(Rom) „Man hat ein seltsames Gefühl …“ schreibt der katholische Publizist Mauro Faverzani. Der Grund? In den vergangenen Tagen wurden in den internationalen Medien zwei gänzlich unterschiedliche Fälle auf ein und dieselbe Stufe gestellt. Jener des polnischen Titularerzbischofs und Vatikandiplomaten Jozef Wesolowsky, ehemaliger Nuntius für die Dominikanische Republik, der auf Befehl von Papst Franziskus von der vatikanischen Gendarmerie wegen Pädophilie verhaftet wurde. Und jener von Bischof Rogelio Livieres Plano, der von Papst Franziskus als Diözesanbischof der Diözese Ciudad del Este in Paraguay abgesetzt wurde. Die beiden Fälle wurden in manchen Zeitungen auf der Titelseite nebeneinandergestellt, obwohl sie mitnichten miteinander vergleichbar sind. Und was hat eine sybillinische Warnung an Kardinal Pell damit zu tun, nachdem er ein leidenschaftliches Plädoyer zur Verteidigung der katholischen Ehelehre gegen Kardinal Kaspers „neue Pastoral“ veröffentlichte?
Zeitung der Bischöfe: Empörung über Pädophilen, Lob für Homosexuellen
Was Msgr. Wesolowsky betrifft, richtet das Medienkarussell seine Scheinwerfer auf die Anklage wegen Pädophilie, wobei tunlichst dessen erwiesene Homosexualität verschwiegen wird. Der paradoxe Spagat zwischen politisch korrekter Empörung und Vertuschung geht in der der Italienischen Bischofskonferenz gehörenden katholischen Tageszeitung Avvenire soweit, auf derselben Seite neben dem Foto des verhafteten Nuntius aus Polen eine überschwengliche Begeisterung samt Foto für dessen sexuellen Gleichgesinnten Pier Paolo Pasolini zu setzen.
Giuliano Ferrara, der streitbare Chefredakteur der Tageszeitung Il Foglio, der 2007 mit der Forderung nach einem internationalen Abtreibungsmoratorium für Aufsehen sorgte und im Frühjahr Kardinal Kaspers Strategie zur Unterminierung des Ehesakraments durchkreuzte, bezeichnete die ganze Angelegenheit als „grotesk“ und „enttäuschend“ und machte darauf aufmerksam, daß „das kirchenrechtliche Verfahren noch nicht abgeschlossen ist“, da im Fall Wesolowsky das Berufungsverfahren anhängig ist, „und das strafrechtliche Verfahren praktisch noch nicht einmal begonnen hat“. „Wo ist die Barmherzigkeit?“ in diesem Fall, fragte Ferrara aus den Spalten seiner Zeitung.
Die Verschleierung Urrutigoity
Und der Fall von Bischof Livieres? Die großen Medien präsentierten ihn als Schuldigen, den Fall seines Generalvikars Carlos Urrutigoity vertuscht zu haben, der vor zwölf Jahren in den USA des sexuellen Mißbrauchs beschuldigt worden war. Dem ist aber nicht so, wie Vatikansprecher Pater Federico Lombardi ausdrücklich der New York Times gegenüber erklärte: „Das wichtige Problem waren die schwierigen Beziehungen innerhalb des Episkopats und der Ortskirche“, während von Urrutigoity zwar „gesprochen wurde“, dieser aber „nicht zentral“ war.
Auch die Erklärung des vatikanischen Presseamtes beschränkte sich auf die Feststellung, daß die Entscheidung „von ernsten pastoralen Gründen“ sei und dem „höheren Wohl der Einheit der Kirche von Ciudad del Este und der Gemeinschaft der Bischöfe Paraguays“ geleitet sei. Seit Jahren standen seine bischöflichen Mitbrüder Bischof Livieres in Paraguay in herzlicher Abneigung gegenüber.
Progressiv-befreiungstheologisches Seminar gegen glaubenstreues Seminar
Auf der Internetseite seiner nunmehr ehemaligen Diözese erinnert ein Dossier daran, daß der Bischof unbequem war, weil er offen das Nahverhältnis des paraguayischen Episkopats mit der politischen Linken und der Befreiungstheologie kritisierte. Nachdem er Bischof wurde, zog er seine Priesteramtskandidaten vom gemeinsamen interdiözesanen Priesterseminar in Asuncion ab und gründete ein eigenes diözesanes Priesterseminar, um die künftigen Priester vor der akzentuierten politisch-ideologischen Ausrichtung von Asuncion zu bewahren. Die Neugründung erwies sich als ungeahnter Erfolg.
Als Bischof Livieres 2004 seine Diözese übernahm, fand er nur anderthalb Dutzend Priester vor. In den vergangenen zehn Jahren konnte er 60 Priesterweihen spenden und zuletzt jährlich 40 Neuzugänge in das Priesterseminar aufnehmen. Die Kandidaten kamen aus allen Diözesen des Landes. Das schlechte Vorbild der Bischöfe (der einzige Erzbischof des Landes ein Homosexueller, der Bischof von San Pedro verwarf das Weihesakrament für seine linken politischen Träume und hatte während seiner Zeit als Priester und Bischof sexuelle Beziehungen zu Frauen) und zölibatsbrechender Priester sowie weitverbreitete marxistische Theorien haben das sakramentale Priestertum wenn nicht bekämpft, so verunstaltet und unterdrückt.
Priesterberufungen wo Priestertum anerkannt und Vorbilder und Förderung vorhanden
Bischof Livieres öffnete ein Ventil, weil der die Erhabenheit des Weihesakraments sichtbar machte. Während seine bischöflichen Mitbrüder achselzuckend mehr oder weniger glaubwürdig beklagten, daß des keine Priesterberufungen gebe, erbrachte Bischof Livieres den Nachweis, daß es sehr wohl auch heute Priesterberufungen gibt, diese aber nur sichtbar werden können, wenn sie gefördert und nicht abgewürgt werden.
Dabei legte Bischof Livieres in Ciudad del Este sehr strenge Maßstäbe bei der Zulassung zum Priesterseminar an, weit strengere als das interdiözesane Priesterseminar von Asuncion. Die Behauptung, wo es viele Seminaristen gibt, werde wohl jeder genommen, auch „unwürdige“ Bewerber, war Teil jener Verleumdungskampagne, die letztlich in Rom Gehör fand und zur Absetzung des Bischofs führte.
Seit Jahren Kampf mit allen Mitteln gegen Bischof Livieres
Der übrige Episkopat reagiert heftig, weil man sich bewußt wurde, daß Bischof Livieres eine solche Dynamik entfaltete, nicht nur das monolithische Schema des Episkopats aufzubrechen, sondern entscheidend den künftigen Klerus nicht nur seiner Diözese, sondern des ganzen Landes zu formen.
Man versuchte seit Jahren, mit allen Mitteln gegen ihn vorzugehen. Alles wurde ihm vorgehalten, auch seine Zugehörigkeit zum Opus Dei. Zur Zeit von Vatileaks (Zufall?) gelangte ein Schreiben von Bischof Livieres an Papst Benedikt XVI. an die Öffentlichkeit, in dem er die innere Distanz der paraguayischen Bischöfe zur Glaubenslehre der Kirche belegte und beklagte und neue Kriterien für die Auswahl künftiger Bischöfe vorschlug. Das führte auch zu heftigen Reaktionen in seiner Diözese.
Eine Minderheit von zehn Priestern, die er von seinem Vorgänger übernommen hatte, forderte zusammen mit dem progressivsten Teil der organisierten Laien erstmals eine apostolische Visitation. Die sichtbare Initiative ging von jenem Diözesanteil aus, der in seiner Ausrichtung mit der „sozialen Pastoral“ des übrigen Episkopats korrespondierte. Bischof Livieres genoß jedoch die Unterstützung von Benedikt XVI. Offensichtlich „hat Papst Franziskus beschlossen, mir die Unterstützung zu entziehen“, heißt es im Brief von Bischof Livieres an den Präfekten der Ordenskongregation, Kardinal Marc Ouellet.
Unbrüderliche „Unregelmäßigkeiten“
In dem Brief machte der abgesetzte Bischof mit großer Würde respektvoll aufmerksam auf einige objektive Unregelmäßigkeiten, deren Opfer er geworden ist. Er erhielt nie den Abschlußbericht über die Apostolische Visitation, die im vergangenen Juli von Kardinal Santos Abril y Castello auf Anordnung des Papstes durchgeführt wurde. Seine Absetzung wurde vom Nuntius öffentlich bekanntgemacht, bevor ihm das entsprechende Dekret ausgehändigt worden war. Obwohl der Bischof zu jener Zeit in Rom war, wurde er trotz mehrfacher Ansuchen von Papst Franziskus nicht empfangen. Die Absetzung erfolgte, während er von verschiedenen römischen Stellen befragt wurde. Die Befragung war demnach nur ein Vorwand, um ihn aus seiner Diözese nach Rom zu locken, während die Absetzung bereits beschlossene Sache war.
Der Bischof befand sich nichtsahnend in Rom, während in seiner Diözese Msgr. Ricardo Valenzuela, einer der progressivsten Bischöfe Paraguays, bereits als Apostolischer Administrator die Kontrolle über die Diözese übernahm. Mangels Vorwürfen oder einer regulären Anklage hatte Bischof Livieres auch keine Möglichkeit, sich zu rechtfertigen. Eine Vorgangsweise, die der Bischof mit harten Worten geißelte: „Im Widerspruch zu den vielen Reden von Dialog, Barmherzigkeit, Offenheit und Respekt für die Ortskirchen, wurde mir weder eine Gelegenheit gegeben, mit Papst Franziskus zu sprechen noch die Möglichkeit Unklares, Zweifel oder Sorgen zu klären.“ Die zu erwartende correctio paterna des Papstes oder zumindest fraterna des Bischofs von Rom fand nicht statt.
Bischof Livieres bekundete als „gehorsamer Sohn der Kirche“ der päpstlichen Entscheidung Folge zu leisten, bezeichnete sie jedoch öffentlich als „unbegründet und willkürlich“, für die „der Papst vor Gott Rechenschaft ablegen wird müssen“.
„Das ist ein Putsch!“
Bischof Livieres sieht in seiner Absetzung „eine ideologische Verfolgung“. Dafür spricht die wenig brüderliche Vorgehensweise. In der Diözese wurde die Absetzung in Abwesenheit bekanntgemacht, indem der Nuntius mit dem neuen Apostolischen Administrator vorfuhr. Wie Pagina Catolica berichtete, drangen zuvor nicht näher identifizierte „Gesandte von Franziskus“ in Begleitung der Polizei in die bischöfliche Kurie ein und versiegelten Schränke und Schreibtische. Die 89jährige Mutter des Bischofs, die in der bischöflichen Residenz wohnte, wurde unverrichteter Dinge vor die Tür gesetzt und im gesamten Haus die Schlösser ausgetauscht. Was in Ciudad del Este geschehen ist, „das ist ein Putsch!“, so Pagina Catolica.
Wie aus allen Erklärungen paraguayischer Bischöfe und Ex-Bischöfe, wie jener von Ex-Staatspräsident Fernando Lugo, hervorgeht, spielte Urrutigoity im Fall Livieres keine Rolle. Es ging um die Beseitigung eines Störenfriedes, der den ideologischen kirchlich progressiven politisch linken Frieden des Episkopats und der paraguayischen Kirche störte. Urrutigoity diente nur dem Deutungsmuster der internationalen Presse, ebenso sexuell fixiert wie mit den Verhältnissen in Paraguay nicht vertraut, um den grundlegenden Richtungsstreit in der Kirche, um den es im Fall Livieres geht, hinter einer Schmuddelgeschichte zu verbergen. Statt komplizierte Zusammenhänge zu erklären, die zudem ideologisch nicht genehm sind, begnügte man sich mit plakativen Verdächtigungen, die wegen des Stichworts „sexueller Mißbrauchs“ viel leichter handhabbarer und vor allem inappellabel sind.
Was hätte Bischof Livieres zum Fall Urrutigoity sagen können, hätte ihn jemand gefragt?
Was hätte Bischof Livieres, wenn man ihn zum Fall Urrutigoity befragt hätte, sagen können? Zum Beispiel, daß Urrutigoity nie von irgendeinem Gericht verurteilt wurde, weder von einem staatlichen noch einem kirchlichen Gericht. Zum Beispiel, daß in den geduldigen Weiten des Internets zwar allerlei kursiert, die drei Anschuldigungen wegen angeblichen sexuellen Mißbrauchs in Wirklichkeit jedoch im Nichts geendet sind und vielmehr seine Unschuld anerkannt wurde. Zum Beispiel, daß die Glaubenskongregation offiziell jedes Vorgehen gegen ihn mangels konkreter Anschuldigungen einstellte. Zum Beispiel, daß der Argentinier Urrutigoity, als er 2005 nach Ciudad del Este kam, Empfehlungsschreiben verschiedener hoher Exponenten des Vatikans vorweisen konnte, darunter auch des damaligen Präfekten der Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger. Angesichts der Strenge, mit der dieser als Papst Benedikt XVI. bei tatsächlichen Mißbrauchsfällen vorging, darf angenommen werden, daß er beim geringsten konkreten Zweifel, da seine Kongregation den Fall behandelt hatte, keine Empfehlung ausgesprochen hätte.
Der Vorwurf der angeblichen Mißwirtschaft gegen Bischof Livieres entpuppt sich als Verleumdung, da nachweislich alle Gelder in den Ausbau und den Unterhalt des ständig wachsenden Priesterseminars geflossen sind.
Einige Aspekte im Fall Livieres erinnern auf traurige Weise an zwei Fälle im deutschen Sprachraum, jenen von Bischof Kurt Krenn in Sankt Pölten und jenen von Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst in Limburg, die beide von Rom auf unrühmliche Weise und unter Mithilfe bischöflicher Mitbrüder abserviert wurden.
Bischof Livieres, das exoktische Unikum unter Paraguays Bischöfen
Am 27. September richtete Bischof Livieres ein Schreiben an die Priester, Seminaristen und Gläubigen seiner ehemaligen Diözese. Darin forderte er alle zum Gehorsam gegenüber der „rechtmäßigen Autorität“ auf. Den Seminaristen empfahl er die „Freude“, wie sie der heilige Paulus nennt und bat sie „dem Lehramt und der Tradition treu“ zu sein, um dadurch einmal „gute und heilige Priester“ zu werden.
Bischof Livieres war ein exotisches Unikum in Paraguay: der einzige „konservative“ Bischof des Landes. Eine „Spezies“, die vorerst offiziell ausgestorben ist. Mit seiner Absetzung wiederholt sich der Alptraum dieses Pontifikats. Wie gegen die Franziskaner der Immakulata „greift der Heilige Stuhl ein, indem er jene bestraft, die Treue zur Glaubenslehre beweisen und dadurch geistliche Früchte hervorbringen“, wie der Blog Campari&Maistre schrieb.
Die Vorgehensweise zeigt dabei ein bestimmtes Muster. Die Strafmaßnahmen erfolgen auf dem Verwaltungsweg, so daß keine Möglichkeit zur Verteidigung besteht. Anschuldigungen werden gar nicht formuliert, außer summarisch und völlig willkürlich als angeblicher Mangel eines sensus Ecclesiae. „Die Waffe der Verleumdung und der Denunziation scheint zum Hauptinstrument geworden zu sein, um die Gegner des neuen Kurses zum Schweigen zu bringen“, so Campari&Maistre.
Eine sybillinische Warnung an Kardinal Pell
In diesem Sinn ist wohl auch eine sybillinische Warnung an Kardinal George Pell zu verstehen, die im linken Magazin L’Espresso erschienen ist, das zur Mediengruppe der Tageszeitung La Repubblica von Eugenio Scalfari gehört. Der Kardinal wurde vor einem Monat von einer Untersuchungskommission zu sexuellen Mißbrauchsfällen der Regierung von Canberra über die Zeit befragt, als er Erzbischof von Melbourne und dann Sydney war. Kardinal Pell, der zum kleinen Kreis der „konservativen“ Kirchenfürsten mit einer Affinität zu Tradition gehört, wurde von Papst Franziskus nach Rom geholt. Manche Beobachter sprechen von einer „Neutralisierung“. Die Warnung so kurz vor der Bischofssynode macht jedenfalls hellhörig.
Dem Kardinal wird ausgerechnet aus dem Umfeld des unorthodoxen päpstlichen „Hausmediums“ La Repubblica vage vorgeworfen, seinerzeit etwas vertuscht haben zu wollen. Ein Vorwurf, der ausgerechnet nach dem Erscheinen von Pells neuestem Buch „Das Evangelium der Familie“ erhoben wird, mit dem er die katholische Ehelehre gegen die „Öffnungen“ von Kardinal Kasper verteidigt. Zufall?
Unterdessen zeichnet sich ab, daß in Rom mit zweierlei Maß gemessen wird. Der Vatikanist Marco Tosatti (La Stampa) kann sich einfach nicht erklären, warum Papst Franziskus ausgerechnet den belgischen Kardinal Godfried Danneels persönlich zum Synodalen ernannte und zur Bischofssynode über die Familie nach Rom einlädt. Einen Mann, der nachweislich geradezu einen pädophilen Sumpf um sich duldete, so daß die Medien noch im vergangenen Jahr den Ausschluß vom Konklave forderten. Doch, zieht Tosatti dann doch seine Schlüsse, Danneels „ist ein Freund des Papstes und vor allem ist er ein Progressiver“. „Und das scheint heutzutage alles zu erklären …“, wie Mauro Faverzani hinzufügt.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana/Wikicommons