Geopolitik des Vatikans: Wenn Petrus die Schlüssel der UNO abtritt


Papst Franziskus auf dem Rückflug von Straßburg
Papst Fran­zis­kus auf dem Rück­flug von Straßburg

(Rom) Am ver­gan­ge­nen 25. Novem­ber von Jour­na­li­sten gefragt, sprach Papst Fran­zis­kus auf dem Rück­flug von Straß­burg nach Rom erneut dar­über, wie der Aggres­si­on des Isla­mi­schen Staa­tes (IS) ent­ge­gen­zu­tre­ten sei und sprach sich erneut für eine Aus­lie­fe­rung aller Staa­ten an die UNO aus.

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„Es stimmt, es gibt die Gefahr die­ser Ter­ro­ri­sten. Es gibt aber auch eine ande­re Gefahr, das ist der Staats­ter­ro­ris­mus, wenn die Din­ge zuneh­men, zuneh­men, zuneh­men und jeder Staat auf eige­ne Faust meint, das Recht zu haben, die Ter­ro­ri­sten zu mas­sa­krie­ren, und mit dem Ter­ro­ri­sten ster­ben vie­le, die unschul­dig sind. Das ist eine Anar­chie auf höch­ster Ebe­ne, die sehr gefähr­lich ist. Mit dem Ter­ro­ris­mus muß man rin­gen, aber ich wie­der­ho­le, was ich auf der vori­gen Rei­se gesagt habe: wenn man einen unge­rech­ten Angrei­fer stop­pen muß, muß man es mit dem inter­na­tio­na­len Kon­sens tun.“

Die „vori­ge Rei­se“ mein­te den Rück­flug aus Süd­ko­rea, auf dem der Papst sag­te: „In die­sen Fäl­len, wo es sich um einen unge­rech­ten Angriff han­delt, kann ich nur sagen, dass es legi­tim ist, dem unge­rech­ten Angrei­fer Ein­halt zu gebie­ten. Ich unter­strei­che das Verb: Ein­halt gebie­ten. Ich sage nicht: bom­bar­die­ren, Krieg füh­ren, son­dern Ein­halt gebie­ten. Die Mit­tel, mit denen man Ein­halt gebie­ten kann, müs­sen abge­wo­gen wer­den. Dem unge­rech­ten Angrei­fer Ein­halt zu gebie­ten, ist erlaubt. Doch wir müs­sen auch ein Gedächt­nis haben! Wie oft haben die Mäch­te mit der Ent­schul­di­gung, dem unge­rech­ten Angrei­fer Ein­halt zu gebie­ten, Völ­ker an sich geris­sen und einen wirk­li­chen Erobe­rungs­krieg geführt! Eine ein­zel­ne Nati­on kann nicht dar­über urtei­len, wie einem unge­rech­ten Angrei­fer Ein­halt zu gebie­ten ist. Nach dem Zwei­ten Welt­krieg kam die Idee der Ver­ein­ten Natio­nen auf: Dort muss man dis­ku­tie­ren und sagen: „Ist es ein unge­rech­ter Angrei­fer? Anschei­nend ja. Wie gebie­ten wir ihm Ein­halt?“ Nur dies, und nichts mehr.“

Zwei neue Elemente zum Unterschied der bisherigen vatikanischen Geopolitik

„In bei­den Ant­wor­ten des Pap­stes fin­den sich im Gegen­satz zur bis­he­ri­gen Geo­po­li­tik des Vati­kans zwei neue Ele­men­te“, so der Vati­ka­nist San­dro Magister.

Das erste Ele­ment ist die Akzent­ver­schie­bung von den Gefah­ren eines Angriffs­krie­ges zu den Gefah­ren einer mili­tä­ri­schen Reak­ti­on auf einen Angriffs­krieg. Laut Papst Fran­zis­kus kann die Reak­ti­on noch gefähr­li­cher sein als der Angriff. Man müs­se sich dar­an erin­nern, daß die „Aus­re­de“, einen Angrei­fer zu stop­pen, in Wirk­lich­keit gan­ze Erobe­rungs­krie­ge zum Ziel hat­ten, die durch die natio­na­len Inter­es­sen eines Staa­tes gegen die eines ande­ren aus­ge­löst wur­den. Sie kann sogar zum „Staats­ter­ro­ris­mus“ wer­den, der durch will­kür­li­che Mas­sa­ker zusam­men mit dem Feind auch vie­le unschul­di­ge Opfer fordert.

Anspielung auf USA und Israel, ohne sie beim Namen zu nennen

„Wor­auf spielt der Papst damit an?“, fragt sich Magi­ster und gibt auch eine Ant­wort dazu: „Abge­se­hen von den USA ist zwei­fel­los Isra­el gemeint“. Aller­dings wür­de die Zer­stö­rung umge­kehrt auch den Juden­staat tref­fen, wenn er den vom Papst fest­ge­leg­ten Bedin­gun­gen fol­gen wür­de, wenn er näm­lich auf eine Geneh­mi­gung durch die UNO war­ten wür­de, um auf Angrif­fe zu reagieren.

Dar­in liegt das zwei­te neue Ele­ment: Die restrik­ti­ven Bedin­gun­gen, die laut Papst Fran­zis­kus ein­ge­hal­ten wer­den müs­sen, damit ein Staat legi­tim mit Waf­fen­ge­walt einen unge­rech­ten Angrei­fer bekämp­fen darf.

Johan­nes Paul II. und Bene­dikt XVI. folg­ten der kirch­li­chen Tra­di­ti­on, die jedem Staat als eine Haupt­auf­ga­be die Ver­ant­wor­tung zuer­kann­te, die eige­ne Bevöl­ke­rung von einem unge­rech­ten Angrei­fer zu beschüt­zen. Die­se Schutz­ver­ant­wor­tung sei eine Pflicht jedes Staa­tes, wäh­rend die „inter­na­tio­na­le Gemein­schaft“ nur ein­zu­grei­fen habe, wenn ein Staat nicht imstan­de wäre, die­sen Schutz zu gewähr­lei­sten. Die „inter­na­tio­na­le Gemein­schaft“ ist natür­lich kein neu­tra­ler Akteur, son­dern von den Inter­es­sen der star­ken Staa­ten gelei­tet, wes­halb die Päp­ste Zurück­hal­tung wal­ten lie­ßen. Papst Bene­dikt XVI. sprach vor der UNO-Voll­ver­samm­lung am 18. April 2008 über die Schutzverantwortung.

Statt Schutzverantwortung des Staates soll Entscheidung über Gewaltanwendung exkusiv bei UNO liegen

Kardinal Parolin vor der UNO-Vollversammlung
Kar­di­nal Paro­lin vor der UNO-Vollversammlung

Mit Papst Fran­zis­kus hin­ge­gen kön­ne nicht ein ein­zel­ner Staat dar­über ent­schei­den, wie ein unge­rech­ter Angrei­fer zu stop­pen sei. Die­se Ent­schei­dung und die dar­aus fol­gen­de Erlaub­nis, Gewalt anzu­wen­den, lie­ge immer und aus­schließ­lich bei der „inter­na­tio­na­len Gemein­schaft“ und damit bei der UNO.

Tat­säch­lich for­der­te Papst Fran­zis­kus in Sachen Isla­mi­scher Staat (IS) im ver­gan­ge­nen August die UNO auf, ein­zu­grei­fen, „um jene zu schüt­zen, die durch die Gewalt betrof­fen oder bedroht sind“ und um ihnen „die siche­re Rück­kehr in ihre Städ­te und ihre Häu­ser“ sicher­zu­stel­len. Eine sol­che Rück­kehr setzt, wenn es der Papst auch nicht sag­te, zunächst die bewaff­ne­te Rück­erobe­rung der betrof­fe­nen Gebie­te voraus.

Der glei­che Appell an die UNO wur­de im ver­gan­ge­nen Sep­tem­ber von Kar­di­nals­staats­se­kre­tär Pie­tro Paro­lin erneu­ert und im Okto­ber vom Stän­di­gen Beob­ach­ter des Hei­li­gen Stuhls bei den Ver­ein­ten Natio­nen in New York, dem Apo­sto­li­schen Nun­ti­us Ber­nar­di­to Auza wie­der­holt. Der Vati­kan­di­plo­mat Erz­bi­schof Auza war von Papst Fran­zis­kus am 1. Juli 2014 auf die­sen Posten beru­fen wor­den. Zwei Wochen spä­ter mach­te ihn der Papst auch zum Stän­di­gen Beob­ach­ter des Hei­li­gen Stuh­les bei der Orga­ni­sa­ti­on Ame­ri­ka­ni­scher Staa­ten (OAS).

Trotz der drei­fa­chen Auf­for­de­rung fehlt bis­her eine Reak­ti­on der UNO. Eine sol­che dürf­te wegen unter­schied­li­cher Inter­es­sen­la­gen der Veto­mäch­te auch in der näch­sten Zukunft nicht erfolgen.

Parolin brandmarkte „Apathie“ der UNO als „Synonym für Verantwortungslosigkeit“

Außenminister des Vatikans
Außen­mi­ni­ster des Vati­kans: Msgr. Mam­ber­ti (Mit­te) und sein Nach­fol­ger Msgr. Gal­lag­her (links) bei der Ver­lei­hung in Melbourne.

Bei sei­ner Rede am 29. Sep­tem­ber im UNO-Glas­pa­last in New York zöger­te Kar­di­nal­staats­se­kre­tär Paro­lin nicht, die „Apa­thie“ der UNO als „Syn­onym für Ver­ant­wor­tungs­lo­sig­keit“ zu brand­mar­ken. Kar­di­nal Paro­lin hielt der Vol­lersamm­lung vor, daß die UNO „mit dem grund­le­gen­den Ziel geschaf­fen wur­de, künf­ti­ge Gene­ra­tio­nen vor dem Hor­ror des Krie­ges zu ret­ten“. Heu­te aber schaue sie pas­siv den Feind­se­lig­kei­ten des Isla­mi­schen Staa­tes (IS) gegen eine schutz­lo­se Bevöl­ke­rung zu.

Inzwi­schen ist eine kom­pli­zier­te und nicht gefe­stig­te Staa­ten­ko­ali­ti­on in Syri­en und im Irak mit begrenz­ten, aber kei­nes­wegs ent­schlos­se­nen Mili­tär­in­ter­ven­tio­nen aktiv gewor­den. Die Koali­ti­on han­delt ohne UNO-Geneh­mi­gung und damit fehlt ihr eine zen­tra­le Vor­aus­set­zung für ein legi­ti­mes Vor­ge­hen, wie es Papst Fran­zis­kus definiert.

Der inzwi­schen zum Prä­fek­ten der Apo­sto­li­schen Signa­tur ernann­te bis­he­ri­ge Außen­mi­ni­ster des Vati­kans, Kuri­en­erz­bi­schof Domi­ni­que Mam­ber­ti sag­te am 24. Novem­ber in Mel­bourne, daß „die gegen­wär­ti­ge Lage in Syri­en und im Irak eine Not­la­ge ist, die eine schnel­le Ant­wort ver­langt“. Msgr. Mam­ber­ti wur­de von der Austra­li­an Catho­lic Uni­ver­si­ty (ACU) die Ehren­dok­tor­wür­de ver­lie­hen. Eine Gele­gen­heit mit sei­nem bereits ernann­ten Nach­fol­ger im „Außen­mi­ni­ste­ri­um“, Erz­bi­schof Paul Gal­lag­her zusam­men­zu­tref­fen, der noch Apo­sto­li­scher Nun­ti­us für Austra­li­en ist.

Manövriert Franziskus Vatikandiplomatie in die Sackgasse?

Der ent­schei­den­de Aspekt der Neu­aus­rich­tung der päpst­li­chen Welt­po­li­tik ist, daß er ganz unab­hän­gig von der Tat­sa­che, daß die UNO der­zeit gelähmt wirkt, alle Ent­schei­dun­gen im Block der UNO über­ge­ben hat. Man könn­te auch von einem Aus­lie­fern der Welt an die UNO spre­chen. „Damit hat sich der Hei­li­ge Stuhl aller­dings nicht nur in der Nah­ost-Fra­ge in eine Sack­gas­se manö­vriert. Mit einer sol­chen bedin­gungs­lo­sen Preis­ga­be jeder Sou­ve­rä­ni­tät bleibt dem Vati­kan auf diplo­ma­ti­schem Par­kett nur mehr die Waf­fe des Jam­merns“, so San­dro Magi­ster. Und das nicht nur wegen des fort­ge­setz­ten Leids, das die vom Isla­mi­schen Staat (IS) geschun­de­nen Men­schen in Syri­en und im Irak erdul­den haben.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Set­ti­mo Cielo/​Australische Bischofskonferenz

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