Gastkommentar von Andreas Becker
(Berlin) In Berlin fand am Sonntag unter dem Motto „Steh auf. Nie wieder Judenhass“ eine Kundgebung des Zentralrats der Juden gegen Antisemitismus und für Israel statt. Neben etwa 6.000 Teilnehmern war viel gekommen, was in Deutschland Rang und Namen hat, einschließlich Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal Marx. Die Kundgebung fand vor dem Brandenburger Tor statt, vor dem auch bereits Sympathisanten der Dschihadisten die schwarze Fahne des „Kalifats“ schwenkten.
Das Anliegen ist verständlich. Daß der Zentralrat der Juden eine solche Kundgebung für Israel organisiert ebenso. Dennoch haben die Koordinaten Schönheitsfehler. Die Positionen des Vorsitzenden des Zentralrats, Dieter Graumann sind nachvollziehbar und aus seiner Sicht selbstverständlich. Allerdings verschwimmen die Grenzen zwischen den Interessen Israels und den Interessen der Bundesrepublik Deutschland, daß eine Deckungsgleichheit behauptet und entsprechendes Handeln von der bundesdeutschen Politik eingefordert wird. Eine Forderung der sich, wenn schon nicht die offizielle Politik, so zumindest der gesunde Hausverstand widersetzt. Kritik an der Politik Israels, stellt noch keinen „Angriff“ auf das Judentum per se und noch weniger auf die israelitische Kultusgemeinde in Deutschland dar. Daß der Zentralrat der Juden in Deutschland hier wenig differenziert, läßt sich erklären. Fraglich ist es dennoch. Mit Sicherheit fraglich ist aber, wenn geladene Nicht-Juden aus Politik und Kirchen nicht differenzieren. Letztlich handelte es sich bei der Kundgebung vom Sonntag um die Fortsetzung einer Kampagne der Bild-Zeitung von Ende Juli: Selbes Motto, selbe Akteure. „Stimme erheben. Nie wieder Judenhass“. Merkel und Marx waren schon damals dabei.
Roß und Reiter werden nicht benannt
Anderes erstaunt noch mehr: Es wird zwar ein zunehmender „Judenhaß“ in Deutschland beklagt, aber die Verursacher werden nicht beim Namen genannt. Es wird auf eine anti-israelische Demonstration in Gelsenkirchen im vergangenen Juli verwiesen, bei der Parolen skandiert worden sein sollen, die jenseits jeder Rechtfertigung sind. Sichere Belege für die oft zitierten Parolen scheint es allerdings nicht zu geben. Daß es sich bei den Demonstranten in Gelsenkirchen und anderen Orten um junge Moslems handelte, die lautstark „Allahu akbar“ in die Mikrophone riefen, wurde in Berlin so konsequent verschwiegen, daß eine bewußte Absprache auf höchster Ebene angenommen werden muß. Auch die großen Medien hielten sich daran. Interessierte Kreise beider Seiten versuchen Europa in den Nahost-Konflikt hineinzuziehen und haben aus dem israelisch-palästinensischen Gegensatz auch in Europa einen „Glaubenskrieg“ gemacht, in dem eine sachliche Diskussion kaum möglich scheint. Die Demonstration in Gelsenkirchen ist ebenso ein Beispiel dafür wie die Kundgebung in Berlin. Allerdings mit einer eindeutigen Präferenz durch das deutsche Establishment.
In Berlin wurde von den Rednern, auch Graumann, als Notbehelf der unterschwellige, letztlich aber unredliche Eindruck erweckt, als bestehe eine Art nahtloser Zusammenhang zwischen dem Antisemitismus des Nationalsozialismus vor über 70 Jahren mit der heute auf Deutschlands Straßen durch Moslems lautwerdenden, gegen den Staat Israel und seine Palästinenser-Politik gerichteten Kritik. Ein tiefsitzender Reflex? Der Versuch, mit der Moralkeule Deutschland an der Seite Israels zu halten? War der Antisemitismus damals autochthon, ist die Kritik heute importiert. Die Einwanderer bringen ihre Ideologien und ihre Probleme mit, was die offizielle Politik nicht hören und nicht wahrhaben will, wie am Sonntag in Berlin anschaulich unter Beweis gestellt wurde.
Einen direkten Zusammenhang gibt es bis auf marginalste Überschneidungen nicht. Deshalb sollte dieser Eindruck auch nicht von offizieller Seite erweckt werden. Wenn es heute anti-israelische Kritik von deutscher Seite gibt, dann vor allem von der extremen Linken und der noch weit kleineren extremen Rechten. Man sollte Roß und Reiter beim Namen nennen. Vom deutschen Volk geht heute jedenfalls keine Gefahr aus, weder für Juden noch für Israel. Abgesehen davon, erscheint auch jede Gleichsetzung von israelitischer Kultusgemeinde in Deutschland und dem Staat Israel bedenklich. Die Frage der geteilten Loyalität müssten sich andernfalls nicht nur die Türken gefallen lassen, sondern auch die Juden.
Wann sagt Bundeskanzlerin Merkel: „Angriff auf Christen sind Angriffe auf uns alle“?
Einen unangenehmen Beigeschmack hatte zudem Angela Merkels Aussage: „Angriffe auf Juden sind Angriffe auf uns alle“. Die Aussage kann richtig verstanden und gutgeheißen werden. Allerdings vermißt man bisher eine vergleichbare Aussage Merkels für die Christen. Bei den „Angriffen“ handelt es sich um Kritik am Staat Israel und dessen Politik. Hätte die Bundeskanzlerin nicht auch Grund, zu sagen: „Angriffe auf Christen sind Angriffe auf uns alle“? Nämlich die Angriffe gegen Christen im Nahen Osten. Auch Israel liegt im Nahen Osten.
Es ehrt den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal Marx, daß er nach Berlin ging, an der Kundgebung teilnahm und auch dort sprach. Warum wurde Kardinal Marx aber noch nicht in Berlin an der Spitze einer Kundgebung für die verfolgten Christen gesehen? Wäre eine solche nicht auch geboten, vielleicht sogar noch weit mehr als die Teilnahme an einer Kundgebung für Israel?
Stolpert die politische Korrektheit über selbst errichtete Hürden?
Warum fällt es der deutschen Politik und den Kirchen so leicht, kraftvolle Aussagen und Verteidigungsreden für den Staat Israel zu finden, nicht aber für die akut und real weit mehr bedrohten Christen des Nahen Ostens? Warum vermeiden sie es, die Israel-Kritiker auf Deutschlands Straßen mit oder ohne antisemitischem Zungenschlag beim Namen zu nennen? Gelangt hier die politische Korrektheit an sich selbst ausschließende Grenzen? Einerseits verlangt sie pro-israelisch und philosemitisch zu sein, andererseits verlangt sie ebenso multikulturalistisch und philoislamisch zu sein. Bundeskanzlerin Merkel sagte, das jüdische Leben gehöre „unmissverständlich zu Deutschland“ und sei Teil der deutschen Kultur. Hatte aber nicht bereits Bundespräsident Christian Wulff gesagt: „Der Islam gehört zu Deutschland“?
Vielleicht bleiben deshalb die Urheber undefiniert, samt dem gewollten oder ungewollten, unterschwelligen Eindruck als würde es sich dabei gar um ganz „normale“ Deutsche handeln, denn eines verbietet die politische Korrektheit bekanntlich nicht: antideutsch und antichristlich zu sein.
Text: Andreas Becker
Bild: Facebook Seite Kai Diekmann