Gastkommentar von Clemens Victor Oldendorf.
Mein gestern hier erschienener Beitrag „Kardinal Burke – Hoffnungsträger Sisyphos?“ hat in kurzer Zeit eine relative Flut von Leserzuschriften provoziert. Vielleicht ist sie noch gar nicht abgeebbt. Bis gestern nacht haben die Kommentare jedenfalls ganz überwiegend gezeigt, daß mein Artikel insgesamt unverstanden geblieben, zumindest seitens der meisten, die sich dazu geäußert haben, mißverstanden worden ist. Das gilt schlimmstenfalls auch für meine bisherigen, auf oder für Katholisches.info veröffentlichten Überlegungen. Dem möchte ich mit dieser Erwiderung entgegenwirken, mich aber damit zuallererst für das Interesse und das Engagement bedanken, die durch die Diskussion bewiesen wurden. Um das Verständnis wirklich aufzuhellen, bemühe ich mich im folgenden um wo möglich merksatzhafte Kürze.
Zu meinem Argumentationsansatz
Was Kardinal Walter Kasper erreichen will, ist wahrscheinlich noch unstrittig. Es geht ihm darum, wiederverheirateten, geschiedenen Gläubigen den Empfang der heiligen Kommunion zu ermöglichen. In weiterer Konsequenz zusätzlich Personen, die in homosexuellen (Eingetragenen) Partnerschaften leben. Er spricht das nicht so deutlich aus, aber um diese Ziele zu erreichen, entschließt er sich dazu, die in der klassischen Moraltheologie allgemeine Überzeugung von der Existenz eines Naturrechts zu verabschieden. Auf diese Weise soll sich ergeben, daß es keine Handlungen mehr gibt, die überall und zu allen Zeiten, unter allen Umständen „in sich schlecht“ und damit unbedingt verboten, sowie moraltheologisch objektiv immer „schwer sündhaft“ sind. Pro forma könnte der Kardinal meines Erachtens zu Recht darauf hinweisen, daß die Naturrechtsvorstellung ihren Konsenscharakter längst eingebüßt hat, mittlerweile eigentlich nur noch von der katholischen Moraltheologie aufrechterhalten wird, wo er allerdings auch schon schwindet, jedenfalls argumentativ nicht mehr eingesetzt werden kann, um Personen, die noch nicht glauben, zu überzeugen.
Es ist relativ offensichtlich, daß Kasper weiter geht. Er ist selbst davon überzeugt, daß es kein Naturrecht gibt. Das hat er spätestens deutlich gemacht, indem er gerade zur Problematik der Homosexualität auf unterschiedliche Kulturkreise verwies, in denen sie jeweils unterschiedlich zu beurteilen sei. Zwischen den Vertretern dieser verschiedenen Kulturkreise, namentlich den afrikanischen Bischöfen, die Kasper Widerstand geleistet hatten und Kasper selbst sowie den Befürwortern seiner These, könne es nicht einmal zu einer Verständigung, geschweige denn zu einer übereinstimmenden, gemeinsamen Beurteilung der Homosexualität kommen.
Doch die Abkehr Kaspers vom Naturrecht ist nur der erste Teil seiner Argumentation. Vor allem möchte er – mit Schönborn – einen Transfer leisten von der ökumenischen Annahme des Zweiten Vatikanischen Konzils, es gebe außerhalb der sichtbaren Grenzen der katholischen Kirche ekklesiale Elemente, die in Gesamtheit in der katholischen Kirche Roms zu voller Gestalt verwirklicht, in den getrennten Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften mehr oder weniger vorhanden seien und, je vollzähliger, desto stärker, auf die katholische Einheit mit und unter Petrus und seinen Nachfolgern hindrängten.
Kasper und Schönborn wollen diese Elementetheorie von der Ekklesiologie, wo sie nicht ganz unberechtigt ist, weil die Kirche nie die Existenz gültiger Sakramente bei Schismatikern bestritten hat und diese auch immer aufgefordert hat, (wieder) zur Einheit mit ihr zu finden, auf die Ehe übertragen. Auch dieser Gedanke ist nicht rundweg falsch, gerade, weil im Sakrament der Ehe ekklesiologisch sehrwohl eine Entsprechung des bräutlichen Verhältnisses Christi zu seiner Kirche vorliegt. Doch nicht diese tatsächliche Analogie wollen Kasper und Schönborn von neuem bestätigen, sondern eine neue Schnittmenge und Entsprechung zwischen der sakramentalen Ehe und der staatlichen Zivilehe, letztlich zwischen der sakramentalen Ehe und jeder, wenigstens auf Dauer angelegten, in geschlechtlicher Anziehung motivierten, Lebensgemeinschaft (zweier) Menschen finden. Solche Gemeinsamkeiten sollen zum Beispiel sein: Dauer (Treue), gegenseitige Fürsorge und gegebenenfalls gemeinsame Verantwortung für Nachkommen oder andere Schutzbefohlene.
Wirklichkeit des Naturrechts und katholische Moral
Da ich persönlich die Wirklichkeit des Naturrechts anerkenne und sie für die Konzeption einer katholischen Moraltheologie für unentbehrlich halte, gleichzeitig aber überzeugt bin, daß man nicht umhinkommt, anzuerkennen, daß das Naturrecht in den konkret existierenden Staaten, besser würde man bereits politischen Gesellschaften sagen, als Rechtsquelle unwirksam geworden ist und auch philosophisch nicht mehr mit Naturrecht argumentiert werden kann, weswegen ich zwischen Gültigkeit und Geltung des Naturrechts unterschieden habe, habe ich überlegt, wie man moraltheologisch argumentieren müßte, um zu Kaspers gewünschtem Ergebnis zu gelangen, ohne wie dieser Gültigkeit und Anspruch des Naturrechts preiszugeben und doch realistisch zu sehen, daß es praktisch im Staat momentan nicht mehr gilt und auch philosophisch und juristisch nicht mehr wahrgenommen wird.
Zugleich habe ich eine Lösung gesucht, unter Wahrung des Naturrechtsanspruchs und des überlieferten Dogmas zu einem Ergebnis zu gelangen, in dem ein Kommunionempfang durch geschiedene Wiederverheiratete, unverheiratete Paare und Personen gleichen Geschlechts, die dauerhaft in einer gegebenenfalls staatlich anerkannten Geschlechtsgemeinschaft leben, nicht zwingend als Zustand schwerer Sünde und der Kommunionempfang deswegen nicht zwangsläufig in jedem Fall als sakrilegisch einzustufen wäre.
Skizze dieser Lösung
Die sakramentale Ehe ist strenggenommen bloß der Sonderfall einer naturrechtlichen Einehe, die, wenn zwei komplementärgeschlechtliche Christen sie untereinander schließen, von Christus zur Würde eines Sakramentes erhoben und unauflöslich ist, sobald die Ehepartner diese Ehe nach der Eheschließung wenigstens einmal vollzogen haben.
Wie man aus dem Alten Testament erkennen kann, ist Monogamie kein notwendiges Element jeder Naturrechtsehe.
Die Zivilehe, wie wir sie in unseren Staaten traditionell kennen, ist freilich eine Einehe. Eine naturrechtliche Einehe ist auch nicht unauflöslich, selbst die sakramentale Ehe ist dies prinzipiell nicht, solange sie nicht vollzogen ist. Die Unauflöslichkeit der Ehe kann also nicht naturrechtlich argumentiert werden. Für die Zivilehe indes ist der Vollzug der Ehe rechtlich unerheblich. Die Möglichkeit der Scheidung einer vollzogenen Zivilehe ist also nicht unbedingt ein Widerspruch zu einer Analogie zur sakramentalen Ehe, zeigt aber doch an, daß eine sozusagen säkularisierte , gleichsam verstaatlichte, Konzeption von Ehe schon sehr früh begonnen hat, sich vom zweifellos religiös-christlichen Vorbild zu entfernen.
Staatstheoretisch war das Naturrecht historisch durchaus grundlegend, sogar anthropologisch verankert. Wenn aber heutige Staaten selbst gleichgeschlechtliche Eingetragene Partnerschaften rechtlich ermöglichen, die sie der Zivilehe de facto und de jure praktisch gleichstellen und gegebenenfalls auch offiziell Ehe nennen, muß man schlußfolgern, daß ein solcher Staat für seine Zivilehe außer (bis jetzt) der Monogamie jede Gemeinsamkeit mit der naturrechtlichen Einehe, wie sie das mittelbare Vorbild der ursprünglichen Zivilehe war, aufgegeben hat.
Ich argumentiere nun, Kasper müsse taktischer sagen, Zivilehe und erst recht Eingetragene Partnerschaft hätten nichts mehr mit der naturrechtlichen Einehe gemeinsam und deswegen noch viel weniger irgendwelche Berührungspunkte mit der sakramentalen Ehe. Dann bedeutet nämlich das Eingehen einer solchen Verbindung nicht mehr die Begründung eines Status‘, bei dessen Vorliegen die Moraltheologie quasi automatisch schon rein formal den Zustand schwerer Sünde voraussetzen muß.
Das meinte ich, als ich neulich ausführte, solange aus einer solchen Verbindung keine Kinder hervorgingen, könne man gar keine Unzuchtssünden zwischen den Ehepartnern beweisen, andernfalls höchstens einzelne, die man aber ja wie alle Todsünden bereuen und beichten kann und anschließend sogar wieder kommunizieren soll, um die Kraft zu schöpfen, nicht abermals schwer zu sündigen.
Bei gleichgeschlechtlichen Partnerschaften ist die Entsprechung zur sakramentalen Ehe noch radikaler aufgehoben, weil sie nicht einmal mehr ein schattenhafter Abglanz der bräutlichen Beziehung Christi zu seiner Kirche ist. Hier liegt, nur ganz nebenbei gesagt, meines Erachtens das dogmatische Hauptargument gegen das sakramentale Amtspriestertum der Frau.
Da aber bei homosexuell praktizierenden Partnern eigene Nachkommenschaft prinzipiell ausgeschlossen ist, kann man in diesem Falle eine sexuelle Praxis überhaupt nicht beweisen, es sei denn, man wird Augenzeuge – oder die Betroffenen bekunden es öffentlich.
Da aber auch bei einer Eingetragenen Partnerschaft vom Gesetzgeber keine gemeinsame sexuelle Praxis zur Bedingung gemacht wird, begründet sogar eine solche nicht per se eine sozusagen staatliche Institutionalisierung von etwas, das moraltheologisch zwangsläufig ein Zustand schwerer Sünde ist.
Auch hier sind also höchstens einzelne Unzuchtssünden denkbar, und homosexuell empfindende Menschen können sie wie alle Sünden und wie jeder andere bereuen und beichten und sind dann zur Kommunion zuzulassen.
Solange jemand das nicht provokant sagt oder öffentlich tut, hat darüberhinaus niemand ein Recht, vorauszusetzten, daß jemand gleichgeschlechtlich sündigt, nicht bereut, nicht beichtet und trotzdem kommuniziert!
So müsste und könnte meines Erachtens eine Argumentation aussehen, die im Ergebnis mit Kaspers Ziel übereinstimmt, zugleich aber mit praktischem Realitätssinn zur Kenntnis, keineswegs kapitulierend hinnimmt, daß das Naturrecht momentan nirgendwo mehr gilt oder als Argument bemüht wird, ohne damit den Naturrechtsanspruch aufzugeben oder selbst Gültigkeit und Wirklichkeit des Naturrechts zu bestreiten oder zu ignorieren.
Wie eine solche Argumentation auch einen würdigen und fruchtbringenden Kommunionempfang ermöglichen könnte, ohne gegen die Prinzipien der klassischen Moraltheologie zu verstoßen, habe ich gerade gezeigt. Nicht mehr und nicht weniger habe ich immer gesagt. Es ist mir schleierhaft, wie man das so tiefgreifend missverstehen kann, daß man mir unterstellt, für Kasper Partei ergriffen oder gar Sinnfreies geschrieben zu haben.
Meine Probleme mit der Synode
Als Problem betrachte ich, daß Kasper und Schönborn gerade nicht so argumentieren und trotzdem wiederverheiratete Geschiedene und Personen, die homosexuell leben, zu den Sakramenten zulassen wollen.
Weiters, daß die Mehrheitsverhältnisse keineswegs so komfortabel von der Zweidrittelmehrheit entfernt waren, daß man jetzt mit Blick auf 2015 Entwarnung geben könnte und der Papst ohnehin selbst an ein qualifiziert ablehnendes Votum einer Bischofssynode nicht gebunden ist, was Papst Paul VI. 1967 mit der Missa Normativa und 1969 mit dem Novus Ordo Missae vorexerziert hat.
Das Problem, das am schwersten wiegt, betrifft aber eigentlich gar nicht die jetzt vergangene oder die bevorstehende Synode und ihr wahrscheinliches Resultat. Man muß nämlich folgendes sagen: Bisher hat das römische Lehramt an der klassischen katholischen Moraltheologie festgehalten, die sich auf das Naturrecht gründet und ihm in allem entspricht, in vielem aber auch nur direkt aus dem traditionellen katholischen Glauben abgeleitet werden kann, gerade in der Ehemoral. Katholische Moral ist eine Konsequenz aus dem katholischen Glauben. Seit Paul VI. und unter Johannes Paul II. hat man sozusagen aus dem konziliaren Glauben eine katholische Moral abgeleitet. Wenn Änderungen à la Kasper folgen, ist das eigentlich viel konsequenter, dann folgt aus dem ökumenisch-konziliaren Glauben eine ökumenisch-konziliare Moral.
Das gravierendste Problem ist die Reaktion, die ich gestern erlebt habe. Die Konservativen wollen weiterhin eine konservative Interpretation des konziliaren Glaubens der traditionellen katholischen Morallehre und ‑praxis zuordnen, die Traditionalisten bestätigen vollumfänglich das Bild, das Papst Franziskus in seiner Abschlußansprache von ihnen gezeichnet hat, aber sie widerlegen auch seine These einer weitgehenden Gleichsetzung von katholischem Traditionalismus und Intellektualismus, denn sie können den katholischen Glauben und seine Glaubenspraxis offenbar eben nicht mehr intellektuell begründen, sobald sie dazu ihre gewohnten Erklärungsmuster aufgeben oder auch nur variieren müssen. Letzteres habe ich gestern versucht, sonst nichts. Wie soll man die Modernisten sonst widerlegen, wenn nicht so? Wie Menschen zum katholischen Glauben hinführen, wenn es nunmal Tatsache ist, daß das Naturrechtsargument außerhalb von Kreisen, die ihm sowieso zustimmen, nicht mehr überzeugt, nicht einmal mehr bekannt ist?
Bild: InfoVaticana