Irakische Christen organisieren Kampf gegen das „Kalifat“


Christliche Milizionäre vor zerstörtem IS-Fahrzeug mit dem Symbol des Islamischen Staates (IS)
Christ­li­che Mili­zio­nä­re vor zer­stör­tem IS-Fahr­zeug mit dem Sym­bol des Isla­mi­schen Staa­tes (IS)

(Bag­dad) Die syri­schen Chri­sten des Irak wer­den von den Isla­mi­sten des „Kali­fats“ von al-Bagh­da­di ver­folgt, ver­trie­ben, ermor­det oder ver­sklavt. Der ira­ki­sche Staat hört in den vom Isla­mi­schen Staat (IS) erober­ten Gebie­ten zu exi­stie­ren auf und wird durch die Herr­schaft des „Kali­fats“ ersetzt. Wegen ihrer Schutz­lo­sig­keit begin­nen die Chri­sten ihre Ver­tei­di­gung selbst in die Hand zu nehmen.

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Der gut orga­ni­sier­te und aus­ge­rü­ste­te Isla­mi­sche Staat erhält seit Aus­bruch des Bür­ger­kriegs in Syri­en Geld und Waf­fen von sun­ni­tisch regier­ten Golf­staa­ten, ein­schließ­lich der Wei­ter­ga­be von Waf­fen und Infor­ma­tio­nen, die Sau­di-Ara­bi­en und ande­re Emi­ra­te von west­li­chen Ver­bün­de­ten wie den USA erhal­ten. Die finan­zi­el­le Aus­schöp­fung durch den Ver­kauf von Erd­öl aus den IS-kon­trol­lier­ten Gebie­ten Syri­ens und des Iraks wäre ohne Hil­fe wohl­wol­len­der Hin­ter­män­ner des Isla­mi­schen Staa­tes undenkbar.

Die von den USA gebil­de­te Anti-IS-Koali­ti­on stellt ein wenig über­zeu­gen­des, hybri­des Gebil­de dar. Die inof­fi­zi­el­len ara­bi­schen För­de­rer und Waf­fen­lie­fe­ran­ten des Isla­mi­schen Staa­tes (IS) am Boden bekämp­fen dar­in offi­zi­ell den Isla­mi­schen Staat (IS) aus der Luft. Die Bom­bar­die­rung syri­scher Erd­öl­för­der­an­la­gen und Raf­fi­ne­rien scheint neben dem eigent­li­chen Ope­ra­ti­ons­ziel der Schwä­chung und Aus­schal­tung des IS als wei­te­res stra­te­gi­sches Ziel die ursprüng­li­che Absicht einer Schwä­chung und Aus­schal­tung der Regie­rung Assad zu verfolgen.

Christen bilden Selbstschutzgruppen und nehmen Kampf gegen Islamischen Staat auf

Christliche Kampfgruppe im Nordirak
Christ­li­che Kampf­grup­pe im Nordirak

Ange­sichts der undurch­sich­ti­gen Hal­tung der mit dem Westen ver­bün­de­ten ara­bi­schen Nach­bar­staa­ten und des Westens selbst, füh­len sich die Chri­sten Syri­ens und des Iraks im Stich gelas­sen und das nicht erst seit heu­te. Sie haben unter­des­sen eine Rei­he von bewaff­ne­ten Selbst­ver­tei­di­gungs­grup­pen gebil­det. Es han­delt sich um grö­ße­re und klei­ne­re Bür­ger­weh­ren, deren erste Auf­ga­be Selbst­schutz ist. Eine die­ser Kampf­grup­pen ist Dwekh Naw­sha im Irak. Der Name bedeu­tet Miliz der „Mär­ty­rer von mor­gen“. Die Kampf­grup­pe besteht nur aus Chri­sten. Ihr Feind ist der Isla­mi­sche Staat (IS).

„Wir kön­nen unse­re Frau­en und Kin­der nicht schutz­los die­sen Besti­en über­las­sen“, sagen die Män­ner, die auf Face­book und Twit­ter ihre eige­nen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ka­nä­le ein­ge­rich­tet haben. „Wir haben zu lan­ge gewar­tet und auf den Staat gehofft. Den Staat gibt es nicht mehr. Wir sind allein. Wir müs­sen uns bewaff­nen. Wir haben unse­re Frau­en zu beschüt­zen, unse­re Kin­der, unse­re Dör­fer, unse­re Kir­chen. Wenn die Gemein­schaft ent­schei­det, zu flie­hen, müs­sen wir die Flucht sichern. Der Tod durch die Schwar­ze Fah­ne war­tet überall“.

„Wenn wir den Islamischen Staat nicht besiegen, gibt es keine Zukunft hier für uns“

Assyrischer Kämpfer mit assyrischem Kind
Chri­sten im Irak: Assy­ri­scher Kämp­fer mit assy­ri­schem Kind

Dwekh Naw­sha wur­de von Chri­sten aus Mos­ul gebil­det. Die Fami­li­en befin­den sich zum Groß­teil in Flücht­lings­la­gern. Die Män­ner kämp­fen wei­ter süd­lich gegen den Isla­mi­schen Staat (IS). „Wenn wir den Isla­mi­schen Staat nicht besie­gen, gibt es für uns kei­ne Zukunft hier“. Die Chri­sten Mos­uls sind haupt­säch­lich Assy­rer, mit Rom unier­te ori­en­ta­li­sche Katho­li­ken. Eine der älte­sten christ­li­chen Gemein­schaf­ten der Welt.

Stolz zei­gen die Män­ner die Assy­ri­sche Fah­ne, die sie zum Sym­bol ihrer Kampf­grup­pe gemacht haben. „Sie töten uns, weil wir Chri­sten sind. Sie sol­len wis­sen, daß wir uns vor ihnen nicht fürch­ten. Jeder soll wis­sen, wer wir sind.“ Die Fah­ne ist jün­ge­ren Datums und ent­stand in den 60er Jah­ren im Irak, als die Baath-Regie­rung einen pan­ara­bi­schen Natio­na­lis­mus zu orga­ni­sie­ren ver­such­te. Heu­te ist sie für die Chri­sten ein Sym­bol ihrer Iden­ti­tät, die sie der Schwar­zen Fah­ne des Isla­mi­schen Staa­tes ent­ge­gen­hal­ten. Daß die Fah­ne der Chri­sten weiß ist, die der Isla­mi­sten schwarz, dar­auf wei­sen die Kämp­fer von Dwekh Naw­sha aus­drück­lich hin. Es ist ein „Kampf des Lichts gegen die Fin­ster­nis“, sagen sie. Über Face­book und Twit­ter hal­ten sie Kon­takt zu ihren Fami­li­en und vor allem zur Dia­spo­ra. Die Zahl der syri­schen Chri­sten in Euro­pa wird durch eine lan­ge Abwan­de­rungs­wel­le, wie durch die Ver­trei­bun­gen der letz­ten zehn Jah­re auf 600.000 geschätzt. Im deutsch­spra­chi­gen Raum sind es unge­fähr 140.000, davon min­de­stens jeweils 10.000 in Öster­reich und der Schweiz.

Kontakte zu Christen im Libanon

Christen im Kampf gegen den Islamischen Staat
Chri­sten im Kampf gegen den Isla­mi­schen Staat

„Wir sind klein an Zahl, aber groß an Glau­ben“, erklärt Oberst­leut­nant Odi­cho. Sei­nen Rang hat­te er in der Ira­ki­schen Armee erhal­ten. Nun habe er sich selbst wie­der mobi­li­siert. „Wir müs­sen unse­re Fami­li­en schüt­zen“, sagt auch er. „Ich war Sol­dat. Wie kann ich zuse­hen, wenn mei­ne Brü­der getö­tet wer­den und mei­ne Fami­lie bedroht wird?“ Unter den im ira­kisch-syri­schen Raum ope­rie­ren­den Kampf­ver­bän­den, gehört Dwekh Naw­sha zu den klei­ne­ren. Woher sie die Waf­fen haben? Aus den Bestän­den der Ira­ki­schen Armee. Wo sich die Armee auf­ge­löst oder zurück­ge­zo­gen hat, habe man Waf­fen­kam­mern über­nom­men. Es feh­le an schwe­ren Waf­fen. An Bewaff­nung sei man dem Isla­mi­schen Staat (IS) unter­le­gen. Inzwi­schen bestehen aber Kon­tak­te in den Liba­non. Die maro­ni­ti­schen Chri­sten, eben­falls mit Rom uniert, haben leid­vol­le Erfah­rung im bewaff­ne­ten Kampf gemacht, als die PLO in den 70er Jah­ren die Macht im ein­zi­gen christ­li­chen Staat des Nahen Ostens über­neh­men woll­te. Die Fol­ge war ein fünf­zehn Jah­re dau­ern­der Bür­ger­krieg, der das Land an den Rand des Ruins führte.

Die 1977 gegrün­de­te christ­li­che Miliz Forces Liba­nai­ses (FL), seit 1990 eine poli­ti­sche Par­tei, hat die Unter­stüt­zung von Dwekh Naw­sha zuge­si­chert. Die FL gaben bekannt, jede christ­li­che Grup­pe zu unter­stüt­zen, die den Kampf gegen die Dschi­ha­di­sten auf­nimmt. Im ver­gan­ge­nen Som­mer unter­nahm der Isla­mi­sche Staat (IS) von Syri­en aus eini­ge Ope­ra­tio­nen im Liba­non und erober­te den grenz­na­hen Raum zu den von Isra­el annek­tier­ten Golan-Höhen, aus dem er die UNO-Blau­hel­me vertrieb.

„Kurden vertreten nicht Interessen der Christen“

Christliche Hochzeit von Milizionären gesichert
Christ­li­che Hoch­zeit von Mili­zio­nä­ren gesichert

Die west­li­che Diplo­ma­tie mit ihrem ver­wor­re­nen Ver­bün­de­ten­kreis im Nahen Osten setzt unter­des­sen auf die Kur­den. Sie wer­den als Anti-IS-Front auf­ge­baut. Die Chri­sten sehen sich ein wei­te­res Mal von den „christ­li­chen“ Staa­ten im Stich gelas­sen. Die Kur­den hät­ten ihre Inter­es­sen und das sei­en nicht jene der Chri­sten, heißt es bei Dwekh Naw­sha. Im Westen sage man zwar, die Kur­den wür­den die Chri­sten beschüt­zen, doch das stim­me so nicht. Es gebe zwar gele­gent­li­che Zusam­men­ar­beit, aber in Wirk­lich­keit haben auch die Kur­den die Chri­sten der Nini­ve-Ebe­ne im Stich gelas­sen und ihrem Schick­sal über­las­sen wie der Westen.

Verhinderte und nicht verhinderte Waffenlieferungen

Dwekh Naw­sha ver­sucht über den Liba­non an Waf­fen zu kom­men. Ein schwie­ri­ges Unter­fan­gen. Wenn der Westen Waf­fen­lie­fe­run­gen unter­bin­den will, hat er Mit­tel und Wege. Das muß­ten bereits die Kroa­ten wäh­rend des Kroa­ti­en- und Bos­ni­en­krie­ges 1991–1995 erle­ben. Die christ­li­chen liba­ne­si­schen Mili­zen hat­ten im Zuge der Abrü­stungs­be­stim­mun­gen ihre schwe­ren Waf­fen abzu­lie­fern und woll­ten die­se den kroa­ti­schen Katho­li­ken zukom­men las­sen, die man­gels Waf­fen den ser­bi­schen Ver­bän­den anfangs aus­ge­lie­fert waren. Ser­bi­en konn­te sich auf Bestän­de und Struk­tu­ren der 1992 auf­ge­lö­sten Jugo­sla­wi­schen Volks­ar­mee stüt­zen. West­li­che Kriegs­schif­fe stopp­ten damals die liba­ne­si­schen Lie­fe­run­gen im Mit­tel­meer, weil man am jugo­sla­wi­schen Kunst­staat fest­hal­ten woll­te. Umge­kehrt ver­hin­dert der­sel­be Westen nicht die Waf­fen­lie­fe­run­gen an den Isla­mi­schen Staat (IS).

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Facebook/​Infovaticana/​Infobae

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