in Betlehem an der Mauer stehenbleibt, die die Palästinensergebiete von Israel trennen und in völliger Stille verharrt, weiß man nicht recht, was er damit sagen will. Und wenn er auf Lampedusa „Schande“ ruft, ist nicht klar, wer weshalb sich schämen sollte. Italien, das Tausende und Abertausende Leben gerettet hat? Warum sagt er es nicht? Häufig werden Worte und Gesten absichtlich im Unklaren gelassen.
Italia Oggi: Es fehlt die Zeit, um über vatikanische Angelegenheiten zu sprechen, wie jener von Ettore Gotti-Tedeschi, der aus der Vatikanbank IOR unter Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone entfernt wurde, dessen Anständigkeit seither aber mehrfach bestätigt wurde. Auch durch die Archivierung des Ermittlungsverfahrens durch die italienische Justiz.
Sandro Magister: Dennoch wird ihm die Rehabilitierung verweigert. Er bat Papst Franziskus um ein Gespräch, das ihm jedoch verweigert wurde.
Italia Oggi: Die Kirche als „Feldlazarett“, das aber manchmal die Türen verschlossen hält?
Sandro Magister. So ist es.
Erstveröffentlichung: Italia Oggi, vom 13.11.2014
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: InfoVaticana
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↑1 | marxistischer Staatstheoretiker, 1969 Mitgründer der linksextremen Gruppe „Arbeitermacht“ (Potere Operaio), 1973 Gründer der linksextremen Gruppe „Organisierte Selbstverwaltung“ (Autonomia organizzata), 1979 wegen Terrorismus und Anschlag auf die verfassungsmäßige Ordnung verhaftet, gegen Negri wurde als „Kopf“ der Terrororganisation Rote Brigaden (BR) Anklage erhoben, 1984 wurde er in einem umstrittenen Prozeß zu 34 Jahren Gefängnis verurteilt, für die Radikale Partei von Marco Pannella 1983 in das Italienische Parlament gewählt, konnte er sich noch vor Aufhebung seiner Immunität nach Frankreich absetzen, wo er unter dem Schutz von Staatspräsident Mitterand seine politische Arbeit fortsetzte. Als in Italien die Linksregierung unter Ministerpräsident Romano Prodi regierte, handelte Negri eine weitgehende Amnestierung aus und kehrte 1997 nach Italien zurück, verbrachte nur ein Jahr im Gefängnis und weitere fünf Jahre als Freigänger, 2003 endete seine Strafe, 2002 veröffentlichte er mit Michael Hardt das Buch Imperium – Die neue Globalisierungsordnung, das zu einem politischen Manifest der linksradikalen Globalisierungsgegner wurde. |
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