Gastkommentar von Johannes Thiel
(Bagdad/Berlin) Im Westen gibt es ein offensichtliches Versagen der Außenpolitik und zuviele Gutmenschen, meist linke Politiker, die das Problem der Christen des Nahen Ostens damit lösen wollen, die Christen nach Europa umzusiedeln. Sie tarnen ihre Forderung mit dem „humanitären Notstand“. Diesen gibt es in der Tat. Die Forderung geht jedoch an der Realität vorbei, vor allem dem, was die Christen des Nahen Ostens wollen. Zudem trägt eine jahrzehntelange verfehlte Außenpolitik unter US-Führung eine gehörige Mitverantwortung an diesem „humanitären Notstand“.
Europäische Gutmenschen linker Couleur sehen in einer großangelegten Umsiedlungsaktion ein Mittel zur „Beruhigung“ des Nahen Ostens, die in Wirklichkeit einer Islamisierung entspricht, die zudem immer deutlicher unter islamistischen Vorzeichen erfolgt. Der Bevölkerungstransfer kommt dabei vor allem der von denselben Kräften in Europa angestrebten Auflösung der Völker und Nationen entgegen. Anstatt den Christen im Nahen Osten zu helfen, schlagen die Multikulturalisten Kleingeld aus deren Not. Die Christen Syriens und des Irak werden als politisches Druckmittel in den europäischen Staaten mißbraucht, die Grenzen für die Massenmigration zu öffnen. Die linken bien-pensance bedienen sich dabei einer ganz eigenen Sprache, die zum Teil meilenweit von der Realität entfernt ist. Vor einem Jahrhundert lag der Anteil der Christen im gesamten Nahen Osten je nach Gebiet zwischen einem Viertel und einem Drittel der Bevölkerung, im Libanon war es sogar die absolute Mehrheit. Heute gibt es „christenfreie“ Zonen. Geht es nach einigen europäischen Außen- und Intergrationspolitikern sollen es noch mehr werden.
Umsiedlungsaktion für Christen des Nahen Ostens?
In der Mainstream-Diktion sind längst alle Migranten zu „Flüchtlingen“ mutiert. Eine unredliche Verallgemeinerung, hinter der sich eine gezielte politische Agenda verbirgt. Ebenso wie jeder, der aus welchen Gründen auch immer die 113 Kilometer Seeweg zwischen Tunesien und Lampedusa zu überqueren versucht und kaum gesichtet von der bereits bereitstehenden italienischen Marine an Bord geholt wird, vom Medien-Mainstream als „gerettet“ gilt, als sei er in Seenot gewesen. Seltsam mutet dabei, etwa in Deutschland, die Einmütigkeit zwischen Politikern der Grünen und der SPD, linken und christlichen NGO’s und evangelischen und katholischen Bischöfen an.
Daß der Transfer von tatsächlichen Flüchtlingen in Tausende Kilometer entfernte, ihnen völlig fremde Länder außerhalb ihres Kulturkreises zum Nutzen derselben sein soll, glauben wahrscheinlich nicht einmal grüne Politiker. Es dürfte ihnen letztlich auch egal sein.
Will der Westen die Tragödie der verfolgten Christen nicht verstehen?
Ganz anders sehen es die betroffenen Christen des Nahen Ostens. Ihre Antwort lautet: „Unser Land verlassen, in dem Jesus 600 Jahre vor Mohammed geboren wurde? Nein, Danke!“ Doch der Westen scheint die Tragödie der verfolgten Christen noch immer nicht zu verstehen. Wie auch, sind die meisten der Transfer- und Migrationspolitiker in Europa gleichzeitig als antichristlich einzustufen.
Ihnen schrieb nun Louis Raphaà«l I. Sako, der seit 2013 amtierende Patriarch von Babylon ins Stammbuch: „Ihr dürft die Christen nicht zum Verlassen der Region ermutigen, sondern sollt ihnen helfen, zu bleiben“. Eine Mahnung, die mehr einer verzweifelten Bitte gleichkommt angesichts einer fatalen Politik der US-Regierung und dem allgemeinen Desinteresse Europas, wo der Linken nur einfällt, das Ende der Christenheit im Nahen Osten zu beschleunigen und die Christen des Nahen Osten als ein Puzzlestein unter anderen für ihre Multi-Kulti-Utopie zu mißbrauchen. Eine Utopie, die einen europäischen Zentralstaat zum Ziel hat, der bestenfalls pro forma demokratisch sein wird.
Patriarch Sako reagierte mit seiner Aufforderung auf die „Bereitschaft“ des sozialistisch regierten Frankreich, die irakischen Christen, die Opfer der Dschihadisten sind, aufzunehmen. Die Minister Laurent Fabius und Bernard Cazeneuve schrieben: „Wir kommen den Obdachlosen zu Hilfe, die vor dem Islamischen Staat fliehen und sich nach Kurdistan geflüchtet haben. Wir sind bereit, ihnen auf unserem Territorium Aufnahme und Asyl zu gewähren“.
Westen soll Christen nicht zum Verlassen ihrer Heimat ermutigen
Der Vorschlag, selbst wenn er mit den besten Absichten gemacht worden sein sollte, offenbart vor allem, daß der Westen die Bedürfnisse der Christen des Nahen Ostens nicht begreift. Und dies, obwohl Louis Sako bereits als Erzbischof von Kirkuk und heute als Patriarch sich immer wieder zum Sprecher dieser Bedürfnisse gemacht hat: „Der Westen sollte die Abwanderung nicht fördern. Westliche Regierungen und Kirchen sollten uns vielmehr helfen, indem sie Projekte unterstützen, die den Christen das Bleiben ermöglichen. Ich habe 40 christliche Orte im Nordirak besucht. Die Menschen brauchen nicht viel außer etwas Medizin, Saatgut und mehr Arbeitsplätze“, so Tempi.
Genau dasselbe erklärte auch Gregor III. Laham, der Patriarch von Antiochien und dem Ganzen Orient der mit Rom unierten melkitisch-katholischen Kirche. „Die Christen des Irak und Syriens wollen in ihrem Land bleiben“, sagte er in einem Interview für Tele Lumiere. „Sicher, wir brauchen jemanden, der uns hilft. Vor allem aber brauchen wir jemanden, der uns hilft in unserem Land zu bleiben. Helft uns den Terrorismus und die Islamisten zu bekämpfen. Beendet die Waffenlieferungen, die nur diesen Gruppen nützen. Das wäre eine weit wichtigere Anstrengung für den Frieden, anstatt uns zu Asylanten zu machen und uns zu erklären, uns nahe zu sein.“
„Westen hat in den vergangenen 50 Jahren nur Spaltung gesät“
In seinem Interview erhob der Patriarch von Antiochien scharfe Anklage gegen den Westen: „Wir wollen in unserem Land bleiben und das trotz aller Probleme. Alles was die USA und Europa in den vergangenen 50 Jahren getan haben, war Spaltung zu säen. Ihr müßtet stattdessen für die Einheit arbeiten, auch für die Einheit zwischen Christen und Moslems und nicht für die Spaltung. Wir sind die ersten, die unterdrückt werden und leiden. Tausende von Märtyrern wurden hier getötet. Ihr Blut hat es ermöglicht, daß es uns Christen und unsere Botschaft in diesem Land noch gibt.“
Der Westen sei zum Thema Naher Osten taub, so der Patriarch Sako von Babylon. Er bekomme nur große Ohren, wenn seine Wirtschaftsinteressen, konkret die Erdölförderung betroffen seien. Nun haben die islamistischen Terroristen das Land überfallen und die Christen hegen den dringenden Verdacht, daß dies nur mit westlichen Waffen möglich geworden ist. „Die Christen bitten um Hilfe und brauchen Hilfe. Sie brauchen aber nicht ein Umsiedlungsticket, sondern Lösungsvorschläge für die Krise. Sie brauchen politische Stabilität und nicht Militärinterventionen, die einzige Antwort, die manche zu geben imstande scheinen. Jede Militärintervention hier ist zu Lasten der Christen gegangen“, so der Patriarch. „Die USA waren hier und sie haben viele Fehler gemacht. Und nun herrschen Chaos, Verwirrung und Anarchie. Man kann nicht einfach mit der Waffe in der Hand einmarschieren und das westliche demokratische Modell importieren.“
Helfen? Waffenlieferungen einstellen und Druck auf Saudis Terrorfinanzierung einzustellen
Die westliche Außenpolitik könnte den Christen auf „ziemlich einfache Weise helfen“, indem sie „Druck auf Saudi-Arabien, die Türkei, Katar und den Iran ausübt“, damit sie aufhören, Terroristen zu finanzieren. Vor allem aber sollte der Westen die Waffenlieferungen an die Rebellen im Irak und Syrien einstellen.
Der Vorschlag, den Christen Asyl in Frankreich und anderen europäischen Ländern zu gewähren, signalisiert ein falsches Interesse am Leid der Betroffenen. „Es ist nicht das, was die Christen wünschen. Die Christen wollen nicht sicher außerhalb des Irak leben, sondern im Irak.“ Und an den Westen gerichtet, sagte der Patriarch: „Wer davonläuft, verliert alles, seine Geschichte, seine Sprache, seine Moral, seine Traditionen, seine Liturgie, alles: diese Christen verlieren alles. Und wenn wir hier auch viele Schwierigkeiten haben, für die ihr nicht unverantwortlich seid: das Paradies, das ist sicher nicht bei euch.“
„Westen muß uns helfen, aber zu bleiben und nicht zu fliehen“
„Wie kann der Westen wollen, daß hier die zweitausendjährige Geschichte des Christentums unterbrochen wird? Ein Verlust für den ganzen Nahen Osten, aber auch für den Westen. Was sollte aus diesem Land, dem Irak werden, wenn es mit den Christen den offensten Teil der Gesellschaft verliert, der sich um die Erziehung und die Ausbildung kümmert, der als einziger den Frauen in diesem Land die gleiche Würde zuerkennt?
Ein christenfreier Naher Osten ist ein um vieles ärmerer Naher Osten, denn das Christentum hat ältere und tiefere Wurzeln in dieser Region als der Islam. Es würde ein Naher Osten, der sich immer mehr radikalisiert und immer intoleranter würde. Welches Interesse könnte der Westen an einer solchen Entwicklung haben?“, fragt sich der Patriarch. Vielleicht weil man gegen einen solchen Nahen Osten leichter militärisch vorgehen kann? Dagegen stellt der Patriarch erneut seinen Appell: „Der Westen muß uns helfen, aber zu bleiben und nicht zu fliehen“.
Bild: Ora Pro Siria