(Seoul) Wer sind die Katholiken, die Papst Franziskus unter Häresieverdacht stellt, indem er sie als „Pelagianer“ bezeichnet? Oder hat der Papst seine Meinung grundlegend geändert und den Häresievorwurf in Dank umgewandelt? Secretum meum mihi stellte einen Vergleich „widersprüchlicher“ Haltungen des Papstes zu ein und derselben Sache an. „Was ist wahr? Hat der Papst innerhalb eines Jahres seine Meinung geändert? Sagte er damals oder heute nicht das, was man sagt, daß er es gesagt habe? Wurde er mißverstanden?“, fragt deshalb Francisco de la Cigoña, einer der bekanntesten katholischen Blogger Spaniens.
„Die Reise nach Korea war ein Erfolg und im Augenblick scheint es nichts Aufsehenerregendes zu geben, das richtigzustellen, zu dementieren und zu präzisieren wäre.“ so de la Cigoña. „Kann es sein, daß der Papst lernt, der Papst zu sein? So Gott will.“ „Mit Sicherheit sah er in Korea eine blühende, missionarische Kirche mit einem sehr traditionellen Erscheinungsbild. Ob sie gerade deshalb ein solches Wachstum erlebt? Während die Kirche in Japan, die so nahe und doch so verschieden ist, nicht abhebt.“
Der Pelagianer-Vorwurf im Juni 2013
Am 6. Juni 2013 hatte Papst Franziskus die progressiven Vorstandsmitglieder des Dachverbandes der Ordensleute Lateinamerikas und der Karibik Confederación Latinoamericana y Caribeña de Religiosos y Religiosas (CLAR) in Privataudienz empfangen. Das von der Delegation angefertigte Gedächtnisprotokoll über die beim einstündigen Treffen gemachten Aussagen des Papstes, wurde umgehend der progressiven chilenischen Zeitschrift Reflexion y Liberacion zugespielt und von dieser veröffentlicht.
Im Vatikan war man ebenso überrascht und gab sich zugeknöpft. Vatikansprecher Pater Federico Lombardi, von Journalisten zur Echtheit des Protokolls befragt, gab zwar eine Erklärung ab, ohne jedoch etwas zum Inhalt zu sagen. Er beschränkte sich auf die Feststellung, daß es sich um ein „privates Treffen“ gehandelt habe: „Ich habe deshalb keine Erklärungen zum Inhalt des Gesprächs abzugeben“. Womit der Vatikansprecher indirekt die Authentizität des Protokolls bestätigte.
Die CLAR-Vorsitzende Schwester Mercedes Leticia Casas Sánchez FSpS und Generalsekretär Pater Gabriel Naranjo Salazar CM sahen sich genötigt, im Namen des Dachverbandes die Veröffentlichung zu bedauern. Dabei wurde der Inhalt der im Protokoll genannten Aussagen des Papstes ausdrücklich bestätigt.
Was der Papst vor einem Jahr sagte
Laut der „exklusiven“ Protokoll-Veröffentlichung von Reflexion y Liberacion sagte Papst Franziskus zu den lateinamerikanischen Ordensoberen:
„Ich teile zwei Sorgen. Eine ist eine pelagianische Richtung, die es in diesem Moment in der Kirche gibt. Es gibt gewisse restaurative Gruppen. Ich kenne einige, ich mußte sie in Buenos Aires empfangen. Und man fühlt sich wie 60 Jahre zurückversetzt! Vor das Konzil … Man fühlt sich wie im Jahr 1940 … Eine Anekdote, nur um das zu veranschaulichen, nicht um sich darüber lustig zu machen, ich habe es mit Respekt angenommen, aber ich bin besorgt: Als ich gewählt wurde, erhielt ich von einer dieser Gruppen einen Brief, mit dem man mir mitteilte: ‚Euer Heiligkeit, wir entbieten Ihnen diesen geistlichen Schatz von 3.525 Rosenkränzen‘. Warum sagen sie nicht ‚Wir beten für Sie, wir bitten…‘, aber diese Zählerei… Und diese Gruppen möchten zu Formen und Praktiken zurückkehren, die ich noch erlebt habe – sie nicht, weil keiner von ihnen alt ist – zu einer Ordnung, zu Dingen, die man damals gelebt hat, aber nicht mehr heute, heute gibt es sie nicht mehr.“
Es war die erste Aussage, die das neue katholische Kirchenoberhaupt zu traditionsverbundenen Katholiken tätigte, weshalb die Aussage großes Aufsehen erregte. Manche versuchten sie mit der nicht authorisierten Auslegung abzuschwächen, der Papst habe nur „bestimmte“, „extreme“ Gruppen der Tradition gemeint.
Der Nicht-Pelagianer-Vorwurf im August 2014
In Südkorea jedenfalls scheint man nicht recht verstanden zu haben, was Papst Franziskus mit seinem „Häresie“-Vowurf meinte. Während seiner Korea-Reise kam es am 16. August auch zu einer Begegnung mit der koreanischen Konferenz der Ordensoberen. Einem Treffen, an dem mehrere Tausend Ordensleute teilnahmen, vor denen der Papst eine Ansprache hielt. Was dort geschah berichtete am 17. August unter anderem ACIprensa, die wichtigste spanischsprachige katholische Nachrichtenagentur:
„Der Vorsitzende der Konferenz der Ordensoberen der Institute des geweihten Lebens und für die Gesellschaften apostolischen Lebens, Pater Hwang Seok-mo überbrachte Papst Franziskus das geistliche Geschenk von 3,7 Millionen Rosenkränzen und mehr als 100.000 Fastengelübden.
‚Wir überreichen ein Geschenk, das wir für Papst Franziskus bereitet haben. Das Geschenk der Ordensmänner und Ordensfrauen ist eine geistliche Gabe: 3.708.821 Rosenkränze und 118.408 Fastenversprechen‘. Das Treffen des Heiligen Vaters mit Tausenden Ordensmännern und Ordensfrauen fand in der ‚Schule der Liebe‘ im Traning Center von Kkottongnae statt.
Der Heilige Vater dankte für diese Opfer und ermutigte sie, lebendige Vorbilder der Freude und der Barmherzigkeit Gottes zu sein, und betonte die Bedeutung der Ordensgelübde der Keuschheit, der Armut und des Gehorsam.“
Häresie oder vorbildliches „Opfer“?
„Der Heilige Vater dankte für diese Opfer?“, fragt sich Secretum meum mihi, „Hat der Papst innerhalb eines Jahres so grundlegend seine Meinung geändert, daß er sich für das, was er vor 14 Monaten „besorgt“ als Häresie verurteilte, nun bedankte? Sind diese koreanischen Ordensleute anders als jene, die zur Zeit als der Papst noch Erzbischof von Buenos Aires war, ihm als Geschenk einen geistlichen Strauß von Rosenkränzen überbrachten? ‚Warum sagen sie nicht ‚Wir beten für Sie, wir bitten…‘, aber diese Zählerei…‘, hatte der Papst damals gegenüber progressiven lateinamerikanischen Ordensvertretern gesagt. Nun bedankte sich derselbe Papst in Südkorea gegenüber den konservativen koreanischen Ordensvertretern für das, was er wenige Monate zuvor nicht nur „besorgt“ kritisiert, sondern als pelagianische Häresie bezeichnet hatte.
In Kkottongnae besuchte Papst Franziskus auch das große Behindertenzentrum von Pater John Oh, der das katholische Kirchenoberhaupt auch auf den dort errichteten Friedhof für die abgetriebenen Kinder führte.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Francisco de la Cigoña/Secretum meum mihi